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Im Vorhof zur Hölle

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»Sie können mich gerne weiter foltern. Aber das war nicht der Mann, von dem meine Mutter schwärmte, seinetwegen in den Tod ging.«

Ich kämpfe mit meinen Gefühlen. Tränen benetzen meine Augenwinkel, meine Sicht verschwimmt. Mit einem Seufzer sacke ich auf die Liege zurück und vergrabe das Gesicht in den Händen. Gibt es nach Katee eine weitere Wahrheit, die ich nicht kenne? Hat Mutter mehr gewusst und daher den Tod gesucht? Wenn ja, werde ich nicht eher ruhen, bis das ich ihren Tod eigenhändig gerächt habe.

Ny'Chelle setzt sich zu mir, schweigt. Ich blicke dem Todesengel fest in seine dunklen Augen.

»Worauf warten Sie noch? Sie hatten mir einen schmerzfreien Tod versprochen. Ich nehme Sie jetzt beim Wort: Sternenprinz.«

Ny'Chelles Oberlippe zuckt leicht. Mit jeder Minute, die verstreicht, wird Ny'Chelles Antlitz härter, männlicher. Es ist augenscheinlich, dass sie massive, gesundheitliche Probleme hat.

»Lass mich reden«, bittet Ny'Chelle und hilft mir hoch. Die unerwartete Konfrontation mit meinem Vater hat meine Angst vor Ny'Chelle und meine Wut über die erlittenen Qualen in Rauch aufgehen lassen. »Du wirst nicht getötet. Nicht, wenn ich es verhindern kann. Kyle erklärte uns, du wärest ein feindlicher Agent und darauf konditioniert, sich als Merlins Sohn auszugeben. Was gelogen ist, da der Debugger deine DNA eindeutig identifiziert hat.«

»Sie hieß Katee!«

»Meinetwegen. Wir haben nicht viel Zeit. Ich werde dich jetzt nach Thornton Heath zurückbringen lassen, allerdings unter einer Bedingung: Du musst mir versprechen, dass du niemals in die Nähe unserer Basis zurückkehren wirst. Hast du mich verstanden?«

Ich nicke stumm.

»Dann komm.«

»Einen Moment, bitte. Ist Philipp hier? Und was wird aus Katees Leichnam?«

»Katees Körper wird analysiert und anschließend eingeäschert. Was Philipp Becker angeht, einverstanden, holen wir ihn ab.«

Wir dürfen gehen. Einer von Fragen und Zweifeln geprägten Zukunft entgegen, gebunden an ein Versprechen. Ohne die geringste Chance, die Wahrheit zu erfahre. Wie ein Ferkel dem Metzger laufe ich Ny'Chelle schweigend hinterher. Durch ein Labyrinth namens Morgiana's Lair. Abrupt bleibe ich stehen, ich habe zu viele Fragen. »Ny'Chelle?«

»Schweig! Wenn wir uns jetzt nicht beeilen, ist dein Vater beileibe nicht der einzige, der nach deinem Leben trachten wird.«

»Wer noch? Ihre goldenen Roboter?«

Ny'Chelle blinzelt mit den Lidern. Mich schaudert bei dem Gedanken, wie sie am Ende ihrer laufenden Metamorphose aussehen wird. Sie schnappt meinen Arm, zerrt mich weiter, bis ein Schott sich öffnet und meine Flucht zu Ende ist.

»Hallo Ny'Chelle.«

Er versperrt meinen Weg in die Freiheit. Breitbeinig und die Arme militärisch hinter seinem Rücken verschränkt. Sein Blick ist kalt, enthält weniger Leben als der Taststrahl der Gladiatroniken. Für eine Sekunde kreuzen sich unsere Blicke, münden in gegenseitigem Erkennen. Es gibt für mich keinen Zweifel, vor mir steht Kyle Steward Francis Jennings, mein totgeglaubter Vater.

»Weißt du, Ny'Chelle, du hast mich enttäuscht. Ich habe Eichendorff prüfen lassen, ob du pflichtgemäß dem Vertrag von Helios zufolge in deiner Unterkunft mit deinem Erlöser zusammengetroffen bist. Stattdessen befreist du einen Gefangenen und bringst uns alle in Gefahr.«

»Kyle, du hast kein Recht, uns zu belügen und deinen Sohn zu liquidieren.«

»Halt mir keine Vorlesungen, Astartin.«

Purpurne Flammen lodern aus dem Boden empor und zwei Gladiatroniken samt Philipp im Gepäck treten vor uns aus dem Nichts. Philipp stolpert in Kyles Richtung. Dieser reicht ihm jovial die Hand.

»Philipp Becker? Schön, dass Sie zu unserer kleinen Party kommen konnten. Darf ich Ihnen meine Stellvertreterin verstellen? Ny'Chelle, die Ehrwürdige Astartentochter aus dem Stock der Ny.«

Philipp wirkt verstört, mustert Ny'Chelle und mich. Er versteht nicht, was hier gespielt wird. Und ehrlich gesagt, ich auch nicht.

Ny'Chelle krümmt sich vor Schmerzen und geht zu Boden.

»Geh!«, faucht sie und gibt mir einen Stoß. Gleichzeitig schubst Kyle Philipp in Richtung der von Krämpfen heimgesuchten Astartin. Wir gleiten aneinander vorbei, ohne uns zu berühren. Mein Freund stürzt und prallt gegen Ny'Chelle.

»Protektorschirm aktivieren«, befiehlt Kyle in ein unsichtbares Mikrofon, »transparent für Bild und Ton!«

»Kyle!«, kreischt Ny'Chelle. »Komm bitte zu dir! Philipp Becker ist kein Verbrecher, er verdient die Endurance nicht. Das kannst du uns nicht antun. Ruf die Gladiatroniken und lass mich sofort in mein Quartier bringen. Bevor es zu spät ist! Bitte!«

Ein letztes Zittern durchfließt Ny'Chelles Körper, das Raubtier gewinnt die Oberhand. Sie stößt sich vom Boden ab, wirbelt durch die Luft. Noch im Sprung fallen ihre letzten Federn ab, die nackten Flügelstümpfe schrumpeln zusammen. Die einst vollendete, weibliche Figur hat männliche Proportionen angenommen. Als sich die Kreatur auf dem Boden abrollt, hängen die Reste ihres Einteilers an ihrem Körper wie die Schale einer schlecht abgepellten Banane. Ny'Chelles Haut ist bräunlich verfärbt und geschuppt. Finger und Zehen haben sich in ihrer Länge verdreifacht und enden in sensenförmigen Krallen. Ihr Schädel gleicht einer deformierten Aubergine, deren Kiefer Zahnreihen entblößen, die den Weißen Hai zum Friedfisch degradieren. Philipp weiß nicht, wie ihm geschieht.

»Bitte, Vater!«, höre ich mich heulen. Für einen Moment gebe ich mich der Illusion hin, das Wort Vater könnte einen Sinneswandel in ihm bewirken.

»Ich will das nicht«, zischt Ny'Chelle, »aber Kyle lässt mir keine andere Wahl.« Dann hacken sich ihre Krallen in Philipps Körper, sein Todesschrei erstickt im eigenen Blut.

Kyle nickt zufrieden und deutet einen Applaus an.

»Astarten sind biologische Zwitter. Neunzig Prozent ihres langen Lebens existieren sie in ihrer weiblichen Form. Alle zehn Jahre werden sie von ihrem Fortpflanzungstrieb, der Endurance, sprichwörtlich übermannt. Sie morphen für wenige Minuten in ihr männliches Geschlecht und besamen die in ihren Eierstöcken gereiften Eier.« Ich beginne zu frösteln. »Allerdings, und das sehen wir gerade innerhalb der Abschirmung, funktioniert dieser Orgasmus nur, wenn das Männchen ein anderes, warmblütiges Wesen im Blutrausch erlegt und die befruchteten Eier vom kalt werdenden Blut des Opfers ausgebrütet werden.«

Der Anblick ist grotesk. Ny'Chelle hockt auf Philipp wie ein Cowboy auf einem Pferd beim Rodeo. Zwischen ihren Beinen lugt ein penisförmiges Organ hervor, das sich in Philipps Unterleib bohrt und seinen Leichnam zum Pulsieren bringt. Dabei stöhnt sie lustvoll und verspritzt ihr Gelege in Philipps Bauchraum.

»Schirm deaktivieren!« Kyle betritt die Kammer des Schreckens. Seine Schritte klingen, als ob er durch eine Regenpfütze geht. Überall klebt Philipps Blut.

»Schade«, flüstert er zynisch und schnippt mit den Fingern in der Luft. Wie aus dem Nichts erscheint eine Pistole in seiner rechten Hand. Ny'Chelles Ritt endet augenblicklich. Philipps Körper rutscht kraftlos aus ihren Fängen.

»Ich habe dir und der Eminenz treu gedient«, stammelt Ny'Chelle und kehrt mit atemberaubender Geschwindigkeit in ihr weibliches Geschlecht zurück. Kleine, weiße Federchen sprießen auf den sich rasch vergrößernden Flügelstümpfen und saugen begierig Philipps restliches Blut auf.

»Das, meine liebe Ny'Chelle, weiß ich zu würdigen und werde es lobend in deinem Nachruf erwähnen.«

Für einen Moment blicke ich in Ny'Chelles Augen, schwarze Tränen quellen aus ihnen hervor. Nein, Ny'Chelle ist keine Mörderin. Jedenfalls nicht im herkömmlichen Sinne. Kyle hat sie gezwungen, Philipp im Blutrausch zu reißen. Inzwischen hat dessen Körper ein schauerliches Eigenleben entwickelt, Bauch und Brust meines Freundes sind gespenstisch angeschwollen, drohen zu platzen. In wenigen Sekunden wird Philipp aufbrechen und Ny'Chelles Brut in die Welt entlassen. Kyle zielt und drückt ab. Philipps Körper bäumt sich auf, Bauch und Brust erschlaffen.

»Meine Kinder!«

»Wie die Brut, so der Elter«, antwortet Kyle kalt. Er drückt erneut ab. Ny'Chelles Leiche kippt nach vorn und bleibt auf Philipps Körper liegen. Eine merkwürdige Stille kehrt ein. Ist jetzt endlich Schluss?

»Sicherheit? Bringen Sie unseren Gast zurück in seine Zelle. Und benachrichtigen Sie Termina One. Ich wünsche, dass der feindliche Agent umgehend entsorgt wird.«

Ohne mich eines weiteren Blickes zu würdigen, verschwindet Kyle durch ein sich öffnendes Schott und überlässt mich seinen gladiatronischen Bluthunden.

Jennings, Erdprotektor

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