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„… wie Eier in einem Korb“

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So beschrieb der Ausgräber Robert R. Schmidt seinen spektakulären Fund von Menschenschädeln in der Großen Ofnet-Höhle bei Holheim im Landkreis Donau-Ries (Bayern) im Jahr 1908. Direkt unter dem über sechs Meter breiten Hauptzugang der Höhle gelegen, war er in 85 Zentimeter Tiefe auf zwei Deponien mit Schädeln gestoßen, allesamt nach Westen orientiert und zwischenzeitlich auf ein Alter von rund 7500 Jahren BP datiert. Es handelte sich um flache, rundliche Mulden mit einem Abstand von rund einem Meter zueinander und Durchmessern von 76 bzw. 45 Zentimetern. Sie sind der siebten von insgesamt neun von unten nach oben durchnummerierten Schichten zuzuordnen, die Ablagerungen vom Aurignacien bis ins Mittelalter enthalten. Das die Schädelsetzungen unmittelbar umgebende Erdreich war mit Rötel, Holzkohle und verbrannten Knochenresten vermischt. In anatomisch korrekter Lage zu den zwar stark zerdrückten, aber in ihrer Substanz ziemlich gut erhaltenen Kalvarien fanden sich die zugehörigen Unterkiefer und Halswirbel. Es besteht also kein Zweifel daran, dass man hier zuvor abgetrennte Köpfe im Weichteilverband niedergelegt hatte. Direkt dabei lagen mehr als viertausend durchbohrte Schneckenhäuser und über zweihundert Hirschgrandeln, die als Schmuckbeigaben gedeutet werden, einige Silexklingen und zwei Knochenpfrieme sowie Knochenbruchstücke vom Rothirsch, Elch, Wildschwein, nordischem Vielfraß und Löwen.


Große Ofnet-Höhle. Das größere der beiden 1908 gefundenen Schädelnester barg die Überreste von mehr als zwei Dutzend Männern, Frauen und Kindern. Einige davon waren mit durchbohrten Hirschzähnen und Schneckenhäusern versehen worden.

In dem größeren der beiden Schädelnester zählten die Archäologen 27, im kleineren sechs Schädel. Spätere Bearbeiter – inzwischen haben sich mehr als ein halbes Dutzend Anthropologen und Zahnmediziner mit dem Material beschäftigt – sprechen von insgesamt 34 oder gar 38 Personen, je nachdem, wie kleinere Fragmente zugeordnet werden. Das Altersspektrum der Schädel reicht von einem Neugeborenen oder wenige Monate alten Säugling bis zu einer als sechzigjährig oder älter eingestuften Frau, wobei die von den beteiligten Spezialisten mitgeteilten individuellen Altersdiagnosen bei den Erwachsenenschädeln manchmal bis zu zwanzig Jahre und mehr divergieren. Hinsichtlich der vertretenen Altersgruppen repräsentieren Kinder bis zum Alter von zehn Jahren mit Abstand den Hauptanteil des gesamten Ensembles. Sie stellen mehr als die Hälfte aller Schädel. Unter den Jugendlichen und Erwachsenen dominieren die Frauen gegenüber den Männern im Verhältnis 2:1, so dass man alles in allem eine Vorauswahl annehmen kann. Der etwa siebenjährige Knabe Nr. 7 scheint einen Wasserkopf gehabt zu haben. Ansonsten wurden an den Kranien keine nennenswerten pathologischen Veränderungen festgestellt, dafür aber zahlreiche Spuren von Gewalt.

Aus dem gesamten Kontingent sollen acht (vier Männer, eine Frau, drei Kinder), nach einer früheren Untersuchung 18 (fünf Männer, drei Frauen und zehn Nichterwachsene) Individuen mehrheitlich durch Beilhiebe, seltener durch Schläge mit Keulen oder anderen Gegenständen mit stumpfer Einwirkungsfläche attackiert oder getötet worden sein. Das zeigt, wie schwierig die Beurteilung solcher Befunde sein kann, wenn das Knochenmaterial nur bruchstückhaft überliefert ist. Zumindest einige Verletzungen scheinen hinsichtlich ihrer Form mit dem Querschnitt zeitgenössischer Steinbeile zu korrespondieren, und nach beiden Zählungen sind mehr Männer als Frauen betroffen, obwohl die Männer insgesamt in der Minderheit sind. Die Defekte – bis zu sieben Stück allein bei dem zwanzig- bis dreißigjährigen Mann Nr. 21 – finden sich häufiger auf der rechten als auf der linken Seite und häufiger am Hinterkopf als im Stirnbereich. Die meisten der Betroffenen dürften also von hinten erschlagen worden sein. Speziell bei den mehrfach traumatisierten Opfern wäre es interessant, die Täter-Opfer-Geometrie zu rekonstruieren, um sich die gesamte Szenerie besser vorstellen zu können oder zu erkennen, ob sie vielleicht mit mehreren Angreifern gleichzeitig konfrontiert waren.

Aus beiden Schädelnestern zusammengenommen sind insgesamt 82 Halswirbel von mindestens 26 Individuen überliefert. Bei zehn davon, die zu neun Personen gehören, fanden sich bis zu fünf Schnittspuren von Steinklingen, die eindeutig belegen, dass die Köpfe seinerzeit im Weichteilverband vom Rumpf abgesetzt worden waren. Dabei wurden die allermeisten Schnitte mehr oder weniger senkrecht zur Körperlängsachse und von der Vorderseite her ausgeführt. Jeder, der schon einmal ein Tier zerwirkt hat, weiß, dass eine Schnittführung vom Nacken her wenig zielführend ist, da die rückwärtigen Teile der Wirbel ineinandergreifen und sich dachziegelartig überlappen. Man kann den Kopf eines Tieres also am einfachsten abtrennen, indem man ihn nach hinten zieht, den Hals überstreckt und auf diese Weise die Zwischenwirbelspalten verbreitert, um das Schneidewerkzeug hineinzuführen. Gleiches gilt für den menschlichen Körper.

15000 Jahre Mord und Totschlag

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