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4. Leopold I. und seine Feinde im Ausland

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Die externen Anfechtungen der Jahrzehnte nach 1660 brachten das Reich wieder in Bewegung. An entscheidenden Punkten scharten sich die Reichsstände um die Krone, die einmal mehr als ihr Beschützer auftrat. Nicht, dass Leopold selbst ein begabter Heerführer oder Militärstratege gewesen wäre – seine Siege verdankte er einer Reihe brillanter Feldherren: Graf Raimondo Montecuccoli, Herzog Karl von Lothringen, König Johann III. Sobieski von Polen, Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden-Baden (»Türkenlouis«) und Prinz Eugen von Savoyen.1 Dass er so gute Leute für sich gewinnen konnte, ging auf sein zunehmendes Ansehen als Kaiser zurück. Seine eigenen Glanzleistungen lagen auf politischem Gebiet; großes Geschick zeigte er im Umgang mit internen Konflikten und bei der Ausnutzung militärischer Erfolge.

Ende der 1650er Jahre trat das Türkenproblem erneut auf den Plan.2 Seit dem Frieden von Zsitvatorok herrschte eine unsichere Waffenruhe. Sporadische Scharmützel und wiederholte Versuche der unter osmanischer Oberherrschaft stehenden siebenbürgischen Rákóczy-Fürsten, ihre Position zwischen österreichischen, polnischen und osmanischen Territorien auszunutzen, unterstrichen die Verwundbarkeit der Habsburger im Osten. Sie hielten lediglich ein paar westliche Provinzen von Ungarn und die Loyalität der überwiegend protestantischen ungarischen Stände war gering: Der Pressburger Landtag war stets verpflichtet, sich an Siebenbürgen oder die Hohe Pforte zu wenden, wenn er seine traditionellen Rechte durch Wien bedroht sah.

Während der Herrschaft der schwachen Sultane Murad IV. (1623–1640) und Ibrahim (1640–1648) blieb die Lage in Südosteuropa relativ stabil. Bis 1639 hatte die Hohe Pforte ohnehin mit anhaltenden Konflikten in Persien zu tun, ab 1645 und bis 1669 engagierte sie sich stark in den Kämpfen gegen Venedig um Kreta.3 Nach Ibrahims Absetzung, der Thronfolge seines siebenjährigen Sohnes Mehmed IV. und nachdem die Mutter des jungen Sultans ihre Autorität durchgesetzt hatte, trat 1656 mit der Ernennung von Mehmet Köprülü zum Großwesir ein neues, dynamisches Regime auf den Plan, das ein weitreichendes Reformprogramm mit dem Bestreben verband, das osmanische Herrschaftsgebiet nach Nordwesten auszudehnen. Köprülü verurteilte die Allianz von Georg II. Rákóczy mit Karl X. von Schweden und seinen Alleingang gegen Polen 1658 als Verstoß gegen Rákóczys Pflichten als türkischer Vasall und entsandte Truppen, um den Fürsten abzusetzen und durch Ákos Barcsay zu ersetzen. Rákóczys Beschwerden in Wien blieben vergeblich; er starb 1660 auf dem Schlachtfeld. Die Siebenbürger wählten nun János Kemény, der sich mit Barcsay zwar einigen konnte, aber ins habsburgische Königliche Ungarn fliehen musste, als die Türken erneut einmarschierten und Apafy Mihály als Fürsten installierten.

Während Wien auf Rákóczys Bitten um Beistand wegen seines Angriffs auf Polen nicht reagiert hatte, fand man nun, Kemény sei eine Unterstützung wert. Die Entsendung von 15.000 Mann unter Feldmarschall Montecuccoli erwies sich jedoch als Fehlschlag. Kemény wurde getötet, Apafy 1662 als Fürst des nun vollkommen unter türkischer Herrschaft stehenden Siebenbürgen bestätigt. Im Jahr darauf begann eine gewaltige osmanische Armee den Vormarsch durch das Königliche Ungarn nach Mähren und auf Wien. Ein Großteil der Wiener Bevölkerung flüchtete, in Süd- und Ostdeutschland brach Panik aus.4

Die Bedrohung Wiens und des ganzen Reichs sorgte für ungleich mehr Furcht als die türkische Eroberung von Kreta und für ein unverzügliches Wiederaufleben der Schlagworte und Schreckensbilder aus den Türkenkriegen des zurückliegenden Jahrhunderts.5 Rein technisch war die neue Krise tatsächlich eine Fortsetzung der früheren Feldzüge: Der neue osmanische Angriff war ein Bruch der lange anhaltenden Waffenruhe. Es bestand daher keine Notwendigkeit einer Kriegserklärung. Der Kaiser appellierte an die europäischen Regierungen, ihn als Retter des Christentums zu unterstützen; die deutschen Fürsten bat er als Beschützer des christlichen deutschen Reichs um Hilfe. Er gemahnte sie an ihre historische Pflicht als Angehörige der deutschen Nation, sich um ihren Kaiser zu sammeln und den Ungläubigen entgegenzustellen. Die meisten von ihnen stimmten überein, es sei christliche Pflicht, zu handeln, aber wie im Jahrhundert zuvor folgten sie nicht bedingungslos, sondern behielten die politischen Folgen ihrer Unterstützung im Inland im Auge.

Es erwies sich als Glücksfall, dass die osmanischen Truppen nach dem Einmarsch ins Königliche Ungarn ihr Winterquartier aufschlugen, um sich für einen neuen Feldzug 1664 vorzubereiten. Dies gab den Österreichern die Möglichkeit, ihr eigenes Heer neu zu sammeln und die Verhandlungen mit den deutschen Fürsten abzuschließen, was sich schwierig gestaltete, da einige Fürsten nun über stehende Heere verfügten, der Rheinische Bund militärisch autonom organisiert war und vor allem weil die Reichsverteidigung und die Steuererhebung zwei der wichtigsten Punkte waren, die der Reichstag nicht geklärt hatte. Als ersten Schritt verlangte Erzkanzler Schönborn daher dessen Einberufung, die Leopold aus anderen Gründen sowieso bereits im August 1661 erwogen hatte.6 Die Türkenkrise machte die Sache nun dringlich und beherrschte den Beginn der Tagung im Januar 1663.

Das Ergebnis, das über ein Jahr später vorlag, spiegelte die politische Situation im Reich wider.7 Der Reichstag beschloss, den Kaiser für die Dauer des Krieges finanziell zu unterstützen und eine Reichsarmee von 30.000 Mann aufzustellen. Allerdings weigerten sich Brandenburg, Sachsen und Bayern, Truppen beizusteuern, schlossen lieber separate Abkommen mit Wien und entsandten ihre Soldaten gegen zusätzliche Zahlungen. Auch der Rheinische Bund bestand auf einem eigenen Heer von 10.000 inklusive einem französischen Kontingent von 2.400 Mann, das Ludwig XIV. auf 6.000 verstärkte, um die Beschämung des Kaisers angesichts seiner Abhängigkeit von Frankreich zu unterstreichen. Da seine Truppen Teil der Armee des Rheinischen Bundes waren, wurde Ludwig seinem Titel Allerchristlichster König gerecht und vermied zugleich den offenen Bruch mit dem Sultan.8 Als alle unter anderer Führung stehenden Truppen zusammengeführt waren, fehlten noch um die 21.000 Mann, die als eigentliche Reichsarmee von den Kreisen ausgehoben werden mussten. Letztlich verstärkten nur gut 32.000 deutsche Soldaten die 51.000 Österreicher und 9.000 Ungarn, die sich am 1. August 1664 nahe dem Kloster St. Gotthard am Raab dem 50.000–60.000 Mann starken osmanischen Heer stellten.

Den Triumph der kaiserlichen Armee schmälerte der neue zwanzigjährige Waffenstillstand, den Leopold neun Tage darauf in Eisenburg schloss.9 Die Türken blieben in Besitz wichtiger Festungen, während die Österreicher einwilligten, eine zu zerstören. Zudem verzichteten sie auf Siebenbürgen, erkannten Apafy als dessen Fürsten an und verpflichteten sich, sich aus seinen inneren Angelegenheiten herauszuhalten. Leopold sagte zu, dem Sultan als Gegenleistung für standesgemäße Geschenke 200.000 Gulden zu zahlen.

Für einen Sieg war das ein schmaler Lohn. Dennoch ist die verbreitete Ansicht, der Waffenstillstand sei ein übereilter, beschämender Verrat an den deutschen Fürsten gewesen, nicht angebracht. Tatsächlich waren die meisten deutschen Fürsten erleichtert, dass der Konflikt und damit auch ihr eigener Einsatz so rasch endete.10 Auch aus österreichischer Sicht ergaben sich Vorteile. Es fehlte an Geld und Gewissheit, wie lange die Deutschen weiterkämpfen würden, außerdem war man daran interessiert, dass die Franzosen Ungarn verließen, um nicht zu riskieren, dass sie sich mit der ungarischen Opposition verbrüderten. Wenn überhaupt, waren es die Ungarn, die die Waffenruhe als »Schandfrieden von Eisenburg« schmähten, da der Kaiser nicht einmal versucht hatte, in den türkischen Teil des Landes vorzudringen. Führende Magnaten strebten sodann nach einer Wiedervereinigung ihres Landes im Bund mit Versailles oder der Hohen Pforte, nicht unter der Patronage des »fremden« Kaisers.11 Die Aufdeckung der Magnatenverschwörung leitete die »zehn dunklen Jahre« ab 1671 ein, in denen die Opposition mit brutaler Gewalt bekämpft wurde, um Ungarn umfassender in die Monarchie zu integrieren.12

Die polnischen Königswahlen 1669 und 1673 erweiterten diese anhaltende Krise auf internationale Dimensionen. Die Versuche Ludwigs XIV., einen französischen Kandidaten wählen zu lassen, scheiterten 1669; König wurde Michał Wiśniowiecki. 1673 jedoch setzte sich die »französische Partei« mit Jan III. Sobieski durch, der seine Wahl und die Möglichkeit, Truppen für den Krieg aufzustellen, den eine türkisch-kosakische Allianz 1672 gegen Polen begonnen hatte, französischen Zuschüssen verdankte. 1674 machte Frankreich dann auch weitere Finanzhilfen von der Unterstützung der ungarischen Opposition durch Sobieski abhängig und vermittelte einen Frieden zwischen Polen und der Hohen Pforte, damit beide in Ungarn mitmischen konnten. Mit dem Tod von Ahmet Köprülü, dem als Großwesir ebenbürtigen Sohn Mehmets, scheiterte dieser Plan noch im selben Jahr. Sobieski war ohnehin mehr an einem Waffengang gegen Brandenburg zur Wiedergewinnung des Herzogtums Preußen als an einem Eingreifen in Ungarn interessiert und spielte später eine Schlüsselrolle bei der Befreiung Wiens 1683.13 Auch ohne große Hilfe von außen führte der Aufstand der ungarischen Kuruzen beinahe zum Verlust von Oberungarn, wo ihr Führer, der Calvinist Emmerich Thököly, sogar zum König ausgerufen wurde.14

Während die Habsburger in Ungarn weiterhin alle Hände voll zu tun hatten, erwuchs ihnen im Westen eine neue Bedrohung. Das Reich als Ganzes spielte in den Plänen Ludwigs XIV. keine wesentliche Rolle.15 Ende der 1660er Jahre wollte er aber die Rolle als Hüter der deutschen Freiheit ablegen, die Frankreich seit den 1640er Jahren spielte. Die Erfahrungen mit dem Rheinischen Bund hatten seine Geduld überstrapaziert und nach dessen Auflösung im August 1668 kam die neue Aggression seiner Außenpolitik auch gegenüber dem Reich zum Tragen. Bilaterale Abkommen mit einzelnen deutschen Fürsten schienen ihm nun zweckmäßiger als die Mitgliedschaft in einer Liga, die Ludwig zu Frieden und Gesetzestreue zwang. Die ersten Ziele des Königs waren die Spanischen Niederlande und die Niederländische Republik, aber deren unmittelbare Nähe zum Reich machte dessen Verwicklung in den Konflikt unausweichlich. Spanien und die Niederländer ersuchten das Reich um Hilfe gegen Frankreich, während Frankreich wichtige Fürsten als Unterstützer zu gewinnen und andere von einer möglichen Opposition abzuhalten versuchte.

Dass Ludwig XIV. nach dem Pyrenäenfrieden auf eine Heirat mit der Infantin Maria Theresia drängte, verstärkte die Befürchtung, er wolle sich Spanien und dessen europäisches und koloniales Reich einverleiben. Zuerst bat er seinen Schwiegervater Philipp IV., ihm die Spanischen Niederlande abzutreten, dann verhandelte er mit den Niederländern über eine Teilung. Als Philipp IV. 1665 starb, berief sich Ludwig auf ein lokales Gesetz aus Brabant (das »Devolutionsgesetz«), das Kinder aus erster Ehe zu bevorzugten Erben erklärte, und erhob Besitzansprüche im Namen seiner Frau, des einzigen überlebenden Kindes aus Philipps erster Ehe. Während England und die Niederlande seit März 1665 Krieg führten und Spanien durch die Feindseligkeiten mit Portugal abgelenkt war, marschierten französische Truppen im Mai 1667 in den Spanischen Niederlanden ein.16

Diese schnelle Operation und die folgende französische Invasion in der Franche-Comté im Februar 1668 führten zur Bildung einer Dreierkoalition aus England, der Republik der Vereinigten Niederlande und Schweden, um Ludwig zu bremsen und Vermittlung anzubieten, allerdings unter Androhung militärischer Gewalt, falls er ablehnte. Da Spanien nun mit Portugal Frieden schloss und seine Unabhängigkeit anerkannte, blieb Ludwig nichts übrig, als im Mai 1668 in den Frieden von Aachen einzuwilligen, Franche-Comté, Cambrai, St. Omer und Aire abzutreten und nur bestimmte Festungen im Süden der Spanischen Niederlande zu behalten. Der französische Einmarsch in Lothringen 1670 war eine gewisse Entschädigung für diese Schmach, aber auch Anzeichen für Ludwigs Entschlossenheit, sich durchzusetzen – weil dadurch ein Keil französisch kontrollierter Territorien zwischen der spanischen Franche-Comté und den Spanischen Niederlanden entstand – und die Niederländische Republik zu vernichten, die er hauptsächlich dafür verantwortlich machte, dass es ihm nicht gelungen war, sich die spanischen Ländereien an Frankreichs Nordgrenze zu verschaffen.

Die Haltung des Kaisers und der deutschen Fürsten war für die französischen Pläne von entscheidender Bedeutung. Angesichts der Probleme in Ungarn fiel es nicht schwer, die Österreicher zum Verzicht auf eine Unterstützung Spaniens im Krieg von 1668 zu bewegen. Leopolds Erster Minister, Fürst Wenzel von Lobkowicz, handelte mit den Franzosen sogar einen geheimen Teilungsvertrag aus: Wenn Karl II. starb, sollte Leopold den spanischen Thron mit dem amerikanischen Reich und den norditalienischen Territorien erben, die französischen Bourbonen Navarre, die südlichen Niederlande, Franche-Comté, Neapel, Sizilien und die Philippinen.17 Das Abkommen wurde nie offiziell unterzeichnet und war aufgrund der Langlebigkeit Karls II. sowieso irrelevant, obwohl sogar Madrid es stillschweigend akzeptierte. Wichtiger waren Leopolds ausbleibende Reaktion auf die Besetzung Lothringens 1670/71 sowie seine Neutralität im Hinblick auf den geplanten Angriff auf die Niederlande.

Die österreichische Willfährigkeit angesichts der französischen Aggression fand viel Kritik.18 Leopold und seine Ratgeber trafen jedoch lediglich in einer Zwangslage realistische Entscheidungen. Wie stets musste Leopold mit mehreren Rollen jonglieren: König von Ungarn, Reichsfürst, Kaiser und wichtiges Mitglied der spanisch-österreichischen Habsburgerdynastie. In den 1670er Jahren wollte er vorrangig mit Ungarn fertigwerden und seine österreichischen Territorien festigen.19 Das Reich zu verteidigen, war problematisch, weil nicht geklärt war, wie die Verteidigung organisiert werden sollte. Dynastische Ansprüche in Spanien wurden nicht akut, solange Karl II. lebte, und hätten ohnehin einen Konflikt mit Frankreich nach sich gezogen, für den Karl die Mittel fehlten. Und nicht zuletzt war es angesichts des verbreiteten Misstrauens gegen die Habsburger im Reich unwahrscheinlich, dass Leopold seine kaiserliche Autorität wirksam zur Geltung bringen konnte, ehe er sich gegen die Türken oder Frankreich durchgesetzt hatte: Die deutschen Fürsten fürchteten einen starken Kaiser, aber das hieß nicht, dass sie einen schwachen begrüßen würden. Im Idealfall sollte er das Reich gegen seine Feinde verteidigen, ohne innenpolitisch übermäßig tätig zu werden. So weit war Leopold noch nicht; die Herausforderungen der kommenden Jahre brachten ihn einer solchen Position jedoch viel näher.

Die Haltung der deutschen Fürsten war ebenso komplex. In unzähligen Kombinationen, allesamt abhängig von ständig wechselnden regionalen Sicherheits- und dynastischen Interessen, schlossen die deutschen Territorien Allianzen, die ihnen scheinbare Sicherheiten boten, zumindest finanziell in Form von Subsidien. Die einzelnen Gruppierungen sind schwer auszumachen, weil sich die Politik laufend den Ereignissen anpasste und oft auf mehrere Verbündete gleichzeitig setzte, um auf Nummer sicher zu gehen, in unterschiedlicher Offenheit und selbst, wenn die Optionen einander widerstrebten. In Bayern setzte sich eine von Hofmarschall Hermann Egon zu Fürstenberg-Heiligenberg organisierte französische Fraktion durch, die heimlich die Heirat der Tochter des Kurfürsten mit dem Dauphin sowie, im Fall von Leopolds Tod, die Wahl Ludwigs XIV. zum Kaiser des Heiligen Römischen Reichs und von Kurfürst Ferdinand Maria zum Römischen König in die Wege leitete. Fürstenbergs Bruder, der Kölner Domprobst Franz Egon, gewährleistete offensive Allianzen des Wittelsbacher Kurfürsten Max Heinrich und des auf territoriale Zugewinne auf Kosten der Niederlande sowie auswärtige Subsidien für seinen Kampf gegen die Stadt Münster begierigen münsterischen Bischofs Christoph Bernhard mit Frankreich.20 Pfalz-Neuburg, Württemberg, Hannover und Osnabrück verpflichteten sich in unterschiedlichem Maß zur Neutralität oder stillschweigenden Unterstützung Frankreichs.

Erzkanzler Schönborn suchte mit diversen anderen Fürsten, die im Kriegsfall eine französische Invasion befürchteten, eine Allianz zu gründen, die neutral bleiben und überdies Frieden vermitteln sollte. Schönborns erster Anlauf zu einer solchen Union im Jahr 1670 zielte darauf ab, den Herzog von Lothringen wiedereinzusetzen und seine Armee zum Kern einer neuen Rheinlandallianz zu machen. Dieser Plan schloss Leopold nicht als Kaiser, sondern als König von Böhmen und Herrscher der Erblande ein (dementsprechend mit doppeltem Stimmrecht). Führen sollte die Liga der Mainzer Kurfürst von Frankfurt aus, Leopolds Rolle wäre weitgehend auf die Abwehr der Türken beschränkt gewesen.21 Der Plan wurde von dem jungen Leibniz, der von 1668 bis 1676 dem Mainzer Kurfürsten diente, elegant niedergelegt, war jedoch nicht umsetzbar. Alles, was Leibniz seinen Auftraggebern 1672 anbieten konnte, war sein Concilium Aegyptiacum: der Vorschlag, das Reich zu verschonen und den europäischen Frieden zu wahren, indem Ludwig XIV. seine Aggression auf die Eroberung Ägyptens richtete.22

Brandenburgs Ansatz war realistischer. 1670 hatte der Große Kurfürst zugesagt, Ludwig XIV. in der Frage der spanischen Erbfolge beizustehen. 1672 erhielt er niederländische Subsidien für die Verpflichtung, die Niederlande gegen jegliche Aggression zu verteidigen. Die preußische Hagiografie pries diese Zusage als Beleg für Friedrich Wilhelms selbstlosen Einsatz für die protestantische Sache und die deutsche Freiheit, allerdings flankierten materielle und politische Kalkulationen die calvinistische und familiäre Solidarität mit der Heimat seines Urgroßvaters Wilhelm von Oranien und seiner verstorbenen ersten Frau Luise Henriette von Oranien.23 Die Subsidien kamen dem Herrscher, der stets knapp bei Kasse war, sehr gelegen. Ein französischer Sieg über die Niederlande mochte die deutsche Freiheit bedrohen, gefährdete aber auch seine eigene Freiheit und seine kaum geschützten Territorien in Jülich und Kleve am Niederrhein. Französische Intrigen mit seinem Rivalen Pfalz-Neuburg bei der polnischen Wahl 1669 hatten ihm klargemacht, welche Gefahr ein französischer Triumph für Brandenburgs Gebiete in Preußen darstellte. Zudem war eine Allianz mit den Niederlanden eine möglicherweise nützliche Versicherung gegen Schweden.

Wie pragmatisch der Große Kurfürst dachte, unterstreicht die Tatsache, dass er sich schon 1673 der französischen Forderung fügte, die Unterstützung der Niederlande aufzugeben (Friede von Vossem). Ein Jahr später folgte die nächste Wende: ein Bündnis mit Wien zugunsten der Niederlande, obgleich die brandenburgischen Truppen tatsächlich nach Südwestdeutschland entsandt und bald zurückbeordert wurden, um Brandenburg selbst 1675 gegen schwedische Angriffe zu verteidigen.

Der lang erwartete französische Überfall auf die Niederlande im Frühjahr 1672 schien reibungslos zu verlaufen.24 Die Angreifer kamen schnell voran, die niederländische Führung war sofort zu Friedensgesprächen bereit. Die allgemeine Unzufriedenheit mit derartigem Defätismus mündete indes in einen Aufstand gegen die Regierung des Ratspensionärs Johan de Witt; Wilhelm III. von Oranien wurde zunächst als Generalkapitän und Admiral, dann als Statthalter der Republik eingesetzt.25 Die Rückkehr des Hauses Oranien an die Macht verstärkte den Widerstand gegen Frankreich und sorgte für Hilfe aus dem Ausland. Binnen eines Jahres wechselten mehr oder weniger alle deutschen Verbündeten des französischen Königs die Seiten und schlossen sich England, Spanien und Österreich in einer Koalition gegen Frankreich an. Der neue Bund durchkreuzte Ludwigs Pläne, aber deutschen Truppen gelang es im Januar 1675 nicht, ins Elsass vorzudringen. Zugute kamen Frankreich außerdem Rebellionen, in die wichtige Partner verwickelt waren: Spanien und Teile der niederländischen Flotte in Sizilien, Österreich in Ungarn; ein von Frankreich angeregter schwedischer Angriff auf Brandenburg 1675 tat ein Übriges. So gelang es den Franzosen, ihre anfänglichen Gebietsgewinne zu behaupten und sogar noch zu erweitern. Ludwig XIV. ging als Sieger in die Friedensverhandlungen und diktierte viele der Bedingungen.

Wie erwartet, hatte Frankreich zu Beginn des Krieges 1672 die Neutralität des Reichs verletzt, indem es Lüttich als Einmarschroute nutzte. 1674 begannen französische Truppen zu allem Überfluss das südliche Rheinland systematisch zu verwüsten, um den deutschen Beistand für die Niederlande zu untergraben. Mit einer Flut von Pamphleten blühte die antifranzösische Propaganda neu auf, Forderungen nach einem Vorgehen gegen den Aggressor wurden laut.26

Aus Leopold Sicht freilich war die ganze Angelegenheit mit Schwierigkeiten befrachtet. Einen Krieg mit Frankreich wollte er vermeiden, um genügend Kräfte für Ungarn zur Verfügung zu haben. Andererseits konnte er es sich politisch nicht erlauben, einem oder mehreren deutschen Fürsten das Kommando für einen Feldzug des Reichs gegen Frankreich zu überlassen. 1670 bis 1672 verstärkte sich der Ruf von Schönborn und anderen nach kaiserlicher Führung: Die im August 1671 gegründete Marienburger Allianz etwa umfasste den Kaiser, die Kurfürsten von Mainz und Trier und den Bischof von Münster. Die praktische und militärische Bedeutung dieses Verteidigungsbündnisses war minimal, aber dass Schönborn Leopold als Leiter akzeptierte, zeigte dessen schrittweise erfolgenden Wiederaufstieg als Führungsfigur. Die kurzlebige Braunschweiger Union von Leopold mit Brandenburg, Dänemark, Braunschweig-Celle, Braunschweig-Wolfenbüttel und Hessen-Kassel setzte im September 1672 ein weiteres Zeichen der Solidarität, war jedoch militärisch ebenfalls von geringer Bedeutung.

Für einige Zeit hielten die Österreicher an ihrer Strategie fest, die Konfrontation mit Frankreich zu meiden. Als sich im Mai 1672 12.000 brandenburgische Soldaten am Niederrhein sammelten und in das für die Franzosen strategisch immens wichtige Köln einrückten, unterschrieb Leopold eine Militärkonvention mit dem Kurfürsten.27 Montecuccoli wurde mit 15.000 Mann und dem Befehl, ausschließlich defensiv vorzugehen, zur Führung des gemeinsamen Heeres entsandt, während Leopolds Berater Wenzel Lobkowicz Ludwig XIV. versicherte, es gebe keinerlei Anlass zur Sorge.

Im Jahr darauf war solche Passivität nicht mehr haltbar, da die Franzosen erneut den Niederrhein unter ihre Kontrolle brachten. Brandenburg schloss Frieden mit Frankreich, um seine dortigen Territorien von den Invasoren zurückzuerhalten, während Wien eine offensivere Haltung einnahm. Leopold schmiedete einen neuen Bund mit Spanien, den Niederlanden und dem abgesetzten Herzog von Lothringen, dem sich Dänemark, die Pfalz und die Herzöge von Braunschweig-Lüneburg anschlossen und der untermauert wurde, als das englische Parlament Karl II. zwang, seine Allianz mit Frankreich aufzukündigen und im Februar 1674 mit den Niederlanden Frieden zu schließen. Inzwischen hatte sich die enorm verstärkte Reichsarmee mit spanisch-niederländischen Truppen unter Wilhelm III. vereint und die Kontrolle über den Niederrhein wiedererlangt. Frankreichs wichtigster regionaler Verbündeter, der Kölner Erste Minister Wilhelm Egon von Fürstenberg, wurde entführt, die in Köln tagende Friedenskonferenz war damit geplatzt. Ein Mordanschlag auf den Bischof von Münster schlug fehl, aber Köln und Münster waren nun gezwungen, ihren Bund mit Frankreich aufzulösen.

Die Pattsituation am Niederrhein ermutigte Ludwig nur, seine Truppen weiter nach Süden zu dirigieren und 1674 Trier und die Pfalz anzugreifen. Es gab keine förmliche Kriegserklärung, aber einen breiten Konsens, dass das Reich verteidigt werden musste. Auf Ersuchen des Reichstags erklärte Leopold, Frankreich habe sich zum Feind des Reichs gemacht, bat um Beistand und untersagte jede Unterstützung des Gegners.28 Der französische Botschafter wurde des Reichstags verwiesen und so gut wie alle Reichsstände schlossen sich nun der gemeinsamen Sache an.

Brandenburg kündigte eilends den im Vorjahr mit Frankreich geschlossenen Frieden von Vossem auf, der dem Kurfürsten ausdrücklich untersagt hatte, seine Pflichten gegenüber dem Reich zu erfüllen. Der Große Kurfürst wollte nicht von Kaiser und Reich isoliert oder gar in Gegnerschaft dastehen.29 Zudem motivierte ihn die Ausdehnung der französischen Macht über Europa und die mögliche Bedrohung brandenburgischer Interessen durch die Wahl des französischen Kandidaten Jan Sobieski auf den polnischen Thron 1673. Im Januar 1675 eröffnete sich eine neue Front im Norden, als Frankreich Schweden überredete, Brandenburg anzugreifen. Die Schweden wurden im Juni 1675 bei Fehrbellin entscheidend geschlagen, aber die Feindseligkeiten in der Region hielten bis 1678 an, da Brandenburg sich den Bemühungen von Dänemark, Münster und den Braunschweiger Herzögen anschloss, die Schweden von ihren deutschen Besitzungen zu vertreiben.30

Die Entscheidung, das Reich gegen einen Angreifer zu verteidigen, anstatt ihm offensiv den Krieg zu erklären, war kein Detail, sondern von weitreichender politischer Bedeutung. Zum einen blieb die Frage umstritten, wer das Recht auf eine Kriegserklärung und zum Beschluss von Friedensbedingungen hatte. Der Westfälische Friede erlaubte allen Reichsständen, an der Formulierung und Ratifikation von Friedensverträgen teilzunehmen, sofern das Reich als Ganzes Krieg führte.31 Ab den 1630er Jahren hatten die Kurfürsten ihr traditionelles Recht, in Fragen von Krieg und Frieden konsultiert zu werden, mit dem Anspruch auf den Status von Königen und Zulassung zu internationalen Friedenskonferenzen verknüpft. Ab den 1640er Jahren stellten die Fürsten allgemein die Exklusivrechte der Kurfürsten infrage und einige, die über Armeen verfügten, erhoben dieselben Forderungen wie die Kurfürsten. Durch die Vermeidung einer Kriegserklärung ging Leopold diesem umstrittenen Problem aus dem Weg. Als dann der Reichstag 1675/76 erwog, das Angebot Ludwigs XIV. anzunehmen, eine Delegation zu den Friedensgesprächen in Nimwegen zu entsenden, schritt Leopold sofort ein.32 Damit machte er sein alleiniges Recht geltend, im Namen des Reichs zu verhandeln, und schuf einen Präzedenzfall, der bis 1806 gültig blieb.

Bedenklicher für die unmittelbare Verteidigung des Reichs war die Uneinigkeit in der Frage, wie diese zu organisieren sei – die vielleicht wichtigste aller negotia remissa von 1648.33 Da es zu keiner Einigung auf eine Verteidigungsreform gekommen war, konnte der Reichstag lediglich in traditioneller Manier die Kräfte der Reichskreise mobilisieren. In den Kreisen nahe der Front funktionierte das einigermaßen, da sie überwiegend aus kleinen, wehrlosen Gebieten bestanden. Folgerichtig waren Schwaben und Franken, die gefährdetsten der sogenannten Vorderen Kreise, sofort bereit, ihren Beitrag an Truppenkontingenten zu leisten. In Kreisen, wo einer oder mehrere »armierte Fürsten« ansässig waren, klappte das nicht so gut, anfänglich, weil einige dieser Prinzen mit Frankreich sympathisierten, dann weil sie es vorzogen, ihre Truppen als Söldner für dringend benötigtes Geld abzustellen, nicht als reguläre Kreiskontingente. Einige argumentierten gar, diese Kontingente sollten insgesamt abgeschafft und als offizielle Reichsarmee durch ihre Söldnertruppen ersetzt werden. Befreit von der Pflicht, selbst Truppen aufzustellen, würden die unbewaffneten Territorien dann für die Soldaten ihrer bewaffneten Nachbarn bezahlen.

Die Kreise musterten 1675, 1676 und 1677 jeweils zwischen 15.000 und 20.000 Mann, die Gesamtzahl der von den acht großen armierten Fürsten im selben Zeitraum ausgehobenen Soldaten belief sich indes auf 50.000 bis 60.000. Ihre Kosten waren zudem nicht ausreichend durch Subsidien gedeckt, selbst dort, wo die Zahlung nicht verspätet erfolgte. Der wesentlich größere Beitrag der armierten Fürsten und ihr unermesslich höherer Aufwand führten zu Klagen über eine ungerechte Verteilung der Verteidigungslasten und zu Forderungen nach Quartieren und Spenden von ihren Nachbarn.

Da er dringend Truppen brauchte, musste Leopold das Vorgehen der armierten Fürsten dulden. Die Initiative konnte er nur behalten, indem er sein Recht ausübte, Unterkünfte zuzuweisen und in zwischenterritorialen Disputen zu vermitteln. Begrenzt war sein Handlungsspielraum allemal. Es kam nicht zu der Form von Anarchie, die während des Dreißigjährigen Krieges geherrscht hatte, Streitigkeiten wegen des unbarmherzigen Verhaltens einiger anmaßender Fürsten ließen sich jedoch nicht vermeiden. Im Norden wetteiferten Celle, Wolfenbüttel, Münster und Braunschweig um die Vorherrschaft und nutzten Quartiere als Mittel zur Stärkung ihres regionalen Einflusses, wobei jeder hoffte, ein Stück von Schwedens deutschen Besitzungen zu ergattern. Vor allem in Mitteldeutschland setzte eine wachsende Anzahl mittelgroßer Territorien auch auf die Entwicklung ihrer eigenen Streitkräfte, um den Zumutungen von Kontingenten und Quartieren zu entgehen. All das belastete die kleineren Territorien in Schwaben und Franken zunehmend. Angehörige beider Kreise sahen sich mit einer Neuauflage der Beiträge konfrontiert, die sie im Dreißigjährigen Krieg bezahlt hatten. Die Kriegskosten des schwäbischen Kreises beliefen sich auf 21 Millionen Gulden, davon allein 8 Millionen für Quartiere. Der Unterhalt des Kreiskontingents von 3.000 Mann kostete hingegen lediglich 500.000 Gulden pro Jahr.34

Darüber hinaus entstand ab 1675 ein neues, enorm kostspieliges Verteidigungssystem östlich des Rheins: die sogenannten Linien – Feldbefestigungen, die Flussübergangspunkte und Schwarzwaldpässe blockieren sollten.35 Ihre ausgefeilte Form erhielten die Linien ab 1690 mit Aussichtsposten, Gräben, Dämmen und so weiter; manche erstreckten sich über 90 Kilometer. Schon die Konstruktion der ersten Versionen in den 1670er Jahren erforderte einen ungeheuren Aufwand an Material und Arbeitskräften sowie erkleckliche Milizen als Besatzung. Kein Wunder, dass sich die schwäbischen und fränkischen Kreise 1667 aus dem Konflikt zurückzogen und einseitig ihre Neutralität erklärten.

Es war eine günstige Fügung, dass die größere antifranzösische Koalition zu ermüden begann, als die deutschen Verteidigungsbemühungen nachließen. Der Friede von Nimwegen, ein Komplex von neun Verträgen, die den Krieg 1678/79 beendeten, brachte jedoch nur eine kurze Ruhepause. Dass Ludwig XIV. separate Friedensabkommen mit all seinen Gegnern abschließen konnte, unterstrich das Ausmaß seiner militärischen Erfolge und seine unumstrittene Stellung als Gebieter von Europa.36 Frankreich behielt die Festungen im Süden der Spanischen Niederlande und Franche-Comté. Was das Reich betraf, wurden die Verträge von 1648 bekräftigt, unter dem Vorbehalt, dass Frankreich als Gegenleistung für die Aufgabe der Festung Philippsburg von Brandenburg Freiburg und Breisach erhielt. Leopold musste seine eigenen Truppen unverzüglich nach Österreich zurückziehen. Dem Herzog von Lothringen bot man die Wiederherstellung seiner Territorien an, aber unter derart demütigenden Auflagen, dass er ablehnte, und so blieben sie bis zum Frieden von Rijswijk 1697 in französischer Hand.

Obwohl das Ergebnis für Frankreich positiv ausfiel, blieb Ludwig unzufrieden und machte sich nunmehr an die vollständige Unterwerfung des Elsass.37 In Metz, Besançon, Breisach und Tournai wurden spezielle Kollegien gegründet, die Chambres de Réunion, die die Territorien, die Frankreich im Norden und Osten des Landes 1648 und 1678/79 gewonnen hatte, mit anderen, die früher von ihnen abhängig waren, »wiedervereinigen« sollten. Die legale Grundlage dieses Vorgehens war oft höchst dubios – aber wohl nicht mehr als die Abtretung einer »Landgrafschaft Ober- und Niederelsass« (die als solche nie existiert hatte) von Brandenburg an Frankreich 1648 und die Versuche diverser deutscher Fürsten, die Autonomie von Städten in ihren Territorien zu »reduzieren«. Alte säkulare und kirchliche Rechtsakte in Territorialrechte zu transformieren, war gängige Praxis vieler aufstrebender frühmoderner Regierungen. Das effektive Ergebnis der Reunionen waren die Annexion der nicht bereits unter französischer Herrschaft stehenden Teile des Elsass und einige signifikante Übergriffe auf Gebiete deutscher Fürsten westlich des Rheins. Den Höhepunkt bildete die Reduktion, das heißt im Grunde Annexion der Reichsstadt Straßburg im September 1681, die französischen Aneignungen setzten sich jedoch bis zur Eroberung von Luxemburg 1684 fort.

Wirksamen deutschen Widerstand dagegen verhinderten andere Bedingungen des Friedens. Die Befriedung des nördlichen Reichs hinterließ Unzufriedenheit, weil Frankreich durchsetzte, dass Münster, Brandenburg, die Herzöge von Braunschweig und Dänemark den Schweden sämtliche Territorien zurückgeben mussten. Besonders wütend zeigte sich der Münsteraner Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen. Nach seiner Wahl 1650 ging er daran, der Stadt seinen Willen aufzuzwingen, und vertrieb die verbliebenen Besatzungstruppen von seinem Territorium. Ihm war jedes Mittel recht: 1665 schloss er eine Allianz mit England, 1667 unterstützte er Frankreichs Angriff auf die Niederlande in der Hoffnung, seinem Land Zugang zur Nordseeküste zu verschaffen. Da er für den Türkenkrieg 1663 und 1664 Truppen abstellte, selbst als Militärführer (Reichskriegsdirektor) erfolgreich war und 1675 dem Kaiser im Elsass gegen die Franzosen beistand, durfte er generell auf Wohlwollen aus Wien zählen. Die Brutalität seiner regionalen Aktivitäten mit einer Armee von bis zu 20.000 Mann brachte ihm jedoch die Spitznamen »Kanonenbischof« und »Bommen Berend« (»Bomben-Bernhard«) ein. Für viele Untertanen und Nachbarn endete mit seinem Tod 1678 ein übles Terrorregime.38

Die anderen Fürsten des Nordens hatten sich dem Kaiser entfremdet und warfen ihm vor, ihre Interessen nicht vertreten zu haben. Vor allem Dänemark grollte wegen der internationalen Garantie der Rechte von Schleswig-Holstein-Gottorp. Brandenburg hatte im Krieg eine wichtige Rolle gespielt, gewann jedoch nur einen schmalen Streifen Land am Ostufer der Oder und die schwedische Hälfte der Zolleinkünfte aus Ostpommern. Leopold weigerte sich, den Großen Kurfürsten für seine Dienste zu belohnen, nicht einmal durch die Zuerkennung irgendeines der vor 1648 von den Habsburgern erworbenen schlesischen Territorien oder die von Brandenburg beanspruchte Thronfolge in Ostfriesland. Kein Wunder, dass sich Brandenburg prompt wieder nach Frankreich ausrichtete und damit zeitweise eine allgemeine Umorientierung einleitete. Die Pfalz und Sachsen, dann auch Bayern, versprachen 1679–1680, Ludwig zum nächsten Kaiser zu wählen. In Straßburg folgte auf den profranzösischen Erzbischof Franz Egon von Fürstenberg 1682 sein ebenso frankreichfreundlicher Bruder Wilhelm Egon, was die Durchsetzung der französischen Politik im Elsass beträchtlich erleichterte.39

Obwohl alle sieben nichthabsburgischen Kurfürsten sich 1679 entweder aus Unzufriedenheit oder im Fall der Kurbischöfe aus Furcht vor der französischen Militärmacht nach Frankreich wandten, erlangte Leopold binnen Kurzem eine stärkere Position im Reich als je zuvor. Bis 1682 konstruierte er ein neues System prokaiserlicher Bündnisse und schaffte den Durchbruch in der Reform der Reichsverteidigung. Seine sture Weigerung, die französischen Reunionen zu billigen, hinterließ einen günstigen Eindruck im Reichstag, der zum wichtigen Forum für die öffentliche Meinung im Reich geworden war. 1680 verstärkte Leopold die durch seine Heirat mit der Tochter von Philipp Wilhelm von Pfalz-Neuburg 1676 geknüpfte Verbindung zu den Wittelsbachern, indem er der Heirat seiner Tochter aus erster Ehe mit dem neuen bayerischen Kurfürsten Max II. Emanuel (1679–1726) zustimmte. Dass die junge Braut von ihrer verstorbenen Mutter einen Anspruch auf den spanischen Thron geerbt hatte, machte diese Ehe zu einem besonders verlockenden Argument für Bayern, seine Loyalität von Paris wieder nach Wien zu verlagern. Die Thronbesteigung neuer, prokaiserlicher Herrscher in Hannover und Sachsen 1680 war für Leopold ebenfalls günstig.40

Von entscheidender Bedeutung waren auch die Bande, die Leopold mit den niederen Ständen knüpfte, dem im Westen und Südwesten konzentrierten Netzwerk minderer Herrscher, die durch französische Angriffe ebenso gefährdet waren wie durch die aggressiven und expansiven Tendenzen der armierten Fürsten. Der Schlüssel war in diesem Fall die Gründung der Frankfurter Allianz von zehn Herrschern kleiner Territorien, deren Länder von Frankreich beziehungsweise dem Bischof von Münster angegriffen worden waren.41 Die Union fasste die Schaffung einer zentralen Streitmacht unter dem Kommando von Waldeck ins Auge und erwies sich als so attraktiv, dass sich andere anschlossen, zuerst Protestanten, dann auch Katholiken, und Waldeck 1681 vorschlug, sie auf das ganze Reich zu erweitern. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Krise durch die Reunionen und deutscher Agitation dagegen führten Waldecks Aktivitäten zu zwei erfolgreichen Reichsinitiativen.

Die erste war ein neuer Anlauf zu einer Reform der Reichsverteidigung im Reichstag.42 Die Diskussion war festgefahren, es gab drei einander widersprechende Ansichten. Das monarchische Lager befürwortete eine stehende Reichsarmee, finanziert von den Ständen und unter Führung des Kaisers. Die armierten Fürsten wollten ihre eigenen Heere nicht auflösen. Sie bevorzugten die Ad-hoc-Aufstellung einer Reichsarmee als Reaktion auf spezifische Krisen, zusammengesetzt aus den Streitkräften der bewaffneten Fürsten, bezahlt von den unbewaffneten. Der dritte Weg, den die unbewaffneten Fürsten favorisierten, war eine Reichsarmee aus Kontingenten aller Stände.

Anfang 1681 legte Leopold Vorschläge vor, die seinen ursprünglichen Ansatz über Bord warfen, die armierten Fürsten überflügelten und eine modifizierte Version der dritten Lösung einschlossen. Eine Armee aus Kontingenten aller Stände hätte eine gründliche Revision der Reichsmatrikel von 1521 erfordert, um den gegenwärtigen Größen und Ressourcen der Stände Rechnung zu tragen. Da hierfür Verhandlungen mit jedem einzelnen Stand nötig gewesen wären, war eine solche Revision undenkbar. Stattdessen schlug Leopold vor, die Kontingente auf die Kreise zu übertragen und sie entscheiden zu lassen, welchen Anteil ihre jeweiligen Angehörigen zu leisten hätten.

Nach sechzehn Monaten Verhandlungen und obwohl sich Brandenburg nach Kräften gegen eine Einigung sträubte, fand man zu einem Kompromiss. Die Grundstärke der Armee sollte 40.000 Mann betragen; dieses Simplum konnte, wenn nötig, verdoppelt (Duplum) oder verdreifacht (Triplum) werden. Die Gesamtanzahl der Soldaten wurde auf die zehn Kreise und von diesen auf ihre Mitglieder verteilt, nach der Reichsmatrikel von 1521, vorbehaltlich einer Revision. Man beschloss, dass Territorien auf Wunsch anstelle von Soldaten Geldzahlungen (Reluitionen) leisten konnten. Zentral wie auf Kreisebene wurden Behörden eingerichtet, um die laufende Finanzierung der Armee nach ihrer Aufstellung zu organisieren. Man war sich einig, dass die Armee unter dem Gesamtbefehl des Kaisers stehen sollte, die Frage der Ernennung von Generalen blieb jedoch offen. Zu guter Letzt wurde die Steuerpflicht territorialer Untertanen zur Finanzierung der Streitkräfte bekräftigt, wie bereits in § 180 des Jüngsten Reichsabschieds von 1653 festgelegt.

Das so entstandene System der Reichsverteidigung ist oft kritisiert worden. Das Reich verfügte nicht über eine stehende Armee und die geplante Streitmacht war, selbst verdoppelt oder verdreifacht, mühselig zu mobilisieren und für kompliziertere Aufgaben ungeeignet. Zudem waren größere Fürsten, die oft Territorien in mehr als einem Kreis besaßen und deshalb verpflichtet gewesen wären, mehrere Kontingente abzustellen, geneigt, das System insgesamt zu ignorieren. Sie zogen es weiterhin vor, mit dem Kaiser bilaterale Abkommen über die Entsendung ihrer Truppen als eigene, direkt aus dem Staatssäckel bezahlte Streitmacht zu schließen. Den von niederen Ständen dominierten Kreisen Schwaben und Franken bot das neue System keine ausreichende Sicherheit, und so waren sie stets darauf angewiesen, zusätzliche Mittel zu ihrer Verteidigung zu mobilisieren. Das Fehlen einer Regelung für Generale vermied kurzfristig Streitereien zwischen dem Kaiser und den Reichsständen, wirkte aber tatsächlich zugunsten des Kaisers. Ihm fiel automatisch das Recht zu, Reichsgenerale und Feldmarschalle zu ernennen, wobei er, um den Vorwurf der Parteilichkeit zu vermeiden, die konfessionelle Parität beachten musste, weshalb Reichsarmeen stets von zwei Generalen kommandiert wurden, einem katholischen und einem protestantischen.43

Die militärischen Schwächen des Systems sollten sich zeigen, als französische Armeen das Reich 1688/89 erneut angriffen. 1681/82 indes war die Reform von immenser politischer Bedeutung. Dass sie überhaupt zustande kam, bezeugte die neue Qualität der Kommunikation zwischen Kaiser und Reichstag. Unterstrichen wurde dies, als Leopold 1681/82 Reichstagsmitglieder zu den Frankfurter Verhandlungen mit den Franzosen über die Reunionenkrise einlud.44 Der Versuch scheiterte, aber die Stände würdigten es, dass sie die Möglichkeit bekommen hatten, an internationalen Gesprächen über Reichsinteressen teilzunehmen, wie dies die Verträge von 1648 vorsahen.

Der Kompromiss in Sachen Armee ebnete auch den Weg für eine neue Reichsallianz. Im Juni 1682 einigte sich Georg von Waldeck mit Leopold auf die Laxenburger Allianz.45 Leopold wurde zum Oberhaupt einer Union aller Stände des Oberrheinkreises und Frankens ernannt, die sich bis dahin Waldecks Frankfurter Allianz angeschlossen hatten. Der Bund sollte der Verteidigung des Reichs gegen französische Aggression dienen und bis zu einem akzeptablen Friedensschluss mit Frankreich in Kraft bleiben. Geplant war eine gemeinsame Armee aus drei Kontingenten zur Verteidigung der Westgrenze des Reichs. Man suchte weitere Mitglieder und fand sie bald in Sachsen, Hannover, Bayern, Sachsen-Gotha und Sachsen-Eisenach. Eine internationale Dimension erhielt das Bündnis durch die Einbettung in die niederländisch-schwedische Allianz von 1681. Die familiären Verbindungen von Wilhelm III. von Oranien mit dem Wetterauer Grafenverein (zu dem Waldeck zählte) waren anfangs hilfreich, um die unterschiedlichen Elemente der neuen Vereinbarungen auf einen Nenner zu bringen. Mit ihrem Fortschreiten übernahm Leopold zunehmend die Führungsrolle.

Der Kaiser war zum Reich zurückgekehrt. Indes zerschlug eine neue Krise im Osten jede Hoffnung auf eine entschlossene Gegenoffensive gegen Frankreich. Einige Fürsten, etwa Max Emanuel von Bayern, forderten lautstark ein militärisches Vorgehen. Im September 1684 blieb Leopold jedoch keine andere Wahl, als den Frieden von Regensburg zu schließen, der die Réunions Ludwigs XIV., die Reduktion von Straßburg und die Besetzung Luxemburgs für zwanzig Jahre anerkannte.

Das Heilige Römische Reich deutscher Nation und seine Territorien

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