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6. Erneuter Konflikt mit Frankreich

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Der erfolgreiche Kampf gegen den alten Feind im Osten trug innenpolitisch Früchte und stärkte Leopold bei seinen Versuchen, Brandenburg wieder in eine Allianz einzubinden. Dessen Beziehungen zu Frankreich lockerten sich durch den Friedensvertrag mit den Niederlanden von 1685 und die darin festgeschriebenen Subsidien, die Brandenburgs Abhängigkeit von französischen Zahlungen verringerten. Gleichzeitig reagierte der Große Kurfürst auf die Widerrufung des Edikts von Nantes durch Ludwig XIV. am 18. Oktober 1685 mit dem Edikt von Potsdam vom 8. November, das den von Ludwig Ausgewiesenen Schutz und Zuflucht bot. Nachdem Leopold der Ehre des Großen Kurfürsten durch die Übertragung des schlesischen Distrikts Schwiebus Genugtuung geleistet hatte, besiegelte ein Subsidienangebot von 100.000 Gulden im März 1686 den Bund von Brandenburg und Österreich.1

Angesichts wachsender Furcht vor einem neuen französischen Angriff und da Brandenburg 1684 und 1685 jede Diskussion über Verteidigung im Reichstag blockierte, ergriff Leopold die Gelegenheit, die ihm die notwendige Erneuerung der Laxenburger Allianz 1685 bot, um ein neues, erweitertes Bündnis zu bilden. Die Augsburger Assoziation von Juli 1686 umfasste die Kreise Bayern, Franken, Burgund und Oberrhein sowie die thüringischen Herzogtümer. Schweden und Spanien waren ebenfalls angeschlossen, wenn auch nur im Hinblick auf ihre deutschen Territorien, da die Abgeordneten des Kaisers ausschließen wollten, dass einzelne Kreise das 1648 den Fürsten verliehene Recht reklamierten, Verträge mit auswärtigen Mächten zu schließen.2 Wie die Laxenburger Allianz war das Bündnis rein defensiv ausgerichtet, und obwohl eine Armee geplant war, wurde nie eine aufgestellt. Die von Österreich und Bayern zugesagten Truppen waren bereits in Ungarn im Einsatz und somit für die Verteidigung im Westen nicht verfügbar. Obwohl die Augsburger Assoziation also im Grunde nur ein Zeichen der politischen Solidarität darstellte, lehnten der Schwäbische Kreis und die rheinländischen Kurbischöfe einen Beitritt ab und warnten, eine solche Union werde Frankreich erst recht provozieren. Die an vorderster Front von einem möglichen französischen Angriff Betroffenen hofften, behutsame Neutralität werde ihnen über die Runden helfen, bis die Ambitionen der Franzosen erlahmten.

Der pfälzische Kurfürst hegte solche Hoffnungen nicht, da Ludwig XIV. im Namen seiner Schwägerin, der Herzogin von Orléans, bereits Anspruch auf einen wesentlichen Teil seines Territoriums erhoben hatte. Rechtlich war der Fall so dubios wie jedes derartige Ansinnen Ludwigs seit dem Devolutionskrieg 1667.3 Die Herzogin war das zweite Kind von Kurfürst Karl Ludwig. Ihr Bruder Karl II. folgte 1680 auf den Thron, starb jedoch fünf Jahre darauf kinderlos. Die Kurwürde ging an Philipp Wilhelm von Pfalz-Neuburg, einen Katholiken und standhaften Bundesgenossen des Kaisers seit 1676. Im Namen der Herzogin Elisabeth Charlotte (»Lieselotte«) von Orléans beanspruchte Ludwig den gesamten Privatbesitz ihres verstorbenen Bruders und sämtliche Allodialländereien des Kurfürstentums (das heißt die direkt im Besitz der Kurfürsten stehenden Gebiete hauptsächlich am linken Rheinufer) als privates »Familienerbe«. Nach langem Hin und Her gestand Kurfürst Philipp Wilhelm Ersteres 1687 zu, blieb jedoch stur, was den zweiten Punkt betraf. Ludwig sandte eine offizielle Eingabe an »Kaiser und Reich«, was zu endlosen unnützen Debatten im Reichstag führte. Lediglich der französische Vorschlag, den Papst um Vermittlung zu ersuchen, erfuhr eine klare und sofortige Antwort: Der Papst habe kein Stimmrecht in Reichsangelegenheiten.

Der Scheitern der französischen Politik bei der Wahl des neuen Kölner Kurfürsten ließ die pfälzische Erbfolge 1688 brandaktuell werden. Nach dem Tod des Wittelsbacher Kurfürsten Max Heinrich war Ludwig entschlossen, in Köln wie auch in Max Heinrichs weiteren Bischofssitzen Lüttich und Hildesheim den damaligen Bischof von Straßburg, Wilhelm Egon von Fürstenberg, wählen zu lassen. Der bayerische Kurfürst wiederum setzte mit Unterstützung des Kaisers ebenso unnachgiebig auf seinen eigenen Bruder Joseph Clemens. Eine verworrene Doppelwahl, bei der keiner der beiden Kandidaten die notwendige Zweidrittelmehrheit im Kölner Domkapitel erreichte, endete damit, dass Fürstenberg aufgrund einer einfachen Mehrheit den Sieg für sich reklamierte; Joseph Clemens (erst siebzehn, aber bereits Bischof von Freising und Regensburg) wurde jedoch vom Papst bestätigt und von Leopold und allen anderen Kurfürsten anerkannt.

Nicht zu Unrecht empfand Ludwig die Wahl eines Minderjährigen anstelle seines Kandidaten, immerhin ein erfahrener Theologe von neunundfünfzig Jahren, Bischof seit 1682 und Kardinal seit 1686, als Affront.4 Am 24. September 1688 beorderte er seine Truppen nach Köln und in die Pfalz.5

Der französische König hatte offenbar einen günstigen Augenblick erwischt. Leopolds Streitkräfte waren noch immer in Ungarn gebunden. Die Krise der Stuart-Monarchie und der Aufstand gegen Jakob II. nötigten Wilhelm III. zur Fahrt nach England, um dort den Thron zu besteigen, während gleichzeitig französische Truppen das Rheinland überrannten. Wilhelms zügige Machtübernahme in England wandte das Blatt indes bald gegen Frankreich: Ende Dezember war der französische Botschafter ausgewiesen und England schloss sich den Niederlanden in der Koalition gegen Frankreich an.

Im Mai stand die Wiener Große Allianz von England, den Niederlanden, Spanien, Österreich und Savoyen. Die englische Krise eröffnete eine kostspielige neue Front. Ludwigs Versuche der folgenden Jahre, die Wiedereinsetzung Jakobs II. herbeizuführen, blieben vergeblich. Die Schlacht am Boyne im Juli 1690 und der Fall von Limerick im Oktober 1691 beendeten alle Hoffnungen auf Unterstützung für James durch einen irischen Aufstand. Die entscheidende Niederlage der französischen Flotte bei La Hogue im Mai 1692 zwang James ins Exil, verstärkte den Fokus auf den Landkrieg und ließ Wilhelm freie Hand, den Niederländern bei der Abwehr des französischen Angriffs auf die Spanischen Niederlande zu helfen. Derweil entstanden kleinere Fronten in den Pyrenäen und in Norditalien, da Frankreich gegen Spanien und das kaum geschützte spanisch-habsburgische Herzogtum Mailand vorging.

Entschieden wurde der Konflikt im Wesentlichen anderswo, gleichwohl waren die Ereignisse in Deutschland von Bedeutung. Als Reaktion auf die französische Invasion bildeten im Oktober Sachsen, Brandenburg, Hannover, Osnabrück und Hessen-Kassel das Magdeburger Konzert, das eine Armee zum Schutz der Niederlande an den Niederrhein schickte, während Wilhelm nach England reiste. Hinzu kam der Entschluss, die Franzosen aus Köln und mit einer weiteren Streitmacht aus der Region am Mittelrhein zu vertreiben. Zwar konnten die Deutschen einige Erfolge bei der Zurückdrängung der französischen Truppen feiern, nun aber setzten die Franzosen auf schonungslose Verwüstung: Wenn sie die eroberten Gebiete nicht halten konnten, sollten diese auch den Deutschen keinen Nutzen mehr bringen. Von der Gegend um Köln den Rhein entlang bis Heidelberg wurden Festungen geschleift, Städte niedergebrannt und Paläste niedergerissen. Heidelberg selbst wurde wie Worms, Speyer und Mannheim so gut wie komplett zerstört.6

Im Februar 1689 erklärte der Reichstag Frankreich zum »Reichsfeind«, der das Reich ohne Provokation »mehr als unchristlichen Feindseligkeiten« unterzogen habe.7 Die formelle Kriegserklärung folgte am 4. April. Das Problem war, wie dieser Beschluss umgesetzt werden sollte. Beim Einmarsch der Franzosen 1688 waren die Truppen der Kreise in Ungarn stationiert, daher musste das Reich anfangs auf Streitkräfte der armierten Fürsten des Nordens setzen. Die Frage der Bereitstellung von Quartieren führte indes schon im ersten Kriegswinter zu solchen Spannungen zwischen den Truppen und lokalen Autoritäten, dass Leopold im Januar 1689 die Verantwortung für die Zuweisung von Unterkünften und Zuschüssen übernehmen musste.8

Die während der nächsten Monate gebildete Reichsarmee unter dem Oberbefehl von Karl von Lothringen konnte im September 1689 Mainz zurückerobern. Bonn fiel im folgenden Monat an den Kurfürsten von Brandenburg. Keinem der beiden gelang es jedoch, von den Siegen zu profitieren und die Franzosen weiter zurückzudrängen. Die nächsten sieben Jahre brachten ein fruchtloses Hin und Her der gegnerischen Streitmächte. Beide Seiten erlitten schwere Verluste und die von Schlachten betroffenen deutschen Territorien beklagten erhebliche Opfer unter der Zivilbevölkerung und schwere Schäden an Städten, Dörfern und Land. Im Mai 1693 verwüsteten die Franzosen Heidelberg erneut: Diesmal wurden Stadtmauern und Erdbauten systematisch niedergerissen, während eine Abteilung von mehreren Hundert französischen Soldaten das Schloss des Kurfürsten in die Ruine verwandelten, die bis heute das Bild der Altstadt dominiert.9

Die Reichspolitik war nun in erster Linie damit befasst, die Verteidigungsbemühungen zu organisieren und das weite Spektrum mit dem Konflikt verbundener politischer Interessen auf einen Nenner zu bringen. Einerseits schuf der Krieg – zumindest zu Beginn – eine solche Solidarität, dass Leopold 1690 ohne Weiteres die Wahl seines Sohnes Joseph zum Römischen König durchsetzen konnte.10 Den Kurfürsten wurden die üblichen Geldsummen bezahlt, aber keiner von ihnen zögerte, seine Stimme zugunsten des Habsburgers abzugeben. Die widerstreitenden Interessen der Reichsstände in Einklang zu bringen, war allerdings eine größere Herausforderung.

Die meisten armierten Fürsten sahen sich beträchtlich überfordert. Das Magdeburger Konzert entsandte Truppen zur Verteidigung des Rheins, seine Mitglieder mussten jedoch auch Männer zur Verstärkung der englischen, niederländischen und spanischen Armeen westlich der Maas abstellen.11 Andere armierte Fürsten versuchten ihre Verpflichtungen gegenüber dem Reich zu erfüllen und gleichzeitig Hilfstruppen bereitzustellen. Diskussionen über die Verteilung von Quartieren und die Ernennung militärischer Führer führten zu Drohungen, Truppen aus dem Reichsdienst zurückzuziehen, und zu Forderungen nach speziellen Vergünstigungen. Leopold sah sich laufend zu Zugeständnissen gezwungen, um die Loyalität wichtiger Fürsten zu erkaufen.

Im Dezember 1691 musste er den Kurfürsten von Bayern zum Statthalter der Spanischen Niederlande ernennen, um seine Treue zu erhalten. Da dieser sich nun Hoffnungen auf die spanische Erbfolge machen durfte, verlegte er einen Großteil seiner Truppen nach Luxemburg und einige später sogar nach Katalonien.

Ernst August von Hannover 1692 als Unterstützer bei der Stange zu halten, war noch teurer. 1691 hatte er mit Sachsen, Münster, Schweden und Dänemark die Gründung einer bewaffneten dritten Partei erwogen und von Frankreich ein günstiges Friedensangebot erhalten. Als Leopold einschreiten wollte, forderte Ernst August postwendend seine Erhebung zum Kurfürsten.12 Obwohl zweifelhaft war, ob Leopold überhaupt das Recht dazu hatte, sagte er im Gegenzug eine »immerwährende Union« zwischen Hannover und dem Haus Habsburg zu. Dies führte zu bitteren Protesten der anderen Kur- und vieler weiterer Fürsten. Ernst Augusts eigener Verwandter, Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, führte ein Bündnis von Fürsten an, die sich gegen die Schaffung einer neuen Kurwürde wehrten. Selbst ein Loyalist wie der Reichsgeneralfeldmarschall Ludwig Wilhelm von Baden schloss sich der Opposition an. Die Kurwürde Hannovers wurde schließlich erst 1708 anerkannt, entscheidend war indes Leopolds Beschluss zu ihrer Schaffung von 1692.13

Der Krieg belastete auch die Beziehungen zu den unbewaffneten Reichsständen. Die Abhängigkeit der Reichsverteidigung vom Beitrag der armierten Fürsten bürdete den unbewaffneten Territorien von Anfang an die Kosten für Quartiere und Unterhalt der Truppen auf. Das Problem blieb auch nach der Rückkehr der schwäbischen und fränkischen Soldaten von der ungarischen Front 1689 auf der Tagesordnung. Im Herbst des Jahres sandten beide Kreise dem Kaiser lange Listen mit Beschwerden und Vorschlägen zur Organisation ihrer Verteidigung.14

Anfangs zeigten sie keine Bereitschaft, mehr Geld oder Männer aufzubringen, mit der Zeit wurden sie aber doch aktiver. 1691 schlossen sie ein 1692 erneuertes Bündnis gegen die Bereitstellung weiterer Quartiere; stattdessen wollten sie ein Korps von 20.000 Mann aufstellen, um weniger abhängig von den armierten Fürsten zu sein. 1693 sorgte die Ernennung von Ludwig Wilhelm von Baden, dem Helden des Türkenkriegs (»Türkenlouis«), zum Reichsgeneralfeldmarschall für eine weitere Konzentration der Bemühungen der beiden Kreise, die nun Verteidigungslinien durch den Schwarzwald initiierten.15 1695 folgte die offizielle Gründung des Bundes der Vorderen Kreise. Hauptziel war die Verteidigung, daneben ging es jedoch auch um die Aufrechterhaltung ihrer Unabhängigkeit im Reich und um die Mitsprache in der Reichspolitik. Die Bewegung gewann rasch an Boden. Nachdem sich der Kurfürst von Mainz, Lothar Franz von Schönborn, für den Bund engagierte, schlossen sich im Januar 1697 der bayerische, kurrheinische, oberrheinische und westfälische Kreis an.16 Oberbefehlshaber blieb Ludwig Wilhelm von Baden.

Zur effektiven Bildung einer dritten Partei kam es während des Konflikts nicht. Die Brutalität der Kriegsführung machte es Frankreich unmöglich, nützliche Allianzen unter den deutschen Ständen zu initiieren. Die armierten Fürsten standen ebenso wie das Bündnis der Kreise bis zuletzt zur Großen Allianz und zum Reich. Jede der Gruppen verfolgte eigene Interessen, aber keiner gelang es, ihr politisches Hauptziel zu erreichen, an den Friedensgesprächen teilzunehmen. Während der gesamten Dauer des Krieges bemühten sich Leopold und seine Berater, dies zu verhindern und Angehörigen und Institutionen des Reichs keine offizielle Mitgliedschaft in der Großen Allianz zuzugestehen. So blieben sie auch von den Verhandlungen von Mai bis Oktober 1697 ausgeschlossen, die in den Frieden von Rijswijk mündeten.

Das Reich spielte bei der Beendigung des Krieges keine Rolle.17 Im August 1696 hatte Ludwig XIV. für einen ersten Riss in der Großen Allianz gesorgt, indem er den Herzog von Savoyen zu einem Separatfrieden in Italien überredete. Im Oktober stimmte Leopold ebenfalls einer Waffenruhe in Italien zu. Dies verhalf Frankreich zu neuerlichen Erfolgen in Katalonien und den Spanischen Niederlanden. Mit diesen Siegen im Rücken und angesichts tiefer Risse in der Großen Allianz bewilligte Ludwig Anfang 1697 die Wiederherstellung von Luxemburg und Lothringen und erkannte Wilhelm III. als rechtmäßigen König von England an. Die Friedensgespräche in Rijswijk konnten beginnen.

Leopold nahm die Bedingungen als Letzter an, mehr als einen Monat nach dem allgemeinen Friedensschluss am 20. September. Die Herzöge von Lothringen und Luxemburg erhielten ihre Territorien zurück, die pfälzischen Forderungen der Herzogin von Orléans wurden zur Vermittlung an den Papst überwiesen.18 Ludwig sagte zu, die Ansprüche von Wilhelm Egon von Fürstenberg auf Köln nicht weiter zu verfolgen, dem Leopold wiederum seine Rechte als Reichsfürst zurückgab. Darüber hinaus verzichtete Ludwig auf die eroberten pfälzischen Gebiete und seine Festungen am rechten Rheinufer, sodass Freiburg und Breisach wieder in habsburgischen Besitz kamen und Kehl und Philippsburg Reichsfestungen wurden.19

Andererseits erreichte Ludwig sein Hauptkriegsziel: die Anerkennung seiner Besitzrechte am Elsass und an Straßburg; nicht einverstandene Bewohner sollten das Land beziehungsweise die Stadt binnen eines Jahres verlassen. Der umstrittenste Punkt des Abkommens war eine im Geheimen zwischen dem katholischen Kurfürsten der Pfalz und Ludwig ausgehandelte Klausel: Artikel 4 sah vor, dass Katholiken in allen von Frankreich abgetretenen Gebieten der Pfalz weiterhin Glaubensfreiheit genossen.20 Dieser klare Bruch des Friedens von 1648, in dem die Pfalz als protestantisches Land festgeschrieben war, löste zwanzig Jahre später eine schwere politische Krise im Reich aus. 1697 sorgte er dafür, dass führende protestantische Fürsten bei der Vorlage des Abkommens im Reichstag ihre Unterschrift verweigerten. Die Kontroverse wurde zwei Jahre später hochaktuell, als die französische Regierung eine Liste von fast zweitausend Orten übergab, in denen der katholische Glaube zulässig sein sollte.21

Die Verluste des Reichs in Rijswijk 1697 stehen in scheinbarem Widerspruch zu den Gewinnen Österreichs in Karlowitz 1699. Das unterschiedliche Ergebnis der beiden Abkommen spiegelt den Ablauf der Konflikte und das Wesen des jeweiligen Gegners wider. Die türkische Bedrohung hatte klare Priorität, weil sie eine unmittelbare Gefahr für Wien sowie Prag, Dresden und München darstellte. Zudem herrschte nach dem Feldzug 1683 Chaos im Osmanischen Reich. Die unerbittliche Konzentration auf den Türkenkrieg bedeutete nicht, dass sich das Interesse der Habsburger vom Reich abwandte. Die Entscheidung, beide Kriege zu führen, war auch kein Zeichen von Heroismus. Tatsächlich begannen erste Verhandlungen mit den Türken bereits 1689, aber der Streit zwischen »Reichsfraktion« und »Ungarnfraktion« in Wien sorgte für Verzögerungen und zwang Leopold, an beiden Fronten zu kämpfen.22

Aus Sicht einer Regierung, die fast zwei Jahrhunderte lang mit der türkischen Bedrohung umgehen musste, war es nur logisch, die Gelegenheit zu ergreifen, ein für alle Mal damit fertig zu werden. Der Friede von Karlowitz brachte die Habsburger einer solchen Lösung näher als je zuvor. Der nächste Ungarnaufstand, die Rebellion von Franz II. Rákóczi 1703–1711, war für die habsburgische Herrschaft die letzte große Herausforderung, begünstigt durch Österreichs Beteiligung am Spanischen Erbfolgekrieg – sobald die Reichsinteressen in Deutschland und Italien gesichert waren, wurde der Aufstand niedergeschlagen.23 Der nächste Türkenkrieg (1716–1718) machte deutlich, wie viel sich geändert hatte: Österreich nutzte den türkischen Angriff auf venezianisches Gebiet in Morea und Dalmatien, um die letzten osmanischen Teile Ungarns zu erobern. Ungarn selbst war dabei nie bedroht, weder von den Türken noch durch eine Rebellion im Inneren.24

Im Westen war die Situation grundlegend anders. Frankreich konnte nicht ganz Europa erobern, aber es konnte auch keine andere Macht oder Machtkonstellation Frankreich erobern. Das Beste, was man erhoffen durfte, war eine Eindämmung. In Folge der Reunionen hielt Frankreich bereits das Elsass, sein Hauptziel war also erreicht, bevor die Feindseligkeiten überhaupt begannen. Zudem hatten führende deutsche Fürsten Leopold wiederholt gedrängt, sämtliche Reunionen anzuerkennen. Unter diesen Umständen war es für den Kaiser ein Triumph, Frankreich zu zwingen, die pfälzischen Ländereien und anderen rechtsrheinischen Besitz zurückzugeben.

Noch bevor das Abkommen von Rijswijk beschlossen war, wurde das französische Problem in anderer Form erneut aktuell. Als Karl II. von Spanien 1696 schwer erkrankte, rückte die spanische Thronfolge ins Zentrum der europäischen Politik. Das Thema hatte Leopolds gesamte Regierungszeit überschattet und führte 1701 zu einem neuen europäischen Krieg, der ihn die letzten vier Jahre seines Lebens beschäftigen sollte.25 Aber obwohl sich in diesem Konflikt erneut Frankreich und eine Koalition inklusive Österreich gegenüberstanden, unterschied er sich von seinen Vorgängern. Die Idee eines Gleichgewichts der Kräfte, die Wilhelm III. ins Spiel gebracht hatte, prägte nun die Strategie aller Beteiligten. Zudem verband sich das Problem der Thronfolge neuerdings mit maritimen Interessen und wirtschaftlichen Einflusszonen, weshalb England und die Niederlande ebenso betroffen waren wie Frankreich und Österreich. Drittens schließlich eröffnete die spanische Erbfolge den österreichischen Habsburgern neue Möglichkeiten in Italien. All das hatte umfassende Folgen für Leopolds Nachfolger Joseph I. und Karl IV. Nach vier Jahrzehnten Herrschaft als Kaiser hatte Leopold zumindest dafür gesorgt, dass seine Nachfolger angesichts der Herausforderungen, die sich ihnen bieten sollten, gut aufgestellt waren.

Das Heilige Römische Reich deutscher Nation und seine Territorien

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