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Bushidō in der Edo-Periode

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Mit der Rebellion von Shimabara endete die letzte Gelegenheit für japanische Krieger, ihren Heldenmut auf dem Schlachtfeld zu beweisen. Als eine Folge des über 250 Jahre anhaltenden Friedens der Edo-Periode verlor die Kriegerklasse ihren wichtigsten Zweck, nämlich ihre Daseinsberechtigung als Krieger. Gleichzeitig boten auch die Verwaltungsapparate der verschiedenen Domänen nur begrenzte Möglichkeiten für umfangreiche und sinnvolle Beschäftigung. Bushi entwickelten sich daher zu einer meist unproduktiven sozialen Klasse, größtenteils ohne geregelte Beschäftigung, der es außerdem verboten war, sich in Berufen außerhalb ihres sozialen Standes zu betätigen. Hohe Preise in den Städten und der steigende Lebensstandard, also steigende Ausgaben bei gleich bleibenden Einkommen, führten langsam aber sicher zur Verarmung vieler Mitglieder des Kriegeradels.24

So war zum Beispiel die Genroku-Periode (1688–1704), die auf die Verfassung des Hagakure erheblichen Einfluss haben sollte, dadurch gekennzeichnet, dass es kaum noch bushi mit eigener Kriegserfahrung gab. Der »Weg des Kriegers« hatte sich in dieser Zeit bereits mehr und mehr von einer alltäglichen Realität zu einem symbolischen Ideal gewandelt. Die Wirtschaftskraft der japanischen Stadtbürger erstarkte immer mehr und zog mit der politischen Macht des Kriegeradels gleich. Die Ökonomie entwickelte sich weg von einer Reiswirtschaft immer mehr zu einer Geldwirtschaft hin, die sich auch auf dem Land durchsetzte und ein allgemeines Wirtschaftswachstum ermöglichte. Dieses Wachstum spiegelte sich auch in dem bunten und fröhlichen Kulturleben dieser Periode wider, ging aber an einem Großteil des Kriegeradels vorbei, denn die Stipendien der Samurai wurden weiterhin nach dem festgelegten Reisstandard berechnet.

Regelmäßige Reformen der Administration und des Finanzhaushaltes vieler Domänen erwiesen sich am Ende als fruchtlos, weil das konstante Bestehen auf Fleiß und Sparsamkeit einerseits und die Betonung von Samurai-Idealen und -Pflichten andererseits allein nicht in der Lage waren, die hausgemachten Probleme des Systems selbst zu lösen, sondern diese eher noch intensivierten. Die Diskrepanz zwischen den sozialen Ansprüchen der bushi und ihrem finanziellen Status, zwischen ihren hohen moralisch-ethischen Idealen in Bezug auf ihre Mission in der Gesellschaft und der ziellosen Gleichförmigkeit in der Lebensführung der meisten Krieger führte zu einem weitverbreiteten Verlust von Arbeitsmoral und zur Aufgabe von Idealen jenseits der Aufrechterhaltung von Status und Einkommen, denn »es war die Aufrechterhaltung der Samurai-Vorherrschaft, von der das ganze System abhing.«25

Die strikte Trennung des Kriegeradels von der übrigen Bevölkerung, seine Privilegierung sowie sein alleiniger Anspruch auf politische Macht und militärische Gewalt erzeugten während der Pax Tokugawa soziale und ethische Probleme und somit das Bedürfnis nach philosophischer Legitimierung der gesellschaftlichen Verhältnisse. Dabei zeigten sich der Neo-Konfuzianismus der Chu-Hsi-Schule (shushigaku), die Wang-Yang-Ming-Schule (yōmeigaku) oder auch Strömungen des klassischen Konfuzianismus besonders hilfreich, eine intellektuelle Begründung für die statusorientierten sozialen Strukturen der Edo-Zeit zu liefern und der Rolle des Kriegers in Friedenszeiten Bedeutung zu verleihen. Der Konfuzianismus spielte eine bedeutende Rolle für die Verbreitung solch zentraler Konzepte wie Loyalität (chū) und kindliche Pietät () als ideologischer Basis auch der Samuraierziehung und ihrer politischen Philosophie, die damit sowohl der Kriegerherrschaft über die Gesellschaft als auch den Forderungen der daimyō an die absolute, bedingungslose Loyalität ihrer Vasallen Legitimität verlieh.

Darüber hinaus produzierten Gelehrte innerhalb und außerhalb der öffentlichen Verwaltung zahlreiche Vorschläge für die Lösung der besorgniserregenden Lebensumstände der bushi, die sowohl Ideen für eine Reform der Kriegerklasse selbst als auch Neuformulierungen dessen enthielten, was es bedeutete, ein wahrer bushi zu sein. Viele Erforscher der japanischen Kriegerethik übersehen heutzutage aber oft, dass diese Neuformulierungen nicht als konkrete Beschreibungen der bushi-Realität damals verstanden werden können, sondern als idealisierte Konstrukte darüber interpretiert werden müssen, wie der Meinung solcher Gelehrten nach ein wahrer Krieger beschaffen sein sollte: »Der ›Boom‹ einer Literatur, die den Samurai einen neokonfuzianisch geprägten Verhaltens- und Moralkodex aufzuerlegen oder nahezubringen suchte, spiegelt gleichsam nicht die Wirklichkeit dieser Vorgaben, sondern vielmehr deren Mangel.«26

Der erste Gelehrte, der einen systematischen Versuch machte, eine neue Philosophie für Krieger in Friedenszeiten zu formulieren, war der einflussreiche Militärstratege und konfuzianische Philosoph Yamaga Sokō (1622–1685), der heute als Vater der Bushidō-Ethik betrachtet wird, obwohl er selbst diesen Begriff nie benutzte. Unter dem Namen shidō, einem Begriff aus dem Konfuzianismus, der mit »Weg des konfuzianischen Edelmanns« übersetzt werden sollte, konstruierte Yamaga tatsächlich eine Philosophie, die daraufhin konzipiert war, den japanischen bushi eine neue Identität zu verleihen. An die Stellen, wo frühere Bezeichnungen wie kyūba-no michi (»Weg des Bogens und Pferdes«) oder mononofu-no michi (»Weg der Recken«) nur eine rein militärische Bedeutung hatten, führte Yamaga, wie auch sein Zeitgenosse Kumazawa Banzan (1619–1691), die konfuzianische Vorstellung vom »Weg« als »Ethos« als eine neue Dimension in die Kriegerexistenz ein. Er rechtfertigte den unproduktiven, quasi parasitären Lebensstil der bushi, indem er ihnen eine neue soziale Funktion zusprach, nämlich die, ein ideales Beispiel an Moral und Tugend für die anderen Klassen zu verkörpern.27 Indem er die soziale Rolle der Samurai hauptsächlich in moralistischen Begriffen definierte, versuchte Yamaga also, die japanischen bushi mit dem konfuzianischen Edelmann (shi) von überlegenem moralischen Niveau zu identifizieren. Dabei kam der konfuzianischen Moral und Gelehrsamkeit eine zentrale Bedeutung zu. Das hatte unter anderem zur Folge, dass Begriffe, die normalerweise als »Weg des Kriegers« übersetzt werden, eine zweite Bedeutung erhielten.

Während das Selbstverständnis der bushi, nämlich in erster Linie ein Kriegeradel zu sein, durch ständige Betonung der Notwendigkeit von militärischer Bereitschaft seitens der Obrigkeit unterstützt wurde, rationalisierte Yamagas Philosophie die Umwandlung der Kriegerklasse zu einer gebildeten Klasse von Beamten und Bürokraten. Diese Entwicklung wurde fortgesetzt in den Schriften von Schülern Yamagas wie Daidōji Yūzan (1639–1731), der, wie sein Lehrer, die Bedeutung von Gelehrsamkeit und rationalem Denken betonte.28 Im Hagakure sollte demgegenüber diese Art der konfuzianischen Argumentation vom »wahren Weg« als einem »Weg der menschlichen Moral« kritisiert werden, weil der Konfuzianismus einem Krieger, der als Mensch natürlicherweise dem Leben verhaftet sei, nur zu einer intellektuellen Ausrede verhelfe, in extremen Situationen am Leben bleiben zu können und diese Einstellung dann auch noch zu legitimieren. Im Hagakure sollten im Gegenteil Reinheit und Unverfälschtheit betont werden, die nur im Tod und im Abwerfen des »Ich« und der Bindung an das Leben zu finden seien.29

Zeitgenössische Beobachter wie Daidōji oder auch der berühmte Schriftsteller aus der Edo-Zeit Ihara Saikaku erkannten, dass der »ideale Krieger« die Ausnahme ist.30 Aber gerade weil die realen Lebensumstände der bushi der unteren Ränge und des einfachen Volks kaum zu unterscheiden waren, hing die Identität der Krieger von dem Anspruch darauf ab, dass ein essentieller Unterschied zwischen den Ständen besteht. Die Kluft zwischen dem sozialen Status und der aktuellen wirtschaftlichen Situation sowie der politischen Machtlosigkeit der meisten Krieger machte die ideologische Instrumentalisierung solcher Unterschiede, real oder fiktiv, umso notwendiger. Von bushi wurde erwartet, dass sie sich in einer Art und Weise verhielten, die sich fundamental von den angeblich niedrigen Verhaltensweisen des gemeinen Pöbels unterschied. Diese Art der Arroganz gegenüber Nicht-Samurai war genauso ein Teil des Selbstverständnisses japanischer Krieger wie Bekundungen von Bereitschaft zum militärischen Einsatz von bushi, die in ihrem Leben nie an einer Schlacht oder einem Kampf teilgenommen hatten. Aus den gleichen Gründen wurden Krieger auch für verhältnismäßig geringe Vergehen in der Regel strenger bestraft als das einfache Volk.31

Ein weiteres Bild der eher grauen Samurai-Realität zeichnet Fukuzawa Yukichi (1835–1901), dessen Beschreibung der Lebensbedingungen von bushi in seiner eigenen Domäne eine tiefe Kluft in der Samuraiklasse selbst aufzeigt. Das, was als der ideale Bushidō betrachtet wurde, d. h. ein »selbstperfektionierendes« Gelehrtenleben mit einer Betonung auf Etikette und erblichem Status, wurde und konnte in der Realität nur von den wenigen Angehörigen der höheren Ränge praktiziert werden, weil nur sie über die entsprechenden finanziellen Mittel und Freizeit verfügten. Samurai der mittleren und niederen Ränge, die die Mehrheit dieser Klasse darstellten, hatten weder die Ressourcen noch die Zeit, sich mit Fragen einer hehren Kriegerethik zu beschäftigen, sondern waren gezwungen, durch Nebenarbeiten ein produktives Leben zu führen, obwohl dies weder legal noch mit dem Kriegerideal vereinbar war.32 Daher erscheint es in diesem Zusammenhang signifikant, dass jene bushi, die eine instrumentale Rolle in der Meiji-Restauration 1867–68, der japanischen Modernisierung und letztendlich der Auflösung der Kriegerklasse spielen sollten, sich hauptsächlich aus den unteren Rängen der Samurai rekrutierten. Das Bushidō-Ideal erzeugte so eine Atmosphäre von selbstgewissem Klassenbewusstsein und Arroganz nicht nur zwischen der Krieger- und den anderen sozialen Klassen, sondern auch in der bushi-Klasse selbst. Vor diesen historischen Hintergründen gilt es nun das Milieu zu betrachten, in dem das Hagakure entstand.

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