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DER MYTHOS DES ALTERNS

Altern ist nicht verlorene Jugend, sondern eine neue Phase der Chancen und der Stärke. — BETTY FRIEDAN, amerikanische Frauenrechtlerin und Publizistin

Was wird mit Ihrem Körper wohl in den nächsten 10, 20, 30 Jahren passieren? Sie haben andere Menschen alt werden sehen, aber nie gedacht, dass Ihnen das auch passieren würde. Sie sind Sportler. Sie haben auf sich geachtet und Ihren Körper in Schuss gehalten. Sie können sich vielleicht nicht einmal daran erinnern, wann Sie das letzte Mal erkältet waren. Klar, Sie haben sich im Laufe der Jahre vielleicht die eine oder andere Verletzung zugezogen, aber welcher Athlet hat das nicht? Fitness und Wettkämpfe waren immer ein wichtiger Bestandteil Ihres Lebens. Warum kann es nicht einfach so bleiben?

Möglicherweise bekommen Sie inzwischen von allen Seiten zu hören, dass Sie sich nicht mehr so sehr anstrengen sollten. Im fortgeschrittenen Alter führe kein Weg daran vorbei, als es etwas ruhiger angehen zu lassen, heißt es dann. Vielleicht tischt man Ihnen auch Horrorstorys über gebrochene Knochen und Herzinfarkte auf. Sieh Dir den und den an, erzählt man Ihnen. Er wollte nicht aufhören und jetzt hat er ein künstliches Knie. Lass das Training und die Wettkämpfe lieber bleiben. Es zu übertreiben, tut dir nicht gut. Niemand kann ewig Rennen bestreiten. Nimm dich zurück – du hast dir eine Pause verdient. Genieße den Herbst des Lebens.

Natürlich würden Sie dieses Buch nicht lesen, wenn Sie an solch antiquierten Vorstellungen über das Leben und den Sport festhielten. Ich versichere Ihnen, dass Sie auch jenseits der 50, 60, 70 und darüber hinaus noch aktiv sein können. Mit »aktiv« meine ich, vollauf in der Lage zu sein, hart zu trainieren und in Ihrem Sport hochklassige Leistungen zu erbringen.

Was müssen Sie tun, um dies zu erreichen? Ist es möglich, den Alterungsprozess in den kommenden Jahren zu drosseln oder sogar umzukehren, um schnell zu bleiben – oder sogar noch schneller zu werden? Ja, das ist möglich. Ich hoffe, Sie glauben mir, denn darum geht es in diesem Buch. Ich zeige Ihnen, wie es anderen gelingt und wie auch Sie es schaffen können.

Der Weg dorthin stellt sich möglicherweise als eine emotionale Achterbahnfahrt heraus. Ich werde nicht zimperlich sein. Sie müssen darauf gefasst sein, sich mit vielen, auch unangenehmen Fragen auseinanderzusetzen, sofern Ihnen wirklich daran gelegen ist, jenseits der 50, 60, 70 oder darüber hinaus noch schnell und fit zu sein. Aber falls Sie Ihr Leben lang Sport getrieben haben und der Wettstreit ein wichtiger Teil Ihrer Persönlichkeit ist, wissen Sie bereits, wie man hart arbeitet und große Ziele erreicht. Sofern Sie diese Art von Motivation und Hingabe mitbringen, können Sie es schaffen. Aber ich möchte nicht vorgreifen. Eins nach dem anderen. Fangen wir ganz am Anfang an.

Was ist Altern?

Was bedeutet das Älterwerden für einen Athleten? Am besten gehen wir diese Frage an, indem wir das Alter einmal aus unserer persönlichen Sichtweise betrachten.

Erinnern Sie sich, wie alt und schwach Ihre Großeltern Ihnen erschienen, als Sie jünger waren? Und wie war es mit Ihren Eltern? Auch die kamen Ihnen wahrscheinlich uralt vor, als Sie ein Teenager waren, aber wenn Sie jetzt zurückblicken, wird Ihnen klar, dass sie es überhaupt nicht waren. Ihre Eltern waren damals noch jung und aktiv – fast selbst noch Kinder. Im Laufe der folgenden Jahrzehnte sahen Sie dabei zu, wie sie allmählich älter wurden. So haben Sie eine Vorstellung davon bekommen, was Älterwerden bedeutet. In Ihrem Kopf befindet sich quasi ein Ordner mit der Aufschrift »Alter«, in dem Sie allerlei Dokumente mit prägenden Einstellungen und Ansichten zu diesem Thema verwahren, die auf Ihren Erfahrungen als Heranwachsender beruhen. Ihre Großeltern und Eltern kommen darin vor, dazu einige Ihrer Freunde, die quasi vor Ihren Augen alt geworden sind. »Das wird mir nicht passieren«, haben Sie sich gesagt. Und vermutlich ist es das auch nicht, denn Sie sind – im Gegensatz zu denen – aktiv geblieben.

Aber gewiss finden auch Sie Anzeichen dafür, dass Ihr Körper sich verändert. Sie sind ganz eindeutig kein Kind mehr. Man verlangt nicht Ihren Ausweis, wenn Sie ein Bier bestellen. Ihre Mitmenschen behandeln Sie mit ein bisschen mehr Respekt als damals, als Sie noch jünger waren, und Sie werden automatisch gesiezt. Sie haben etwas an sich, das Sie als »alt« ausweist. Vielleicht sind es Ihr ergrauendes Haar und die kleinen Fältchen, die sich allmählich in Ihrem Gesicht abzeichnen. Oder vielleicht ist es Ihr steifer Rücken, der sich bemerkbar macht, wenn Sie sich ein bisschen schwerfälliger erheben, als Sie es früher taten. Aber das alles spielt keine Rolle. Sie wissen, dass Sie den meisten Jungspunden in Ihrem Sport immer noch zeigen, wo der Hammer hängt. Und die wissen es auch und haben eine Menge Respekt vor Ihnen, weil Sie ein ganz anderes Bild vom Altern vermitteln, als es landläufig verbreitet ist. Sie sind ein Vorbild für viele jüngere Leute, und das macht sich auch bemerkbar.

Body Learning: Der sportliche JungbrunnenMARK ALLEN

Ich bin 56 Jahre alt. Ich habe sechs Mal den Ironman Hawaii gewonnen, zuletzt 1995. Ich schwimme, fahre Rad und laufe heute nicht mehr für meinen Lebensunterhalt. Aber ich trainiere an 350 Tagen im Jahr, und an mindestens 300 davon gehe ich an einem meiner heimatlichen Strände hier im kalifornischen Santa Cruz surfen. Interessanterweise habe ich in diesem Sport erst vor kurzem ein ganz neues persönliches Niveau erreicht und den Flow, die Power und das gewisse Etwas gefunden, auf das ich aus war – bei jedem Bottom Turn, jedem Snap und jedem Ritt durch die Tube –, das sich mir aber stets entzogen hatte, seitdem ich vor fast 40 Jahren als Teenager mit dem Surfen angefangen habe.

Ich erzähle Ihnen das nicht, um zu prahlen, sondern um Ihnen einen Eindruck vom sportlichen Potenzial zu vermitteln, das auch im Alter noch in uns schlummert. Mit 56 sollte ich als Surfer nicht in der Form meines Lebens sein, aber genau das bin ich! Warum das so ist? Dafür gibt es mehrere Gründe.

Der erste ist konsistentes Training. Ungeachtet von Sportart und Alter ist es Konsistenz, mit der Sie es zur Meisterschaft bringen und auch auf lange Sicht Verbesserungen ermöglichen. Mit »Konsistenz« meine ich nicht nur, immer wieder das Gleiche auf die gleiche Weise zu tun. Ich meine damit, konsistent daran zu arbeiten, die Bewegungsabläufe zu verfeinern, die für Ihren Sport erforderlich sind. Machen Sie es sich zum Ziel, Ihrem Körper an jedem Tag, den Sie trainieren, etwas Neues beizubringen. Das nenne ich Body Learning.

Athleten, die trainieren, ohne den Schwerpunkt auf das Lernen zu legen, reiben sich auf. Sie verletzen sich. Sie werden steif und weniger effizient, wenn sie altern. Sie werden außerdem frustriert. Ohne die Bereitschaft, sich ständig weiterzuentwickeln, ist es schwer, die Freude am Sport zu erhalten und dem Alter ein Schnippchen zu schlagen, indem man ein ganz neues Leistungsniveau erreicht. Athleten aber, die beständig daran arbeiten, mehr Beweglichkeit zu erlangen und mehr Kraft in ihre Bewegungsabläufe zu bringen, Athleten, die kontinuierlich das gewisse Maß über das hinausgehen, was am Wettkampftag erforderlich ist, werden letztlich diejenigen sein, die immer schneller und besser werden, selbst bis ins hohe Alter. Nehmen Sie sich jedes Mal, wenn Sie rausgehen und Ihren Sport betreiben, vor, etwas von Grund auf Neues zu erlernen.

So funktioniert es, wenn ich mit meinem Board losziehe: Zunächst einmal erfordert auch Surfen offensichtlich eine gute körperliche Verfassung (Herz-Kreislauf, Muskelkraft, Ausdauer zum Paddeln, Beweglichkeit). Natürlich bringe ich aus meiner Zeit als Triathlet gute Voraussetzungen mit, aber ich laufe weiterhin, um die Pumpe in Form zu halten, und absolviere auf dem Trockenen eine Menge funktionelles Training mit vollem Bewegungsausmaß, damit jeder einzelne Muskel gesund und stark, aber auch locker bleibt. Das alles ist darauf ausgerichtet, nicht nur meine Leistung zu verbessern, sondern auch Verletzungen zu vermeiden, die in meinem Alter verheerend sein können. Das hat sogar oberste Priorität: mögliche Verletzungen zu verhüten, damit ich meinen Sport konsistent betreiben kann.

Zweitens schaue ich mir an, wie sich die Besten bewegen. Wie surfen sie? Wie positionieren sie sich auf der Welle? Wo machen sie ihren Turn? Ich beobachte, wie sie es fertigbringen, in eine Tube zu kommen, die aus dem Nichts aufzutauchen scheint. Dann bin ich an der Reihe. Ich suche mir einen Aspekt heraus, den ich perfektionieren möchte. Das kann mein Bottom Turn sein oder ein Cutback. Was es auch sein mag, ich suche mir ein Element heraus, auf das ich mich auf jeder Welle so lange konzentriere, bis ich das Gefühl habe, dass es quasi von alleine geschieht, ohne dass ich darüber nachdenken oder mich anstrengen müsste. Dann arbeite ich so lange daran weiter, bis ich meine, die Schwünge mit der gleichen Vollendung zu beherrschen wie die richtigen Cracks. Natürlich bin ich weit davon entfernt, mich mit ihnen vergleichen zu können, aber ich kann mich ja zumindest so fühlen wie sie! So habe ich es schon als Triathlet gemacht: Ich schaute mir die besten Radfahrer und die besten Läufer der Welt an und prägte mir ein, wie sie sich bewegten. Dann nahm ich mir vor, das gleiche Gefühl in meine Bewegungen zu bekommen. Die Mühe zahlte sich durch dramatische Verbesserungen meiner Leistung aus, obwohl ich nicht mehr als vorher trainierte.

Perfektionieren Sie jeweils einen Aspekt, bis die Bewegungen zu Automatismen werden. Ich brauche in der Regel ein ganzes Jahr, um ein bestimmtes Element so weit zu verfeinern, wie ich es mir vorgenommen habe. Der Idee des Body Learning verschrieb ich mich, als ich 50 wurde, denn ich sah, dass ich mich als Surfer seit meiner Jugend kaum weiterentwickelt hatte. Ich wollte etwas Neues probieren, um zu schauen, ob ich mich noch verbessern könnte, obwohl ich eindeutig älter wurde.

Im ersten Jahr legte ich den Schwerpunkt darauf, in die Tube zu kommen und es vor allem auch beständig wieder herauszuschaffen. Im zweiten Jahr arbeitete ich am Takeoff, dem Angleiten der Welle und Aufspringen auf das Board. Im dritten Jahr verfeinerte ich meinen Bottom Turn, also die richtige Linie zu erwischen, um vor der Welle zu bleiben. Im vierten Jahr war dann der Cutback an der Reihe, die Kunst, im entscheidenden Moment wieder gegen die Welle zu fahren. Jahr fünf widmete ich dem Snap, der Wende auf dem höchsten Punkt der Welle.

Im sechsten Jahr – diesem Jahr – kam dann alles zusammen. Sämtliche Elemente fügten sich in exakt dem Moment, in dem sie durch die Dynamik der Welle erforderlich werden. Kein Denken, keine Anstrengung, nur ein einziger Flow, auf den ich ein paar tausend Stunden lang hingearbeitet hatte und der jetzt alles zusammenführte – im Alter von 56 Jahren!

Das Bestreben, meinem Körper beständig etwas Neues beizubringen, war für mein heutiges sportliches Leistungsvermögen und meine allgemeine Beweglichkeit ebenso wichtig wie die eigentlichen Übungen, in denen das Lernen stattfindet. Es ist wahrlich ein sportlicher Jungbrunnen!

Haben Sie Enkel? Damit kann sich wirklich alles verändern. Für mich war es jedenfalls so. Anscheinend haben meine modischen (»Komisches Hemd, Opa!«) und musikalischen Vorlieben (»Wer sind denn die Beatles?«) bei meiner 11-jährigen Enkelin ziemlich Eindruck hinterlassen. Wenn Sie so wie ich gestrickt sind, finden Sie natürlich nichts Komisches an Ihrer Kleidung, Ihrer Musik und dergleichen. So sind Sie eben.

Nichts von dem kann darüber hinwegtäuschen, dass Sie körperliche Veränderungen wahrnehmen, vermutlich mehr als geistige, wenngleich auch die jetzt immer häufiger auftreten. Woran liegt es, dass Ihnen dies alles widerfährt und worauf müssen Sie sich in den kommenden Jahren einstellen? Die Wissenschaft beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dieser Frage. Wie sieht es mit Ihrer sportlichen Leistungsfähigkeit aus? Auch dort haben Sie ohne Zweifel Veränderungen bemerkt. Doch bewegen sich diese im normalen Rahmen? Vielleicht kennen Sie Athleten, die älter sind als Sie und immer noch in Topform sind. Was machen diese Leute anders als die anderen? Können Sie es ihnen gleichtun? Können Sie auf höherem Niveau trainieren und bessere Leistungen erreichen, als Sie es gegenwärtig tun? Und kann Ihnen das auch in Zukunft noch gelingen? Das ist eine große Herausforderung. Aber ich bin sicher, dass es möglich ist. Ich habe es bei anderen Athleten erlebt.

Letztlich kommt es darauf an, welche Entscheidungen Sie tagtäglich in Ihrem Leben treffen. Diese Entscheidungen drehen sich nicht nur um das Training als solches, sondern betreffen sämtliche Aspekte Ihrer Lebensweise, kleine wie große. Alles ist wichtig. In diesem Buch befassen wir uns in erster Linie mit denjenigen Aspekten, die spezifisch bedeutsam für die sportliche Leistungsfähigkeit sind. Aber glauben Sie nicht, dass es damit getan ist. Um den Alterungsprozess aufzuhalten, ist mehr vonnöten als nur Training. In Kapitel 2 schauen wir uns ein paar Möglichkeiten an, dem Alter ein Schnippchen zu schlagen.

»Normales« Altern

Wie erklärt die Wissenschaft das Phänomen, das wir als »Altern« bezeichnen? Interessanterweise ist dies eine Frage, die Forschern nach wie vor Rätsel aufgibt. Vollends verstanden haben sie das Phänomen bis heute nicht. Zwar stellen sie Theorien auf und führen Studien durch, aber gesicherte Antworten haben sie keine. Stattdessen verlegen sich die meisten Wissenschaftler darauf, nur die Symptome des Älterwerdens zu untersuchen. Denn es ist natürlich einfacher, sich lediglich die Symptome anzuschauen, dementsprechend hat es in den letzten Jahren einen Haufen solcher Studien gegeben, derweil das Durchschnittsalter der Bevölkerung immer weiter ansteigt.

Was meint also die Wissenschaft, worauf wir uns mit dem Altern einstellen müssen? Welches sind die gefürchteten Symptome? Hier eine unvollständige Liste ganz normaler Merkmale des Alterns, über die in den meisten Studien berichtet wird:

‣ Die Haut verliert an Elastizität und wird trockener, da die Talgdrüsen ihre Produktion drosseln. Die Fingernägel wachsen langsamer.

‣ Das Haar wird dünner, und es tauchen mehr graue Haare auf, da die Pigmentzellen sich verringern.

‣ Das Zusammenpressen der Gelenke, inklusive der Bandscheiben, führt zu einer Verminderung der Körpergröße. Bis zum 80. Lebensjahr ist eine Schrumpfung um bis zu fünf Zentimeter üblich.

‣ Ab etwa dem 55. Lebensjahr werden Geräusche im Hochfrequenzbereich immer schlechter gehört.

‣ Spätestens mit 50 benötigen die meisten Menschen eine Lesebrille, da die Augenlinse sich verhärtet, was die Fähigkeit beeinträchtigt, nahe Dinge scharf zu sehen.

‣ Der Menstruationszyklus verändert sich, ehe er ganz eingestellt wird.

‣ Die Schlafzeiten werden kürzer, und die Schlafqualität nimmt ab. Häufiges Aufwachen in der Nacht ist üblich.

‣ Die Knochendichte nimmt ab, was zu größerer Brüchigkeit führt.

‣ Der Stoffwechsel verlangsamt sich, was oft eine Gewichtszunahme mit sich bringt – vor allem durch Fett.

Allesamt naheliegende Dinge und wahrlich nichts Neues. Wahrscheinlich sind auch Sie mit einigen dieser Symptome vertraut, und diese Liste bildet ja nur den Anfang. Wir könnten uns weiterhin anschauen, was mit dem Gehirn passiert, dem Nervensystem und dem Herzen, mit Blutgefäßen, Lunge, Nieren, Urinsystem und Sexualfunktion. Leider steigt auch die Wahrscheinlichkeit, an Arthrose, Schilddrüsenunterfunktion, Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck, Krebs, koronarer Herzkrankheit, Alzheimer, Parkinson und Demenz zu erkranken. Hört man den Männern in den weißen Kitteln zu, beschleicht einen das Gefühl, dass man sich auf all das praktisch unweigerlich einstellen müsse, wenn man alt und grau ist. Da fragt man sich natürlich, warum man sich den ganzen Ärger überhaupt noch antut, und möchte am liebsten aussteigen.

Aber halt, verzagen Sie nicht! Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass alles, was wir über diese deprimierenden Veränderungen wissen, auf Studien basieren, die an normalen alternden Menschen durchgeführt wurden. Mit »normal« meine ich Menschen, die den Durchschnitt unserer Gesellschaft darstellen – also Menschen, von denen sich viele zu wenig bewegen, Übergewicht haben und unmotiviert sind. Die meisten normalen Menschen erleben schon in jungen Jahren die Frühstadien mancher dieser Symptome und greifen auf Medikamente zurück, um die schlimmsten davon abzuwehren. Körperliche Aktivität und gesunde Ernährung sind im Programm dieser normalen Menschen nicht vorgesehen.

Da sie den Großteil der Bevölkerung ausmachen, prägen diese Menschen das gängige Bild vom Zustand der menschlichen Physiologie. Anders gesagt: Sie gelten als normal. Aber gewiss sind sie nicht normal für die menschliche Gattung oder die ganze Art Homo sapiens. Vielmehr ist dieser Typus ungesund, und die meisten Menschen sind sich dessen nicht einmal bewusst. Sie glauben, dass das, was mit ihnen geschieht, unvermeidlich ist und dass sie keine Kontrolle darüber haben. Sie können bestenfalls darauf hoffen, dass eine neue Wunderpille auf den Markt kommt. Das Schlimmste daran ist, dass sich dieses Bild des Alterns in unserer Gesellschaft längst als normal etabliert hat und sogar noch befördert wird.

DER MENSCH IST DAZU BESTIMMT, aktiv zu sein, sich kraftvoll und ausdauernd zu bewegen – so wie Athleten es tun.

Aber wir haben uns nicht zwei Millionen Jahre lang entwickelt, um vor dem Fernseher Kartoffelchips zu essen und uns mit Zivilisationskrankheiten herumzuschlagen. Der Mensch ist dazu bestimmt, aktiv zu sein, sich kraftvoll und ausdauernd zu bewegen – so wie Athleten es tun. Unsere prähistorischen Vorfahren haben über Äonen hinweg so gelebt. Sie hatten gar keine andere Wahl. Fitness war eine Bedingung für ihr Überleben. Sie waren Athleten im weitesten Sinn des Wortes. Sie waren gewiss keine Stubenhocker. Entgegen der landläufigen Meinung lebten viele von ihnen bis weit in ihre Fünfziger und Sechziger und darüber hinaus.1 Die Vorstellung, dass frühere Generationen bei weitem nicht so alt wurden wie wir heute, beruht auf der durchschnittlichen Lebenserwartung der Gesamtbevölkerung, die damals aufgrund der Kindersterblichkeit so niedrig war. Sofern unsere Vorfahren das Kindesalter überstanden, blieben sie dank körperlicher Aktivität und einer Junkfood-freien Ernährung über Jahrzehnte hinweg gesund und munter.

Vieles von dem, was die Wissenschaft über die Anzeichen des Alterns »weiß«, trifft auf Sie als sportlich aktiver Mensch wahrscheinlich nicht zu. Denn Sie weisen eine viel geringere Wahrscheinlichkeit auf, von altersbedingten Zivilisationskrankheiten betroffen zu sein, als ihr »normaler« Nachbar. Sie sind nicht normal – und das ist auch gut so. Sie führen die aktive und dynamische Lebensweise Ihrer Vorfahren fort. Sie sind ein Athlet.

Als alternder Athlet bekommen auch Sie es mit einigen Merkmalen des Alterns zu tun, die aber aus einer kleineren Untergruppe an Symptomen stammen. Auch Menschen, die keinen Sport treiben, sind davon betroffen, aber es ist ihnen aufgrund ihres Mangels an Aktivität gar nicht bewusst. Für einen Athleten aber sind diese Symptome nicht zu übersehen – und sie sind von besonderer Bedeutung, weil sie mit der Leistungsfähigkeit zu tun haben. Fast alle sportphysiologischen Studien belegen, dass gewisse leistungsmindernde Veränderungen mit fortgeschrittenem Alter zu erwarten sind. Dies sind die Symptome, die wir mit unserem Training und unserer Lebensweise umzukehren oder zumindest zu minimieren hoffen und mit denen wir uns in den folgenden Kapiteln eingehend befassen werden.

Zu den Symptomen des Alterns, die Athleten betreffen, gehören unter anderem:

‣ Die aerobe Kapazität (VO2max) nimmt ab.

‣ Die maximale Herzfrequenz sinkt.

‣ Das Blutvolumen, das mit jedem Herzschlag transportiert wird, verringert sich.

‣ Muskelfasern gehen verloren, was zu verminderter Muskelmasse und weniger Kraft führt.

‣ Aerobe Enzyme in den Muskeln nehmen ab und arbeiten weniger effektiv.

‣ Die Gesamtblutmenge verringert sich.

Es gibt noch mehr solcher Symptome, aber diese reichen schon, um einem die Geburtstagsparty zu verleiden. Aber Kopf hoch: Nicht alle wissenschaftlichen Untersuchungen stimmen in der Bewertung dieser Symptome überein. Wir beschäftigen uns in späteren Kapiteln mit dieser Uneinigkeit und damit, was sie für uns bedeutet.

Nichtsdestotrotz erleben Sie zweifellos zumindest ein paar dieser normalen, für Athleten relevanten Alterserscheinungen. Und je älter Sie sind, desto stärker machen sie sich bemerkbar. Können Sie etwas tun, um diese negativen Veränderungen aufzuschieben, zu mindern oder sogar umzukehren? Ja, das können Sie. Die Antworten darauf stammen ebenfalls aus der wissenschaftlichen Literatur. In Teil II schauen wir uns später dann Lösungsansätze für dieses Dilemma an. Bevor wir uns aber damit befassen, ist es wichtig zu verstehen, wie sich diese physiologischen Merkmale des Alterns auf Ihre Ausdauerleistungen auswirken.

Leistung und Altern

Statt uns mit normalen Menschen zu vergleichen, erfahren wir mehr über unsere Bedürfnisse, wenn wir uns anschauen, was aktive, fitte und hochmotivierte ältere Menschen zu leisten in der Lage sind. Von diesen Menschen gibt es nicht so viele – sie sind ja schließlich nicht normal –, aber sie zeigen uns, welche Leistungen auf höchstem Niveau möglich sind. Fassen wir zusammen, was wir über das Leistungsvermögen herausragender Ausdauersportler verschiedener Altersklassen wissen.

Vom Teenageralter bis in die frühen Zwanziger nimmt die körperliche Leistungsfähigkeit junger Athleten etwa zehn Jahre lang rapide zu. Um das 30. Lebensjahr herum, plus/minus fünf Jahre (je nach Sportart), erreicht das Leistungsvermögen seinen Höhepunkt. Danach erfolgt ein allmählicher Rückgang. Dieser physiologische Verfall kann durch bestimmte Maßnahmen kaschiert werden, von denen sich viele der Erfahrung zuschreiben lassen: Als Routinier wissen Sie, wie Sie an das Training und die Wettkämpfe herangehen müssen, und dann sind Leistungssteigerungen weiterhin möglich, wenn auch nicht in dem Maße wie zuvor. Aber früher oder später macht sich der Verfall bemerkbar.

Der Rückgang ist bei Athleten über 30, die ihre besten Jahre gerade hinter sich haben, anfangs noch so gering, dass er möglicherweise gar nicht wahrgenommen wird. Vielleicht wird er schlechtem Training, veränderten Lebensumständen oder einfach Pech zugeschrieben. Aber spätestens Anfang 40 ist den meisten Leistungssportlern in der Regel klar, dass sich die Dinge in die falsche Richtung entwickeln. Profisportler über 40 sind die Ausnahme, aber ein paar gibt es. Ein gutes Beispiel im Bereich des Ausdauersports ist der Radrennfahrer Chris Horner, der 2013, im Alter von 41 Jahren, eine der großen, dreiwöchigen Landesrundfahrten gewann, die Vuelta a España.

Jenseits der 40 setzt sich der Abwärtstrend fort, und Profisportler ab Mitte 40 sind in den gängigen Ausdauersportarten nicht mehr anzutreffen. Was uns natürlich besonders interessiert, ist die Leistungsentwicklung in den späteren Lebensjahrzehnten, weit nach den Vierzigern. Sie wissen sicher aus eigener Erfahrung, dass sich der wahre Verfall erst ein paar Jahre später einstellt. Schauen wir uns das also mal genauer an.

WIR ERFAHREN MEHR über unsere Bedürfnisse, wenn wir uns anschauen, was aktive, fitte und hochmotivierte ältere Menschen zu leisten in der Lage sind.

Wenn wir uns Leistungen im Ausdauersport nach Altersklassen ansehen, erhalten wir eine gute Vorstellung davon, was ältere Athleten zu leisten imstande sind. Hier kommt die wissenschaftliche Forschung zu den Symptomen des Alterns ins Spiel. Das Problem mit vielen der relevanten Studien ist aber, dass sie jeweils einen weit gefächerten Querschnitt verschiedener Altersklassen nach Geschlecht betrachten. Das bedeutet, dass sie eine große Bandbreite an individuellen Fähigkeiten nebeneinanderstellen – die Unterschiede zwischen den besten und den schwächsten untersuchten Personen sind oft enorm. Hinzu kommt, dass nicht nur die Physiologie, sondern auch die Motivation eine wichtige Rolle für die Leistung spielt. Manche Menschen bringen einfach nicht die Motivation auf, hart zu trainieren und sich im Wettkampf auch nur annähernd bis an ihre Grenzen zu verausgaben.

Je mehr Menschen sich dem Ausdauersport widmen (und ihre Zahl ist in den letzten 30 Jahren stetig gewachsen), desto größer ist auch der Anteil derer, für die es bei Wettkämpfen weniger um die Leistung als um soziale Aspekte geht. Diese Entwicklung verwässert die Daten, so dass allein anhand der Resultate in verschiedenen Altersklassen schwierig zu beurteilen ist, wie sich das Altern auf das Leistungsvermögen voraussichtlich auswirken wird.

Betrachtet man stattdessen die Resultate der leistungsstärksten Athleten, also des fittesten Segments der Bevölkerung, in gängigen Ausdauersportarten, erhält man eine wesentlich bessere Vorstellung davon, welche Grenzen der menschlichen Leistungsfähigkeit gesetzt sind und wie rasch sich der Verfall mit dem Alter vollzieht. Sehen wir uns also einmal in verschiedenen Ausdauerwettbewerben mit Zeitnahme die Bestzeiten von nationalen und internationalen Rekordhaltern nach Altersklassen an. Erlebt auch die Elite mit dem Alter massive Leistungseinbrüche? Schauen Sie sich einmal an, was Ihre Altersgenossen, vielleicht sogar in Ihrer Sportart, zu leisten imstande sind. Sie werden staunen.

Die Abbildungen 1.1a, 1.1b, 1.1c und 1.1d zeigen, jeweils unterteilt nach Altersklassen und Geschlecht, die Weltrekorde über 1.500 Meter Schwimmen und im Marathonlauf2, die Bestzeiten beim Ironman Hawaii3 sowie den US-Rekord im 40-Kilometer-Einzelzeitfahren. Auf der linken Seite jedes Diagramms (der y-Achse) sind die Rekorde aufgeführt; unten (auf der X-Achse) sehen Sie die Altersklassen.

In den Diagrammen sind ein paar eindeutige Trends zu erkennen. Klar zu sehen ist, dass auch die besten Athleten nachlassen, wenn sie älter werden. Außerdem fällt auf, dass sich der Leistungsabfall in den Altersklassen von 50 bis 59 offenbar leicht beschleunigt (die Zeiten werden langsamer, wie die aufsteigenden Kurven anzeigen). Am deutlichsten ist der Rückgang beim Schwimmen und beim Langdistanz-Triathlon. Zu erkennen ist auch, dass die Leistungen der Frauen etwas schneller nachlassen als die der Männer, insbesondere beim Marathon und beim Ironman. Schwimmen scheint den geringsten geschlechtsspezifischen Rückgang aufzuweisen. Ab Mitte bis Ende 70 verzeichnen die Rekordhalter aller Disziplinen einen deutlichen Leistungsabfall.

Was diese Diagramme zeigen, stimmt im Großen und Ganzen mit ähnlichen Studien über Spitzensportler in anderen Wettbewerben überein. So untersuchten Forscher beispielsweise die Leistungen älterer Teilnehmer (50 und älter) bei den U.S. National Senior Olympic Games von 2001.4 Die Leistungen sowohl der Männer als auch der Frauen ließen im Alter von 50 bis 85 jährlich um etwa drei bis vier Prozent nach, jedoch in höherem Maße ab 75. Eine andere Studie nahm die Ergebnisse der US-Meisterschaft im Masters-Schwimmen von 1991 bis 1995 unter die Lupe.5 Die Forscher stellten dabei einen stetigen und linearen Abfall der Leistungen bis etwa zum 70. Lebensjahr fest, danach begannen die Leistungen, wesentlich rasanter nachzulassen. Außerdem fanden sie heraus, dass Frauen einen größeren Leistungsrückgang verzeichneten als Männer.

In anderen Studien wurden ähnliche Leistungsrückgänge auch bei Masters-Schwimmern6 und Triathleten7 beobachtet. In der Triathlon-Studie ließen die Ironman-Leistungen in stärkerem Maße nach als diejenigen über die (kürzere) Olympische Distanz in der gleichen Altersklasse. Die Forscher vermuteten, dass der stärkere Leistungsabfall auf der Ironman-Distanz das Resultat einer erhöhten Verletzungsanfälligkeit sowie einer sich rascher verringernden aeroben Kapazität sein könnte, denn Athleten, die längere Distanzen bestreiten, trainieren in der Regel mit größerer Dauer und geringerer Intensität als diejenigen, die auf kürzere Strecken spezialisiert sind. Dies sind entscheidende Leistungskriterien, auf die wir in den folgenden Kapiteln noch viele Male zurückkommen werden.

ABBILDUNG 1.1A Schwimmweltrekorde über 1.500 Meter


Quelle: Übernommen aus L. B. Ransdell, J. Vener und J. Huberty, »Masters Athletes: An Analysis of Running, Swimming and Cycling Performance by Age and Gender«, Journal of Exercise Science and Fitness 7 (2) (2009): S61-S73.

ABBILDUNG 1.1B US-Rekorde im 40-Kilometer-Einzelzeitfahren


Quelle: Übernommen aus L. B. Ransdell, J. Vener und J. Huberty, »Masters Athletes: An Analysis of Running, Swimming and Cycling Performance by Age and Gender«, Journal of Exercise Science and Fitness 7 (2) (2009): S61-S73.

ABBILDUNG 1.1C Weltrekorde im Marathonlauf


Quelle: Übernommen aus L. B. Ransdell, J. Vener und J. Huberty, »Masters Athletes: An Analysis of Running, Swimming and Cycling Performance by Age and Gender«, Journal of Exercise Science and Fitness 7 (2) (2009): S61-S73.

ABBILDUNG 1.1D Ironman-WM Altersklassenrekorde


Quelle: Übernommen aus L. B. Ransdell, J. Vener und J. Huberty, »Masters Athletes: An Analysis of Running, Swimming and Cycling Performance by Age and Gender«, Journal of Exercise Science and Fitness 7 (2) (2009): S61-S73.

Manche dieser dramatischen Veränderungen um das 70. Lebensjahr herum können natürlich auch bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungen geschuldet sein. Die Lauf- und Fitness-Welle setzte Anfang der 1970er Jahre ein, als die ältesten der Baby-Boomer gerade Ende 20 waren. Heute sind sie Mitte bis Ende 60, und eben aus dieser Generation stammen die Sportler, die heute sämtliche Rekorde in ihren Altersklassen brechen.

Die Aufbaugeneration der zwischen 1929 und 1945 Geborenen hingegen, die den Baby-Boomern vorausging, hatte mit Sport und Fitness nicht viel am Hut. Die Werte und Lebensweise dieser Menschen waren von den Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise, des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Kriegs geprägt. Körperliche Ertüchtigung, insbesondere der beschwerlichen Art, spielte da in der Freizeit eine untergeordnete Rolle. Tatsächlich war sie sogar eher verpönt. Die Leute konzentrierten sich auf Karriere und Familie statt auf den Sport und andere »unnütze« Aktivitäten. Die Leistungsabfälle, die in den Diagrammen in den Altersklassen jenseits der 70 zu erkennen sind, könnten sich in den nächsten Jahren, wenn die Baby-Boomer dieses Alter erreichen, demnach deutlich verändern. Gut möglich, dass sich die Zeiten in den Klassen ab 70 schon bald erheblich verbessern. Immerhin schreibt diese Generation schon seit Jahrzehnten die Rekordbücher um. Freilich ist das reine Spekulation von meiner Seite.

Angesichts dieser Zahlen können wir offenbar davon ausgehen, irgendwann in unseren Fünfzigern deutlich langsamer zu werden und einen kontinuierlichen Leistungsrückgang zu erleben, bevor es jenseits der 70 rapide bergab geht – oder? Nun ja, möglich ist das, aber zwangsläufig muss es nicht so sein. Wie es sich im Einzelfall letztlich verhält, hängt in hohem Maße von den individuellen genetischen Voraussetzungen ab. Und auch von der Ernsthaftigkeit, mit der die jeweilige Person nach sportlichen Höchstleistungen strebt.

Gesetzt den Fall, dass Sie derzeit die Veränderungen durchmachen, vor denen auch die Besten der Welt nicht gefeit sind, lauten die wichtigsten Fragen: Warum finden diese Veränderungen statt? Was kann man tun, um sie aufzuhalten? Mit den Antworten auf die erste Frage werden wir uns in den nächsten beiden Kapiteln beschäftigen. Der zweiten Frage widmen wir uns dann in Teil II, wo wir näher darauf eingehen, wie wir den Auswirkungen des Alterns auf die Leistungsfähigkeit entgegenwirken können. Einstweilen wollen wir uns aber anschauen, was uns die wissenschaftliche Forschung über das Altern und sportliche Leistungsfähigkeit zu sagen hat. Die Einblicke sind faszinierend und bieten ein paar wichtige Erkenntnisse dahingehend, welche Wege Sie einschlagen sollten, um ein hohes Leistungsniveau aufrechtzuerhalten.

Die Wissenschaft des Alterns

Da es in diesem Kapitel darum geht, den Alterungsprozess zu verstehen, und uns dies am besten mittels der Wissenschaft gelingt, sollten wir zunächst einen Blick darauf werfen, wie die entsprechenden Studien durchgeführt wurden. Das mag wie ein belangloses Detail erscheinen, aber es wird uns dabei helfen, uns nicht mit Daten aufzuhalten, die unseren »unnormalen« Zwecken nicht dienlich sind. Sehen wir uns also genauer an, wo die Daten herkommen und wie wir sie sinnvoll nutzen.

Wie alle anderen auch sehen sich Wissenschaftler in ihrer Arbeit mit allerlei Problemen konfrontiert. Eines dieser Probleme besteht darin, die Forschungen überhaupt finanziert zu bekommen – irgendwie muss das ganze Gerät und Personal schließlich bezahlt werden. Finanzielle Mittel sind generell knapp und stammen vor allem aus vier Quellen: Staat, Wirtschaft, Stiftungen und Universitäten. Weil Geld schwer zu beschaffen ist, suchen Forscher in der Regel auch immer nach Möglichkeiten, die Kosten einzudämmen. Wenn es also darum geht, das Altern und physische Leistungsfähigkeit zu erforschen, könnten sie geneigt sein, Zeit und Kosten einzusparen, indem sie »Querschnitt«-Studien durchführen, die einen schnellen Überblick über das jeweilige Thema liefern.

Querschnittstudien arbeiten mit der Prämisse, dass die ausgewählten Testpersonen eine repräsentative Stichprobe ihrer Alters- und Aktivitätsgruppe darstellen. Wollen wir zum Beispiel die Auswirkungen des Alterns auf einen physiologischen Indikator der Leistungsfähigkeit wie die Körperzusammensetzung erforschen – also wie dick oder schlank ein Sportler ist –, können wir das Körperfett einer Gruppe von Athleten um die 20 und einer weiteren Gruppe von Athleten um die 60 messen. Wir können dann davon ausgehen, dass die Unterschiede zwischen den beiden Gruppen dem Alter geschuldet sind. Das Problem mit dieser Annahme ist freilich, dass es für die Körperzusammensetzung auch andere Faktoren geben kann, zum Beispiel die Art des Trainings, das die Probanden verfolgen (die meisten Studien schauen sich nur den Umfang an, nicht aber die Intensität), oder auch scheinbar eher unbedeutende Details wie Einkommen, Lebensweise, Familienstand, vor dem Fernseher verbrachte Zeit, Ernährung, soziale Gepflogenheiten, Interessen abseits des Sports und vieles mehr.

All diese Dinge wirken sich in gewissem Maße auf die Körperzusammensetzung aus. Fähige Wissenschaftler sind möglicherweise in der Lage, manche dieser Faktoren zu identifizieren und in den Griff zu bekommen, aber sie werden es nicht schaffen, sämtliche Eventualitäten zu berücksichtigen. Jeder Mensch ist in mancherlei Hinsicht einzigartig. In der Regel hätten die Forscher nicht genug Zeit, sämtliche Eigenheiten herauszuarbeiten, denn die Kontaktzeit mit den Probanden ist ziemlich begrenzt. Querschnittstudien sind recht einfach durchzuführen, und da sie nicht viel Zeit beanspruchen, sind sie auch relativ kostengünstig. Leider sind Querschnittstudien nicht das Maß aller Dinge, wenn es um das Altern geht.

Die besten Studien über das Altern sind Longitudinal- bzw. Längsschnittstudien. In solchen Längsschnittstudien werden dieselben Probanden über einen längeren Zeitraum hinweg beobachtet und regelmäßig getestet und vermessen. Die Forscher lernen die Trainings- und Lebensgewohnheiten der Testpersonen kennen, wie sie sich ernähren und wie aktiv sie sind und noch einiges mehr. Wie Sie sich vorstellen können, ermöglichen Längsschnittstudien wesentlich aussagekräftigere Rückschlüsse über die Auswirkungen des Alterns auf die Körperzusammensetzung und andere physiologische Leistungsfaktoren. Je länger die Studie, desto besser. Man muss sich aber darauf einstellen, viel Zeit und Geld zu investieren – Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte. Die Studie wird vielleicht erst in 10 oder 20 Jahren veröffentlicht. Das ist eine ziemlich lange Zeit, um eine begrenzte Menge an Daten zusammenzutragen. Aber um den Alterungsprozess zu verstehen, sind dies die Studien, mit denen wir uns aufgrund des beträchtlichen Erkenntnisgewinns, den sie gewähren, näher beschäftigen wollen.

Um zu verstehen, worauf wir mit diesen ganzen wissenschaftlichen Erhebungen und Forschungsergebnissen hinauswollen, sind zumindest ein paar Grundkenntnisse der Trainingswissenschaft erforderlich. Die drei entscheidenden Begriffe bei der Planung und Gestaltung Ihres Trainings sind Häufigkeit, Dauer und Intensität. Denn dies sind die drei Faktoren, die Sie im Training variieren können. Fassen wir zu jedem dieser Begriffe die entscheidenden Punkte kurz zusammen:

Häufigkeit. In den vergangenen Jahrzehnten hat die Trainingswissenschaft nachgewiesen, dass Einheiten häufig absolviert werden müssen, um optimale Ergebnisse zu erzielen.8 Sie müssen also häufig trainieren, um positive Veränderungen Ihrer Leistung zu erreichen. Große Pausen zwischen dem Training führen zu Fitnesseinbußen, die nur schwer wettzumachen sind.

Dauer. So wie bei jungen Athleten müssen auch die Trainingseinheiten von Senioren hinreichend lang sein, um physiologische Veränderungen zu stimulieren.9 Falls die Einheiten für das Rennen, für das Sie trainieren, zu kurz sind, müssen Sie sich aufgrund Ihrer schwachen aeroben Ausdauer auf eine durchwachsene Leistung einstellen.

Intensität. Mit der Intensität (also der Frage, wie anstrengend eine Trainingseinheit ist) werden wir uns in den übrigen Kapiteln ausführlich beschäftigen, denn sie ist ein ganz entscheidender Faktor für alternde Athleten.

Es gibt noch einen weiteren Aspekt, den Sie in Ihren Trainingsplänen mit Sicherheit berücksichtigen: den Umfang. Der Umfang ist nichts weiter als die Kombination aus Häufigkeit und Dauer – also wie oft Sie Trainingseinheiten bestimmter Länge während eines gegebenen Zeitraums absolvieren. Wenn Sie beispielsweise in einer Woche sechs zweistündige Einheiten absolvieren, beträgt Ihr Umfang für diese Woche zwölf Stunden.

Lassen Sie uns nun diese graue Theorie auf richtige Sportler anwenden.

Forschung über das Altern

Um uns Längsschnittstudien über ältere Athleten anzuschauen, müssen wir logischerweise einen Schritt zurück in der Zeit machen.

Bruce Dill und seine Kollegen vom Fatigue Laboratory der Universität Harvard zählten zu den Ersten, die wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Physiologie auf das Training anwandten. Sie führten die wahrscheinlich erste Längsschnittstudie über das Altern bei Athleten durch, die nicht zuletzt auch durch ihren zeitlichen Umfang bekannt geworden ist: Mehr als 20 Jahre dauerte die 1936 begonnene Studie.10 Im ersten Jahr wurden 16 hochklassige Langstreckenläufer auf verschiedene Faktoren getestet, darunter ihre aerobe Kapazität bzw. maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max). Dabei handelt es sich um ein Maß der Fitness, das angibt, wie viel Sauerstoff ein Athlet im Zustand der Ausbelastung aufnehmen kann. Sie werden die VO2max als ein wesentliches Kriterium für die Leistungsfähigkeit im Alter kennenlernen, und wir werden in den folgenden Kapiteln noch öfter darauf zurückkommen.

Unter den 16 hochkarätigen Probanden von Dill war ein bekannter Läufer von der Indiana University namens Don Lash. Lash hielt damals den Weltrekord über die Zwei-Meilen-Distanz (8:58 Minuten) und hatte einen US-Rekord über 10.000 Meter aufgestellt (31:06 Minuten).11 Dill erwartete, bei einem Athleten dieses Kalibers eine außergewöhnliche VO2max zu messen, und er wurde nicht enttäuscht. Lash brachte es auf herausragende 81,4 ml/kg/min (den ganzen physiologischen Kauderwelsch erläutere ich in einem späteren Kapitel; einstweilen müssen Sie mir einfach glauben, dass dies ein beeindruckender Wert ist). Damals setzten nur wenige College-Läufer ihr Training fort, nachdem sie ihren Abschluss gemacht hatten. Zu dieser Zeit hatten die Leute einfach andere Sorgen. Don Lash bildete eine Ausnahme. Er machte nach dem College mit dem Laufen weiter, wenn auch mit geringerer Intensität und kleineren Trainingsumfängen. Mit 49 Jahren lief er noch rund 45 Minuten am Tag. (Was damals übrigens nicht als kurze Dauer für eine Trainingseinheit galt. Als Roger Bannister 1954 die Vier-Minuten-Schallmauer über die Meile durchbrach, lief er ebenfalls nur rund 45 Minuten am Tag und in der Regel lediglich an fünf Tagen in der Woche. Bis in die 1970er Jahre hinein war es unter Läufern üblich, Training am Wochenende zu vermeiden. Tja, so ändern sich die Zeiten…)

Im Alter von 49 Jahren ließ sich Lash erneut von Dill testen. Knapp 25 Jahre nach dem ersten Test im Labor von Harvard war seine VO2max von 81,4 auf 54,4 gesunken – ein Rückgang um 33 Prozent. Mit etwa 1,3 Prozent pro Jahr ist das gar nicht mal so viel. Sehr wenige Menschen um die 50 weisen ein so hohes Fitnessniveau auf. Die anderen 15 Läufer, die 1936 zusammen mit Dill getestet worden waren, hatten den Sport inzwischen längst aufgegeben. Wie nicht anders zu erwarten, waren ihre Einbußen angesichts der geringen Aktivität wesentlich größer – im Schnitt kamen sie auf einen Rückgang von rund 43 Prozent. Das sind mehr als 1,7 Prozent pro Jahr. Tatsächlich wiesen sie damit eine VO2max auf, die sich kaum von ihren inaktiven Zeitgenossen unterschied, die nie gelaufen waren.

Was können wir aus Dills Forschungen über das Altern lernen? Eine Erkenntnis ist, dass eine gute Kondition in jungen Jahren offenbar keine Garantie dafür ist, auch im Alter noch fit zu sein. Das bestätigt eine alte Weisheit, mit der Sie sicher vertraut sind: Use it or lose it – mit anderen Worten: Wer rastet, der rostet. Mit dieser Lehre werden wir uns später noch ausführlich beschäftigen.

Vielleicht verrät uns die Geschichte von Don Lash außerdem etwas über die beiden wichtigsten Komponenten des Trainings: Umfang und Intensität. Sowohl die Dauer seiner Trainingseinheiten als auch vor allem deren Intensität ließen im Laufe der Jahre nach. Als Folge des geringeren Trainingspensums büßte Lash offenbar einen Teil seiner Fitness ein. Oder wäre dies aufgrund seines Alters ohnehin passiert? War der Verfall seinen Genen zuzuschreiben oder seinem verringerten Training? Gehen wir dieser Frage anhand einer weiteren Längsschnittstudie nach. Diesmal müssen wir nicht ganz so weit zurückgehen.

Eine weitere wichtige Figur auf dem Gebiet der Trainingsforschung, die in just jenem Jahr zur Welt kam, in dem Don Lash in Harvard von Bruce Dill getestet wurde, war Michael Pollock (er starb 1998). Als Direktor des Institute for Aerobics Research in Dallas, Texas, leitete er eine der anderen klassischen Längsschnittstudien über das Altern.12

In den 1970er Jahren ermittelte Dr. Pollock in seinem Labor in Texas die VO2max und Körperzusammensetzung von 24 Altersklassen-Athleten im Alter von 42 bis 59, die als Läufer über die Mittelstrecke antraten. Zehn Jahre später wurden sie erneut getestet. Sämtliche Probanden waren in der Zwischenzeit weiterhin gelaufen, aber nur elf von ihnen bestritten noch Rennen. Die anderen 13 hatten sich aus dem Wettkampfsport zurückgezogen und ihre Trainingsintensität entsprechend verringert. Sie waren etwa 90 Sekunden langsamer pro Meile als in den vorigen Tests. Im Wesentlichen waren sie zu der Trainingsform übergegangen, auf die sich viele Sportler jenseits der 50 verlegen: Long Slow Distance (LSD), also lange Ausdauerläufe. Beide Gruppen trainierten weiterhin in etwa die gleichen Umfänge, die sie zum Zeitpunkt des ersten Tests absolvierten (die Wochenumfänge wichen um maximal sechs bis sieben Kilometer vom früheren Niveau ab).

Was also fand Dr. Pollock heraus? Die Gruppe der Läufer, die weiterhin Wettkämpfe bestritten und hohe Intensitäten trainierten, verzeichnete einen geringfügigen Rückgang der VO2max um 1,6 Prozent, von 54,2 auf 53,3 ml/kg/min. Das ist erstaunlich wenig für einen Zeitraum von zehn Jahren. Ganz anders war es der Gruppe derjenigen ergangen, die nur noch Dauerläufe unternahmen: Ihre VO2max war von 52,5 auf 45,9 ml/kg/min gefallen – ein Rückgang von mehr als zwölf Prozent in zehn Jahren. Das war in etwa die Größenordnung, die auch bei Lash gemessen wurde, der sich ebenfalls dem LSD-Training zugewandt hatte.

Dabei beließ es Pollock aber nicht. Er ließ weitere zehn Jahre verstreichen und testete erneut 21 der ursprünglich 24 Athleten, die jetzt in ihren Sechzigern und Siebzigern waren.13 Neun von ihnen trainierten nach wie vor mit hoher Intensität, zehn unternahmen LSD-Läufe mit moderater Intensität, und die beiden übrigen hatten sowohl Trainingsumfang als auch -intensität erheblich reduziert.

Die neun Probanden, die weiterhin belastungsintensives Training unternahmen, hatten in den weiteren zehn Jahren, die verstrichen waren, 15 Prozent ihrer VO2max eingebüßt, ein Rückgang von 53 auf 45 ml/kg/min – also um etwa 1,5 Prozent pro Jahr. Nicht schlecht.

Und die zehn, die mit moderater Intensität weitertrainiert hatten? Sie verzeichneten einen Rückgang um 14 Prozent. Moment mal – wie kann es sein, dass sie weniger Fitness eingebüßt hatten als die ernsthafteren Läufer? Des Rätsels Lösung verbirgt sich in ihrem Ausgangslevel. Da sie zehn Jahre zuvor ein geringeres Niveau aufgewiesen hatten, hatten sie weniger zu verlieren und ihr jährlicher Leistungsrückgang setzte sich in etwa gleichem Maße wie zuvor fort. Obwohl sie prozentual betrachtet weniger eingebüßt hatten, fiel ihre Gesamtfitness erheblich geringer aus.

Und wie war es den beiden gemütlichen Joggern ergangen? Sie hatten im Schnitt sage und schreibe 34 Prozent ihrer VO2max eingebüßt. Das sind 3,4 Prozent pro Jahr.

Die Pollock-Studie legt also den Schluss nahe, dass sowohl Trainingsumfang als auch -intensität wichtig sind, um im Alter die Fitness zu erhalten, dass die Intensität aber eine größere Rolle spielt. Falls dem so ist, lässt dies wichtige Rückschlüsse darauf zu, wie Sie Ihr Training gestalten sollten: Erhalten Sie wenn möglich Ihre Wochenumfänge aufrecht (die Trainingsstunden und -kilometer), legen Sie aber eine größere Gewichtung darauf, wie hart Ihre Trainingseinheiten ausfallen. Aber ist dies in Ihrem Alter überhaupt realistisch? Ja, das ist es, wie wir gleich sehen werden.

Schauen wir uns aber zunächst das Thema Intensität noch ein wenig genauer an. Bisher stützt sich die Schlussfolgerung, dass die Trainingsintensität mit dem Altern aufrechterhalten werden sollte und einen größeren Stellenwert genießt als der Umfang, auf nur wenige Probanden aus zwei Studien. Da dies jedoch ein ganz wesentlicher Punkt ist, sollten wir uns die Resultate einiger zusätzlicher Längsschnittstudien ansehen.

Seit der Veröffentlichung von Pollocks Arbeit wurden zahlreiche andere Längsschnittstudien über alternde Ausdauerathleten durchgeführt. Vier der eher jüngeren dieser Studien sind insofern beachtenswert, weil sie Veränderungen der VO2max in Bezug auf Trainingsumfang und -intensität untersuchen.14 Sie kamen zu ähnlichen Ergebnissen wie die Studien von Dill und Pollock. Was sie herausfanden, war im Wesentlichen, dass eine Verringerung der Trainingsintensität im Alter eine sichere Methode ist, um einen Rückgang der VO2max zu garantieren. Wie Sie später sehen werden, ist die VO2max eine der wichtigsten Voraussetzungen dafür, auch als alternder Athlet noch Höchstleistungen zu bringen. Wenn Sie weiterhin mit hohen Intensitäten trainieren, werden Sie nur einen etwa halb so starken Rückgang verzeichnen, als würden Sie nur langsame Dauerläufe absolvieren.

Fazit: Auch wenn der Umfang wichtig ist, ist die Intensität der Trainingseinheiten entscheidend. Mit anderen Worten: Es ist besser, den Umfang des Trainings zu verringern als dessen Intensität. Viele alternde Athleten machen aber gerade das Gegenteil – ein Fehler, den ich Ihnen mit meinen Anregungen in diesem Buch ersparen möchte.

Eine der jüngeren Studien förderte eine Überraschung zutage, die zu denken geben sollte.15 Die am wenigsten aktive Gruppe dieser Studie – diejenigen, die nur LSD-Training absolvierten –, verzeichnete einen Rückgang ihrer VO2max um 4,6 Prozent pro Jahr. Das ist gewaltig. Aber die Krönung: Diese Dauerläufer büßten Fitness in einem drei Mal so hohen jährlichen Maße ein wie die inaktiven Probanden der gleichen Studie. Dieses Resultat ist durch eine andere, ähnlich gelagerte Studie bestätigt worden.16 Heißt das etwa, es ist besser, sich gar nicht zu bewegen?

Die Antwort lautet eindeutig nein. Die Erkenntnis sollte vielmehr sein, dass Sie bei einer Einschränkung Ihres Trainings und insbesondere dessen Intensität einen größeren jährlichen Rückgang verzeichnen als Ihr fauler, inaktiver Nachbar, was aber auch in diesem Fall nur daran liegt, dass Sie eine viel höhere Ausgangsfitness aufweisen. Anders gesagt: Da Ihr Nachbar sich ohnehin auf ganz niedrigem Niveau bewegt, kann er auch nicht tief fallen. Sie hingegen weisen ein hohes Maß an Fitness auf und dementsprechend viel haben Sie zu verlieren, wenn Sie sich nicht mehr bewegen oder auch nur die Trainingsintensität zurückschrauben. Denken Sie daran: Use it or lose it. Wer rastet, der rostet.

Bis hierher hatten wir es mit Längsschnittstudien zu tun, die sich nicht gezielt mit der Rolle der Intensität befassten. Bei jeder dieser Erhebungen zeigte sich erst Jahre später, als sämtliche Daten über Training und Lebensweise der Probanden ausgewertet wurden, wie bedeutend die Trainingsintensität in der Tat war. Soll heißen, keine dieser Studien wurde mit der Intention aufgenommen, die Auswirkungen der Intensität auf das sportliche Leistungsvermögen zu untersuchen. Man wollte das Was ermitteln, nicht das Warum. Es waren Beobachtungsstudien, die erfassen sollten, was mit Athleten passiert, wenn sie älter werden, und nebenbei entdeckten, warum es passiert.

Wenn wir hingegen ganz gezielt die Auswirkungen der Intensität auf alternde Athleten beleuchten möchten, müssen wir uns eine andere Art von Studie ansehen, eine, bei der Häufigkeit und Dauer konstant sind, so dass als einzige Variable die Intensität bleibt. Natürlich sollte eine solche Studie weiterhin longitudinal sein – je länger, desto besser.

Eine derartige Studie zu realisieren, ist jedoch überaus schwierig, weil sie von leistungsorientierten Sportlern verlangt, ihr Training über einen längeren Zeitraum zu verändern. Das ist ein Unterfangen, auf das Athleten in keinem Alter besonders erpicht sind. Aber es gibt eine solche Studie, die die Auswirkungen der Intensität auf die Fitness untersucht hat.17 Ihr Hauptautor, Professor Douglas Seals von der University of Colorado, hat seine gesamte Karriere lang erforscht, welchen Nutzen das Ausdauertraining für ältere Menschen hat. Wer könnte unsere Fragen also besser beantworten als er?

In Seals’ Studie trainierten sieben Männer und Frauen (die erste Studie, die mir begegnete, die auch weibliche Probanden berücksichtigte) im Alter von 61 bis 67 Jahren ein Jahr lang unter Anleitung der Wissenschaftler. Die ersten sechs Monate trainierten sie mit geringer Intensität, die nächsten sechs mit hoher Intensität. Die Häufigkeit (wie oft) und Dauer (wie lang) der Trainingseinheiten blieb konstant. Neben zahlreichen anderen Merkmalen der Fitness wurde vor und nach jeder halbjährigen Phase die VO2max jedes Athleten ermittelt.

Die Ergebnisse? Nach der Trainingsphase mit geringer Intensität stieg die VO2max um zwölf Prozent. Ziemlich gut. Nach der Phase mit hoher Intensität aber stieg sie um 18 Prozent. Noch besser.

Das Fazit der Studie: Jegliche sportliche Betätigung ist gut, am meisten aber profitiert die Fitness von hartem, belastungsintensivem Training.

Was haben wir bis jetzt also gelernt? Gibt es eine klare Botschaft, die uns die Forschung vermitteln kann? Eigentlich sollte sie ziemlich deutlich geworden sein: Intensität ist der Schlüssel, um auch im Alter die Leistungsfähigkeit zu erhalten.

Belastbarkeit und Altern

Eine solche Gewichtung der Intensität wirft vielleicht Fragen auf: Können ältere Athleten sich ebenso gut an die Belastungen des Trainings anpassen wie junge? Sind sie körperlich in der Lage, hochintensive Trainingseinheiten durchzustehen?

Wie es aussieht, können sie das durchaus, zumindest auf kurze Sicht. Eine gelegentliche harte Einheit ist für jeden älteren Athleten machbar. Die eigentliche Herausforderung ist, sich von solchen Einheiten zu erholen und sie Tag für Tag, Woche für Woche zu wiederholen. Diese Aufgabe wird umso schwieriger, je älter wir werden. Das Alter ist vermutlich der entscheidende Faktor dafür, wie häufig wir solche intensiven Trainingseinheiten absolvieren können, denn die Regeneration geht umso langsamer vonstatten, je mehr Kerzen auf dem Geburtstagskuchen flackern. Mit dieser Problematik werden wir uns in späteren Kapiteln noch beschäftigen, zusammen mit der Frage, wie Sie Ihr Training am besten organisieren, um den Anpassungsprozess entsprechend Ihrer Belastbarkeit für hochintensive Einheiten zu optimieren und gleichzeitig die häufigsten Fallstricke zu vermeiden, wie Verletzungen, Burnout, übermäßige Erschöpfung und Übertraining.

Einstweilen möchte ich Ihnen eine weitere wichtige Erkenntnis ans Herz legen: Der Nutzen des harten Trainings ist nicht die Domäne der jüngeren unter den älteren Athleten. Nicht nur Senioren in den Fünfzigern und Sechzigern, sondern auch diejenigen in den Siebzigern und Achtzigern können erwiesenermaßen von hartem Training profitieren.18 Es mag durchaus gute Gründe dafür geben, nicht allzu intensiv zu trainieren, aber das Alter gehört nicht dazu. Mehr dazu später.

Der Mythos des Alterns

In unserer Gesellschaft, und selbst unter Sportlern, ist die Auffassung verbreitet, dass mit dem Älterwerden zahlreiche verheerende und unvermeidliche Veränderungen einhergehen, die sich unserer Kontrolle entziehen. Bestenfalls könne man darauf hoffen, das Schlimmste eine Weile zu verhindern, indem man täglich mehrere Handvoll Pillen in sich hineinwerfe. Parallel dazu hält sich hartnäckig der Glaube, dass ältere Menschen sich auf gar keinen Fall anstrengen dürfen. Schützen Sie Ihre zerbrechlichen Knochen, heißt es dann. Stellen Sie das harte Training ein. Vermeiden Sie es, Ihr armes Herz zu strapazieren. Lassen Sie es langsam angehen. Kümmern Sie sich um Ihren Garten oder beobachten Sie Vögel. Verhalten Sie sich Ihrem Alter entsprechend…

Ich nehme an, dass Sie auf solche Ratschläge nicht viel geben. Sie haben zweifelsohne die Erfahrung gemacht, dass das beste Gegenmittel gegen die Verheerungen des Alterns sportliche Aktivität ist. Nicht zuletzt sehen Sie das an Ihren Nachbarn. Diese mögen vielleicht dem Papier nach das gleiche Alter haben, aber physiologisch sind Sie viel jünger als sie. Sportliche Aktivität, vor allem hartes Training, ist eine wirksame Medizin. Wie wirksam diese Medizin ist, schauen wir uns im nächsten Kapitel an.

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