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DER ALTERSLOSE ATHLET
Lieber verschleiße ich, als dass ich durchroste. — JACK LALANNE, amerikanischer Fitness-Guru
Bevor es weitergeht, kehren wir noch einmal zu zwei der zentralen Themen aus Kapitel 1 zurück. Zwei der Lehren, die wir dort herausgearbeitet haben, sind ganz entscheidend für das weitere Verständnis dieses Buches. Erstens: Sportliche Aktivität hält Sie gesund und wesentlich jünger, als in unserer Gesellschaft als normal erachtet wird. Ferner muss diese Aktivität nicht besonders intensiv sein, um die Gesundheit zu fördern und Ihnen auch im Alter ein rüstiges Leben zu ermöglichen. Die Probanden aus den in Kapitel 1 beschriebenen Studien, die in erster Linie Ausdauerläufe unternahmen, waren wesentlich fitter und gesünder als diejenigen, die gar nichts taten. Sportliche Aktivität, ungeachtet der Intensität, ist eine wirksame Medizin, wenn es um die Gesundheit geht.
Zweitens, und für Sportler ebenso wichtig: Hochintensives Training erfüllt einen Zweck, der über die gesundheitlichen Aspekte hinausgeht. Es verbessert das Leistungsvermögen im Ausdauersport. Ihre Wettkampfzeiten werden besser, wenn Sie hohe Intensitäten in Ihr Training einbeziehen.
Falls Sie Sport treiben, um ein langes, aktives Leben im Kreise Ihrer Familie zu führen, und es Ihnen nicht so wichtig ist, wie schnell Sie sind, dann ist konsequentes und regelmäßiges Training jeglicher Art, inklusive Long Slow Distance, das Richtige für Sie. In diesem Kapitel untersuchen wir, warum eine solche Lebensweise so wunderbar funktioniert – denn ungeachtet der Trainingsintensität bildet die Gesundheit die Basis, auf der die Fitness gründet. Sofern Sie nicht gesund sind, bleiben herausragende Leistungen unerreichbar, egal wie hart Sie trainieren. In Kapitel 3 führen wir dann all die losen Fäden allmählich zusammen, und ich verrate Ihnen, wie Sie ein leistungsorientiertes Training aufziehen. Einstweilen werfen wir aber einen genaueren Blick auf die sportliche Aktivität und deren erstaunliche Auswirkungen auf das Altern.
Training als Medizin
Wissenschaftler, die das Altern erforschen, möchten gerne wissen, wie Sie ticken.1 Ihrer ungewöhnlichen Lebensweise als älterer, aktiver Sportler wohnt das Geheimnis von Gesundheit und Langlebigkeit inne. Viele Menschen jenseits der 60 beispielsweise haben mit Fettleibigkeit zu kämpfen, Sie aber essen vermutlich mehr und wiegen dennoch weniger als Ihre inaktiven Altersgenossen. Noch besser: Sie sind wahrscheinlich weitaus weniger gefährdet, an den Herzkranzgefäßen zu erkranken. Gleiches gilt für Typ-2-Diabetes, früher auch Altersdiabetes genannt, zu deren Risikofaktoren Übergewicht, falsche Ernährung und Bewegungsmangel zählen. Nur 13 Prozent der Menschen über 65 absolvieren an drei Tagen oder mehr in der Woche ein anstrengendes Training.2 Sie hingegen plagen vermutlich schon Gewissensbisse, wenn Sie nur einen einzigen Tag aussetzen.
Warum tun Sie sich das an? Was motiviert Sie? Warum trainieren Sie regelmäßig, wenn Sie doch auch gemütlich im Schaukelstuhl sitzen könnten? Warum zerbrechen Sie sich den Kopf über die Speisen, die Sie zu sich nehmen, und schränken Ihre Portionen ein? Wissenschaftler würden gerne erfahren, was Sie antreibt, um es an andere weitergeben zu können – wahrscheinlich in Form einer Pille, da dies die Art ist, wie wir in unserer Gesellschaft sämtliche gesundheitlichen Probleme zu lösen pflegen. Die Forscher sind eifrig auf der Suche nach Antworten. Aus zahlreichen Interviews mit älteren Athleten haben sie erfahren, dass diese aus ganz unterschiedlichen Gründen trainieren, sei es wegen der mentalen Herausforderung des Wettkampfs, des gesundheitlichen Nutzens oder des sozialen Austausches mit Gleichgesinnten.3
Es ist wohl kaum möglich, diese Motivation in eine Pille zu packen. Entweder hat man sie oder eben nicht. Die meisten haben sie nicht, ganz im Gegensatz zu Ihnen. Deswegen sind Sie nicht normal. Was also treibt Sie an?
Bislang beschränkt sich das, was die Wissenschaft über das Training und das Altern weiß, auf die Erkenntnis, dass scheinbar eine inverse Beziehung existiert zwischen dem Trainingsumfang, den ältere Menschen absolvieren, und dem Risiko eines vorzeitigen Todes, ungeachtet der Ursache.4 Einfach gesagt: Je mehr Sie sich bewegen, desto unwahrscheinlicher ist es, dass Sie früh sterben. Manche Studien nennen dazu sogar konkrete Zahlen.5 Wenn Sie im Training pro Woche um die tausend »zusätzliche« Kalorien verbrennen (streng genommen sind es Kilokalorien, aber um keine Verwirrung zu stiften, verlegen wir uns in diesem Buch auf den geläufigeren Begriff), verringert sich das Risiko eines vorzeitigen Todes um mehr als 20 Prozent. Tausend Kalorien sind nicht viel;die verbrennen Sie mit knapp zwei oder drei Stunden sportlicher Aktivität in der Woche. Das schaffen Sie auf jeden Fall, aber Ihr Trainingsumfang ist vermutlich noch wesentlich größer. Das ist gut. Je mehr Kalorien Sie verbrauchen, desto geringer ist Ihr Risiko.6
Natürlich misst sich das Leben nicht nur daran, wie alt Sie werden. Qualität ist mindestens so wichtig wie Quantität. Sein Dasein in Einsamkeit und Langeweile zu fristen, mit kaum einer Ablenkung außer ein bisschen Bewegung zwischendurch, ist freilich nicht das, was wir uns erhoffen. Lebensqualität bedeutet nicht nur, aktiv am Sport teilzunehmen, sondern auch den sonstigen Alltag tatkräftig und dynamisch zu gestalten. Vor dem Fernseher alt zu werden, entspricht im Allgemeinen nicht gerade dem, was sich ein Ausdauersportler unter Spaß vorstellt.
Die Längsschnittstudien, mit denen wir uns in Kapitel 1 befasst haben, wurden durchgeführt, um ein besseres Verständnis davon zu erhalten, was mit Athleten passiert, wenn sie altern, nicht nur hinsichtlich ihrer Leistungsfähigkeit, sondern auch in Bezug auf andere gesundheitliche Aspekte wie Körperzusammensetzung, Herzfunktion und Muskelkraft. Ganz nebenbei kamen diese Untersuchungen auch dem Geheimnis hoher Leistungsfähigkeit im Alter auf die Spur.
Ich sollte anmerken, dass es ein paar Studien gibt, die darauf hindeuten, dass extreme sportliche Betätigung wie zum Beispiel Marathonläufe oder Langdistanz-Triathlons mit hoher Intensität das Herz in übermäßiger Weise beanspruchen und Ihre Lebenserwartung im Vergleich zu anderen Athleten, die weniger und kürzere Wettkämpfe bestreiten, sogar verkürzen können.7 Es bestehen aber Zweifel an der Exaktheit dieser Studien, insbesondere hinsichtlich der Probandenauswahl, da diese auf einer freiwilligen Meldung beruhte.8 Boten sich die Testpersonen womöglich aus dem Grund von sich aus an, weil sie das Gefühl hatten, das Risiko einer Herzerkrankung zu haben? Falls dem so war, haben wir es möglicherweise mit verzerrten Ergebnissen zu tun.
Was wir auf jeden Fall festhalten können, ist, dass die Ruhe und Erholung, die Sie Ihrem Körper gönnen, von entscheidender Bedeutung sind. Wie in fast allen Lebensbereichen scheint Maßhalten der Schlüssel zum Erfolg zu sein. Für Athleten bedeutet dies, hinsichtlich der Häufigkeit der anspruchsvollsten Trainingseinheiten und Wettkämpfe bedächtig und realistisch vorzugehen. Mit dieser Frage beschäftigen wir uns in späteren Kapiteln, in denen wir untersuchen, wie Sie Ihr Training so organisieren, dass Sie den optimalen Nutzen daraus ziehen, ohne sich übermäßigen Belastungen auszusetzen. Bis dahin behalten Sie bitte im Hinterkopf, dass es durchaus möglich ist, es mit dem Training zu übertreiben. Sich regelmäßig Trainingseinheiten von hoher Intensität oder Dauer zuzumuten, kann Ihre Gesundheit und Lebenserwartung sogar beeinträchtigen. Falls Sie Zweifel an der Gesundheit Ihres Herzens hegen, ist es ratsam, mit Ihrem Arzt zu besprechen, ob eine Untersuchung nötig ist.
Von Menschen und Mäusen
Wie wir bis hierher gesehen haben, ist das, was wir uns gemeinhin unter normalem Altern vorstellen, gar nicht so normal, wie wir immer dachten. Ältere Athleten liefern dafür den Nachweis, wann immer sie bei einem Rennen an den Start gehen. Viele von ihnen bringen kontinuierlich bessere Leistungen als jüngere Kontrahenten. Sie schaffen das, weil sie die richtigen Gene mitbringen und weil sie weiterhin an ihre physischen und mentalen Grenzen gehen. Sie weigern sich, eine Zahl als Grund dafür gelten zu lassen, dies nicht tun zu können. Während das Altern hinsichtlich des Leistungsvermögens älterer Sportler zwangsläufig einen gewissen Tribut fordert, fällt er verglichen mit dem Verlust der funktionellen Leistungsfähigkeit, den »normale«, inaktive Menschen erfahren, gering aus. Die meisten Menschen »durchrosten« eher aufgrund ihrer Inaktivität, als dass sie »verschleißen«, weil sie überaktiv sind.
Hartes Training ist nicht nur für die Lebensqualität wichtig, sondern auch für die Quantität, also die Frage, wie lange wir leben. Der Wissenschaft fällt es schwer, dies zu verifizieren, denn die Ethik-Kommissionen der Universitäten halten aus naheliegenden Gründen nicht viel davon, die Lebensweise menschlicher Probanden zu manipulieren, um herauszufinden, wer länger lebt. Somit bleiben nur Studien an Tieren, um die Auswirkungen körperlicher Ertüchtigung auf Gesundheit und Lebensdauer zu untersuchen. Häufig werden für solche Forschungen Mäuse eingesetzt, denn sie haben eine recht kurze Lebenserwartung; die Auswirkungen des Alterns bei Mäusen zu erforschen, ist also vergleichsweise schnell getan.
ABBILDUNG 2.1 Gealterte, körperlich aktive und nicht-aktive Mäuse
Quelle: Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus A. Safdar, J. Bourgeois, D. I. Ogburn, J. P. Little, B. P. Hettinga, M. Akhtar, J. E. Thompson, S. Melov, N. J. Mocellin, G. C. Kujoth, T. A. Prolla und M. A. Tarnopolsky, »Endurance Exercise Rescues Progeroid Aging and Induces Systemic Mitochondrial Rejuvenation in mtDNA Mutator Mice«, Proceedings of the National Academy of Sciences USA 108 (10) (2011).
Eine dieser Studien mit Mäusen wurde vor ein paar Jahren an der McMaster University im kanadischen Hamilton durchgeführt.9 Dabei wurden Mäuse, die gezüchtet wurden, um schnell zu altern, in zwei Gruppen eingeteilt. Die eine Gruppe war inaktiv. Die andere »trainierte« drei Mal die Woche 45 Minuten lang im Laufrad, bei einem zügigen Tempo, das bei Menschen in etwa mit einem in 50 bis 55 Minuten zurückgelegten Zehn-Kilometer-Lauf vergleichbar gewesen wäre. Nach acht Monaten, was einem menschlichen Alter von etwa 60 Jahren entspräche, waren die inaktiven Mäuse schwach und grau und lagen im Sterben.
Abbildung 2.1 zeigt zwei der Testmäuse. Links eine Maus, die trainiert hatte. Rechts eine inaktive Maus im gleichen Alter (30 Wochen). Der Unterschied ihres physiologischen Alters ist nicht zu übersehen.
Alle inaktiven Mäuse waren binnen zwölf Monaten tot. Die trainierten Mäuse aber wirkten und verhielten sich im gleichen Alter noch jung. Keine von ihnen war gestorben.
Wir wissen jetzt also, dass Mäuse dank körperlicher Ertüchtigung jung bleiben und länger leben. Aber gilt das auch für Menschen?
Telomere
Außer die Kerzen auf der Geburtstagstorte zu zählen, gibt es noch andere Möglichkeiten, das Alter einer Person zu bestimmen. Eine davon sind die Telomere. Telomere sind die Kappen an den Enden der Chromosomen. Mit jeder Zellteilung verkürzen sich die Telomere. Erreichen sie jedoch irgendwann eine gewisse Minimallänge, können sie sich nicht mehr weiter verkürzen. An diesem Punkt kann sich auch die Zelle nicht mehr teilen, was den Anfang vom Ende markiert – die Seneszenz.
Da sich Telomere gut als Prädiktor der Lebensdauer eignen, nutzen Wissenschaftler sie als Kennzeichen des Zellalters und somit des physiologischen Alters, das sich vom biologischen Alter stark unterscheiden kann. Je länger die Telomere einer Zelle sind, desto jünger ist die Zelle, egal wie viele Jahre sie schon auf dem Buckel hat.
Die Länge der Telomere ist außerdem eng mit der VO2max und somit der Ausdauerleistung verknüpft. Länger ist besser, sowohl im Hinblick auf die Langlebigkeit als auch das Leistungsvermögen. Wie lang sind Ihre Telomere also? Und können Sie die Verkürzung der Telomere durch sportliches Training eindämmen?
Vor ein paar Jahren maßen Wissenschaftler der University of Colorado in Boulder die Telomere junger Testpersonen (18 bis 32 Jahre) und älterer Probanden (55 bis 72 Jahre).10 Jede der beiden Gruppen wurde nochmals in zwei Untergruppen unterteilt – die einen betrieben Ausdauertraining, die anderen verfolgten einen sitzenden Lebensstil –, so dass sich insgesamt vier Gruppen ergaben. Beim Vergleich der Telomere alter, inaktiver Probanden mit denen junger, inaktiver Testpersonen zeigte sich, dass die Telomere der älteren Studienteilnehmer um 16 Prozent kürzer waren. Sie waren wahrhaftig »alt«. Die Telomere der alten, aktiven Probanden aber waren nur sieben Prozent kürzer als die der jungen, aktiven Testpersonen. Das bedeutete, dass die Telomere älterer Athleten immerhin 13 Prozent länger waren als die ihrer inaktiven Altersgenossen. Die Länge der Telomere stand offenbar in direktem Zusammenhang mit dem Maß der sportlichen Aktivität. Die Wissenschaft kann zwar nicht erklären, warum dem so ist, fest steht aber, dass Training den Alterungsprozess verlangsamt, indem es die Telomere jung hält. Und so wie es Ihren Telomeren ergeht, ergeht es auch Ihnen. Ein weiterer Beweis dafür, dass Training eine wirksame Medizin ist.
Dank der Längsschnittstudien aus Kapitel 1 wissen wir außerdem, dass Ihre VO2max umso größer ist, je intensiver Sie trainieren. Und das bedeutet bessere Ausdauerleistungsfähigkeit. Telomere, Trainingsintensität, VO2max und sportliche Leistungsfähigkeit hängen alle auf irgendeine Art zusammen. Kann es sein, dass Sie umso länger leben, je besser Ihre aerobe Fitness ist? Diese Frage wurde von der Wissenschaft noch nicht endgültig beantwortet. Aber wie Sie sehen werden, kommen wir der Sache schon näher.11
Theorien zum Altern
Interessanterweise sind nicht alle Geschöpfe auf Erden von der Verkürzung der Telomere betroffen. Nehmen wir zum Beispiel den Plattwurm. Die Telomere dieses winzigen Wurms scheinen die unbegrenzte Fähigkeit zur Regeneration und Erhaltung ihrer Länge mitzubringen.12 Plattwürmer können jeden Teil ihres Körpers wiederherstellen – vom Gehirn bis zum Verdauungstrakt – und unendlich lange leben. Sie scheinen alterslos zu sein, ja sogar unsterblich. Wie Sie sich denken können, schauen sich manche der Wissenschaftler, die das Altern erforschen, diese Plattwürmer sehr genau an.
Das, was bei uns Menschen am ehesten an Zellen mit unendlicher Lebensdauer heranreicht, ist leider Krebs. Krebszellen sind nahezu unsterblich, weil ihre Telomere ihre Länge bewahren, wenn sie sich teilen, und somit die Seneszenz vermeiden. Das macht den Krebs zu einer so schrecklichen Krankheit.
Wie kommt es, dass bestimmte menschliche Zellen sich teilen können, ohne dass sich ihre Telomere verkürzen? Mehrere Forschungsteams versuchen, diese Frage zu beantworten. Andere erforschen, wie sich vermeiden lässt, dass die Telomere von Krebszellen ihre Länge bei der Regeneration bewahren. So könnte man der Krankheit begegnen, sobald sie auftritt.13 Die Verkürzung der Krebs-Telomere zu beschleunigen, könnte die Zellen abtöten. Leider gibt es aber auch Anzeichen dafür, dass es das Krebsrisiko womöglich sogar erhöht, wenn man beginnt, die menschlichen Telomere zu manipulieren.14 Wir haben also noch viel zu lernen über die Telomere.
Was wir sicher wissen, ist, dass Ihnen umso weniger Jahre bleiben, je älter die Zellen Ihres Körpers sind. Durch Studien an Mäusen und menschlichen Athleten ist klar geworden, dass Bewegung eine wichtige Rolle für die Lebensdauer spielt. Diese Erkenntnis steht im Zentrum eines der vordringlichen gesellschaftlichen Themen unserer Zeit: die finanziellen Kosten, die mit einer alternden Bevölkerung einhergehen. Seit den 1960er Jahren, als das Altern in den USA angesichts der wachsenden Bevölkerung sowie der Einführung von Medicare und Medicaid zu einem heißen Thema wurde, versucht die Wissenschaft zu verstehen, warum wir altern. Dabei ging es nicht nur darum, uns ein längeres Leben zu ermöglichen, sondern auch die Kosten der Gesundheits- und Sozialversicherungssysteme zu begrenzen, um die Versorgung der älter werdenden Bevölkerung zu gewährleisten. Dem U.S. Bureau of Labor Statistics zufolge wird bis zum Jahr 2020 ein Viertel der arbeitenden US-Bevölkerung über 55 Jahre alt sein und sich dem Rentenalter nähern.15 In anderen Ländern vollzieht sich eine ganz ähnliche Entwicklung, und überall stehen die Regierungen vor der Frage, wie es gelingen kann, so viele Rentner und Pensionäre zu versorgen. Den Alterungsprozess und den Gesundheitszustand älterer Menschen zu verstehen, ist entscheidend dafür, Lösungen zu finden.
Der Ausgangspunkt für jede wissenschaftliche Erkenntnis ist es, zunächst eine Theorie zu entwickeln und zu formulieren – in diesem Fall eine Theorie darüber, was das Altern verursacht. Ist die Verkürzung der Telomere eine Ursache oder lediglich eine Folge des Alterungsprozesses? Falls sie nur eine Folge ist, was viele Wissenschaftler glauben, was ist dann die eigentliche Hauptursache? Werfen wir einen kurzen Blick auf einige der gängigen Theorien der letzten 50 Jahre über die Ursachen des Alterns.
Herzschlag-Theorie
Einer frühen und mittlerweile überholten Hypothese zufolge steht allen Geschöpfen ab der Zeugung eine bestimmte Zahl an Herzschlägen zur Verfügung und wenn diese Herzschläge aufgebraucht sind, endet das Leben. Diese recht schlichte Theorie stammte aus der Beobachtung von Tieren mit schnellem Herzschlag und kurzer Lebensspanne einerseits, wie Kaninchen und Mäusen, und andererseits Tieren mit langsamem Herzschlag und langer Lebensdauer wie Elefanten und Walen. Bekanntlich weisen Ausdauerathleten verglichen mit Nichtsportlern einen sehr niedrigen Ruhepuls auf und leben zudem länger.16
Verschleißtheorie
Diese Theorie basiert auf der Prämisse, dass der Körper wie eine Maschine funktioniert. So wie eine Maschine verschleißt demnach auch der menschliche Körper mit der Zeit. Durch den ständigen Gebrauch nutzen sich die Systeme des menschlichen Körpers, wie Herz und Lunge, im Laufe des Lebens immer mehr ab. Die Verschleißerscheinungen auf molekularer Ebene führen schließlich dazu, dass diese Systeme ihre Funktion einstellen.17 Zu dem Verschleiß können außerdem Umweltfaktoren wie Sonnenstrahlung, Luftverschmutzung, Giftstoffe in Lebensmitteln und Röntgenstrahlen beitragen.
Theorie der freien Radikalen
Diese Theorie ist eine etwas komplexere Version der vorigen, und wahrscheinlich haben Sie schon von ihr gehört, denn sie war eine Zeitlang das vorherrschende Erklärungsmodell für die Ursachen des Alterns und das Auftreten von Erkrankungen in unserem Erwachsenenleben.
Während Sie atmen und Nahrung verstoffwechseln, produziert Ihr Körper Abbauprodukte, die sogenannten »Metaboliten«. Metaboliten können elektrisch neutral sein oder positiv bzw. negativ geladen, indem sie ein einzelnes Elektron freisetzen oder dazugewinnen. Die so geladenen Moleküle werden »freie Radikale« genannt. Freie Radikale streben danach, in den neutralen Zustand zurückzukehren, also suchen sie andere Zellen im Körper, um ein Elektron zu gewinnen oder zu verlieren. Dieser Prozess setzt sich kaskadenartig im Körper fort, wobei weitere freie Radikale produziert und andere Zellen beschädigt werden. Zudem schwächt er die Zellen, wodurch sie anfälliger für Krankheiten werden und der Alterungsprozess beschleunigt wird. Um diesem Kaskadeneffekt entgegenzuwirken, empfehlen Befürworter dieser Theorie die Aufnahme von radikalbindenden Antioxidantien, sogenannte Radikalfänger, sei es über die Nahrung oder als Ergänzungsmittel.
Die Theorie wurde 1956 vorgestellt, entwickelte sich bis in die 1980er Jahre zu einem populären Erklärungsmodell für den Alterungsprozess18 und brachte bald eine ganze Industrie hervor, die sich allein der Produktion antioxidativer Nahrungsergänzungsmittel widmete, wie Betacarotin, Vitamin A, Vitamin C (Ascorbinsäure), Vitamin E und Selen. Heute aber scheint die Theorie der freien Radikalen allmählich auf dem absteigenden Ast zu sein. So haben Wissenschaftler, die Würmer und Mäuse beobachteten, beispielsweise herausgefunden, dass diese Geschöpfe länger leben, wenn bestimmte freie Radikale in ihre Körper eingebracht werden.19 Das hat für einige Verwunderung gesorgt. Weiterhin deuten neuere Forschungen über einige Erkrankungen, die früher den freien Radikalen zugesprochen wurden, darauf hin, dass antioxidative Nahrungsergänzungsmittel weitgehend ineffektiv sind und vielleicht sogar eher schaden als nützen, insbesondere wenn sie im Übermaß konsumiert werden.20 Das Fazit? Es ist vermutlich nicht ratsam, den eigenen Körper mit Ergänzungsmitteln zu bombardieren. Verlegen Sie sich stattdessen auf eine ausgewogene Ernährung und ein ebensolches Trainingsprogramm, und Sie werden mit ziemlicher Sicherheit besser damit fahren.
DNA-Schaden-Theorie
Die DNA-Schaden-Theorie bringt uns zurück zu den Chromosomen, wo wir zuvor schon den Telomeren begegnet sind. Wenn Zellen sich teilen, finden natürliche Veränderungen in der DNA-Struktur statt. Wie sich gezeigt hat, gehen solche Veränderungen in den Zellen von Mäusen bis zu 7.000 Mal pro Stunde vonstatten.21 Das könnte an einem mikroskopisch kleinen Riss in einem der beiden ineinander verschlungenen DNA-Stränge bzw. deren Querverbindungen oder auch an einer Anreicherung von Ablagerungen liegen. Die betroffene Zelle ist so möglicherweise nicht in der Lage, sich zu replizieren, was einen negativen Einfluss auf die Gesundheit und Lebensdauer eines Individuums hat. Schlimmstenfalls kann die Zelle sogar absterben.22 Tiere, inklusive Menschen, haben sich dahingehend entwickelt, solche kleinen Schäden kontinuierlich zu reparieren, aber sie sind dabei nicht zu 100 Prozent erfolgreich. Manche Defekte werden übersehen und bleiben unrepariert. Die Anhänger dieser Theorie behaupten, dass diese kleinen, nicht reparierten Schäden sich im Laufe der Zeit ansammeln und erhebliche Genomveränderungen und somit den Alterungsprozess verursachen.
Theorie des programmierten Alterns
Diese Theorie behauptet, dass der Tod, und damit auch das Altern, durch die Evolution in alle Organismen eingeschrieben ist. Das bedeutet, dass – sofern nicht Umweltfaktoren oder Krankheiten dazwischenfunken – jeder Organismus, einschließlich des Menschen, eine ganz bestimmte, begrenzte Anzahl von Jahren lebt. Wir wissen beispielsweise, dass eine Arbeitsbiene etwa ein Jahr lebt und eine Maus etwa vier Jahre. Die Lebenserwartung eines Elefanten beträgt um die 80 Jahre. Die Galapagos-Schildkröte, die derzeit als das langlebigste Tier der Erde gilt, schleppt sich etwa 190 Jahre über den Planeten.
Der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge haben Menschen eine durchschnittliche Lebenserwartung von 68 Jahren, wobei diese Zahl nach Geschlecht und Lebensraum variiert.23 Frauen leben in der Regel etwa fünf Jahre länger als Männer. Das Land mit dem höchsten Sterbealter ist Japan: im Schnitt 83 Jahre. Da die Lebenserwartung mehr oder weniger festgelegt ist, so die Anhänger der Theorie des programmierten Alterns, können wir bestenfalls darauf hoffen, die externen Kräfte, die das Leben verkürzen, einzudämmen. Bewegungsmangel verkürzt definitiv das Leben, insofern ergibt diese Theorie ein Stück weit Sinn.
* * *
Bis hierher haben wir, was die Theorien über das Altern betrifft, nur an der Oberfläche gekratzt. Es gibt noch einige Erklärungsansätze mehr, aber unterm Strich bleibt festzuhalten, dass die Wissenschaft einfach noch nicht weiß, was das Altern und damit den Tod verursacht. Möglicherweise kann keine dieser Theorien das Phänomen der Seneszenz vollständig erklären und wahrscheinlich ergeben sich noch weitere neue Theorien, je mehr die Wissenschaft über das Altern erfährt, wenn sie die Generation der Baby-Boomer erforscht. Vielleicht gibt es sogar mehrere Erklärungen für das Altern.
Zwar wissen wir noch nicht, was genau die Ursache dafür ist, dass wir altern, aber möglicherweise hat die Wissenschaft ja eine todsichere Methode gefunden, den Prozess zu verlangsamen?
Langsamer Altern
Vor ein paar Jahren haben Wissenschaftler der Mayo Clinic in Rochester in Minnesota einen neuartigen Ansatz vorgestellt, um das Altern umzukehren.24 Wie Sie sich denken können, kamen bei dieser Studie betagte Mäuse zum Einsatz und nicht etwa Baby-Boomer. Die Forscher verabreichten den Mäusen eine Droge, die bewirkte, dass ihre seneszenten Zellen sich selbst zerstörten. Das sind die Zellen mit Telomeren, die sich nicht weiter verkürzen können, was anzeigt, dass die Zelle gealtert, beschädigt oder funktionsgestört ist und möglicherweise kurz vor dem Absterben steht. Scheinbar haben solche Zellen einen negativen Effekt auf benachbarte Zellen und lassen auch diese schneller altern. Die Zellen, die in der Studie behandelt wurden, befanden sich in den Augen, den Muskeln und im Fettgewebe. Und es geschah etwas Ungewöhnliches. Die betagten Mäuse schienen aus einem Jungbrunnen zu trinken. Sie entwickelten keinen grauen Star mehr, ihr Muskelgewebe verkümmerte nicht mehr und die Fettschichten direkt unter ihrer Haut dünnten nicht mehr aus, was bei Menschen die Faltenbildung verursacht. Außerdem konnten die Mäuse länger auf dem Laufrad laufen. Sie waren wieder jung geworden.
SIE ALS ATHLET haben diesen Jungbrunnen natürlich schon längst entdeckt. Sie trinken täglich daraus.
Es ist zweifelhaft, dass die Entfernung seneszenter Zellen jemals zu einer gängigen »Therapie« für alternde Menschen wird. Aber diese Forschungen wecken die Hoffnung, dass das Altern womöglich eines Tages mittels einer Pille verlangsamt, wenn nicht gar komplett umgekehrt werden kann.
Sie als Athlet haben diesen Jungbrunnen natürlich schon längst entdeckt. Sie trinken täglich daraus. Die wirksamste »Pille« gegen das Altern, die Menschen zur Verfügung steht, ist körperliche Aktivität.
Wir wissen mit Sicherheit, dass Training den Alterungsprozess verlangsamt, wenn nicht sogar umkehrt. Das ist im Wesentlichen das, was wir bei den Läufern aus den in Kapitel 1 erörterten Längsschnittstudien gelernt haben. Funktionelle Leistungsfähigkeit, sei es, sich ohne fremde Hilfe aus dem Stuhl zu erheben oder eben einen Zehn-Kilometer-Lauf zu bestreiten, ist einer der besten Indikatoren dafür, wie alt Sie wirklich sind. Sportliche Aktivität hilft zu verhindern, dass Ihre Telomere sich im gleichen Tempo verkürzen wie die Ihrer Nachbarn. Schauen wir uns also mal an, wie genau das vonstattengeht.
Stammzellen
Was genau dazu führt, dass Zellen mit dem Alter abgebaut werden, wird von der Wissenschaft noch nicht vollständig verstanden. Entzündungen, traumatische Verletzungen und Erkrankungen können für ihren Verfall gewiss eine Rolle spielen. Eine weitere häufige Ursache und die in der westlichen Welt vielleicht sogar verbreitetste ist Inaktivität. Die Antwort auf die Frage, warum Inaktivität zum Zellabbau führt, scheint in den Stammzellen begründet zu liegen. Das sind mikroskopisch kleine Zellorgane, die in Aktion treten, wenn es gilt, beschädigte Muskelzellen zu reparieren.
In den Muskeln junger Menschen wimmelt es vor Stammzellen. Mit fortschreitendem Alter sterben die Stammzellen jedoch langsam ab, was zu Sarkopenie führt – Muskelabbau. Die Muskeln werden nicht länger erhalten. Forschungen an der Universität Tel Aviv haben aber gezeigt, dass körperliche Aktivität der Schlüssel dafür ist, Überleben und Funktion der Stammzellen zu sichern.25
In der Studie aus Tel Aviv lief eine Gruppe ehemals inaktiver Ratten verschiedenen Alters 13 Wochen lang täglich 20 Minuten auf dem Laufband. Eine andere Gruppe Ratten diente als Kontrollgruppe. Der Kontrollgruppe wurde gestattet, inaktiv zu bleiben – das heißt, die Muskeln dieser Ratten wurden kaum beansprucht. Wie Sie sich nach allem, was Sie bisher gelesen haben, wohl denken können, verzeichneten die aktiven Ratten einen Zuwachs ihrer Muskelstammzellen. Das Ausmaß der Steigerung hing dabei vom Alter ab – aber nicht in der Weise, wie man vielleicht erwarten würde. Die jüngeren Ratten verzeichneten einen Zuwachs von 20 bis 35 Prozent ihrer Stammzellen. Die älteren Ratten aber erzielten eine sogar noch größere Steigerung: um 33 bis 47 Prozent. Richtig gelesen: Der prozentuale Zuwachs an Muskelstammzellen fiel bei den älteren Probanden größer aus als bei den jüngeren. Die inaktiven Ratten hingegen, die nur herumlagen, fraßen und schliefen, büßten mit dem Alter Stammzellen ein.
Ich weiß, was Sie denken: Bis jetzt klingt das ja alles sehr erfreulich, sofern man ein Nagetier ist – aber Menschen sind nun mal anders. Sie haben recht: Menschen sind anders, aber eben nur in gewissem Maße. Forschungen an Menschen, die sowohl Ausdauer- als auch Krafttraining betrieben, haben gezeigt, dass solches Training eine Kaskade natürlicher Moleküle im Gewebe rund um die trainierten Muskeln erzeugt, was die Stammzellenaktivität stimuliert.26 Es sind also nicht nur die Muskeln von Ratten und Mäusen, die von körperlicher Aktivität profitieren. Die Forschungen haben weiterhin gezeigt, dass hochintensives Training einen größeren Nutzen erzielt als ein wenig lockeres Herumtraben.27 Dieser Befund gilt für Ältere ebenso wie für Jüngere.28
Wo sind uns die Vorzüge hochintensiven Trainings schon einmal begegnet? Erinnern Sie sich an die Längsschnittstudien mit Läufern? Umso höher die Intensität ihres Trainings ausfiel, desto langsamer ließ ihre Fitness nach. Könnte es daran liegen, dass ihre Stammzellen die Muskeln erneuerten? Das ist sicherlich denkbar. Aber auch ohne einen hieb- und stichfesten Beleg für die Beteiligung von Stammzellen bleibt unter dem Strich ein weiterer Nachweis dafür, dass Training die Gesundheit der Muskeln fördert und Sie jünger hält, als es die nackte Zahl Ihrer Lebensjahre aussagt. Sie altern langsamer.
Okinawa
Gibt es neben dem Training vielleicht noch andere Möglichkeiten, den Alterungsprozess zu verlangsamen? In Interviews mit Menschen, die 100 Jahre alt geworden sind, trugen diese Supersenioren alle möglichen Gründe für ihre Langlebigkeit vor. Manche schworen darauf, täglich eine Zigarre zu rauchen, andere haben in ihrem ganzen Leben keinen Tabak angerührt. Manche rauchten Marihuana, andere nicht; manche tranken eine Menge Alkohol, andere gar keinen. Manche aßen Fleisch, manche aßen jede Menge Fett, manche ausschließlich Gemüse. Manche blieben aktiv, andere saßen auf der Veranda. Es macht Spaß, diese Interviews zu lesen, aber sie geben uns keine nützlichen Leitlinien an die Hand, wie wir unser Leben leben sollten.
Weitaus vielversprechender ist es, sich die Lebensweise einer größeren Zahl älterer Menschen anzuschauen und zu erforschen, was sie außer guten Genen gemeinsam haben. Die Faktoren, auf die wir dabei stoßen, sind möglicherweise nicht so effektiv wie körperliche Ertüchtigung, denn wie wir gesehen haben, ist Bewegung die wohl wirksamste Methode, dem Altern entgegenzuwirken. Aber eventuell gelingt es uns mit ein paar anderweitigen Veränderungen unserer Lebensweise, den Prozess noch ein wenig zu verlangsamen.
Den Alterungsprozess zu verlangsamen, bedeutet auch, längere Zeit gesund und aktiv zu bleiben. Indem wir uns die Lebensweise von Hundertjährigen anschauen, entdecken wir vielleicht ein oder zwei dieser kleineren Jungbrunnen. Freilich kann es sein, dass die Leute einfach nur das Glück hatten, die richtigen Eltern zu haben. Aber möglicherweise stoßen wir auch auf einige Gemeinsamkeiten, die uns Hinweise darauf geben, wie es uns gelingen kann, auf zellularer Ebene jung zu bleiben, mit längeren Telomeren und reichlich Stammzellen.
Die richtige Sportausrüstung im Alter | DR. ANDREW PRUITT |
Mit bald 64 Jahren auf dem Buckel falle ich als Ausdauersportler definitiv in die Kategorie der Senioren. Meine Disziplinen sind Radfahren und Skilanglauf. Als Sportmediziner mit 40 Jahren Berufserfahrung habe ich nicht nur mich selbst, sondern auch Hunderte von Patienten altern sehen. Manche Patienten kenne und betreue ich bereits, seitdem ich praktiziere. Manche waren Collegeschüler und sind heute Ende 50, andere sind inzwischen weit über 80. Während wir gemeinsam gealtert sind, habe ich einige Beobachtungen gemacht.
Die schmerzlichste Erkenntnis ist, dass wir unsere Gene ab einem gewissen Punkt nicht mehr austricksen können. In unserer Jugend und sogar in mittleren Jahren schaffen wir es, »für unser Alter« wunderbar auszusehen und uns auch so zu fühlen, wenn wir richtig essen, regelmäßig trainieren und daran denken, uns mit Sonnencreme einzuschmieren. Aber irgendwann kommt die Zeit, da wir plötzlich wie unsere Eltern und Großeltern aussehen. Die Krankheiten und Alterungsprozesse, die genetisch, historisch oder umweltbedingt sein können, holen uns schließlich ein. Ich habe dies bei Patienten, Freunden und nun auch bei mir selbst beobachtet.
Meine Eltern waren beide starke Raucher, so dass ich bis zu meinem 17. Lebensjahr Passivraucher war. Als junger Mann war ich eher ein Sprinter und explosiver Athlet. Der Verlust meiner maximalen Lungenkapazität wurde erst ab Mitte 30 zum Problem, als ich vor allem Radrennen fuhr. Heute, als Ausdauerathlet im Seniorenbereich, hätte ich die verrauchten Jahre gerne zurück – aber ohne den Qualm. Ein größeres Lungenvolumen würde mir die langen Kletterpartien am Colorado Canyon erheblich erleichtern. Meine Familie neigte außerdem zum berüchtigten Rettungsring, den viele Menschen in mittleren Jahren ansetzen. Dank Bewegung und der richtigen Ernährung gelang es mir, dies zu vermeiden, bis ich 55 war, als mich meine Gene ungeachtet meiner redlichen Bemühungen schließlich einholten.
Herz-Lungen-Erkrankungen, Körperzusammensetzung und Biomechanik sind Faktoren, die man nicht vollends kontrollieren kann. Es ist so, als würde man in einem Wagen sitzen, der nicht richtig eingestellt ist: Er fährt, vielleicht sogar schnell, aber irgendwann sind die Reifen (die Knie) ungleichmäßig abgenutzt. Mit Gelenken und Sehnen ist es ähnlich. Es ist, als gäbe es eine bestimmte Abnutzungsobergrenze, jenseits der sie anfangen zu schmerzen. Patienten klagen: »Ich laufe seit 20 Jahren und hatte noch nie Schmerzen. Was habe ich falsch gemacht?« Die Antwort lautet: Nichts – Sie haben einfach Ihr Leben gelebt. Ich möchte an dieser Stelle nicht erörtern, was im Einzelnen dann zu tun ist, aber ich für meinen Teil gebe jedenfalls nicht klein bei und ich rate Ihnen, es ebenfalls nicht zu tun. Wir müssen jedoch notgedrungen ein paar Dinge anders angehen, wenn wir älter werden.
Vor ein paar Jahren staunte ich über die scheinbar unverwüstliche Fitness meines fast 60-jährigen Kollegen Ned Overend. Ich fragte ihn, wie er das anstellte. Er antwortete: »Ich mache genau das, was ich immer gemacht habe – ich brauche nur länger dafür.« Was er damit meinte, war, dass er für einen vierwöchigen Trainingsblock inzwischen sechs bis acht Wochen brauchte. Der Grund dafür war der erhöhte Regenerationsbedarf. Gewiss war es mir nicht anders ergangen, aber bevor ich mich damit beschäftigte, hatte ich mich regelmäßig übernommen und war oft völlig ausgelaugt gewesen, weil ich mir keine ausreichende Erholung gönnte. Darüber hinaus hatte ich Aspekten wie Arbeit, Reisen und Stress zu wenig Beachtung geschenkt. Danke für den Hinweis, Ned!
Auch die Wahl der Ausrüstung spielt eine wichtige Rolle dafür, im Alter eine sportliche Lebensweise zu erhalten. Meine Sitzposition auf dem Rad ist zwar nach wie vor sportlich, aber ein wenig entspannter als früher, um Rücken, Hände und Schultern zu entlasten. Reifenwahl und -druck sind Dinge, über die wir sonst vielleicht nicht groß nachdenken, aber in diesen Fragen die richtigen Entscheidungen zu treffen, kann den Fahrkomfort erheblich verbessern. Auch die Prostata muss berücksichtigt werden. Als Senior sollte man erwägen, Druck und Vibrationen auf das Perineum zu verringern. Ich würde älteren Radfahrern grundsätzlich raten, sich hinsichtlich Materialausrichtung und -anpassung fachmännisch beraten zu lassen.
Die Laufschuhtechnologie hat in den letzten Jahrzehnten ebenfalls große Fortschritte gemacht. Auch hier gilt: Gerade ältere Läufer sollten sich von einem erfahrenen Fachmann beim Schuhkauf beraten lassen.
Auch die Arztwahl spielt natürlich eine Rolle. Ich selbst habe inzwischen einen jungen, sportmedizinisch ausgebildeten Internisten zu meinem persönlichen »Leibarzt« gemacht. Bei der Suche war mir wichtig, dass ich künftig einen relativ jungen, gut ausgebildeten Mediziner an meiner Seite haben würde, der meine sportliche Vergangenheit und Zukunft respektiert und meine fortdauernde sportliche Lebensweise unterstützt und fördert. Ich möchte nach wie vor jedes Jahr meine 8.000 Kilometer Rad fahren und 400 bis 600 Kilometer mit Langlaufskiern zurücklegen. Ich würde meinen Patienten nie sagen: »Tja, wenn es wehtut, dann lassen Sie es halt bleiben«, und ebenso wenig möchte ich, dass mir dergleichen gesagt wird. Ich empfehle Ihnen, sich für Ihre weitere sportliche Karriere ebenfalls einen persönlichen medizinischen Berater zu suchen!
Genau solche Studien sind an der Bevölkerung der Insel Okinawa, einer japanischen Präfektur im Pazifischen Ozean, durchgeführt worden. Die Bewohner von Okinawa nämlich führen seit jeher ein ungewöhnlich langes Leben, was dem Eiland den Beinamen »Insel der Hundertjährigen« beschert hat. In den Industrieländern findet man normalerweise 10 bis 20 Menschen pro 100.000 Einwohner, die 100 Jahre oder älter werden. Auf Okinawa sind es doppelt so viele – 40 bis 50 Hundertjährige pro 100.000 Einwohner29, mehr als an jedem anderen bekannten Ort der Welt.
Kann das allein an den Genen liegen? Oder spielt auch die Lebensweise eine Rolle? Ist es also eine Frage der Veranlagung oder der Umwelt? Die Antwort wird Sie vielleicht überraschen.
Jahrhundertelang war Okinawa durch seine Lage als winziges Eiland zwischen Japan und Taiwan vor äußeren Einflüssen geschützt. Die Bewohner erhielten die Lebensweise ihrer Ahnen aufrecht. Mit dem Zweiten Weltkrieg änderte sich dies. Am 1. April 1945 starteten die Amerikaner den Angriff auf die Insel. Die Kämpfe dauerten 82 Tage und bedeuteten die größte amerikanische Offensive im Pazifik. Ein Drittel der Inselbevölkerung kam dabei ums Leben. Wie Sie sich vorstellen können, brachte die Schlacht um Okinawa große Veränderungen für die Lebensweise der Bewohner mit sich. Die bedeutendsten Veränderungen traten nach der Einrichtung einer amerikanischen Militärbasis im Anschluss an den Krieg ein. Die Lebensweise der Bewohner von Okinawa wurde »verwestlicht«. Die Veränderungen machten sich vor allem in zwei Bereichen deutlich bemerkbar: körperliche Aktivität und Ernährung.
Vor dem Krieg profitierten die Hundertjährigen von Okinawa nicht nur von ihren ohne Zweifel hervorragenden Genen, sondern auch von einem Lebensstil, der von körperlicher Arbeit und viel Bewegung geprägt war.
Autos waren vor der amerikanischen Besatzung eine Seltenheit. Die traditionelle Ernährung auf Okinawa umfasste Schweinefleisch, viel frischen Fisch und reichlich Gemüse. Zucker und raffinierte Kohlenhydrate hingegen spielten kaum eine Rolle.30 Verglichen mit Festland-Japanern aßen die Bewohner von Okinawa wenig Getreide, inklusive Reis, dafür umso mehr Süßkartoffeln.31 Zudem war es uralter Brauch, gerade genug zu essen, um den Appetit zu stillen. Denn der kulturellen Tradition der Insel folgend hielten sich die Menschen an den Leitsatz »Hara Hachi Bu«, wonach man immer nur so viel essen solle, bis man zu 80 Prozent satt sei. Möglich machte dies eine Ernährung, die wenig Zucker und dafür viel Eiweiß, gesunde Fette und Ballaststoffe enthielt, denn solche Speisen zügeln den Appetit rascher. Tatsächlich belegen mehrere Studien, dass eine Beschränkung der Kalorien das Leben von Tieren zu verlängern scheint. Da liegt die Vermutung nahe, dass auch die menschliche Lebenserwartung von einer solchen Ernährungsweise profitieren könnte.32
Das alles änderte sich, als 1976 der erste McDonald’s auf Okinawa öffnete.33 Fast-Food-Restaurants sind auch dort mittlerweile enorm erfolgreich und verzeichnen gewaltige Umsätze. Heute essen die Bewohner von Okinawa genau wie die Amerikaner – Hamburger, Pommes und Softdrinks sind gang und gäbe. Die Insulaner gehen nicht mehr zu Fuß von Laden zu Laden, um die Dinge des täglichen Bedarfs zu besorgen; Shopping Malls sind allgegenwärtig und mit dem Auto leicht zu erreichen. Nachdem sie früher die schlankesten Bürger ganz Japans waren, gehören die Bewohner von Okinawa, vor allem die Männer, heute zu den dicksten des Landes, und auch ihren Status als langlebigste Bevölkerungsgruppe des Planeten werden sie wohl über kurz oder lang verlieren. Hundertjährige werden auf Okinawa bald so selten sein wie in den USA.
Darüber hinaus haben Wissenschaftler herausgefunden, dass junge Menschen, die die Insel verlassen (ebenfalls ein Trend seit dem Krieg) oder anderweitig eine westliche Ernährung annehmen, einen Rückgang der Lebenserwartung verzeichnen.34 Wie es aussieht, können auch die besten Gene gegen eine schädliche Lebensweise nichts ausrichten.
Was genau hat diese Veränderungen bei den genetisch gesegneten Bewohnern von Okinawa hervorgerufen? Liegt es an der geringeren körperlichen Aktivität, der Umstellung auf eine westliche Ernährungsweise oder der Missachtung des »Hara Hachi Bu«? Leider vermochte die Wissenschaft bislang nicht, die Veränderungen gesondert zu bewerten, um den jeweiligen Anteil am Verfall zu bestimmen. Dennoch kann man aus dem Schicksal Okinawas einige wertvolle Lehren ziehen. Die eine, auf die ich immer wieder hinweise, ist, dass körperliche Aktivität ungeachtet der Intensität das Leben verlängern kann. Das wissen wir. Belege dafür gibt es zuhauf. Die andere wichtige Erkenntnis, mit der wir uns in Kapitel 8 eingehend beschäftigen, ist, dass auch die Ernährung eine wichtige Rolle für unsere Gesundheit und Langlebigkeit spielt. Das mag für Sie keine große Offenbarung sein, aber es bereitet den Weg für das, worauf wir hinauswollen. Wir werden uns mit diesen Themen ausführlich befassen, wenn wir untersuchen, wie eine dem Alter angemessene Ernährung der Leistungsfähigkeit zugutekommen kann.
Der alterslose Athlet
Ist das Alter nur eine Zahl? Manche ältere Athleten glauben das. Sie weigern sich, ihr Alter als Ausrede zu missbrauchen. Sie beharren darauf, ungeachtet ihres Alters auf hohem Niveau zu trainieren und Wettkämpfe zu bestreiten. Sie trainieren, als seien sie noch jung und voller Energie. Infolgedessen sind sie genau das. Diese positive Einstellung schlägt sich auch in ihrer Lebensweise nieder. Essen dient der Energiezufuhr und nicht als Freizeitbeschäftigung. Bei der Auswahl der Nahrungsmittel stehen gesundheitliche Aspekte an erster Stelle und nicht die Freude am Schlemmen. Die Trainingspartner und Freunde dieser Athleten sind oft viel jünger als sie selbst und ebenfalls sehr ehrgeizig. Auch die Partner solcher alterslosen Athleten sind meist vital und jung geblieben. Sie verbindet ein gemeinsames Ziel: ein langes und gesundes Leben geprägt von Aktivität und hoher Leistungsfähigkeit.
Aber selbst eine positive Einstellung und großes Engagement können die Folgen des Alterns nicht aufhalten. Die Telomere werden weiterhin kürzer und die Stammzellen weniger. Auch die entschlossensten Sportler sind vor diesen altersbedingten körperlichen Veränderungen nicht gefeit. Aber irgendwie schaffen sie es, die negativen Auswirkungen zu verzögern und zu verringern. Deswegen möchte die Wissenschaft herausfinden, was ältere Athleten antreibt. Dieses Wissen könnte die Welt verändern. Aber niemand kennt die Antwort – außer Ihnen. Sie treiben aus vielen Gründen Sport, aber der wichtigste ist die Freude daran. Beim Training fühlen Sie sich wieder wie ein Kind. Es macht Spaß. Die Wissenschaft wird niemals eine Pille hervorbringen, die eine solche Einstellung künstlich herstellen kann. Es ist fast so, als wäre sie ein Teil unserer einzigartigen DNA.
Für ernsthafte ältere Athleten gehört zum Spaß auch große Leistungsfähigkeit. Auch diejenigen, die sich nicht mit anderen messen, treten dennoch gegen den größten denkbaren Gegner an – ihr jüngeres Selbst. Die eigenen Bestleistungen aus Zeiten zu übertreffen, als man noch jünger war, ist ein ganz besonderes Erfolgserlebnis. Vielleicht ist es schon eine Weile her, dass Ihnen das gelungen ist. Was müssen Sie tun, um wieder auf dieses Niveau zu kommen? Was hindert Sie daran, herausragende Leistungen zu erreichen? Das Problem zu verstehen, ist der erste Schritt dahin, es zu überwinden. Darum wird es in Kapitel 3 gehen.