Читать книгу Hölle in Himmel - Joe Wentrup - Страница 10

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KAPITEL VIER

Er sah nicht besonders gut aus, eher durchschnittlich, und besaß trotz aller Diätversuche einen leichten Bauchansatz.

Seine Stimme aber hatte es in sich. Wenn er in Begleitung seiner Bigband sang und man die Augen schloss, konnte man Sinatra persönlich auf der Bühne vermuten.

Und er sang. Nur lauschte niemand mit geschlossenen Augen. Das Publikum starrte ihn vielmehr mit dem kalten, abschätzenden Blick eines Schlachtermeisters an und hatte zudem Bohnen in den Ohren. Zumindest die wenigen, die er als Publikum an diesem grauen, kalten Samstagnachmittag auf dem Marktplatz ausmachen konnte, weit weg von der Bühne am Bierstand, verschanzt hinter in Krügen schalendem Gerstensaft.

Start spreadin’ the news

I am leavin’ today

I want to be a part of it

New York‚ New York

Seine Band legte sich ins Zeug, die Bläser spielten mit Nachdruck, das Keyboard führte sicher, der Schlagzeuger brachte alles auf den Punkt. Er spürte, wie seine Stimme sich beflügelt über jenen Hades emporschwang, der sich feindselig vor ihm ausbreitete.

Als ob bei dem hiesigen Motto »Himmler Schlosstage« nicht ein genitivisches »s« fehlte, dachte er mit Häme.

These vagabond shoes

They are longing to stray

Right through the very heart of it

New York‚ New York

Kahlberg saß hinter dem Steuer seines 83er Audi Quattros. Doch obwohl er bereits seit einiger Zeit nur halbherzig Gas gab, kam die Abfahrt unerbittlich näher. Widerwillig fuhr er von der Autobahn herunter, bog auf die Landstraße, rollte an einer Tankstelle sowie einem Burgerrestaurant vorbei und unter einem Eisenbahnviadukt hindurch, der sich über das enge Tal spannte.

Erstaunt bemerkte er einen vor anscheinend noch nicht allzu vielen Jahren durch den Berg getriebenen Autotunnel und erinnerte sich vage, davon gehört zu haben.

Dann fuhr Kahlberg zwischen düsteren, mit schwarzem Schiefer bedeckten Häusern zur Altstadt hinauf. Die Schaufenster der ehemaligen Geschäfte waren von innen mit Laken oder Gardinen verhängt, vereinzelt auch ersetzte zusammenhangslos exponierter Trödel die Auslagen. Auf dem schmalen Bürgersteig ging nur ein einzelner Mann in Turnhose und Parka, eine Baseballkappe gegen die Kälte tief ins bleiche Gesicht gezogen.

I wanna wake up in a city

That doesn’t sleep

And find I’m king of the hill

Top of the heap

Der Sänger und seine Bigband gaben alles. Trotz und Stolz ließen sie die höchsten musikalischen Gipfel erklimmen, zu nie gehörtem Einklang zusammenwachsen. Wäre auch nur ein musikalisches Ohr präsent gewesen, sein Besitzer hätte vor Ergriffenheit geweint. Und tatsächlich, etwas abseits, auf einem Treppenabsatz sitzend, eine Dose Bier und eine Selbstgedrehte in der Hand, entblößte jemand mit stillem Lächeln eine große Zahnlücke und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel.

These little town blues

Are melting away

I’ll make a brand new start of it

In old New York

Kahlberg sah die Bühne, bevor er die Band hören konnte. Er hielt in angemessener Entfernung und stieg ins Freie. Die Luft fühlte sich spürbar kälter an als in Düsseldorf, der Himmel hing bleiern über dem sporadisch anwesenden Publikum. Die Band klang gut. Zu gut für diesen Ort, ging es ihm durch den Kopf. Er las das große Schild über der Bühne, »Himmler Schlosstage«, bevor sein Blick auf etwas fiel, das dahinter groß und unerschütterlich aufragte. Als wären die Jahrzehnte, die Kahlberg diesen Ort gemieden hatte, nur ein Wimpernschlag gewesen, stand er an seinem Platz. Der Glockenturm.

Aus seinem Dach sah Kahlberg Flammen schlagen wie aus dem Maul eines wütenden Drachen, der versuchte, das Blei des Himmels zu schmelzen. Head of the heap‚ king of the hill. Er wandte sich ab ließ sich davontragen von der Musik die in einem Crescendo endete, come on‚ come through‚ New York‚ New York‚ New York!

Dann Stille.

Die Wolken hingen grau und reglos wie ein metallener Baldachin, der Turm stand starr und unversehrt, die schieferschwarze Kuppel im eisigen Wind, der den letzten Nachhall der Musik mit sich forttrug.

Niemand applaudierte.

Der Bandleader griff zum Mikrofon. »Die Big Bang Brass Band, zum ersten Mal in Himmel …«, er genoss die Pause mit hämischer Vorfreude, »und hoffentlich auch zum letzten Mal!«

Als die Band von der Bühne stieg, herrschte noch immer Schweigen, verständnisloses Schweigen jetzt. Konnte jemand so etwas gesagt haben? Oder hatte man sich verhört? Die wenigen Anwesenden beschlossen offensichtlich, diese Frage über ihren schaumlosen Bieren zu überdenken und blieben stumm und reglos im aufkommenden feinen Nieselregen stehen. Nur hier und da wurde ein Glas an schweigsame Lippen gehoben.

Kahlberg bemerkte erst jetzt, dass sich seine Hand bisher geweigert hatte, die Wagentür zu schließen. Einladend wartete der noch warme Sitz hinter dem Lederlenkrad auf ihn.

Er riss sich zusammen und schlug die Tür zu. Zu fest. Die versammelten Köpfe wandten sich ihm zu. Einige davon waren ihm noch gut im Gedächtnis. Zu viele. Er fragte sich, ob sie ihn auch wiedererkannten. Unwillkürlich tastete seine Hand nach dem Türgriff.

Da sah er aus einem Polizeiwagen eine Frau in Uniform steigen und auf ihn zukommen. Ihre sportliche Figur balancierte leichtfüßig auf Schuhen, gerade so hochhackig wie im Dienst zugelassen, und sie wiegte ihre Hüften weiblicher, als es die meisten seiner Kolleginnen wagten. Als sie näher kam, konnte er ein freundliches Paar Augen erkennen, das unter einem blonden Pony hervorspähte. Zwar hatte der Dienst schon ein paar Spuren in ihrem ebenmäßigen Gesicht hinterlassen, aber noch dominierte ihre Jugend.

»Hallo, ich bin Sandra Scheiwe, ich habe Sie schon erwartet«, sagte sie lächelnd und reichte ihm die Hand.

Hölle in Himmel

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