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KAPITEL SIEBEN

Kahlberg und Scheiwe liefen über einen schmalen Pfad, der zwischen hohen Hecken die Schrebergartensiedlung durchzog. Ihre Schuhe knirschten im Kies, der schwere Geruch von feuchtem Laub stieg in ihre Nasen. Deutschlandfahnen hingen schlaff im Regen. Ein Mann mit einem Hund kam ihnen entgegen und zwängte sich grußlos vorbei, Tier und Herr in der gleichen geduckten Haltung. Es begann, dunkel zu werden.

»Warum haben Sie mir nicht gleich hiervon erzählt?«, fragte Kahlberg.

Scheiwe wand sich einen Moment, bevor sie antwortete:

»Wir schauen hier weg und kümmern uns um Wichtigeres«, sagte sie. »Das ist mir wohl schon zur Gewohnheit geworden.«

Kahlberg blieb stehen und sie tat es ihm nach. Er musterte sie missbilligend.

Sie machte eine rechtfertigende Geste. »Schließlich sind wir nicht das Gewerbeaufsichtsamt.«

»Ich auch nicht.«

»Ich weiß.« Ihr Blick tastete suchend, wie der eines Kindes, das nach einem Fehler die richtige Antwort geben will. »Kommt nicht wieder vor.«

Natürlich sollte diese Floskel ihn, den Eindringling, bloß abspeisen. Trotzdem ließ er es darauf beruhen und wandte sich wieder zum Gehen.

»Wieso haben Sie eigentlich bei uns angefangen?« Er lächelte verbindlich, damit sie die Frage als Friedensangebot verstand und nicht als sarkastische Kritik.

»Ich hatte es nicht so eilig wegzukommen wie die Meisten, ich war ziemlich verliebt. Und unter den Jobs, die sich hier anboten, schien mir der hier noch der spannendste. Ich fuhr also täglich mit dem Zug zur Polizeischule nach Hagen. Drei Jahre später war ich Bulle auf Lebenszeit. Und Single.«

Sie lachten beide. Das Leben spielte bei niemandem mit, wie es sollte. Scheiwe kehrte sich eine blonde Strähne aus der Stirn und zuckte mit dem linken Unterlid, was ihren Augen einen besonderen Glanz verlieh. »Und Sie?«

»Nach meinem Psychologiestudium verstand ich die Welt keinen Deut besser als vorher und wollte dem Ungeheuer ins Auge sehen.« In Wahrheit hatte er sich aus Gleichgültigkeit beworben und zu seinem Erstaunen die Zulassung zum Studium erhalten. Da erst war ihm bewusst geworden, dass sein vorheriges Leben keine Spuren in den Akten hinterlassen hatte und die Menschen ihn nach dem Eindruck beurteilten, den er damals hinterließ. Den eines intelligenten jungen Mannes.

Scheiwe blieb vor einem Gartentor stehen. Hinter einem Gemüsebeet und einem Stück Rasen stand ein solider kleiner Bungalow.

»Wir sind da, das Ungeheuer erwartet Sie.«

Als sie eintraten, richteten sich alle Blicke auf Scheiwe oder vielmehr ihre Uniform und jede Konversation erstarb. Drinnen saß man dicht gedrängt zwischen Zigarettenschwaden und trank Bier. Auf einem Flachbildschirm lief die Liveübertragung der Partie BVB gegen Hertha. Die schwarz-gelben Schals der Anwesenden ließen keinen Zweifel daran aufkommen, auf wessen Seite sie standen.

Während der Moderator das Spiel in die Stille hinein kommentierte, schloss Kahlberg, der den Bungalow hinter Scheiwe betreten hatte, die Tür. Das kurze Eindringen frischer Luft hatte den vorhandenen Dunst nicht vertrieben, es roch nach Tabak, Alkohol und Schweiß. Er zählte neun Männer und zwei Frauen. Die Frauen roch man nicht.

»Kahle, Alter!«, brüllte plötzlich jemand und zeigte beim Grinsen seine Zahnlücke. »Kennste mich nicht mehr?«

Natürlich kannte Kahlberg ihn noch. Der ewige Sid-Vicious- Haarschnitt, die abgewetzte Lederjacke, eine Selbstgedrehte auf der Lippe. Die Zahnlücke schien aufs Doppelte gewachsen.

»Hallo Richie, lange nicht gesehen«, sagte Kahlberg, und leise zu Scheiwe: »Wie haben Sie gewusst, dass er mich erwartet?«

Ein korpulenter Mann über fünfzig stand auf und baute seine Boxernase vor ihnen auf. Wahrscheinlich der Besitzer.

»Gibt’s irgendein Problem?«, fragte er mit gedämpfter, wenn auch drohender Stimme.

Kahlberg hielt dem festen Blick des Mannes stand. »Kennen Sie Rottmann?«

»Den Politiker?«

»Er wurde heute Morgen tot aufgefunden.«

»Rottmann? Tot?« Der abweisende Gesichtsausdruck des Mannes wich ehrlicher Betroffenheit. »Gestern war er noch hier und dann sowas. Wie ist denn das passiert?«

»Man hat ihn tot aus dem Mühlengraben gezogen.«

Im Raum herrschte betretenes Schweigen. Der BVB schoss ein Tor, doch jemand stellte den Ton ab.

»Er war ganz schön voll«, sagte Richie an Kahlberg gewandt. Die Zahnlücke lag nun hinter den Lippen verborgen und sein noch immer dunkles Haar wirkte auf einmal nicht mehr frech toupiert, sondern schlicht ungekämmt. »Voller als sonst, und er rannte ständig raus, um zu telefonieren.«

»Weißt du worüber?« Kahlberg gab sich Mühe, nicht in einen Verhörton zu fallen.

»Keine Ahnung. Er pumpte ab, nahm sein Handy, rannte raus, kam wieder zurück auf’n Bier und so weiter.«

»Er war schon komisch«, sagte der vermeintliche Besitzer. »Eigentlich hätte er langsam mal Wahlkampf machen müssen. Runden schmeißen und so.«

Kahlberg wechselte mit Scheiwe die Art von Blicken, die man bei Verhören lernt. Sie nickte ihm fast unmerklich zu. Er wandte sich erneut an die Anwesenden.

»Danke. Das war’s erst mal.«

Er nickte in die Runde, winkte einen unvermeidlichen Gruß Richtung Richie und machte Anstalten, Scheiwe zu folgen, die bereits dabei war hinauszutreten, als sein alter Kumpel noch einmal den Mund aufmachte:

»Ich habe dich bei dem Konzert ankommen sehen. Geile Karre. Wollte dich gerade begrüßen, aber die da war schneller.« Seine Augen wanderten spöttisch zu Scheiwe und zurück zu Kahlberg, die geräumige Zahnlücke gut sichtbar im immer breiter werdenden Grinsen. »Also bist du jetzt ein …«

»Bulle?« Kahlberg sah ihn herausfordernd an. In Richie steckte seit jeher ein Kläffer.

Doch der hielt seinem Blick stand und hob sein Bier. »Vergiss nicht, wo du herkommst.«

Doch genau das wollte Kahlberg vergessen. Er sah ein letztes Mal in Richies herausfordernd blitzende Augen und befand sich auch schon draußen neben Scheiwe.

Als sie zum Gartentor gingen, hörten sie, wie die Partie wieder laut gestellt wurde. Der BVB vergab eine Großchance. Aus den Kehlen im Bungalow drang ein Schrei der Enttäuschung.

Während sie den Pfad zurückstapften, fiel der Regen zunehmend heftiger. Diesmal bogen sie am Ende des Weges nicht ab, sondern traten ans Ufer des Mühlengrabens. Niedergetrampeltes Gras, zahllose Zigarettenstummel. Die Stelle hätte als öffentliches Pissoir ausgewiesen werden können.

Kahlberg beugte sich über den ausgeleierten niedrigen Zaun, der das dunkle Wasser abgrenzte. Darunter verlief die brüchige Befestigungsmauer des Grabens. In den mit Gras bewachsenen Fugen zwischen den Natursteinen klaffte eine frisch gerissene Lücke. »Hier muss es passiert sein.«

Scheiwe beugte sich neben ihm über den Zaun, wobei sie sich leicht auf seine Schulter stützte.

»Ist möglich«, pflichtete sie bei.

»Ein Fall für die Taucher«, schloss Kahlberg und richtete sich auf.

»Aber es war doch ein Unfall«, wandte Scheiwe ein.

»Dachte ich auch, bis sich diese Leute so verwundert über sein aufgedrehtes Verhalten in der Todesnacht geäußert haben.«

»Er hing halt an der Flasche.«

»Er hatte seinen Pegel intus. Das war’s nicht.«

Kahlberg zog sein Handy aus der Tasche und rief eine Nummer an. Jemand meldete sich am anderen Ende mit müder Stimme und nach einigem Hin und Her war klar, dass die Taucher erst am nächsten Morgen zur Verfügung stehen würden.

Kahlberg legte auf und fluchte. Verbrechen und Wasser ergaben eine Kombination, die zur Zeit in Mode zu sein schien. Er würde die Nacht in Himmel verbringen müssen.

Hölle in Himmel

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