Читать книгу Kahlbergs Talfahrt - Joe Wentrup - Страница 13
ОглавлениеKAPITEL SIEBEN
Auf den ersten Blick wirkte die Polizeistation mit ihrem Satteldach, aus dem ein großer Erker ragte, den weißen Mauern und den unterteilten, kleinen Fenstern wie ein zweckentfremdetes Mehrfamilienhaus, oder vielmehr, dem touristischen Charakter des Ortes entsprechend, wie eine ehemalige Pension. Nicht ganz klar wurde dabei, ob das Gebäude tatsächlich einmal als Herberge diente, oder ob man von vornherein um eine Einbindung in die Umgebung bemüht gewesen war. Jedenfalls machte der den Vorgarten ersetzende Parkplatz mit den drei darauf stehenden Dienstfahrzeugen diese Absicht, wenn man sie denn je verfolgt hatte, zu einem Gutteil zunichte. Was blieb, war der Mief kleinbürgerlich kaschierter Staatsgewalt.
Kahlberg hatte seinen Quattro auf den schmalen Besucherparkplatz neben den in Silber und Blau lackierten Kombis manövriert, sich gekonnt aus dem engen Türspalt gezwängt – eine der Fähigkeiten jahrelangen Großstadtlebens – und die Personenschleuse betreten, in welcher er sich nicht lange aufhalten musste. Er wünschte sich beim Durchschreiten beinahe, jemand würde seine Dienstwaffe ziehen und ihm Handschellen anlegen; selbst das wäre besser gewesen als diese neutrale Freundlichkeit unter Kollegen, die ihm von allen Seiten entgegenschlug und seine Tarnung, wenn überhaupt noch vorhanden, gänzlich von ihm zu nehmen drohte. Doch er erwiderte die auf ihn gerichteten Blicke mit einem knappen Nicken und begann, die Treppe hinaufzusteigen.
An der Wand hingen von Kindern gemalte Polizistenbilder; meist freundlich dreinblickende Eierköpfe mit Polizeikelle, oftmals noch in der alten grünen Uniform, an denen fröhliche Schulanfänger vorüberzogen auf dem Weg in ihr vormittägliches Gefängnis. Auf einem Bild hatte der Polizist, diesmal ein blauer, seine Waffe gezogen, aus der sich eine gestrichelte Linie zum Bösewicht zog, ein präziser Strahl Geschosse, der den Halunken zur Strecke brachte. Rotes Wachsmalblut sammelte sich unter dessen Körper in einem großen Knäuel. Die Sonne lachte, der Schütze tat es auch.
Im ersten Stock kannte Kahlberg sich nicht mehr aus. Er hatte beim letzte Mal nur gesehen, dass Wiesenkötter von hier heruntergekommen war, um ihn, nach knapper Einweisung mit gesenkter Stimme, wie eine Trophäe ins Verhörzimmer zu führen. Er ging von Tür zu Tür und las die Schilder, die daneben an der Wand befestigt waren.
Aus einer der Türen trat ein Beamter.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er. In seiner Stimme schwang doch tatsächlich eine Prise Misstrauen.
»Kriminalhauptkommisar Kahlberg«, stellte Kahlberg sich vor. »Ich möchte zu Polizeihauptkommissar Wiesenkötter.«
»Kommen Sie«, forderte ihn der Beamte auf und begann, vor ihm herzugehen. »Ich hoffe er ist noch da, so kurz vor Feierabend.«
Aha, dachte Kahlberg spöttisch. Wiesenkötter hobelte also für gewöhnlich fleißig an den letzten Dienstminuten. Wie viele Stunden würden dabei wohl jährlich zusammenkommen? Nicht, dass er es ihm nicht gönnte, aber es waren halt immer die Typen, die sich am zackigsten gebärdeten.
Schließlich hielt der Beamte vor der letzten Tür und klopfte.
»Ja?«, scholl es dumpf und mißmutig durch das Resopal.
Der Beamte öffnete die Tür und schob den Kopf durch den Spalt, als legte er ihn in ein Löwenmaul.
»Hier ist ein Kriminalhauptkommissar Kahlberg, der Sie sprechen möchte«, drang seine Stimme gedämpft auf den Gang.
»Ach ja?«, hörte Kahlberg Wiesenkötter gleichgültig brummen und dann: »Schicken Sie ihn rein.«
Erleichtert zog der Beamte den Kopf aus dem Spalt und wandte sich Kahlberg zu, während er die Tür weiter aufschob.
»Bitte sehr.«
Kahlberg nickte ihm zu und betrat den Raum. Auf der Fensterbank rankten schüchtern ein paar schmächtige Topfblumen ihre Stängel in das gardinenfreie Niemandsland zwischen Amtsstube und Fensterglas. An den Wänden standen Regale voller Aktenordner. An einem ausladenden Schreibtisch, der in den Neunzigern einmal modern gewesen sein musste, saß, übellaunig auf seine Ellbogen gestützt, Wiesenkötter. Vor ihm auf der gläsernen Schreibfläche stand ein nagelneuer, eigentlich nur aus einem Flachbildschirm bestehender Computer, das PC-Plagiat einer bekannten kalifornischen Apfelmarke. Hinter ihm hing die vergrößerte Fotografie der örtlichen Skisprungschanze, eingebettet in einer verschneiten, bunt mit Skiläufern gesprenkelten Winterlandschaft. »Ich hatte Sie schon erwartet.«
Das überraschte Kahlberg nicht. Umso erstaunter ließ er sein »Ach ja?« klingen.
Wiesenkötter nahm einen Bleistift aus der hölzernen Ablage neben der Tastatur und neigte seinen massigen Kopf zur Seite. »Kommen Sie, Sie wollen mir doch nicht weismachen, Sie wüssten noch nicht, dass Sie den Fall übernehmen sollen.«
Kahlberg dankte Hahnes Taktgefühl, die Übertragung des Falles als Weisung von oberster Instanz zu inszenieren, welcher sich keiner der Beteiligten widersetzen konnte. »Man hat mich telefonisch konsultiert, ob ich dazu bereit wäre, aber es war noch nicht ganz klar, ob es dazu käme.«
Das war noch nicht einmal gelogen. Hahne hatte in einem zweiten Telefonat noch einmal seine Entschlossenheit geprüft und ihm dann mitgeteilt, es sähe gut aus und er solle sich zur Wache begeben.
»Na, kommen Sie«, lächelte Wiesenkötter gekränkt. »Und deswegen sind Sie hier wieder aufgetaucht? Weil es noch nicht ganz klar war?«
Seine fleischigen Finger schienen den Bleistift jeden Augenblick durchzubrechen.
»Tja.« Kahlberg zuckte mit den Schultern. Irgendwie tat ihm der massige Mann am Schreibtisch leid, der gerade in seinem eigenen Revier in die Schranken gewiesen wurde.
»Schon gut«, sagte Wiesenkötter erstaunlich jovial. »Da wird ein Bekannter direkt vor Ihrer Nase ermordet und es ist Ihr Beruf, solchen Dingen nachzugehen.«
»Das war ein ziemlicher Schock für mich.«
»Glaube ich Ihnen gerne.« Er legte den Bleistift zurück in die Ablage und starrte auf die dahinter stehenden Fotos, welche wohl seine Frau und seine Kinder zeigten. Die gut genährten Kleinen, ein Junge und ein Mädchen, würden nach ihm kommen, soviel stand fest. »Sie hat die Nachricht übrigens nicht gut verkraftet. Ein Arzt musste ihr ein Beruhigungsmittel verabreichen.«
Kahlberg begriff, dass Wiesenkötter Ted Jones’ Lebensgefährtin meinte, und sagte: »Das Schlimmste hat sie noch vor sich.«
Wiesenkötter nickte düster. »Das sehe ich auch so.« Dann sah er Kahlberg fragend an. »Haben Sie noch was vor?«
Der wiegte unschlüssig den Kopf. »Ich muss sehen, wo ich hier irgendwo unterkomme.«
»Da weiß ich was für Sie«, sagte Wiesenkötter verbindlich und fügte hinzu: »Außerdem haben wir noch so einiges zu besprechen und es gibt mit Sicherheit angenehmere Orte dafür als den hier.«