Читать книгу Kahlbergs Talfahrt - Joe Wentrup - Страница 14

Оглавление

KAPITEL ACHT

Es war die Art von Kneipe, die sich Kahlberg insgeheim beim Treffen mit Ted gewünscht hatte. Mit einer Holzvertäfelung aus einer Zeit, in der man noch für die Ewigkeit zu schreinern pflegte. Mit nikotingelben Wänden als trotziger Reminiszenz an die Zeit vor dem Rauchverbot. Mit rotgesichtigen Typen, von majestätisch-vollleibig wie Braunvieh bis zäh und dürr wie die knorrigen Bäume der Hochheide, die alle behäbig am Tresen durcheinanderschwatzten; nicht einmal Schlagermusik verschmutzte den Klang der vollmundigen, jovialen Stimmen. Hinter der Zapfanlage stand eine trotz ihres Alters noch immer attraktive Frau, deren Brauen sich bei der Vollendung jeder Schaumkrone konzentriert zusammenzogen. In ihrem ebenmäßigen Gesicht stand ein unentwegtes Lächeln. Weder aufgesetzt noch anbiedernd, schien es aus ihrem Innersten zu dringen, aus einer ruhenden, mütterlichen Seele.

Kahlberg saß mit Wiesenkötter etwas abseits an einem ruhigeren Fensterplate. Vor ihnen standen zwei Biere, die sie beim seichten, einleitenden Zwiegespräch bereits zur Hälfte geleert hatten.

»Hier können Sie in der Zwischenzeit gut unterkommen, die Zimmer sind angenehm und die Preise günstig«, sagte Wiesenkötter, beugte sich ein wenig weiter zu Kahlberg über den Tisch und raunzte: »Und die Wirtin ist sehr ledig.«

Kahlberg vermied jeglichen Seitenblick auf die üppige Gestalt der Wirtin, Wirtin immerhin und keine Angestellte, wie er nun wusste, und wischte übertrieben unbeteiligt über die Kondenstropfen auf seinem Glas während er antwortete: »Vollpension also, mit allem Drum und Dran.«

»Vor allem mit Drum und Dran«, ulkte Wiesenkötter und begann erneut, jene kurzen, überkandidelten Kicherlaute auszustoßen, die Kahlberg schon in der Polizeiwache zu hören bekommen hatte.

Aus notgedrungen empfundener Kollegialität pflichtete Kahlberg ihm mit einem Grinsen bei. Wiesenkötter war zwar unmöglich, aber wohl doch einer von der netten Sorte, ungeachtet der vorhergehenden Konfrontation. Kahlberg kalkulierte rasch, wie lange die Kunde von seiner Unterbringung in der Landpension bis ins Ortszentrum und von dort in alle Schichten und Kreise benötigen würde, bevor er entschied: »Perfekt, hier bleibe ich.«

Er bemerkte, wie in Wiesenkötters Gesicht erneut ein zweideutiges Grinsen aufflammte und fügte eilig hinzu: »Kommen wir zur Sache. Was haben wir bisher?«

Wiesenkötter wurde nachdenklich, er nahm einen tiefen Schluck und sagte: »Nicht viel.« Dann wischte er sich mit dem Handrücken die Lippen trocken und fügte hinzu: »Wir haben uns alle vorgenommen, die hier schon mal auffällig geworden sind, aber bisher ist dabei nichts rausgekommen.«

»Wir fischen also im Trüben und keiner geht uns ins Netz.«

»Weil es alles sehr kleine Fische sind.« Wiesenkötter zuckte mit den Achseln. »Womöglich war es jemand von außerhalb, viele kommen durch einen Touristenort wie diesen.«

»Es muss einen Grund gegeben haben, warum mich Ted hierhergebeten hat.« Kahlberg blickte Wiesenkötter fest an. »Was ist mit diesem Nolte?«

»Er hat vor ein paar Jahren mal wegen ein paar Gramm gesessen. Ein harmloser Kleindealer.«

»Mit einem großen Auto. So etwas kostet.«

»Er hat eine Skilehrerlizenz und man sagt, er veranstalte in der übrigen Jahreszeit illegale Autorennen, aber wir konnten ihm bisher nichts nachweisen.«

»Und davon kann man hier leben?«, fragte Kahlberg spöttisch. Er kam sich vor wie in einem Verhör und hätte nur zu gerne eine Wolke Zigarettenqualm in Wiesenkötters zu offen dreinblickendes Gesicht geblasen. Zum Teufel mit dem Rauchverbot, dachte er.

»Es gibt da noch etwas«, schnaufte Wiesenkötter und machte aus seiner Faszination für das nun Kommende keinen Hehl. »Unser Ort setzt bei seinen Gästen mehr und mehr auf Familien und gewisse, na, sagen wir mal Industrien, passen da nicht ins Konzept.«

»Soll heißen?« Kahlberg behielt einen kollegialen Tonfall, während sein Verlangen nach einer Zigarette stetig zunahm.

»Dass wir da besonders hinschauen.« Wiesenkötter legte eine dramatische Pause ein, aber als von Kahlberg keine Nachfrage kam, sagte er: »Nolte hat hier ein Mädchen laufen.«

»Nein, so was«, heuchelte Kahlberg übertriebenes Interesse. Seine Lungenschmacht wuchs allmählich ins Unerträglich.

»Ein Zuhälter!«, echauffierte sich Wiesenkötter, die Reaktion seines temporären Vorgesetzten tatsächlich für Entrüstung haltend. »Von so einer Lateinamerikanerin, die ausgerechnet hier ihr Glück versuchen muss.«

»Das macht ihn ja noch nicht zu einem Mörder. Ich hatte außerdem den Eindruck, dass Ted ihm wohlgesonnen war.«

»Wer weiß, weshalb. Uns hat er es jedenfalls nicht erzählt.« Wiesenkötter hob vielsagend die Brauen und leerte sein Glas, dann wandte er sich zur Wirtin und bestellte, ohne Kahlberg zu fragen, zwei weitere Biere.

Draußen war die Dämmerung hereingebrochen und der Schankraum hatte sich weiter gefüllt. Kahlberg konnte nur vereinzelt Worte aus dem beruhigenden Stimmengewirr heraushören, das ihn sogar für Augenblicke sein Verlangen nach Nikotin vergessen ließ. Schließlich jedoch wurde es übermächtig und er setzte gerade an, sich auf einen Gang vor die Tür zu entschuldigen, als die Wirtin mit dem Bier erschien und es vor ihnen auf den Tisch stellte.

»Danke, Birte«, sagte Wiesenkötter und legte seine klobigen Finger sacht um ihr Handgelenk. »Ich habe hier einen Gast für dich, der einige Nächte bleiben wird.«

Kahlberg sah die Wirtin freundlich an. »Man hat Sie mir wärmstens empfohlen.«

»Ich hoffe, man hat nicht übertrieben«, gab sie mit einem offenen Lächeln zurück und strich sich eine Strähne ihres halblangen blonden Haares hinters Ohr. »Meine Pension ist eher schlicht.«

»Sie ist perfekt«, erwiderte Kahlberg, wobei sich ihre Blicke etwas zu lange trafen.

»Na, dann herzlich willkommen. Sagen Sie mir einfach Bescheid, wenn sie aufs Zimmer wollen, die Theke ist auch Rezeption.« Sie drehte sich um und steuerte mit geschäftigem Schritt durch die Ansammlung von Männern am Tresen, Begrüßungen austauschend und Bestellungen entgegennehmend.

Kahlberg blickte ihr nach und es fiel ihm auf, dass sich bis auf wenige Ausnahmen keine weiblichen Gäste im Raum befanden. Die Rolle der Frau schien hier in der Provinz noch eine andere zu sein als in der Stadt.

Wiesenkötters süffisantes Lächeln riss Kahlberg aus seinen Betrachtungen und er hätte ihm am liebsten zu verstehen gegeben, dass er für einen prüden Dorfpolizisten recht frivole Fantasien hegte. Stattdessen fragte er in dienstlichem Tonfall: »Und was können Sie mir über diese Prostituierte sagen?«

»Eine Kolumbianerin, soviel ich weiß. Ihr Name ist wie der dieses spanischen Schriftstellers.« Er legte den Finger an die Schläfe und versuchte, sich zu erinnern. »Der mit dem Ritter von der traurigen Gestalt.«

»Cervantes?«

»Ja, genau!« Wiesenkötter schnippte mit den Fingern. »María Cervantes.«

Kahlberg stutzte. »María?«

»Ja. Wieso?« Wiesenkötter sah ihn überrascht an.

»Ted hat im Sterben doch MA an die Wand geschrieben. MA wie MAría.«

»Sie glauben, Ted Jones könnte sie gemeint haben?«, fragte Wiesenkötter wenig überzeugt.

»Ich glaube gar nichts. Aber es ist zumindest eine Koinzidenz.«

»Eine was?«, wollte Wiesenkötter wissen und blinzelte unsicher.

»Das Zusammentreffen zweier Ereignisse in Raum und Zeit«, erklärte Kahlberg.

»Natürlich, natürlich«, nickte der Polizeihauptkommissar, während er fahrig die Decke des Schankraums musterte und dabei die Hilflosigkeit seines Beamtengehirns offenbarte.

»Wodurch ein kausaler Zusammenhang zumindest möglich wäre«, fuhr Kahlberg fort.

»Nun, wenn Sie meinen«, sagte Wiesenkötter plötzlich knapp angebunden und blickte auf seine Uhr.

Kahlberg erkannte, seinen Kollegen ungewollt bloßgestellt zu haben und setzte eilig zu etwas Versöhnlichem an, aber Wiesenkötter kam ihm zuvor.

»Ich glaube, meine Frau erwartet mich allmählich.« Er warf Kahlberg einen entschuldigenden Blick zu. »Sie wissen ja, wie das ist.«

Kahlberg wußte es nicht und vermutete, dass seine letzte Beziehung womöglich genau deswegen nur noch in seiner Erinnerung existierte. »Sagen Sie mir einfach, wie ich an diese Cervantes rankomme, den Rest schaffe ich schon alleine.«

»Sie ist wahrscheinlich unterwegs um diese Uhrzeit. Hausbesuche in der weiteren Umgebung«, sagte Wiesenkötter und unterstrich das Gesagte mit einem frivolen Zwinkern.

Kahlberg tat, als habe er es nicht gesehen und fragte sachlich:

»Und Nolte?«

»Wird auch auf Achse sein«, antwortete Wiesenkötter leicht ungehalten. Offensichtlich konnte er sich nicht daran gewöhnen, einem Vorgesetzten Rede und Antwort zu stehen.

»Egal. Es reicht, wenn Sie mir sagen, wo er wohnt. Früher oder später wird er bei sich zu Hause vorbeikommen.«

Wiesenkötter nickte. »Die Adresse habe ich noch vor Augen aus dem Protokoll.«

Er zückte einen Kugelschreiber, schrieb sie auf einen Bierdeckel und gab ihn Kahlberg.

Der zwängte sich hinter dem Tisch hervor und erhob sich. »Auf geht’s, auf jeden von uns wartet seine Pflicht.«

Kahlbergs Talfahrt

Подняться наверх