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An den Quellen des Indogermanentums:
Der Nordismus eines Hans Günther

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Die These vom nordischen Ursprung der indogermanischen Bevölkerungsgruppen wurde in akademischen Kreisen ebenso wie beim breiten Publikum vertreten vom offiziellen Rassenkundler der NSDAP, Hans Friedrich Karl Günther (1891–1968), einem pedantischen Gelehrten und geschwätzigen Prediger des nordischen Rasse-Evangeliums.

Hans Günther, der aus Freiburg im Breisgau stammte und dort auch bis zum Doktorexamen Biologie und Anthropologie studierte, war ein glühender Nationalist, ehemaliger Frontkämpfer in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs und schließlich einer jener „geächteten“19 Desperados, die nicht aufgeben wollten und bis 1921 in den Freikorps kämpften.

In den 1920er Jahren war Günther in Schweden und Norwegen als Privatdozent tätig. In Deutschland wurde er durch seine umfangreiche publizistische Tätigkeit bekannt und schließlich gar zum Papst der Rassenkunde, jener Wissenschaft von den Rassen, die er in seinen Werken popularisierte. So verkaufte sich etwa seine Rassenkunde des deutschen Volks von seiner ersten Auflage im Jahr 1922 bis zur letzten 1943 insgesamt 270.000-mal. Nicht zuletzt dieser Erfolg trug ihm in der Partei den ebenso reizenden wie beredten Spitznamen „Rassegünther“ ein.

Den Nationalsozialisten stand Günther nahe, war aber bis 1932 nicht Mitglied der Partei. Seine Werke veröffentlichte er beim Münchner Verleger Julius Friedrich Lehmann (1864–1935), der 1890 den J. F. Lehmanns Verlag20 gründete, in dem bald alle Spielarten pangermanischer und rassistischer Diskurse veröffentlicht wurden. Lehmann selbst war ein Nazi der ersten Stunde. Nach Mitgliedschaft bei den Freikorps trat er 1920 der NSDAP bei und veröffentlichte neben Günther auch Eugen Fischer, Paul Schultze-Naumburg, Richard Walther Darré, Ludwig Ferdinand Clauß und viele andere prominente Vertreter der rassistischen Literatur dieser Zeit.

Günther war der Vertreter einer rassistischen Trivial-Doktrin auf der Grundlage von Gobineau, Vacher de Lapouge, Chamberlain und deutscher Vorgeschichtler. Zwar gebe es keine reinen Rassen mehr (Gobineau), doch könne eine vom Staat betriebene rassistische Politik mit Hilfe entschiedener Selektionsverfahren, wie sie Vacher de Lapouge vorschlug, die Stärkung des nordischen Elements in Deutschland herbeiführen und so das deutsche Volk wieder dem ursprünglichen Idealtyp annähern.

Günther war es bis 1930 nicht gelungen, eine feste Anstellung an einer deutschen Universität zu bekommen. In diesem Jahr aber wurde Thüringen zum ersten Land, in dem eine nationalsozialistische Mehrheit die Regierungsgeschäfte übernahm. Landesinnenminister Wilhelm Frick berief Günther an die Universität Jena, wo für ihn ein Lehrstuhl für Rassenkunde eingerichtet wurde. Am 15. November 1930 hielt Günther seine Antrittsvorlesung vor den Spitzen der Partei: außer Göring, Sauckel, Darré und Frick war Hitler höchstpersönlich angereist, um dem Meister zu lauschen.

Die Übernahme der Macht durch die Nationalsozialisten bestätigte und vermehrte Günthers politischen Einfluss wie seine wissenschaftliche Lehrautorität. 1935 erfolgte der Ruf an die Universität Berlin, 1939 der nach Freiburg. Schon 1933 in den Sachverständigenbeirat für Bevölkerungs- und Rassenpolitik beim Reichsinnenministerium berufen, beeinflusste er durch diese Tätigkeit die Nürnberger Gesetze. Er wurde mit Ehren überhäuft: 1935 erhielt er den Staatspreis der NSDAP für Wissenschaft, Hitler verlieh ihm die Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft, 1941 erhielt er sogar das Goldene Parteiabzeichen der NSDAP, eine seltene Auszeichnung, die nur für herausragende Verdienste um den Nationalsozialismus vergeben wurde.

Günther wurde zum Hauptvertreter der These vom nordischen Ursprung der Hochkulturen. Diese vertrat er in allgemeinen Darstellungen der Rassenkunde Deutschlands und Europas, aber auch in zwei Einzeldarstellungen, die er der griechisch-römischen Antike und der Rassengeschichte Indiens widmete.

Die nordische Herkunft jeglicher Kultur sei unbezweifelbare Evidenz, wie alles, was mit der nordischen Rasse und ihrer herausragenden Rolle zu tun hat. Günther wies daher mit aller Kraft die Anhänger der Indien-, also Asien-These, in die Schranken, gegen die er Punkt für Punkt polemisierte und seine Gegenargumente ins Feld führte. Wer die These vom asiatischen Ursprung vertrete, müsse Beweise für eine Einwanderung der indogermanischen Eliten in einem Zeitraum um das 3. oder 4. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung erbringen, doch: „Solche Zuwanderungen kennt die Vorgeschichtsforschung nicht.“21

Diese habe die im Grunde alltestamentarische These von der asiatischen Herkunft verworfen: „Es ist daher nicht erstaunlich, daß die Vorgeschichtsforschung […] die frühere, letzten Endes den Berichten des Alten Testamentes entnommene Annahme einer Zuwanderung der Indogermanen aus Asien aufgegeben hat.“22 Die bloße Erwähnung des Alten Testaments reicht aus, um die These von der asiatischen Herkunft abzulehnen, sie wäre eine Beleidigung der nordischen Rasse und ein Schandfleck auf ihrem Adelszeugnis. Als ob ein höherwertiges Volk aus dem Osten23, als ob die Germanen aus Asien stammen könnten! Im gleichen Buch setzt Günther sich mit seinen Widersachern auseinander und lässt dabei den Leser an hochkomplizierten Auseinandersetzungen teilhaben, womit er zugleich einräumt, dass seine Hypothese weder evident noch eindeutig ist.

In einer weit mehr popularisierenden Darstellung, in der Kleinen Rassenkunde des deutschen Volkes24, ist Günther affirmativer. Er erspart dem Leser die Einzelheiten der Auseinandersetzungen, das subtile Abwägen von Argumenten und die Komplexität der Hypothesen; stattdessen bietet er eine Synthese an. Das Buch will unmittelbar pädagogisch wirken und arbeitet daher mit klaren, schlichten Behauptungen: „Die Urheimat der nordischen Rasse ist in den eisfreien Gebieten des altsteinzeitlichen Mitteleuropas zu suchen.“25

Günther trommelte für die These der nordischen Herkunft, die selbst in der Welt von Hochschule und Wissenschaft nichts Selbstverständliches an sich hatte, wie sein Kollege und Mitstreiter Carl Schuchhardt in einem Artikel über die „Indogermanisierung Griechenlands“ bemerkte. Zwar stellte er fest: „Die These von der zentralasiatischen Urheimat der Indogermanen, die vor hundert Jahren die vergleichende Sprachforschung in jugendlicher Kühnheit aufgestellt hatte, spielt heute wissenschaftlich keine Rolle mehr“,26 doch hielten die Wandlungsresistenz etablierter Vorstellungen und das Beharrungsvermögen des geistigen Erbes diese These künstlich am Leben, sodass man sogar „in der gebildeten Schicht vielfach auf Staunen [stoße], wenn man sagt, unsere germanischen Vorfahren und alle ihre Verwandten, die Kelten, Italiker, Griechen und Slaven hätten mit Asien nichts zu tun, sondern stammten aus Nord- und Mitteleuropa und hätten sich von dort nach dem Süden und Osten, ja bis nach Indien hin ausgebreitet“27.

Günther setzte seine Vorstellungen mit Hilfe seines, gelinde gesagt, kategorischen Tons und der ständigen Wiederholungen in seinen zahllosen Veröffentlichungen durch. Um seine These zu stützen, zielte er aufs Herz der zu zerstörenden Asien-Hypothese. Er widmete also dem Problem des nordischen Ursprungs der Indogermanen im Jahr 1934 ein ganzes Buch. In dieser Darstellung mit dem Titel Die nordische Rasse bei den Indogermanen Asiens. Zugleich ein Beitrag zur Frage nach der Urheimat und Rassenherkunft der Indogermanen28 untersuchte er bis ins Einzelne die Genealogie der Iraner, Inder, Perser und Afghanen. Wenn diese Völker des Ostens in ihren besten und elitärsten Bestandteilen insbesondere in der Antike aus dem Norden kamen, dann war die alte Schimäre des ex oriente lux erledigt. Günther entkleidete seine These jeglichen hypothetischen Charakters, seine Auffassung kennt keinen Konditional. Mit Hilfe der Zensur und der geistigen Zentralisierung durch die Staatspartei konnte er sie nach 1933 als Evidenz verkünden.

Die drei Landsknechte der medizinischen Rassenkunde, Eugen Fischer, Erwin Baur und Fritz Lenz,29 bestätigten diese These als Verfasser eines mehrbändigen Standardwerks über wissenschaftliche Rassenkunde und -hygiene. Der „Baur-Fischer-Lenz“, wie er seinerzeit hieß, machte aus Persien und Indien, aus Griechen und Römern Beispiele für das nordische Schicksal.30 In seinem Band über Eugenik arbeitete Lenz mit zahlreichen Bezugnahmen auf die griechische und römische Geschichte,31 die für ihn allesamt indogermanische Erfahrungen waren, aus denen man Lehren für die Gegenwart ziehen konnte.

Neben Biologie und Rassenhygiene waren es Anthropologie und Archäologie, die der nordischen These in zahlreichen Veröffentlichungen eine Heimstatt boten. Die SS-Zeitschrift Ahnenerbe veröffentlichte zahlreiche Beiträge, die diese These anhand von Beispielen illustrierten und sie so in die akademischen Kreise trugen. Der Leiter dieser Zeitschrift, Walther Wüst, verfasste einen Überblicksartikel über „Germanien und Indien“32, während der Archäologe und Vielschreiber Franz Altheim eine Artikelserie über „Germanen und Iranier“33 veröffentlichte sowie einen spezielleren Beitrag zur Frage der Elchrune34, die man im gesamten indogermanischen Gebiet antreffe, ebenso wie Hirschdarstellungen35, die ebenfalls zum umfangreichen Bestiarium dieser Regionen gehörten. Die Verbreitung dieser Symbole und die mit ihnen verbundenen künstlerischen Formen36 bezeugten demnach die Zusammengehörigkeit der betreffenden Siedlungsräume und damit ihre gemeinsame Rassenzugehörigkeit. Ein und dieselbe Rassensubstanz bringe auch ein und denselben Geist und die entsprechende Kultur hervor. Nach strenger deterministischer Logik geht das Geistige aus dem Körperlichen, das Kulturelle aus dem Biologischen hervor.

Gleiches Blut und gleiches Rassenerbe bedeuten also gleiches kulturelles und symbolisches Erbe. Weil die Blutsidentität gleiche Symbole gebäre, sprächen die Indogermanen verwandte Sprachen, die aus der gleichen nordischen Ursprache hervorgegangen seien; sie sprächen daher auch die gleiche Symbolsprache, was diese Themen und das Motiv des Hakenkreuzes belegten. Die gemeinsamen Symbole galten als Beweise, ebenso wie der Umgang mit dem Feuer37. Die germanischen Sonnwendriten etwa erinnerten an die Gebräuche rund um das Heilige Feuer, das von den Griechen ebenso sorgfältig bewahrt und transportiert, wie es von den römischen Vestalinnen eifersüchtig gehütet worden sei. Im Grunde dachte, arbeitete und handelte der Rassenkundler so wie ein Anthropologe, dem der Begriff Kultur abhandengekommen und nur derjenige der Natur übrig geblieben wäre.

Der Nationalsozialismus und die Antike

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