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Geburt und Wesen: der Germane, die Natur, das Tier

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Wenn es einen Vorwurf gibt, der gestern wie heute gegen das Judentum ins Feld geführt wird, dann ist es der des rituellen Schlachtens, dieses alttestamentarischen Gebots, das die Grundlage der jüdischen Speisegesetze, der Kaschrut, bildet. Die NSDAP greift dieses Thema früh auf und führt eine reichlich undifferenzierte Kampagne gegen diese „Tierquälerei“ durch. Im Jahr 1931 veröffentlicht ein Arzt, der auch NSDAP-Mitglied ist, eine Broschüre über den Kampf der NSDAP gegen Tierquälerei, Tierfolter und Schächten28. Er erhält dafür den Segen des Führers in Gestalt eines Briefs, in dem Hitler den Autor seiner Sympathie versichert und ihm verspricht: „Sie können überzeugt sein, daß im kommenden NS-Staate diese Zustände sehr schnell beendet werden“.29 Albert Eckhard stellt fest: „Es entspricht deutschem Wesen, jede Quälerei an einem wehrlosen Menschen und ebenso an einem wehrlosen Tier zu verdammen und zu bekämpfen.“30 Der Nationalsozialismus hat sich „den Kampf für das Gute und gegen das Böse auf seine Fahne geschrieben“31 und muss sich daher dieser Sache annehmen und gegen die Folterer jeglicher Art vorgehen, diese grausamen Wesen ohne „Mitgefühl“32. Das Schächten bezeichnet Eckhard als „grauenvoll“ und „den Forderungen der Humanität nicht entsprechend“.33 Um seine Empörung zu unterstreichen, erzählt der Autor eindringlich die Geschichte eines armen Ochsen, dem von widerlichen Rabbinern die Kehle durchgeschnitten wurde, der sich aber losreißen konnte und auf den 200 Metern, die er noch laufen konnte, sein Blut aus offener Schlagader vergoss. Als Quelle für diese Anekdote gibt unser korrekt zitierender Autor den Völkischen Beobachter an.34

Zehn Jahre später, im Jahre 1941, wird das deutsche Kinopublikum die Gelegenheit haben, angesichts der schier unerträglichen Bilder von einer Schächtung in Ohnmacht zu fallen: Die Rede ist hier von der rituellen Schlachtung, die Fritz Hippler für seinen Film Der ewige Jude aufgezeichnet hat. In diesem Film, der von Anfang bis Ende den Zweck verfolgt, die Wesensverschiedenheit und ontologische Kriminalität des Juden zu beweisen, sind zehn der 70 Minuten, die er dauert, einer Horrorszene gewidmet, in der zwei Ochsen mit dem Messer geschächtet werden. Während auf der Leinwand Aussagen zugunsten dieser Praktiken gezeigt werden, die zwangsläufig den Zorn der Zuschauer hervorrufen, erinnert der Kommentator daran, dass eines der ersten von Hitler erlassenen Gesetze am 21. April 1933 dieses Verfahren verbietet, und zwar im Namen „der bekannten Tierliebe des deutschen Menschen“35. Die Kritik an diesem grausamen Ritual gehört zu den Konstanten aller judenfeindlichen Diskurse. Wie so oft bieten die Nationalsozialisten auch hier nichts Neues, sondern greifen gedanklich und in der Wortwahl auf Vorhandenes zurück.

Interessanter ist das nachdrückliche Beharren auf einer vermeintlichen Besonderheit der jüdischen und dann christlichen Kultur, auf die diese Grausamkeit angeblich verweist. Die SS-Zeitschrift Das Schwarze Korps kritisiert sie in einem Beitrag mit dem Titel „Diesseits und Jenseits“:

Wir alle wissen, daß die entsetzliche Tierquälerei, die man häufig in sogenannten katholischen Ländern findet, auf der Anschauung beruht, das Tier habe keine Seele und sei kein Christ. Diese mechanistische Weltanschauung, die im Tier sozusagen nur eine Art gefühllose Maschine sieht, schlägt unserem arteigenen Glauben in ganz besonderer Weise ins Gesicht. Denn weil sich für uns Gott allenthalben in der Natur offenbart, ja, weil die Natur als solche uns heilig ist, verehren wir in ihr die Offenbarung des ewigen Willens. Das Tier ist bei dieser Betrachtung wirklich und tatsächlich unser „kleiner Bruder“, und einem verfeinerten Empfinden wird sogar eine Untat gegenüber einem Menschen, der sich ja mit gleichen Mitteln wehren kann, sittlich noch eher zu rechtfertigen sein, als die Quälerei eines wehrlosen Tieres.36

Die Juden, und später dann ihre christlichen Epigonen und Avatare, haben mit der Erfindung der Figur eines einzigen und absoluten Gottes die Welt entheiligt. In den glücklichen Zeiten des germanischen Altertums hatte das Göttliche überall sein Zuhause, sei es in den Wäldern Sachsens, in Griechenland oder in Rom. Diese Zeit ist ein für allemal vorbei: Gott hat sich in seinen Himmel zurückgezogen, den er allein bewohnt und eifersüchtig hütet. Das Jenseits ist ganz Vollendung und Firmament, das Diesseits nur noch sündige Materie. Das Tier, dieses Opfer der großen Trennung von Natur und Göttlichem, ist nur noch bloße Tiermaschine. Albrecht Eckhard bedauert das und schreibt:

Nach unserem sogenannten deutschen Recht, das allerdings kaum als deutsches Recht angesprochen werden kann und äußerst reformbedürftig ist, wird das Tier nicht als ein lebendes Wesen, sondern nur als eine Sache betrachtet.37

Wie man sieht, geht das über die übliche Kritik am rituellen Schlachten weit hinaus: Das Tier wird von den Juden (und, was keinen Unterschied macht, von den Christen) gequält, weil es ebenso entzaubert wurde wie die Natur, der es angehört. Über dieser thront zwar Gott und beherrscht sie, doch aus weiter Ferne. Geht man den Texten zu dieser Frage nach, so findet man allenthalben die Idee, dass die Juden Materialisten sind (sie betrachten die Welt als bloße Materie) und Metaphysiker (sie haben die Trennung zwischen dem Göttlichen und der Natur herbeigeführt).

Das religiöse Empfinden der Germanen ist dagegen von Grund auf animistisch, es verspürt und verehrt das Göttliche in allen Erscheinungen des Lebens. Die Natur ist für die Germanen Manifestation des Göttlichen und daher Gegenstand heiliger Verehrung. Die jüdisch-christliche Weltauffassung dagegen bricht einem brutalen und kalten Materialismus die Bahn. Die Welt, aus der ein ferner Gott sich zurückgezogen hat, ist nur noch entzauberte Materie, allen ausbeuterischen und zerstörerischen Handlungen des Menschen preisgegeben. Der jüdische Materialismus äußert sich nicht nur in der rassentypischen zügellosen Leidenschaft für das Geld, sondern auch in dieser Metaphysik, die eine Trennung zwischen physischer Welt und spirituellem Prinzip errichtet.

„Der Mensch Nordeuropas empfindet die Welt als Einheit“,38 stellt dagegen der Mediziner Lothar Stengel-von Rutkowski fest. Er ist Spezialist für Rassenhygiene, zeitweilig mit Lehrauftrag an der Universität Jena, und zudem Dichter und Denker. Er besingt die germanische Rasse, praktiziert aber auch während des Kriegs als Arzt der Waffen-SS. Die zeitgenössische Wissenschaft bestätigt solche Auffassungen, zeigt sie doch, dass Mensch und Umwelt, Mikrokosmos und Makrokosmos, Natur und Kultur vom „Naturgesetz“ bestimmt werden. Ohne Kant zu nennen, zitiert ihn Stengel, wenn er die Naturgesetzlichkeit „in dem gestirnten Himmel über uns und dem moralischen Gesetz in uns“39 am Werke sieht.

Der Biologe Heinz Graupner unternimmt seitenlang Versuche, das Tiervom Pflanzenreich zu unterscheiden und die verschiedenen Formen, in denen sich das Leben äußert, fein säuberlich voneinander zu trennen, stellt aber am Ende fest, dass dies zum Scheitern verurteilt ist: „So bietet sich uns das Bild einer großen Einheit alles Lebendigen, wenn wir die Grenzen der Organismenreiche zu ziehen versuchen. Wir können, so ernsthaft wir uns auch darum bemühen, keine grundsätzliche Verschiedenheit der Organismen entdecken.“40 Entgegen allen Behauptungen von Christen und Adepten der differentia specifica gibt es „keine Sonderstellung des Menschen“41. Die Verabreichung von Tierextrakten, etwa bei Hormonbehandlungen, genügt dem Biologen als Beweis für seine Behauptungen.42 Der Mensch ist Teil des großen Lebenszusammenhangs und muss sich demzufolge den Gesetzen der Natur unterwerfen: „Die Erfahrung, daß wir überall auf die Einheitlichkeit lebensgesetzlichen Geschehens stoßen, wird für uns immer Richtschnur des Denkens und Handelns sein“,43 denn „die Einheit des Lebendigen […] verpflichtet uns, nach den Gesetzen des Lebens zu handeln und zu wirken“44.

Das ist eine Auffassung, die auch Himmler teilt. Nur wenige Stunden nach der Beisetzung von Heydrich breitet er vor seinen Zuhörern seine höchstpersönliche Version der vanitas vanitatum aus:

Das Wesen dieser größenwahnsinnig Gewordenen, auch gerade der Christen, die von einer Beherrschung dieser Erde durch die Menschen reden, muß einmal abfallen und in die richtigen Maße zurückgeschraubt werden. Der Mensch ist gar nichts Besonderes. Er ist irgendein Teil auf dieser Erde. Wenn ein stärkeres Gewitter kommt, kann er schon gar nichts dagegen machen. Er kann es nicht einmal voraussagen. Er hat nicht die Ahnung, wie eine Fliege organisiert ist – so unangenehm sie ist, sie ist ein Wunder –, wie eine Blüte organisiert ist. In diese Welt muß er wieder tief ehrfürchtig hineinsehen. Dann bekommt er einmal den richtigen Maßstab, was über uns ist, wie wir in diesen Kreislauf verflochten sind.45

Als Vertreter einer streng ganzheitlichen Auffassung tritt er dem künstlichen und sinnlosen Individualismus des Christentums und der „Ismen“ der Vergangenheit entgegen (Humanismus, Liberalismus). Der Individualismus ist eine naturwidrige Chimäre. Die Natur lehrt uns, dass das Individuum nichts ist und dass wir unsere Betrachtungs-, Beurteilungs- und Vorgehensweise am Ganzen ausrichten müssen. Auch das SS-Leitheft, das sich an Offiziere dieser Organisation wendet, hält fest:

Dem Willen der Natur entspricht es nicht, wenn der Mensch, befangen im Wahn der eigenen Wichtigkeit, sein persönliches Dasein nach eigener Willkür zu gestalten trachtet. Was ist denn der Mensch als Einzelwesen? Die Beobachtung der Natur lehrt uns, daß das Blatt am Baum nur existiert durch den Zweig, an dem es wächst; daß der Zweig sein Leben durch den Stamm empfängt und dieser wiederum sein Wachstum aus der Wurzel hat, die ihre Kraft aus der Erde erhält. Der Baum wieder ist nur ein Glied des Waldes.46

Entsprechend deutlich fällt die Analogie von Volk und Rasse aus:

Auch ein Volk stellt eine solche lebendige Einheit dar, die organisch gewachsen ist. Wie ein Baum nicht durch die Summe von Ästen, Zweigen und Blättern dargestellt wird, sondern durch das organische Wachstum aller seiner Glieder, so ist auch ein Volk nicht die Summe von zufällig zusammengefaßten Menschen, sondern ein gewachsener Organismus.47

Aus dieser Naturwirklichkeit wird ein „völkisches Pflichtbewußtsein“48 abgeleitet, eine „völkische Pflicht“, die darin besteht, sein „Volk in die Ewigkeit weiterzutragen“49: „Wir sind auf der Erde, um unserem Volke das ewige Leben zu geben.“50 Die nationalsozialistische Religiosität lässt sich also wie folgt zusammenfassen: Was Lebende und Tote verbindet, verbindet auch die Lebenden untereinander. Zwar werden die Lebenden sterben, aber die biologische Substanz ist ewig, sofern man auf ihre Gesundheit und Reinheit achtet.

Anders als es alle auf dem Judentum beruhenden Kirchen behaupten, nimmt der Mensch keine „Sonderstellung“ im „Naturreich“ ein. Der Mensch ist, wie eine Veröffentlichung der Hannoveraner NSDAP feststellt, „eingeordnet in die Natur, in den großen Verwandtschaftskreis alles Lebendigen. Die gleichen Naturgesetze, das Gesetz von der Erhaltung der Art, der Kampf ums Dasein, das Naturgesetz der Vererbung und alle anderen gelten auch für den Menschen“51.

Auch Phänomene wie Atmung und Verdauung unterliegen bei allen Lebewesen der gleichen Gesetzmäßigkeit.52 Wir haben es, wie man sieht, mit einer Religion der Verbindung und einem Denken der Verschmelzung zu tun – ganz das Gegenteil einer unterscheidenden Rationalität, eines ständigen Auseinanderhaltens, einer andauernden Trennung, wie sie das dialektische jüdische Denken praktiziert. Was den Juden vorgeworfen wird, ist schlicht eine spekulative Intelligenz und eine Metaphysik, die dem Animismus fremd ist (dieser kennt ja kein Jenseits – kein meta – der physischen Wirklichkeit).

Dieser Angriff auf die Metaphysik findet sich in zahlreichen Texten. Im Grunde gilt die Ablehnung der in der Vorsilbe meta- (jenseits) enthaltenen Idee. So gehorcht der Mensch bei Stengel-von Rutkowski in seinem großen Werk über den Begriff Volk „im Grunde den gleichen Gesetzen wie Tier und Pflanze“53. Als Teil des Ganzen kann er sich nicht von der Naturgesetzlichkeit loslösen. Auch kann er keine grundsätzliche ontologische Differenz zwischen ihm auf der einen, Tier und Pflanze auf der anderen Seite geltend machen. Die „Metaphysik“, eine Disziplin, die sich anheischig macht zu erforschen, was es jenseits der Natur gibt, ist schlicht und einfach eine Absurdität: „Die Physis = Natur ist für uns Menschen nirgends zu Ende! Auch unsere Geisteswissenschaft und Philosophie muß daher auf dieser Physis und Gesetzmäßigkeit fußen.“54 Alle „‚Über‘-Natur“ ist daher nur „Unnatur“, „Widernatur“.55 Stengel folgt damit seinem Freund und Mitstreiter Karl Astel, Professor für Rassenhygiene an der Universität Jena. Dieser weist in seiner Vorlesung zur Eröffnung des akademischen Jahres 1937 der Intelligenz eine klare Aufgabe zu. Sie muss in den Dienst des Lebens gestellt werden „und nicht in den Dienst irgendeines das Leben zerstörenden, mit Krankheit und Irrsein anfüllenden ‚Meta‘.“56 Für Astel stellen sich die Dinge klar und einfach dar: „Physik heißt Natur, wir sind Glieder der Natur und Ergebnisse der Naturgesetzlichkeit.“ Weshalb also sich von der Erforschung der Naturgesetze- ab und der Metaphysik, der „Über-Natur“ zuwenden? Wir wissen doch, dass „die bisher immer zur Unnatur und Widernatur ausgeartet ist“.57 Diese jüdische Entzauberung der Welt führt dazu, dass das Tier missachtet, begrifflich verdinglicht und schamlos ausgebeutet wird. Nur weil die nordische Rasse ihrer natürlichen Empfindsamkeit und ihres angeborenen Instinkts beraubt wurde, konnte es so weit kommen, dass Tiere so behandelt werden, wie es eben geschieht. Seinem Masseur Felix Kersten, der ihn von diversen Schmerzen, insbesondere Magenschmerzen, befreit, berichtet Heinrich Himmler, wie sehr es ihm weh tut, wenn Rehe geschossen oder Schnecken zertreten werden:

Wie können Sie nur ein Vergnügen daran haben, auf die armen Tiere, die so unschuldig, wehrlos und ahnungslos am Waldrand äsen, aus dem Hinterhalt zu schießen, Herr Kersten. Denn es ist, richtig gesehen, reiner Mord […] Die Natur ist so wunderschön, und jedes Tier hat schließlich auch ein Recht zu leben. Gerade dieser Standpunkt ist es, den ich so sehr bei unseren Vorfahren bewundere. […] Diese Achtung vor dem Tier finden Sie bei allen indogermanischen Völkern. Es hat mich außerordentlich interessiert, neulich zu hören, daß noch heute die buddhistischen Mönche, wenn sie abends durch den Wald gehen, ein Glöckchen bei sich tragen, um die Tiere des Waldes, die sie zertreten könnten, zum Ausweichen zu veranlassen, damit ihnen kein Schaden zugefügt wird. Bei uns aber wird auf jeder Schnecke herumgetrampelt, jeder Wurm wird zertreten […].58

Buddhistische Mönche sind für Himmler die Vertreter eines Zweigs der nordischen Rasse, der in prähistorischen Zeiten nach Asien auswanderte. Als solche sind sie die lebendigen Zeugen der ursprünglichen Kultur der Rasse und bewahren Bräuche, die im Abendland seit langem untergegangen sind. Schuld daran ist die jüdisch-christliche Akkulturation, der die Tiere gleichgültig sind und der es nichts ausmacht, wenn man bei seinem Abendspaziergang unschuldige Regenwürmer zertritt.

Himmler, der Rassenforscher aussendet, um im Rahmen einer berühmten Expedition59 die Schädel tibetischer Bauern zu vermessen, blickt nicht als Einziger nach Indien oder Tibet, um die Gebräuche der nordischen Rasse zu untersuchen. Im Jahr 1939 reicht in Leipzig ein Student der medizinischen Fakultät eine Dissertation mit folgendem Titel ein: Über den altindischen Tierschutz60. Er nimmt diesen Umweg in Raum und Zeit, um so eine wesentliche Eigenschaft der nordischen Rasse näher studieren zu können: „Der Deutsche ist im allgemeinen von jeher tierlieb gewesen.“61 Das zeigt sich in Indien. Die alten Inder waren ja „Indogermanen“, ein Volk von Bauernsoldaten, das die biologisch minderwertige „Urbevölkerung“ des Subkontinents unterworfen hat. Naturnahe lebend wie alle ursprünglichen Germanen, teilen auch diese Indogermanen die Überzeugung: „Zwischen Mensch und Tier besteht kein bedeutender Unterschied.“62 Das drückt sich auch in ihrem Glauben an die Seelenwanderung aus, dem nichts Exotisches oder Abwegiges anhaftet.63 Er ist nichts als die zur Religion erhobene Überzeugung von der „Einheit alles Lebenden“64. Dieser Glaube konnte nur „unter arischen Menschen mit arischer Weltanschauung und der damit verbundenen Hochachtung allen Lebens“65 entstehen.

Die Mensch-Tier-Beziehung verweist also auf einen ethischen und gedanklichen Unterschied zwischen nordischer und jüdischer Rasse sowie auf einen höchst unterschiedlichen Weltbezug: Der Jude negiert die Natur und misshandelt das Tier. Der nordische Mensch dagegen feiert die Natur und schätzt den Unterschied zwischen Mensch und Tier als gering ein (der Mensch ist ein Tier), als zu gering, um eine Verletzung der physischen Integrität des Tiers zu rechtfertigen. Neben dem erwähnten Gesetz vom 21. April 1933 ist das Dritte Reich auch stolz auf sein „Reichstierschutzgesetz“ vom 24. November 1933. Bereits dessen Artikel 1 verbietet es, einem Tier Schmerzen zuzufügen oder es schlecht zu behandeln. So wird dem der nordischen Rasse angeborenen Empfinden von der engen Verwandtschaft von Zwei- und Vierbeinern Genüge getan.

Die Wertschätzung der Jagd, der edlen und in hohem Ansehen stehenden Waidkunst, zu deren obersten Vertreter sich der auf Titel erpichte Hermann Göring als „Reichsjägermeister“ ernannte, steht – sofern sie „den Gesetzen der Waidgerechtigkeit“ folgt – nicht im Widerspruch zur Tierliebe, die „so deutsch in ihrem Kern“66 ist: „Diese Waidgerechtigkeit, die wir mit Stolz eine deutsche Tugend nennen können, gründet sich auf der Achtung vor dem Tier, vor dem Mitgeschöpf.“67 Das Göring zu verdankende „Reichsjagdgesetz“ fasst diese „waidgerechte Jägerei“68 in einen Gesetzestext.

Diese Äußerungen und gesetzlichen Bestimmungen zeichnen das Bild einer spezifisch nationalsozialistischen Hierarchie des Lebens. Entgegen einer weitverbreiteten Meinung besteht diese nicht aus einer Skala mit den Ariern an der Spitze und den Juden am Ende, sondern aus einer komplexeren Topologie: An der Spitze stehen die Arier und alle Raubtiere, dann unterschiedliche Menschenarten, schließlich die Slawen und am Ende Schwarze und Asiaten. Die Juden befinden sich irgendwo nebenan, anderswo: Sie sind nicht wirklich Menschen, auch keine richtigen Tiere; sie gehören eher dem Bereich der Bakteriologie als dem der sonstigen Biologie an. Hitler macht den für die Struktur der nationalsozialistischen Vorstellungswelt entscheidenden Unterschied in der Unterredung deutlich, die er mit Admiral Horthy führte, um diesen zu intensiverer und effektiverer Verfolgung der ungarischen Juden zu veranlassen:

Sie wären wie Tuberkelbazillen zu behandeln, an denen sich ein gesunder Körper anstecken könne. Das wäre nicht grausam, wenn man bedenke, daß sogar unschuldige Naturgeschöpfe wie Hasen und Rehe getötet werden müßten, damit kein Schaden entstehe. Weshalb sollte man die Bestien, die uns den Bolschewismus bringen wollten, mehr schonen?69

Waren die Nationalsozialisten wirklich tierlieb? Es wird oft behauptet; schließlich waren Hitler und Himmler Vegetarier, und die Tierschutzgesetzgebung galt als so vorzüglich, dass sie in der Bundesrepublik bis 1972 in Geltung blieb. Doch zeigt sich hier das gleiche Phänomen wie bei den Bestimmungen zum Naturschutz: Die Nationalsozialisten bezogen sich auf bereits vorliegende Texte, wendeten sie aber kaum je an.70 Den Tieren ging es in Deutschland nach 1933 auch nicht besser als davor und mit dem Kriegsbeginn 1939 verschlechterte sich ihre Lage sogar beträchtlich. Immerhin erfolgten die Transporte in der Wehrmacht zu 80 % mit Hilfe von Pferden, und die deutschen Streitkräfte verbrauchten und vernichteten – wie jeder Krieg – Tiere in großen Mengen, vor allem Pferde und Hunde. Die Zuneigung zu den Tieren stand biologischen und „medizinischen“ Versuchen nicht im Wege. Vor 1933 kritisierten die Nationalsozialisten die sadistische „jüdische Medizin“ und ihre Neigung zur Vivisektion, nach 1933 wurden aber Tiere sehr wohl zu solchen Verfahren herangezogen. Es war sogar noch schlimmer: Tierversuche wurden fraglos hingenommen und regelmäßig praktiziert, wenn es um strategisch wichtige Forschungsprojekte ging, etwa um Gasresistenz, biologische Waffen usw.71

Auch sind den Nationalsozialisten nicht alle Tiere genehm. Raubtiere werden als Kämpfer, die im Kampf ums Leben überlegene Widerstandskraft beweisen, betrachtet und hoch geschätzt. Manche Haustiere, die durch ein verweichlichendes und vom Menschen abhängiges Leben ihrem Wesen entfremdet und unterworfen wurden, werden dagegen gering geschätzt. Im Dokumentarfilm Alles Leben ist Kampf von 1937, der die Rassenhygiene und die Sterilisierung von lebensunwertem Leben befürwortet, fällt die besondere Wertschätzung des Hirschs auf – vor allem die der dominierenden männlichen Hirsche, die sich beim Kampf um die Reproduktion durchsetzen. Die plötzlich auf der Leinwand auftauchenden wohlgepflegten und frisierten Pudel scheinen dagegen Musterbeispiele für die Selektionsfeindlichkeit des Kulturzustandes zu sein. Eine eingeblendete Schrifttafel kommentiert: „[…] wir glaubten, auch alles unwerte Leben nicht nur erhalten, sondern sogar fördern zu müssen. Was haben wir aus manchen Haustieren gemacht! Keines dieser bedauernswerten Geschöpfe wäre in der Lage, sein Leben selbst zu erhalten.“72

Tierliebe und Lebensmystik stoßen hier an ihre Grenze. In der nationalsozialistischen Literatur findet sich keine absolute, sondern lediglich eine relative Wertschätzung der Tiere in Abhängigkeit von ihrer jeweiligen Lebenskraft und Aggressivität. Dem Pudel wird nichts als grausamster darwinistischer Sarkasmus zuteil.

Das Gesetz des Blutes

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