Читать книгу Die Leiden des jungen Werther - Johann Wolfgang von Goethe - Страница 15

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Am 30. Mai.

Was ich Dir neulich von der Malerei sagte, gilt gewiss auch von der Dichtkunst; es ist nur, dass man das Vortreffliche erkenne und es auszusprechen wage, und das ist freilich mit wenigen viel gesagt. Ich habe heute eine Szene gehabt, die, rein abgeschrieben, die schönste Idylle von der Welt gäbe; doch was soll Dichtung, Szene und Idylle? muss es denn immer gebosselt sein, wenn wir Teil an einer Naturerscheinung nehmen sollen?

Wenn Du auf diesen Eingang viel Hohes und Vornehmes erwartest, so bist Du wieder übel betrogen; es ist nichts, als ein Bauernbursche, der mich zu dieser lebhaften Teilnehmung hingerissen hat. — Ich werde, wie gewöhnlich, schlecht erzählen, und Du wirst mich, wie gewöhnlich, denk’ ich, übertrieben finden; es ist wieder Wahlheim, und immer Wahlheim, das diese Seltenheiten hervorbringt.

Es war eine Gesellschaft draussen unter den Linden, Kaffee zu trinken. Weil sie mir nicht ganz anstand, so blieb ich unter einem Vorwande zurück.

Ein Bauernbursche kam aus einem benachbarten Hause und schäftigte sich an dem Pfluge, den ich neulich gezeichnet hatte, etwas zurecht zu machen. Da mir sein Wesen gefiel, redete ich ihn an, fragte nach seinen Umständen, wir waren bald bekannt, und wie mir’s gewöhnlich mit dieser Art Leuten geht, bald vertraut. Er erzählte mir, dass er bei einer Witwe in Diensten sei, und von ihr gar wohl gehalten werde. Er sprach so viel von ihr, und lobte sie dergestalt, dass ich bald merken konnte, er sei ihr mit Leib und Seele zugetan. Sie sei nicht mehr jung, sagte er, sie sei von ihrem ersten Mann übel gehalten worden, wolle nicht mehr heiraten, und aus seiner Erzählung leuchtete so merklich hervor, wie schön, wie reizend sie für ihn sei, wie sehr er wünsche, dass sie ihn wählen möchte, um das Andenken der Fehler ihres ersten Mannes auszulöschen, dass ich Wort für Wort wiederholen müsste, um Dir die reine Neigung, die Liebe und Treue dieses Menschen anschaulich zu machen. Ja, ich müsste die Gabe des grössten Dichters besitzen, um Dir zugleich den Ausdruck seiner Geberden, die Harmonie seiner Stimme, das heimliche Feuer seiner Blicke lebendig darstellen zu können. Nein, es sprechen keine. Worte die Zartheit aus, die in seinem ganzen Wesen und Ausdruck war; es ist alles nur plump, was ich wieder vorbringen könnte. Besonders rührte mich, wie er fürchtete, ich möchte über sein Verhältnis zu ihr ungleich denken, und an ihrer guten Aufführung zweifeln. Wie reizend es war, wenn er von ihrer Gestalt, von ihrem Körper sprach, der ihn ohne jugendliche Reize gewaltsam an sich zog und fesselte, in kann ich mir nur in meiner innersten Seele wiederholen. Ich hab’ in meinem Leben die dringende Begierde, und das heisse, sehnliche Verlangen nicht in dieser Reinheit gesehen, ja wohl kann ich sagen, in dieser Reinheit nicht gedacht und geträumt. Schelte mich nicht, wenn ich Dir sage, dass bei der Erinnerung dieser Unschuld und Wahrheit mir die innerste Seele glüht, und dass mich das Bild dieser Treue und Zärtlichkeit überall verfolgt, und dass ich, wie selbst davon entzündet, lechze und schmachte.

Ich will nun suchen, auch sie ehstens zu sehen, oder vielmehr, wenn ich’s recht bedenke, ich will’s vermeiden. Es ist besser, ich sehe sie durch die Augen ihres Liebhabers; vielleicht erscheint sie mir vor meinen eignen Augen nicht so, wie sie jetzt vor mir steht, und warum soll ich mir das schöne Bild verderben.

Die Leiden des jungen Werther

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