Читать книгу Die Leiden des jungen Werther - Johann Wolfgang von Goethe - Страница 18

Оглавление

Am 21. Juni.

Ich lebe glückliche Tage, wie sie Gott seinen Heiligen aufspart; und mit mir mag werden, was will, so darf ich nicht sagen, dass ich die Freuden des Lebens nicht genossen habe. — Du kennst mein Wahlheim; dort bin ich völlig etabliert, von dort habe ich nur eine halbe Stunde zu Lotten, dort fühl’ ich mich selbst, und alles Glück das dem Menschen gegeben ist.

Hätt’ ich gedacht, als ich mir Wahlheim zum Zwecke meiner Spaziergänge wählte, dass es so nahe am Himmel läge! Wie oft habe ich das Jagdhaus, das nun alle meine Wünsche einschliesst, auf meinen weitern Wanderungen, bald vom Berge, bald von der Ebene über den Fluss gesehen!

Lieber Wilhelm, ich habe allerlei nachgedacht, über die Begier im Menschen, sich auszubreiten, neue Entdeckungen zu machen, herumzuschweifen; und dann wieder über den innern Trieb, sich der Einschränkung willig zu ergeben, in dem Geleise der Gewohnheiten so hinzufahren, und sich weder um rechts noch um links zu bekümmern.

Es ist wunderbar: wie ich hierher kam, und vom Hügel in das schöne Tal schaute, wie es mich ringsumher anzog. Dort das Wäldchen! — Ach könntest Du Dich in seine Schatten mischen! — Dort die Spitze des Berges! — Ach könntest Du von da die weite Gegend überschauen! — Die ineinander geketteten Hügel und vertraulichen Täler! — O könnte ich mich in ihnen verlieren! — — eilte hin und kehrte zurück, und hatte nicht gefunden, was ich hoffte. O, es ist mit der Ferne, wie mit der Zukunft! ein grosses dämmerndes Ganze ruht vor unserer Seele, unsere Empfindung verschwimmt darin, wie unser Auge und wir sehnen uns, ach! unser ganzes Wesen hinzugeben, uns mit aller Wonne eines einzigen, grossen herrlichen Gefühls ausfüllen zu lassen — Und ach! wenn wir hinzueilen, wenn das Dort nun Hier wird, ist alles vor wie nach, und wir stehen in unserer Armut, in unserer Eingeschränktheit, und unsere Seele lechzt nach entschlüpftem Labsale.

So sehnt sich der unruhigste Vagabund zuletzt wieder nach seinem Vaterlande, und findet in seiner Hütte, an der Brust seiner Gattin, in dem Kreise seiner Kinder, in den Geschäften zu ihrer Erhaltung die Wonne, die er in der weiten Welt vergebens suchte.

Wenn ich des Morgens mit Sonnenaufgange hinausgehe, nach meinem Wahlheim, und dort im Wirtsgarten mir meine Zuckererbsen selbst pflücke, mich hinsetze, sie abfädne und dazwischen in meinem Homer lese, wenn ich in der kleinen Küche mir einen Topf wähle, mir Butter aussteche, Schoten ans Feuer stelle, zudecke, und mich dazu setze, sie manchmal umzuschütteln; da fühl’ ich so lebhaft, wie die übermütigen Freier der Penelope Ochsen und Schweine schlachten, zerlegen und braten. Es ist nichts, das mich so mit einer stillen, wahren Empfindung ausfüllte, als die Züge patriarchalischen Lebens, die ich, Gott sei Dank, ohne Affektation in meine Lebensart verweben kann.

Wie wohl ist mir’s, dass mein Herz die simple harmlose Wonne des Menschen fühlen kann, der ein Krauthaupt auf seinen Tisch bringt, das er selbst gezogen, und nun nicht den Kohl allein, sondern all die guten Tage, den schönen Morgen, da er ihn pflanzte, die lieblichen Abende, da er ihn begoss, und da er an dem fortschreitenden Wachstum seine Freude hätte, alle in einem Augenblicke wieder mit genjesst.

Die Leiden des jungen Werther

Подняться наверх