Читать книгу Sharif und der schwarze Beduine - Johanna Bell - Страница 10

Die Begegnung

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Es sollte noch schlimmer kommen. Natürlich wollten die beiden so schnell wie möglich nach Hause. Aber sie schlugen einen falschen Weg ein und nahmen Kurs gegen Süden, zum Meer. Die Sonne brannte erbarmungslos, und Zulus sonst so quirlige Beine traten schwer durch den Sand. Von der Karawane blieb selbst nach stundenlangem Reiten keine Spur zurück. Es machte auch keinen Sinn, danach zu suchen. Danka hatte bereits ihr Leben gelassen, überlegte Sharif und hoffte, dass die anderen Reiter und Tiere sich retten konnten.

Die Wüste änderte allmählich ihre Formen und Farben. Dünen und Felsen verschwanden. Der Boden ging in eine harte, steinige Ebene über, in eine typische Hamada. Sharif erkannte, dass er den falschen Weg gewählt hatte. Für eine Umkehr war es zu spät. Sie mussten bald eine Oase oder Karawane finden, um überleben zu können.

„Oh, Zulu! Keine Ahnung wo wir sind! Leider hat dein Instinkt diesmal versagt! Mist, Mist, Mist!“ Sharif war frustriert. Das einzige was sie fanden, lag als verendetes Kamel vor ihnen. Der Kadaver war höchsten einen Tag alt und stank in der Gluthitze. Raubtiere hatten sich bereits bedient, den Bauch aufgerissen und die Eingeweide raus gezerrt. Eigenartig, dachte Sharif, dass Kamele verenden, wo sie doch so lange ohne Wasser auskommen. Oh, er durfte nicht an Wasser denken. Aber er dachte nur daran, an die Oase, seine Eltern und den großen See, wo er so gerne saß und ins Wasser schaute. Diesen hätte er jetzt leer trinken können.

Dabei merkte er nicht, wie sich vor ihm am Horizont ein dunkler Himmel aufbaute. Schritt für Schritt gingen die beiden halb schlafend, halb wachend dieser dunklen Wand entgegen. Plötzlich blieb Zulu stehen. Es dauerte einen kurzen Moment, bis Sharif dies registriert hatte.

„Na komm Zulu, noch ein bisschen! Wir dürfen nicht halt machen!“ Sharif trieb sie vergebens an.

„Gut, ich steige ab! Dann geht´s bestimmt besser!“ Er glaubte tatsächlich, dass es an ihrer Schwäche lag. Als er neben ihr stand und sie sich nach wie vor weigerte weiter zu laufen, bemerkte auch er die nahende Dunkelheit. Überrascht starrte er das Phänomen an.

„Was ist das? Vielleicht ganz schwere Regenwolken?“ In Sharif keimte ein Hauch von Hoffnung auf. WASSER! Er hegte in seinem Leben nur noch diesen einen Wunsch. Zulu stand wie angewurzelt da. Sie ahnte, was direkt auf sie zu kam. Sharif hingegen wusste nicht, ob er phantasierte. Der Wassermangel legte zunehmend sein normales Denken lahm. Er schüttelte den Kopf und versuchte seine Sehschärfe zu bessern. Ausgeschlossen, dieser dunkle Himmel näherte sich rasend schnell. Und plötzlich fühlte Sharif unter seinen Füßen ein sanftes Vibrieren, wie ein leichtes Erdbeben. Die Erinnerung an ein ähnliches Erlebnis schreckte ihn aus seiner Gelähmtheit. Er riss den Mund auf und schnappte nach Luft.

„Oh Himmel! Das ist doch nicht..?“, er wagte es kaum auszusprechen. Sie hätten flüchten können, aber dazu blieb ihnen weder die Zeit noch die Kraft.

Ein schwarzer Punkt, der sich vor der dunklen Wand hervorhob, als sei es das Zentrum des Übels, entwickelte sich trotz der flirrenden Hitze, zu einer deutlichen Reitergestalt. Immer näher kam die Person getragen von einem schwarzen Pferd, auf sie zugerast. Ein langes, schwarzes Gewand flatterte im Wind und ließ den Reiter noch mächtiger erscheinen. Es war unverkennbar der schwarze Beduine, begleitet von seiner Wolke, die ihm Schatten spendete. Sharif hatte das Atmen vergessen und zog jetzt tief Luft ein. Irgendwie half dies ein bisschen die Fassung wieder zu erlangen. Er griff nach seiner Steinschleuder.

„Will er mich etwa umrennen? Dann müsste ich sein Pferd zuerst treffen!“, überlegte er bei klarem Verstand. Etwa einen Sperrwurf entfernt brachte der Beduine seinen Hengst zum Stehen. Mit seinen großen Hufen wirbelte das Pferd reichlich Sand auf. Das kräftige Tier tänzelte nervös und wäre am liebsten über Sharif hinweg gerannt. Was musste bloß Zulu von diesem Hengst halten? Sie hob den Kopf noch höher, ihre Ohren nach vorne gerichtet und gespitzt. Ihr ganzer Körper stand unter Spannung.

„So einfach kriegst du mich nicht!“, motivierte sich der tapfere Junge. Er bückte sich, tastete den Boden ab und schnappte den erstbesten Stein. Schnell legte er ihn in seine Schleuder. Versteckt hielt er beide Hände hinter seinem Rücken, bereit zum Einsatz.

„Eigentlich hat er mir ja gar nichts getan und ich ihm auch nicht! Vielleicht hat er sich nur verlaufen und sucht Hilfe!“ Doch dieser Gedanke schenkte nur für einen kurzen Moment Erleichterung. Sein Instinkt riet ihm zu höchster Vorsicht. Sharif beobachtete jede Bewegung seines Gegenübers. Der Beduine kam langsam auf ihn zugeschritten. Für den Hengst schien Langsamkeit eine Quälerei. Er trabte im Schritttempo, abwechselnd seitwärts und vorwärts. Unterdessen befanden sich Sharif und Zulu in dem Schatten der riesigen Wolke. Sie schwebte viel tiefer als damals im Tal der Muchal Berge. Jetzt konnte Sharif auch ein lautes Summen von dort oben hören. Natürlich wollte er wissen, woher das rührt und blickte hoch. Ein neuer Schlag der Angst schoss ihm in die Glieder, als er das wilde Herumschwirren von Abertausenden von Insekten, Mücken aller Arten und Größen entdeckte. Auch Zulu quietschte vor Entsetzen und trippelte im Stand, bereit zur Flucht. Aber sie musste bleiben, ihrem Freund zur Seite stehen.

„Oh! Ist das widerlich!“, grauste es Sharif. Daraus bestand also die geheimnisvolle Wolke. Nie hätte er an Insekten gedacht. Das konnte doch nicht wahr sein! Ungläubig starrte er hinauf in das Insektenmeer. Sein restlicher Mut schwand schlagartig. Dann fiel ihm wieder der Beduine ein und fokussierte diesen.

Oje, und der war schon ganz nah! Wenige Meter vor Sharif stieg der geheimnisvolle Reiter ab. Er ließ das Pferd stehen, das sich beruhigte und kam mit großen Schritten auf Sharif zu. Alles geschah jetzt blitzschnell. Ehe der Junge reagieren konnte, packte der Beduine ihn zuerst am Kopf und zog ihn an seinem linken Ohr. Da! Endlich hatte er, was er schon so lange suchte und erkannte die kleine Tätowierung hinter Sharifs Ohrläppchen.

„Hab ich dich endlich! So lange suche ich schon nach dir!“, dröhnte eine tiefe Stimme. Sie klang streng und alles andere als freundschaftlich.

„Ah, das tut weh, lass los! Was willst du von mir?“ Sharif drehte und wand sich in dem schmerzhaften Griff des Beduinen. Damit machte er es nur schlimmer. Vor seinen Augen flatterte das graue Leinen seines Gegners und es roch scharf, vielleicht nach Urin, oder so was ähnlichem.

„Du bist eine Missgeburt und hast kein Recht auf Leben!“, grollte der Fremde voller Hass.

„Hä? Aua, was redest du da?“ Der Beduine lachte vor Vergnügen und war sich seiner Übermacht bewusst. Zulu hingegen konnte Sharifs Leid nicht länger mit ansehen. Wie ein Blitz schoss sie nach vorne und biss dem Beduinen in den Arm, womit er Sharifs Ohr lang zog. Damit hatte er nicht gerechnet und der Angriff fand die gewünschte Wirkung, aber es sollte auch Konsequenzen haben. Der Beduine brüllte vor Schmerzen und Zorn auf. Endlich ließ er von Sharif ab. Dann wandte er sich der Stute zu, trat nah an sie heran und schlug mit ungeheurer Kraft, als sei es eine Ohrfeige die zierliche Stute von sich.

Für einen Augenblick konnte Sharif das Gesicht seines Widersachers erhaschen. Die Haut war faltig und von dunkelbrauner Farbe. Seine Augen wurden von einem schwarzen Nichts ausgefüllt. Schwarz, genau so, wie es ihm Vater erzählt hatte. Und diese Kreatur stank bestialisch nach Verfaultem, nach Verbranntem.

Der Schlag hatte Zulu tatsächlich zu Fall gebracht. Am Boden liegend versuchte sie sich wieder aufzurichten. Der Schock traf sie mehr als der Schmerz. Nie zuvor hatte sie ein Mensch einfach weg bugsieren können. Wo gab`s denn so was?

Währenddessen eilte der Beduine zu seinem Hengst. Sharif rieb das fürchterlich brennende Ohr und erinnerte sich an die Steinschleuder. Schnell spannte er den Riemen, zielte auf den Kopf des Beduinen und ließ den Stein los. Dieser schlug mit solch einer Wucht an den Hinterkopf des Schwarzen, was jeden anderen Menschen in die Knie gezwungen hätte. Aber mit dem hier war alles anders. Der Stein prallte ohne sichtbares Ergebnis ab und plumpste zu Boden. Der Beduine schien diesen Schlag nicht einmal bemerkt zu haben. Ohne sich auch nur umzudrehen suchte er etwas Bestimmtes an seinem Sattel. Endlich hatte er es gefunden und zog es aus der Scheide. Sharif war wie versteinert.

Zum einen hatte seine stärkste Waffe versagt, und zum anderen hielt der Schwarze das funkelnde Schwert in der Hand. In diesem Moment bekam die Situation eine feierliche Stimmung. Sharif spürte beim Anblick des Schwerts kaum noch Angst, es war einfach zu schön um sich davor fürchten zu müssen. Allerdings sagte ihm auch sein Verstand, dass der Beduine ihm das Schwert nicht nur zeigen wollte! Die stinkende Kreatur trat langsam und siegessicher auf den Jungen zu. Breitbeinig blieb er vor dem bereits tot geweihten Feind stehen.

„Nieder mit dir!“ Sharif gehorchte wie ein Hypnotisierter und fiel auf die Knie. Seine Arme hingen kraftlos herab. Mit der Steinschleuder in der Hand kam er sich unsagbar lächerlich vor, im Vergleich zu diesem Prachtstück. Der schwarze Beduine stieß das Schwert mit der Spitze in den Sand und ließ es los. Wie ein Kreuz stand es nun vor Sharif. Dieser blickte an der Waffe rauf und runter.

„Oh!“, entwich es ihm. Der goldene Schaft war von zarten Linien durchzogen und das Handstück ausschließlich mit Edelsteinen bestückt. Die komplette Waffe schien makellos, wie eben erst geschaffen. Es ging tatsächlich ein Zauber von den leuchtenden Steinen aus. Sie stahlen Sharif die Gedanken zur Flucht oder Abwehr. Er blieb ganz ruhig und vergaß alles um sich herum. Dem Beduinen war zu wenig Leid geboten. Der Junge sollte doch vor Angst in die Hose machen und um Gnade winseln! Es wurde auch höchste Zeit, endlich zur Sache zu kommen, nämlich die Vollstreckung!

„Mm!“, brummte er kurz und packte das Schwert am Griff. Dann riss er es aus dem Boden. In der Luft wechselte er den Griff, so dass er jetzt gut zuschlagen oder zustechen konnte. Sharifs Augen folgten dem Schwert in tiefer Demut, das gleich sein Leben beenden würde. Der Beduine hielt die Waffe in beiden Händen und holte langsam nach hinten aus. Diese mumienähnliche Gestalt spannte seine Muskeln an und konzentrierte sich auf das bevorstehende Ritual. Sharif schaute zum Schwert auf. Das Metall glänzte sogar im Schatten der Insektenwolke. Starr und mit gestrecktem Hals bot sich Sharif seinem Henker an. Selbst Zulu konnte nicht mehr helfen.

Als der Beduine zum Finale ansetzte, huschte ein Schatten über seine Gestalt. Er bemerkte es und hielt irritiert inne. Ein großer Fehler, wie sich herausstellte, denn im nächsten Moment schlug ein fremder kleiner Körper in sein Gesicht ein. Der Treffer landete genau zwischen seinen Augen, wobei der Kopf des Beduinen nach hinten federte. Blut floss sogleich aus der Stirn und der kleine Verursacher flatterte davon. Dieser völlig überraschende Angriff verstörte zwar den Schwarzen und hatte in letzter Sekunde Sharifs Leben gerettet – aber besiegt war jener damit noch lange nicht.

„Hau ab, du lästiges Wüstengeflügel!“, schimpfte er und konzentrierte sich erneut auf den Todesschlag. Diesmal würde ihn nichts mehr aufhalten. So viele Jahre hatte er schon nach dem Jungen gesucht. Endlich war es so weit! Sein Gehirn sendete seinen Muskeln den Befehl zum Zuschlagen.

In diesem entscheidenden Moment fiel wie aus dem Nichts eine Armee von Falken über den Beduinen mitsamt seinem Hengst her. Über hundert Vögel stürzten wie Pfeile mit ihren spitzen Schnäbeln in das Fleisch der Opfer. Kurz vorm Einschlag pressten sie die Flügel dicht an ihren Körper und gewannen noch mehr an Schnelligkeit. Für den Beduinen stellten sie nicht wirklich eine Gefahr dar. Dennoch versuchten die Falken durch Zupfen an seinem Leinen, Pieken und Bohren in seine Haut, ihn abzulenken und Zeit zu gewinnen.

Pferd und Reiter waren übersät mit Vögeln, die im Kampf reichlich Federn ließen. Der Hengst hüpfte wild umher, schnappte nach den Falken, aber es waren zu viele, die ihn malträtierten. Seine Panik ließ das Weiße aus den Augen hervorquellen. Währenddessen summte die Wolke ihr gewohntes Lied und thronte regungslos über dem Spektakel.

Sharif kniete noch immer andächtig und bemerkte nichts von den kriegerischen Falken. Der Bann des Schwerts hielt ihn gefangen, welches jetzt vor ihm im Sand lag. Nun wiederholte sich das gleiche Spiel, wie damals im Tal der Muchal Berge.

Aras musste seinem Freund erneut ein paar Haare aus dem Kopf reißen, damit dieser in Bewegung kam. Nach der zweiten Attacke erwachte Sharif endlich aus seiner Starre. Er blickte hektisch um sich und versuchte zu verstehen, was hier gerade geschah. Der Beduine fuchtelte wild um sich und versuchte die Massen von Falken abzuwehren. Pferd, Reiter und Falken glichen einer sich wild drehenden Säule. Sand und Federn wirbelten in der Luft.

„Aras?“ Die schmerzende Kopfhaut bestätigte seine Vermutung. Rasch stand er auf und suchte nach Zulu. Diese wurde bereits von Aras auf die übliche Weise angetrieben, indem er heftig in ihr Hinterteil hackte. Wenn das so weiter ginge, sind es nicht mehr die Kamele, die Zulu nicht ausstehen konnte. In diesem Moment fielen Sharif die letzten Worte seiner Großmutter ein.

„Folge dem Falken! Er wird dir den Weg weisen!“ Los, die Zeit drängte - endlich erkannte er die ernste Lage und die geringe Chance, dem Beduinen zu entkommen.

„Zulu, schnell! Wir müssen weg!“, rief er und lief ihr entgegen. So gut er es noch vermochte, schwang er sich auf ihren Rücken und gab Schenkeldruck. Die Stute rannte los und gab ihr Letztes. Der Beduine kämpfte immer noch mit den Falken, bemerkte jedoch Sharifs Flucht. Aras flog den Flüchtenden vorweg. Er lotste sie in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Auf dem harten, steinigen Boden konnte Zulu schnell an Distanz gewinnen. Nur, dieser Vorteil würde auch dem Verfolger von Nutzen sein, und für einen längeren Ritt würde sie schnell die letzten Reserven verlieren. Sharif drehte sich um und zuckte zusammen, als der Beduine die Verfolgung bereits aufgenommen hatte. Da gab es keine Zweifel, bald würde er ihn eingeholt haben.

„Aaraas!“, schrie der Junge verzweifelt. „Wohin? Der Beduine rückt näher!“

Das entging dem schlauen Vogel natürlich nicht. Aber er hatte eh gleich sein Ziel erreicht. Währenddessen hielt der Beduine im gestreckten Galopp sein Schwert in die Höhe. Der Hengst raste mit unverlorener Kraft der kleinen Stute hinterher. Die Erde erschütterte bei jedem Galoppsprung. Die Falken konnten den Beduinen nicht länger bezwingen. Einige attackierten ihn noch, hingen in seinem Gewand fest und hackten auf ihn ein. Aber der Beduine ließ sich von nichts mehr aufhalten. Die summende Wolke schwebte in angepasster Geschwindigkeit über den beiden.

„Wie soll das enden? Wohin? Wir haben keine Chance!“, dachte Sharif verzweifelt. „Dem Falken folgen!, sagte Danka. Das tun wir doch!“

Vor ihnen lag das verendete Kamel. Aras steuerte direkt darauf zu. Zulu und Sharif folgten ihm bedingungslos. Indessen fehlten dem Beduinen nur noch wenige Meter, um Sharifs Kopf spalten zu können. Der riesige Hengst brauchte nur einen Galoppsprung, für eine Distanz in der Zulu zwei benötigte. Sie schnaufte schnell und zu laut. Sharif wusste, dass sie bis zum letzten Atemzug rennen würde, bis sie tot umfiel. Der Schweiß hatte ihr weißes Fell in ein trauriges Grau gefärbt.

Zulu passierte gerade den Kadaver, als der Hengst ihr fast am Schweif hing. Noch drei, vier Galoppsprünge, und der Beduine wird zuschlagen. Zulu machte einen Haken zur Seite, um dem Angriff des Beduinen auszuweichen. Sharif duckte sich. Das war äußerst klug und rettete seinen Kopf. Das Schwert verfehlte nur knapp das Ziel. Sharif hörte, wie es mit einem scharfen Zischen an ihm vorbei peitschte. Zulu schlug schon den nächsten Haken, aber das war bereits überflüssig. Denn plötzlich geschah das Unfassbare. Allein Aras wusste von diesem Gesetz. Augenblicklich ließ der Verfolger von seinem Opfer ab.

Der Beduine zügelte mit unsagbarer Kraft seinen Hengst und zwang ihn zum Halten. Das Pferd wieherte verstört und wirbelte die Vorderbeine in die Höhe. Sein Herr schrie unverständliche Worte des Zorns. Das Schwert schlug er dabei durch die Luft und der Hengst tanzte auf den Hinterbeinen. Sharif blickte zurück. Er konnte es kaum glauben, aber der Beduine hatte die Verfolgung tatsächlich abgebrochen. Es schien als würde ihn eine unsichtbare Wand zurückhalten.

„Langsam Zulu! Ich glaube wir sind den Wahnsinnigen los!“ Die Stute fiel sofort in Schritt und ließ sich von Sharif wenden. Das wollte er sich doch genauer ansehen. Irgendwas musste doch passiert sein! Zulu war dankbar für die Verschnaufpause. Ihr Puls jagte wie Elektroschläge durch den ganzen Körper. Sharif fühlte das Pochen in ihren Adern. So erschöpft hatte er sie noch nie erlebt. Sie machte ihm Sorgen, aber was war mit dem Beduinen los? Es dauerte ein paar Momente bis er verstand, was den anderen zum Halten gezwungen hatte. Es war die Wolke, die über dem Tierkadaver einfach stehen blieb. Überrascht stellte Sharif fest, dass der Beduine die Kontrolle über die Insekten verloren hatte. Der Gegner traute sich nicht aus dem Schatten zu treten. Hektisch ritt er an der Licht und Schattengrenze auf und ab. Sonnenlicht bekam ihm offensichtlich nicht.

Zulu und Sharif befanden sich außerhalb der schattenspendenden Insektenwolke und somit auf sicherem Terrain. Ein Teil der hungrigen Insekten machte sich über das verendete Kamel her. Im Nu war das tote Tier vollends mit Insekten bedeckt. Während die Blutsauger über den Kadaver herfielen, sich durch jede Pore fraßen, kochte der Beduine vor Wut! Er deutete mit dem Schwert auf Sharif und rief ihm zu: „Dich krieg ich noch! Heute hast du nur Glück gehabt, weiter nichts!“ Dann spuckte er in den Sand. Sharif verstand die tödliche Botschaft, aber für den Moment war er erst mal gerettet und nur das zählte. Starr vor Schock und Erschöpfung blieben Zulu und Sharif wie angewurzelt stehen und konnten ihre Blicke von dem Spektakel einfach nicht abwenden.

Aras musste erneut eingreifen. Er piepte laut und signalisierte zum Aufbruch, denn trotz allem blieb keine Zeit zum Ausruhen! Der Falke flatterte aufgeregt über seinen Schützlingen. Er setzte sogar Sturzflüge ein, sauste aber kurz vor dem Zusammenstoß nach oben weg, um somit die beiden anzutreiben. Endlich bewegte sich Zulu. Mit gesenktem Kopf ging sie Schritt für Schritt vorwärts. Sharif hielt sich in ihrer Mähne fest. Es war ihm gleich, wohin sie marschierte. Einfach nur weg!

Der schlaue Falke setzte sich auf Sharifs Schulter. Immer, wenn der Junge das Bewusstsein zu verlieren schien, zupfte der Vogel an seinem Ohrläppchen. Sharif hob dann wieder seinen Kopf und suchte das Gleichgewicht auf dem Pferderücken. Er vermied es sich umzudrehen. Eigentlich dachte er an gar nichts mehr. Sein Halbschlaf machte ihn für alles gleichgültig.

Die anderen Falken hatten bereits den Heimflug angetreten und kümmerten sich nicht weiter um den Beduinen. Nur Aras begleitete seine Freunde und führte Zulu weiter in Richtung Küste. Er hüpfte zwischen Sharifs Schulter und Zulus Hinterteil hin und her, um beide bei Laune zu halten. Aber Zulus Kräfte schwanden rapide. Immer öfter blieb sie stehen, schwankte und drohte in sich einzufallen. Aras musste sie jetzt ordentlich piesacken. Der stechende Schmerz hielt die Stute dann wieder ein Weilchen auf den Beinen. Dass sie das nicht mehr lange mitmachen würde, war dem Falken klar. Dennoch stand ihnen das Glück zur Seite - der Beduine hatte die Verfolgung nicht mehr aufgenommen.

Sharif hatte diese schwarze Gestalt längst vergessen. Sein Denken glich einem toten Brunnen. Auch der geschwächte Körper war am Vertrocknen. Langsam fiel sein Oberkörper nach vorne auf Zulus Hals und glitt seitlich an ihrem Körper zu Boden. Er merkte den Fall nicht ein Mal. Regungslos blieb er auf dem Rücken liegen. Die Stute machte sofort Halt und schnupperte an ihm. Auch sie hatte ihre letzten Reserven verbraucht und legte sich neben ihm nieder. Zulu schloss die Augen und schlief ein. Dieser katastrophale Tag neigte sich dem Ende zu. Die Sonne lag wie ein feuerroter Ball über dem steinigen Flachland. In einer halben Stunde würde die Erde sie verschluckt haben und die Nacht in der Wüste schnell einbrechen.

Der Wind spielte mal wieder mit dem Sand. Dieser tanzte in kleinen Wirbeln und fegte sanft über Sharif und Zulu hinweg. Bald schon bedeckte eine dünne Schicht ihre Körper, so als wollte die Wüste sagen: auch ihr seid mein! Die beiden lagen wie tot da. Ob Zulu und Sharif diese Nacht überleben würden, weil wilde Tiere dann auf die Jagd gingen, war zu bezweifeln.

Aber da war ein letzter Trumpf in den Lüften. Der geheimnisvolle Falke hatte noch nicht ausgedient. Schon vor einer Stunde hatte er Sharif und Zulu verlassen und befand sich auf dem Heimflug.

Sharif und der schwarze Beduine

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