Читать книгу Sharif und der schwarze Beduine - Johanna Bell - Страница 7
Eine alte Geschichte wird lebendig
ОглавлениеDas ganze Dorf staunte und freute sich über Sharifs Rückkehr. Als er mit seinem Vater durch die Oase ritt, jubelten ihm die Menschen wie einem Helden zu. Mütter nahmen ihre Kinder auf den Arm, winkten und lachten. Auch die Männer ließen die Arbeit ruhen und nickten ihm anerkennend zu.
Überrascht fragte sich Sharif: „Warum tun die das? War der schwarze Beduine vielleicht schon hier und hat erzählt, dass er mich nicht finden konnte? Das wäre aber ein blödes Versteckspiel!“ Sharif trieb seine Stute an. Er wollte nur schnell nach Hause, seinen Durst löschen und ganz viel essen.
Endlich erreichten sie die Stallungen und der Trubel verschwand hinter einer dichten Buschreihe. Sharif rutschte erschöpft vom Pferd.
„Geh in die Hütte! Ich kümmere mich um Zulu und den kleinen Falken.“
„Oh ja? Das wäre prima!“ Sharif setzte den Greifvogel in die von Furchen durchzogenen Hände des alten Mannes. Dieser wusste, was zu tun war. „Vielen Dank Vater!“ Demütig blickte er ihm in die Augen.
Dann sauste er um die Ecke und trat in die Hütte ein. Sharifs Mutter blickte erschrocken von ihren Stickereien auf. Dann brachte sie vor lauter Freudentränen kein normales Wort hervor. Man hörte einzig einen lauten Aufschrei. Sie umarmte Sharif, der völlig in ihrem Umhang unterging. Als sie sich wieder beruhigt hatte setzte sie ihm Fladenbrot und Ziegenkäse vor. Doch Sharif schlief bereits beim Essen ein. Sein Kopf nickte nach vorne und sein Oberkörper fiel langsam zur Seite. Die Mutter fing ihn gerade noch auf und legte ihn auf seine Matte. Dort ließ sie ihn schlafen, solange er wollte.
Sharif träumte alles Erlebte in wirren Zusammenhängen. Der Beduine erschien aus dem Nichts. Aber diesmal fegte er auf dem Rennkamel Osram durch die Wüste. Auch der Falke trieb sein Unwesen. Der Vogel stieß ständig mit seinem spitzen Schnabel in Osrams Hinterteil. Das sah vielleicht lustig aus! Osram fegte noch schneller als der Wind über den Wüstensand. Und der Beduine versuchte mit dem strahlenden Schwert den Vogel fortzujagen, aber vergebens. Der Traum endete, als der Beduine mit Osram in einer dunklen Wolke verschwand und der Falke darüber schwebte.
„Uuha!“ Sharif gähnte laut und reckte sich ausgiebig. Dann rieb er seine Augen und blickte in das freundliche Gesicht seiner Mutter.
„Willst du was trinken?“, fragte sie und reichte ihm einen Becher Wasser. Mit einem Zug trank er alles aus. Der dreckige Hemdsärmel musste wie immer zum Mundabwischen herhalten.
„Ha, gut! Kann ich nach Zulu und dem Falken sehen?“ Hellwach sprang er auf die Beine.
„Ja, geh nur!“ Die Mutter stimmte zu, obwohl ihr viele Fragen auf den Lippen brannten. Geduld war einer ihrer stärksten Tugenden. Sie wusste, dass sich bald alles klären würde.
Draußen über der Feuerstelle hing ein großer Topf, in dem eine Fleischsuppe vor sich hin blubberte. Der heiße Dampf verbreitete einen würzigen Duft. Sharif freute sich schon aufs Essen, als er daran vorbeilief. Mit wenigen Schritten erreichte er die Stallungen. Ziegen und Schafe unterhielten sich angeregt in ihrer eigenen Sprache. Einige blickten nach Sharif und wandten sich sogleich dem Gemecker und Fressen wieder zu. Zulu teilte ihr Reich mit einer Horde Eseln und wurde als Stärkste respektiert. Sharifs Vater tränkte gerade die Tiere und schüttete reichlich Raufutter in einem weiten Bogen aus. Als Zulu Sharif bemerkte, trabte sie freudig auf ihn zu. Der Junge klopfte ihren Hals und kraulte sie hinter den Ohren. Aber seine Gedanken waren woanders.
„Wo ist der Falke?“, wollte er wissen.
„Ach, da bist du ja! Ich habe dich gar nicht bemerkt. Ähm, der Falke hat vermutlich einen gebrochenen Flügel. Ich musste diesen schienen und einwickeln. Es ist ganz erstaunlich, denn er nahm es ohne Gegenwehr an, so als kenne er die Menschenhand. Doch es wird dauern, bis er wieder fliegen kann..., wenn überhaupt! Du findest ihn in der Futterkammer. Er sitzt auf einem Balken. Abhauen kann er ja nicht!“
„Vielen Dank! Und, ist dir sonst noch was aufgefallen?“
„Du meinst den goldenen Ring um seinen Fuß, nicht wahr?“
„Ja! Was bedeutet das?“
„Nun ich habe mir das genauer angesehen. Auf dem Ring ist ein Symbol eingraviert. Eine Sonne und ein Schwert, sehr klein, aber gut zu erkennen. Ich glaube es ist ein sehr wertvoller Ring. Wenn wir ihn auf dem Markt verkaufen würden, könnten wir eine lange Zeit gut davon leben. Keine Angst, natürlich tun wir das nicht!“ Der grauhaarige Mann raschelte weiter mit dem Futter, während die Ziegen um ihn herum hüpften.
„Ja, und weiter! Was hat das zu bedeuten? Gehört er denn jemandem?“, fragte Sharif ungeduldig.
„Also jetzt mal langsam! Eigentlich sollte ich hier Fragen stellen, was passiert ist und warum du fort geritten bist!“ Sein Vater hielt mit der Arbeit inne und blickte ihn ernst an.
„Ja, natürlich!“, gab Sharif kleinlaut zurück.
„Nun gut, alles zu seiner Zeit! Zuerst versorgen wir die Tiere und gehen anschließend nach Hause! Dann wirst du uns alles erzählen!“ Wortlos half Sharif seinem Vater den Mist aufzulesen, fort zutragen und die Ziegen zu melken, bis dieser ihn an die Schulter fasste und ihm zunickte.
„Ich glaube, das Abendessen ist fertig! Es riecht schon sehr gut, nicht wahr?“ Sharif musste schlucken.
Die Dunkelheit trat wie mit einem großen Handstrich über die Oase ein. Die Verwandtschaft saß wie üblich um das Feuer. Es wärmte ihre Wangen und in den Augen spiegelten sich die Flammen. Die Menschen waren von der harten Feldarbeit erschöpft. Im Licht und Schattenspiel des Feuers wirkten ihre Gesichter noch schmaler und eingefallen. Jeder löffelte gierig die Fleischsuppe aus einer Holzschale. Für die meisten war dies der schönste Moment des Tages. Währenddessen wanderte ein großes Fladenbrot durch die Runde. Wer wollte, riss sich ein Stück davon ab. Sharif spürte die Blicke der anderen, ohne dabei aufzusehen.
„Sie platzen gleich vor Neugierde!“, da war er sich ganz sicher und schmunzelte in sich hinein. Es klang fast schon feierlich, als der Vater das Wort an Sharif weiter gab.
„So mein Junge, jetzt wollen wir alle wissen, wo du warst und was du erlebt hast! Aber erzähle nur die Wahrheit!“ Mit einem Schluckauf stellte er seine Suppenschale ab. Alle starrten Sharif an. Selbst wenn ein Hase aus dem Suppentopf gesprungen wäre, hätte es niemand bemerkt.
Der Junge begann zu erzählen, genauso wie es sich zugetragen hatte. Die Zuhörer wollten jedes Detail wissen. Schließlich gab es selten so gute Unterhaltung. Ohne eine Miene zu verziehen, hörten die Versammelten und andere Neugierige, die sich heran geschlichen hatten, Sharifs Geschichte an. Seine Mutter, die Tanten und Schwester Java warfen hin und wieder die Hände in die Höhe, wenn es gefährlich wurde. Sie riefen „großer Allah!“ und schnappten nach Luft. Als er geendet hatte, folgte ein langes Schweigen. Sharif wagte nichts zu fragen und wartete ab. Er ahnte, dass er bald etwas Besonderes erfahren würde. Zum Erstaunen aller brach seine Mutter das Schweigen.
„Am nächsten Neumond kommt Danka, unsere Großmutter. Sie weiß vielleicht, was das Zeichen mit der Sonne und dem Schwert bedeutet. Sie kennt noch die alten Familien und deren Zeichen.“ Alle Umsitzenden nickten wohl wissend und Gebrummel stieg auf. Sharifs Augen leuchteten.
„Natürlich – Danka! Sie weiß immer Rat!“, überlegte er. Man durfte gespannt sein. Sharifs Vater legte seinen Arm auf dessen Schulter.
„Komm, lass uns nach dem Rechten sehen, bevor wir schlafen!“
„Ja, ist gut!“ Beide erhoben sich und traten in die Dunkelheit. Die Frauen schauten ihnen nach und wussten, dass sie jetzt von internen Männergesprächen ausgeschlossen wurden. Also rückten sie näher zusammen und erzählten sich Sharifs Erlebnisse aus ihrem Blickwinkel. Dabei gewannen die Versionen immer mehr an Dramatik. Am Ende sollte Sharif sogar mit dem schwarzen Beduinen gekämpft und ihn verletzt haben. Erst dann sei ihm die Flucht gelungen.
Während die Weiber Sharifs Geschichte wie ein erlegtes Tier auseinander nahmen, versuchte der Vater bei der Wahrheit zu bleiben. Die beiden schritten nebeneinander auf einem sandigen Pfad entlang. Überall brannten Fackeln, auch um wilde Tiere abzuschrecken. Die Nacht brachte einen Temperatursturz. Aber Sharif merkte vor lauter Aufregung nichts davon. Endlich brach der Vater das Schweigen.
„Pass gut auf Sharif, was ich dir jetzt erzählen werde! Es gleicht einem Wunder, dass du aus diesem Tal wieder lebend heraus gekommen bist!“ Er machte eine kurze Pause, und es schien als hätte er den Schock noch nicht überwunden.
„Du musst wissen, dass vor vielen Jahren aus dem Muchal Gebirge eine kräftige Quelle entsprungen ist. Diese machte das Tal sehr fruchtbar. Viele Menschen, Pflanzen und Tiere lebten dort. Völlig anders wie du es gesehen hast. Es war damals eine glückliche Zeit. Doch eines Tages geschah etwas Seltsames, was bis heute ein Rätsel blieb!“ Die beiden machten halt, denn der sandige Weg endete am Seeufer.
„Komm lass uns hinsetzten!“, schlug der Vater vor und Sharif gehorchte. Der klare Sternenhimmel spiegelte seine unzähligen Lichter im Wasser wider. Doch Sharif sah von all dem nichts und hörte gebannt seinem Vater zu.
„Stell dir vor, am hellen Tag zog ein schwarzer Schleier am Himmel auf. So wie du es auch beschrieben hast. Dieses unheimliche Ding ließ keinen Sonnenstrahl durch, was auch weiter nicht schlimm gewesen wäre. Aber die riesige Wolke thronte eine ewige Zeit über dem Tal. Ohne Licht starben alle Pflanzen. Die Tiere hatten nichts zu fressen und die Menschen mussten den dunklen Ort verlassen. Niemand wusste, woraus die Wolke bestand und woher sie kam. Mit Pfeilen ließ sie sich auch nicht vertreiben. Am Ende glaubte jeder an einen bösen Zauber. Die Menschen flohen noch bevor alles Leben im Wasser starb. Die Fische, die Frösche, die gesamte Unterwasserwelt verendete. Der Fluss versiegte zu stinkenden Schlammlöchern und vertrocknete letztendlich.“ Der Vater hielt eine kurze Denkpause und drückte Sharif näher an sich, denn es wurde merklich kühler.
„Nach einiger Zeit entschlossen sich junge und mutige Männer, diesen Ort nochmals zu erkunden. Eine Gruppe aus etwa zehn tapferen Reitern brach morgens auf und wollte gegen Mittag wieder zurück sein. Bis zum Abend erschienen sie nicht, auch die Nacht nicht. Die Gemeinschaft unserer Oase befand sich in Aufruhr und musste handeln. So geschah es, dass am nächsten Morgen nochmals junge Männer den Spuren ihrer Brüder und Väter folgten. Ich hatte damals eine Verletzung und konnte nicht mitreiten!“ Sharif sollte nicht denken er sei ein Feigling gewesen.
„Diesmal wartete ein Teil am Eingang des Tals, während der andere vorsichtig hineinritt.“ Sharif wagte sich kaum zu rühren. Gespannt lauschte er den Worten seines Vaters. Dieser blickte in den See und fuhr fort.
„Nach kurzer Zeit kam im rasenden Galopp einer aus der Truppe zurückgeprescht. Es war Mushraf, der sich mit letzter Kraft auf seinem Pferd hielt. Die wartenden Männer stoppten seinen Hengst und Mushraf fiel wie ein Sack zu Boden. Es blieben ihm nur noch wenige Atemzüge bis zum Tod, so erzählt man sich. Mushraf zeigte keine Verletzungen, bis auf seine Augen! Die hatten sich vollkommen schwarz verfärbt.“ Sharif verstand nicht ganz.
„Wie? Hatte er denn keine Augen mehr?“
„Doch, mein Sohn! Aber vollkommen schwarz.“
„Und weiter, was war mit ihm geschehen?“
„Was sich wirklich in dem Tal abgespielt hatte in dem du auch warst, weiß keiner. Er hinterließ nur diese Worte: Es ist der Beduine, ich habe ihn gesehen und dann auf einmal nichts mehr! Rettet euch! Verschwindet von hier, schnell!“
Sharif erstarrte. Er selbst war dem Beduinen vor kurzem begegnet und noch am Leben. Jetzt wurde ihm klar, an welch einem dünnen Faden sein Leben gehangen hatte.
„Ach deshalb jubelten mir die Menschen zu?“ Er schaute seinen Vater fragend an. Dieser nickte mehrmals.
„Ja, du bist für sie ein Held geworden! Für mich natürlich auch, aber mach so etwas nie mehr wieder, ja?“
„Hm, hm!“ Der alte Mann kratzte sich an der Stirn.
„Ich durfte dir davon nichts erzählen. Viele junge Männer, die von dieser Geschichte gehört hatten, konnten ihre Neugierde nicht bändigen. Außerdem wollten sie ihren Mut beweisen und diesen Beduinen zur Strecke bringen. Vermutlich wurden sie alle seine Opfer und blieben bis heute verschwunden. Hhhh! Ich könnt mich ohrfeigen, denn ich habe dich in die Nähe dieser Berge geschickt! Ich glaubte, ihre Anziehungskraft sei erloschen. Es war mein Fehler und es tut mir sehr Leid.“ Dann versagte ihm die Stimme.