Читать книгу Sharif und der schwarze Beduine - Johanna Bell - Страница 9
Die Reise
ОглавлениеIhr überraschender Tod in Verbindung mit Sharifs Anwesenheit verbreitete sich als schnelle Schreckensnachricht. Üble Gerüchte flackerten vielerorts auf. Die Menschen erzählten sich fantastische Geschichten über Sharifs Bündnis mit dem schwarzen Beduinen. Sharif glich einem schlechten Omen. Von Anfang an galt er als Fremder! Keiner wusste, woher er kam und das schürte reichlich Misstrauen, weil er auch die Begegnung mit dem schwarzen Beduinen überlebt hatte und vermutlich an dem Tod seiner Großmutter beteiligt war. Das hatte auch den letzten Zweifelnden überzeugt. Der Junge war keiner von ihnen und man wollte ihn nicht mehr um sich haben.
Eine schlimme Zeit begann für seine Familie. Selbst Sharifs Vater wagte nicht zu fragen, was sich in der Lehmhütte abgespielt hatte als Danka starb. Sharif schwieg seit diesem Vorfall. Der stille Vorwurf seiner Mitmenschen festigte seinen Trotz. Dennoch plagten ihn Schuldgefühle, obwohl er nicht wusste, was er falsch gemacht haben könnte. Sharif verstand die Welt nicht mehr. Die Menschen verachteten ihn und alles schien verdreht.
Die Karawane mit der Danka angereist war, machte sich wieder für den Nachhauseritt bereit. Man tauschte die Kamele aus, denn nach einem achttägigen Trail benötigten die Tiere die dreifache Zeit der Erholung. Hielte man diese Frist nicht ein, würde das Kamel bis zum letzten Atemzug durchmarschieren und einfach tot umfallen.
Sharif beobachtete, wie die Männer die Kamele bepackten. Die Tiere lagen hintereinander auf dem Boden und ließen sich Lasten an ihren Höckern befestigen. Nur das letzte Kamel blieb frei. Wie sich herausstellte, sollte es Dankas Leichnam tragen. Geübte Hände waren noch mit dem Einbalsamieren ihres Körpers beschäftigt, um ihn für die Rückreise so haltbar wie möglich zu machen. Es wurde beschlossen, dass die Verstorbene in ihrem Heimatdorf beigesetzt werden sollte. Die Gruppe entschied noch vor dem nächsten Sonnenaufgang aufzubrechen.
Sharif wurde unruhig. Es drängte ihn, sich der Reise anzuschließen. Er glaubte, es sei seine Pflicht, die geliebte Großmutter bis zum Grab zu begleiten. Als er nach Hause kam, äußerte er diesen Wunsch. Überrascht blickten ihn seine Eltern an. Nicht nur, weil er endlich wieder ein Wort sprach, sondern weil er fort wollte. Die Mutter wagte nichts zu sagen und versuchte im Gesicht ihres Mannes eine Antwort zu erkennen. Sharif stand mit herabhängenden Armen vor dem Paar und wartete ab. Der Vater schien unschlüssig und brauchte eine ganze Weile das Vorhaben zu durchdenken. Dann räusperte er sich kurz und fasste endlich einen Entschluss.
„Es ist wohl das Beste, wenn du diesen Ort für einige Zeit verlässt!“ Er klang traurig, aber bestimmend. Obwohl vieles sein Herz belastete, brachte er nicht mehr über die Lippen. Augenblicklich zog sich die Mutter den Schleier übers Gesicht. Sharif sollte ihre Tränen nicht sehen. Er war doch noch viel zu klein für so eine lange Reise.
„Pack Proviant für unseren Jungen zusammen!“ Die Frau stand auf und verließ die Feuerstelle. „Und du gibst Zulu eine extra Portion Futter. Sieh auch nach, ob ihre Hufe in Ordnung sind. Ich vertraue ganz ihrem Durchhaltevermögen, dass sie dich sicher durch die Strapazen trägt!“
„Das wird sie, ganz bestimmt!“ Sharif fühlte sich enorm erleichtert und freute sich auf die Reise. In der Nacht konnte keiner gut schlafen. Jeder wälzte sich hin und her bis Sharif eine Hand auf seiner Schulter spürte.
„Es ist soweit! Ich gehe Wasser für den Tee holen. Du kannst schon mal Zulu aus dem Stall führen!“ Sharif schlug die Schaffelle von seinem Körper. Draußen fand er eine Schale Wasser, die vom gestrigen Abend übrig geblieben war. Schnell klatschte er sich ein paar handvoll Wasser ins Gesicht. Die Kühle spannte seine Haut und spülte die restliche Schlaftrunkenheit einfach fort. Mit den Hemdsärmeln wischte er kurz übers Gesicht. Das musste reichen.
Zulu hatte er schnell gezäumt und eine größere Decke für ihren Rücken gewählt. Dann schritt er mit ihr zügig zum großen Versammlungsplatz, wo die Karawane gleich aufbrechen würde. Die frühmorgendliche Stimmung erinnerte ihn an den geheimen Ausflug in die Muchal Berge.
„Zulu, diesmal reiten wir nicht alleine. Wir lernen auch einen anderen Ort und Oase kennen! Hast du Lust?“ Die Stute schmiss ein paar Mal den Kopf in Höhe. Sharif deutete dies als Zustimmung. „Gut, dann mal los!“ Als Sharif den Platz erreichte, standen die Kamele hintereinander in einer Reihe. Jedes Tier war mit einem Strick an das vordere und hintere gebunden. Einige Tiere grollten tief und schienen nicht sehr begeistert zu sein. Sharif sah seinen Vater mit zwei Männern reden. Er deutete auf ihn und die Männer nickten. Dann schwangen sie sich auf ihre Pferde und trieben die Karawane zum Aufbruch an. Der Vater schritt auf Sharif zu.
„Du musst hinter dem letzten Kamel reiten! Hier ist noch was für unterwegs. In den Beuteln findest du getrockneten Käse, Feigen und Brot. Sei sparsam damit und pass auf, dass du den Anschluss nicht verlierst. Die Männer haben keine Zeit für Suchaktionen!“ Der Vater legte den Proviant über Zulus Widerrist und klopfte ihren Hals.
„Gebt gut Acht ihr beiden! Ich bin jetzt schon sehr stolz auf dich mein Junge!“
Die Karawane trat gemächlich an Sharif vorbei, so als liege bei den Tieren noch eine Morgensteifigkeit vor. Gleich war er an der Reihe. Zulu konnte es kaum abwarten, obwohl sie als Schlusslicht gehen musste - hinter allen Kamelen! Sie wieherte, so dass ihr ganzer Körper bebte. Vielleicht war es Protest oder ein Anfeuern der trägen Mannschaft.
„Es wird schon schiefen gehen!“ Der Mann zuckte ein wenig zusammen, weil er nicht gleich den eigentlichen Sinn verstand. Sharif beugte sich zu ihm runter.
„Vielen Dank, dass du mich mit reiten lässt. Ich werde dich bestimmt nicht enttäuschen!“
„Du musst los!“, brachte sein Vater gerade noch hervor. Zulu beendete mit einem Satz nach vorn das zähe Abschiedsgespräch. Sharif musste sie sogleich zügeln, um das Kamel, welches Danka trug, nicht in Panik zu versetzen.
„Herrje, jetzt mach nicht gleich zu Beginn solch ein Wirbel!“ Widerwillig fügte sich die Stute und stapfte den stinkenden Ungeheuern hinterher. Sharif drehte sich um und winkte seinem Vater zu. Im Halbdunkel konnte er dessen trauriges Gesicht nicht erkennen. Nach kurzer Zeit hatte die Karawane das grüne Paradies verlassen. Jetzt begann eine Phase, in der alle körperlich und mental bis an ihre Grenzen gefordert werden würden.
Drei Tage ritten sie schon schweigend durch die weite und stille Wüste. Die Einsamkeit und Ruhe taten Sharif sehr gut. Die Vorkommnisse der letzten Tage hatten den Jungen innerlich aufgewühlt. Der Falke, der Beduine, die verstorbene Danka beherrschten seine Gedanken. Jetzt allmählich entspannten sich die Nerven. Er war froh, dass ihn niemand ansprach und genoss das stundenlange Reiten auf und zwischen den Sanddünen. Der Wind spielte immerfort mit dem Sand, baute ihn zu Hügeln auf, formte gleichmäßig Wellen hinein, die das Muster eines Waschbrettes besaßen. Sharif entdeckte ständig etwas Neues und staunte über diese Schönheiten. Die Kamele schritten hintereinander in ihrer majestätischen Erhabenheit durch den weichen Sand. In der Tat, sie verkörperten die wahren Könige der Wüste. Ohne diese außergewöhnlichen Tiere käme ein Transportunternehmen niemals ans Ziel. Zulu akzeptierte allmählich die ständige Gegenwart der Kamele. Sharif hielt zu ihnen und deren Begleiter genügend Abstand.
Zulu trat leicht und freudig jeden Schritt und steckte hin und wieder ihre weichen, dunklen Nüstern in den heißen Wüstenwind, so als ob sie ein Abenteuer wittern wollte. Ohne Zulu hätte Sharif diese Reise sowieso nie gewagt. Sie war mehr denn je sein einziger Halt. Dankbar strich er ihr über den Mähnenkamm und ordnete die zerzausten Haare. Sharif wurde den Männern auch nicht zu einem lästigen Anhängsel. Er blieb bescheiden und jammerte nicht, wenn ihm der Hintern vor Schmerzen fast brannte. Hin und wieder drehte sich ein Reiter nach ihm um und ging sicher, dass er nicht verloren gegangen war. Man zeigte zwar kein großes Interesse an ihm, aber er war ein Teil der Karawane und sollte sicher das Ziel erreichen. Das hatte man per Handschlag versprochen.
Natürlich begegneten sie auch diesmal dem wilden Osram und seinen Artgenossen. Der Kamelhengst schien immer und überall zu sein. Auch sein Äußeres machte ihn zu einer Besonderheit. Ein dunkler Ring zog sich um seinen Höcker, als hätte man ihn gekrönt. Gelangweilt schauten die Wildkamele der Karawane nach. Vielleicht auch mit Blicken des Unverständnisses, wie man sich nur so versklaven lassen kann.
Sharifs Schwermut hatte sich schon längst verflüchtigt, als die Truppe auf ein kleines Gebirge zusteuerte. Spitze Berge ragten aus der Dünenlandschaft hervor. „Das scheint unser nächstes Ziel zu sein!“, überlegte Sharif. Sie nahmen die letzte Düne und standen mit einem Mal vor rötlichen Felswänden, die aus dem beigen Sand hervorstießen. Plötzlich stoppte der Anführer der Truppe und winkte die anderen Reiter zu sich her. Die Männer berieten sich, aber Sharif konnte nicht hören, um was es ging. Dann löste sich einer aus der Runde und galoppierte zu Sharif. Er machte sich nicht die Mühe das Leinen vom Mund zu nehmen. Aber Sharif verstand auch so die Anweisungen.
„Vermutlich wird bald ein Samum aufbrausen! Wir suchen Schutz in den Bergen! Also, bereite dich darauf vor!“ Sofort wendete er und ritt wieder zu seinem Posten.
„Samum?“, wiederholte Sharif überrascht. Das hatte er schon mal gehört und erinnerte sich. „Was! Jetzt - hier ein Sandsturm?“ Er blickte um sich, konnte aber keine Sandlawine entdecken. Auch das Wetter deutete ihm keine Vorboten. Aber mit diesen Feinheiten kannte er sich eh nicht aus. „Ph, vielleicht wollen die uns auch nur Angst einjagen!“, sprach er zu Zulu. Ihre Ohren folgten seiner Stimme. Gehorsam wartete sie auf weitere Kommandos. Die Karawane hatte es nun sehr eilig, das Gebirge zu erreichen. Die Männer trieben die voll bepackten Kamele an.
„Jalla, jalla!“, klang es hektisch. Auch die tote Danka wurde ordentlich auf dem trabenden Kamel durchgerüttelt. So nah wie möglich bauten die Männer an den Felswänden ihre kleinen Zelte auf. Sharif hielt es für besser das gleiche zu tun. Er klappte das große Leinensegel auseinander, steckte zwei robuste Äste tief in den Sand und stülpte das Leinen darüber. An den Enden spannte er das Tuch mit kleinen Holzpflöcken zu einem Zelt. Zufrieden betrachtete er sein Werk. Dann klatschte er sich den Sand von den Händen und suchte erneut den Horizont ab.
„Hm, ich kann nichts von einem Sandsturm sehen! Was ist wenn die Sonne die Männer irre gemacht hat? Oje, ich darf gar nicht daran denken!“
Ihr Tagespensum hatten sie längst nicht erreicht. Mit diesem Stopp würde fast ein Tag verloren gehen und die Wasserration wurde halbiert. Man ließ alle Tiere frei in der Nähe des Lagers zur Ruhe kommen. Wenn Gefahr drohte, wollte man ihnen die Flucht nicht erschweren. Es war erst später Nachmittag, als man einen Kessel über ein Feuer hing und zu kochen begann. Getrocknete Kräuter und Knochenteile vereinten sich darin zu einer würzigen Suppe. Ein gemeinsames Abendessen hatte bislang immer als glücklichen Abschluss eines erfolgreichen Tagespensums gegolten. Währenddessen redeten die Männer viel miteinander und lachten gerne. Nur heute blieb jeder schweigsam.
Sharif saß mit ihnen um den Kessel herum. Einer von ihnen füllte seine hölzerne Schale mit der heißen Brühe. Mit einem Nicken bedankte sich der Junge und begann an der scharfen Suppe zu schlürfen. Hin und wieder blickte er auf und sah in die Gesichter seiner Begleiter. Ringsum nur ernste Mienen. „Es scheint doch irgendwas Faules in der Luft zu liegen!“, überlegte Sharif. Doch sogleich konzentrierte er sich wieder auf das Essen und tunkte die Schale mit Fladenbrot aus.
„Aaa!“ Er fühlte sich gut und satt. Die schlechte Stimmung seiner Begleiter wechselte nicht zum Guten, und da eh keiner ein Wort an ihn richtete, verließ er die Runde. Keiner blickte ihm nach. Also stapfte er durch den tiefen Sand zurück zu seinem Zelt. Zulu knabberte an einem kleinen Heubüschel und hob den Kopf, als sie ihn bemerkte.
„Wie gut, dass ich dich habe! Ich glaube zwischen den Kamelen und den Männer gibt es keinen großen Unterschied!“ Über diese Feststellung musste er selbst lachen. Zulu hob mehrmals den Kopf, als hätte sie das schon lange gewusst. Sharif kraulte sie hinter den Ohren und lauschte dem Zermalmen von Heu. Von einem Sturm war immer noch nichts zu hören und zu sehen. Sharif zweifelte nach wie vor an der Warnung. Die Luft stand wie eine Wand. Nicht die geringste Bewegung war zu spüren. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Sharif Sandstürme nur in der geschützten Oase erlebt. Während die Naturgewalten über die Oase sausten, fand er genügend Schutz zwischen seinen Eltern in der Lehmhütte. Doch das Brüllen des Sturms hatte ihm jedes Mal Angst eingejagt. Die zerstörerische Wut solcher Naturkräfte kannte er nur von Erzählungen. Das alles schien immer noch weit weg zu sein.
Völlig unbedarft legte er sich in sein Zelt. Er wickelte sich in sein Schafsfell ein und fand bald einen tiefen Schlaf. Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als er von Zulus lautem Gewieher aufschreckte. Solch ein hohes Wiehern hatte er noch nie von ihr gehört. Mit einem Ruck saß er aufrecht, blickte in Dunkelheit und lauschte. Sein Herz raste und er überlegte, wo er sich eigentlich befand. Schnell fiel ihm ein, dass er auf einer Durchreise war. Wieder drangen Zulus Laute zu ihm und erstickten sogleich im Rauschen des herannahenden Sturmes.
Es blies ein aggressiver Wind und zerrte ärgerlich an seinem Zelt. Das dünne Leinen bebte auf und ab, flatterte laut, den heftigen Luftmassen willenlos ergeben, als ob jemand mit Fäusten drauf einschlagen würde. Es war abzusehen, dass es bald weg riss.
„Raus hier!“, schrie es in Sharif. Dieser Ort bot ihm keinen Schutz. In der Dunkelheit tastete er sich zur Öffnung des Zelts und wagte nach draußen zu schauen. Nichts war zu erkennen außer einer schwarzen Wand mit unzähligen Sandkörnchen in der Luft strömend. Sofort kniff er die Augen wieder zusammen. Die Laute von Tier und Mensch wurden übertönt von dem Getöse des Sturms. Zulu schien bereits fort geblasen zu sein. Er hörte nur noch das übermächtige Brausen der wild gewordenen Luftmassen. Schlagartig löste der Sturm die Befestigungen des Zelts. Mit plötzlicher Wucht riss das Zelt aus seiner Verankerung und sauste mit einem Zischen über Sharifs Kopf hinweg. Augenblicklich saß der Junge völlig schutzlos inmitten dieser Naturgewalt. Niemand war da, um ihn zu retten!
Er wusste nicht mehr, wo oben und unten war – überall Sand! Instinktiv zog er sein Oberhemd über den Kopf, damit die Nase zum Atmen frei blieb. Er presste die Augen so fest zusammen, wie es nur ging. Der Sturm peitschte die winzigen Sandkörner auf Sharifs mageren Körper. Durch alle Ritzen drangen sie ein und stachen wie Tausende von Nadeln. Der Sand wollte ihn bedecken, begraben, ihn als Opfer haben. Sharif war gezwungen immer wieder aus seinem Grab hervor zu krabbeln. Das kostete Kraft.
„Zulu!“, dachte er. „Wo ist sie nur?“ Er konnte ihr nicht helfen, war ja selbst mit sich beschäftigt. Erneut schaufelte er sich aus einem Sandloch frei. Das Atmen viel schwerer und seine Reserven verbrauchten sich rasch. Der Sturm toste und brauste über ihn hinweg und lebte seine Wut mit ohrenbetäubendem Heulen aus. Es glich einem zornigen Gejaule. Wie ein Monster, das sein Unwesen in der Wüste trieb, alles wegfegte, umbog und unter aufgetürmten Sandmassen für immer beerdigte. Auf Sharifs Körper hatte er es auch abgesehen. Dem Jungen wurde klar, dass er keine Chance besaß. Er glaubte, er müsse bald sterben, so schutzlos und alleine fühlte er sich der Katastrophe ausgesetzt. In seinem Überlebenskampf kroch er mit letzter Kraft aus seinem Sandbunker hervor, um etwas Luft zu erhaschen. Doch plötzlich dröhnte es nur noch in seinem Kopf und hörte seinen eigenen Puls rauschen. Kurz darauf erschlafften die Muskeln. Er hatte alles aus seinem Körper herausgeholt. Jetzt war genug. Sein Körper und Wille brachen in sich zusammen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er sich an einen großen Felsen geschleppt und lag nun bewusstlos in dessen Schutz.
Mit einem Mal schwächte der Sturm ab und verebbte letztendlich hinter den Bergen. Es wurde still. Die Luft klärte sich und die funkelnden Sterne am Himmel kamen wieder zum Vorschein. Das gewohnte klare Bild einer friedlichen Nacht.
Am nächsten Tag brannte die Sonne wie eh und je auf die Wüste hernieder, so als wäre gar nichts geschehen. An dem Platz, wo die Karawane sich nieder gelassen hatte, blieben keine Spuren von Menschen oder Tieren zurück. Entweder war alles davon geblasen worden oder meterhoch unter Sand begraben. Sharif würde nie erfahren, was mit den anderen passiert ist. Die Wüste schien sich von allem Lästigen befreit zu haben.
Nur in dem engen Tal des roten Gebirges bewegte sich etwas. Ein weißer Pferdekopf schob sich langsam und misstrauisch aus einer Felsöffnung hervor. Ohne Zweifel, es war Zulu, die rechtzeitig die Flucht ergriffen und ein sicheres Versteck, quasi in letzter Minute gefunden hatte. Nach dem Erlebnis mit dem Falken, wusste sie schnell geeignete Verstecke zu finden. Die Stute war unglaublich schlau. Nochmals streckte sie die Nüstern in die Luft und spitzte die Ohren. Die Luft schien rein. Dann prustete sie ein paar Mal, was „na endlich“ hätte heißen können und stolperte unversehrt aus der kleinen Höhle. Jetzt galt es ihren Freund zu finden, der anscheinend den Sturm beinahe verschlafen hätte. Menschen sind eben anders. Sie besitzen kein Feingefühl, wenn Gefahr droht. Da kann man noch so laut herum wiehern und warnen, sie begreifen es nicht! Also trottete sie zum ehemaligen Lager zurück.
Die Wüste zeigte sich mit neu geformten Dünen. Nur die Felsen blieben standhaft und befanden sich am selben Ort. Zulu begann ihre Suche an dem Punkt, wo Sharifs Zelt stand. Sie senkte ihren Kopf und schnaubte in den Sand. Manchmal scharrte sie mit ihren Hufen, wenn sie glaubte, etwas gefunden zu haben. Dabei musste sie auf der Hut vor Walzenspinnen oder Skorpionen sein. Gerade die Walzenspinne ist angriffslustig und springt beißend bis auf Kniehöhe. Aber auch das würde sie nicht davor abhalten ihren kleinen Freund so lange zu suchen, bis sie tot umfiel.
Allmählich näherte sie sich dem Felsen, wo Sharif bedeckt lag. Die Stute schnaubte und scharrte, bis sie ihn endlich entdeckt hatte. Vorsichtig blies sie die Sandschicht von seinem Körper und leckte mit der rauen Zunge das Gesicht des Jungen frei. Die sandverkrusteten Augen und Nasenlöcher bearbeitete sie besonders behutsam. Hin und wieder schubste sie seinen Körper, versuchte ihn wachzurütteln und gab einen Laut von sich. Dann leckte sie weiter. Endlich erlangte Sharif das Bewusstsein. Verwirrt nahm er diese raue und feuchte Reibung auf seinem Gesicht wahr.
„Hm...? Bäh, aufhören!“ Er wehrte mit den Händen ab. Zulu quietschte mit ihrer Pferdestimme und schüttelte den Kopf. Wohl eine Mischung aus Empörung und Freude zugleich. Sharif blinzelte in die Helligkeit und versuchte sich aufzusetzen. Zulu war begeistert und nickte immerzu mit ihrem Kopf. Ein widerlich beißender und trockener Geschmack quälte Sharifs Mund und Hals. Mit kräftigem Husten versuchte er das Kratzen auszuspucken. Es half nicht viel. Als er sich beruhigte, blickte er um sich.
„Zulu! Da bist du ja! Ah, bin ich froh! Was ist denn nur passiert?“ Als er diese Frage aussprach, erinnerte er sich an letzte Nacht. „Wo sind die anderen?“ Er stand auf und klopfte den Sand ab. Sharif bemerkte die Schwäche in seinen Gliedern und tat langsamer. Er machte sich Sorgen um die anderen. Außerdem brauchte er ja auch ihren Schutz.
„Oje, sind sie wirklich alle weg?“ Zulu prustete, woher sollte sie das wissen.
„Wo warst du eigentlich? Na ja, ist auch egal. Hauptsache du bist da! Und du hast mich gefunden und gerettet!“ Glücklich lehnte er sich an ihren warmen Körper und kraulte ihren Hals. Zulu hob den Kopf und genoss die Fellmassage. „Ah, da hängt ja noch ein Wasserschlauch an dem Gepäckgurt! Und meine Steinschleuder ist auch da!“ Schnell griff er nach dem Wasser und goss den Rest in seinen Mund. Viel war es nicht. Eigentlich feuerte es den Durst erst richtig an.
„Wo und wie finden wir Wasser?“ Sharif band den leeren Beutel wieder fest. Er wusste es nicht. In die Geheimnisse der Wüste und Überlebensstrategien hatte ihn noch keiner eingewiesen. Nur ein Trumpf konnte ihm eventuell das Überleben sichern. Seine kindliche Unbedarftheit schützte ihn vor Panikattacken und er entschied sich zum Handeln.
„Tja, uns bleibt nichts anderes übrig als weiter zu reiten!“, riet er seiner Stute. Sogleich stieg er auf ihren Rücken, nahm die Zügel auf und fragte zu Reckt: „In welche Richtung gehen wir?“