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Stir it up


In einer Zeit von Smartphones und Social Media ließ natürlich auch das erste Unfallbild nicht lange auf sich warten. Da sich die Medienberichte nur so überschlagen hatten – der Unfall lag immer noch erst wenige Stunden zurück –, bemühte ich mich um eine mediale Richtigstellung auf unserer eigenen Facebook-Seite.

Und zwar auf der Seite, auf der sich ansonsten nur Bilder von fußballbegeisterten Kindern finden, die eines der vielen Nachwuchscamps besuchen, wie sie mein Papa seit knapp zwei Jahrzehnten veranstaltet.

Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als er mit jenen Camps erstmalig startete. Kurz zuvor, es war das Jahr 1998 gewesen, hatten wir einige Monate in Ober-Olm bei Mainz gelebt. Papa hatte den deutschen Erstligisten FSV Mainz 05 im September des Vorjahres unter Präsident Harald Strutz übernommen und bei der Pressekonferenz, danach gefragt, was er denn mit der Stadt am Rhein verbinde, schlichtweg mit „Helau“ geantwortet. Eine Finanzkrise, schlechte Trainingsbedingungen und die schier ausweglose Suche nach leistbaren Spielern hatten Papa, der auch bei den Deutschen als „personifizierte Furchtlosigkeit“ bekannt war, nicht abgeschreckt. Neben dem heute als Erfolgstrainer im internationalen Fußball geltenden Jürgen Klopp hatte er dabei auch seine übrigen Kicker großteils auf seiner Seite. In Zeitungsberichten von damals ist sogar nachzulesen, dass er die Profis dazu ermutigen konnte, in eigens organisierten Fahrgemeinschaften zu den Auswärtsspielen zu reisen, um das Geld für den Mannschaftsbus in die dringend benötigten Ersparnisse des Vereins einzahlen zu können. Eindeutig bestätigen konnte mir diese Episoden zwar auch Harald Strutz (der insgesamt 29 Jahre lang, von 1988 bis 2017, Präsident des Sportvereins 1. FSV Mainz 05 gewesen ist) heute nicht mehr, doch halte ich es für ohne Weiteres vorstellbar, dass Papa derartige oder ähnliche „Sparmaßnahmen“ einzuführen wusste.

Geholfen hatten auch jene durchaus unkonventionellen Methoden dem Verein am Ende zu wenig, und nachdem die Mannschaft seines Erachtens zu häufig unentschieden gespielt hatte, war es damals Papa selbst gewesen, der dem Präsidenten gegenüber schließlich meinte: „Woast, i mag euch wirklich. Und deswegen müssts ihr jetzt den Trainer wechseln.“ Ein Eingeständnis, das Harald Strutz bis heute imponiert, wie er mir gegenüber bestätigte. Nach einer Saison war jedenfalls Schluss mit Papas Tätigkeit im Nachbarland und unser Weg führte uns zurück nach Mutters in Tirol.

Wir als Familie – allen voran Mama, der die Mainzer Gegend ohnehin nie wirklich zugesagt hatte – waren erleichtert, wieder nach Österreich zurückkehren zu können. Und so kam es, dass Papa – zurück in der Heimat und vorübergehend arbeitslos – seinen lang gehegten Plan von Nachwuchscamps in die Tat umsetzen konnte. Zwar nicht vorrangig deshalb, weil er nach seinem Job bei Mainz 05 arbeitslos geworden war. Das passierte ihm als Trainer in seiner Karriere nämlich öfters. „Der Fußball is kurzlebig. Warum soll i zittern, nur weil i a Woche ohne Job bin? Man muss zufrieden sein mit dem, was man hat. Du kannst a intelligenter Mensch sein, aber des Pech haben, dass’d in Jugoslawien wohnst und deine Familie umgebracht wird. Is es da net wurscht, wer Teamchef wird?“ So relativierte Papa im Jahr 1992 den Verlust seines ersten Interimstrainerpostens beim Österreichischen Nationalteam mit dem Hinweis auf den zum damaligen Zeitpunkt herrschenden Jugoslawienkrieg.

Der Beruf des Fußballtrainers gehört bestimmt zu den populärsten, jedoch nicht wirklich zu den sichersten Arbeitsplätzen unserer Republik. Und weil Papa nach jahrelanger Trainertätigkeit bereits an diese regen Wechsel gewöhnt war, hatte ihn auch jene vorübergehende berufliche Pause nach unserer Rückkehr aus Deutschland nicht allzu sehr gesorgt. „Der Papa ist gerade arbeitslos, aber irgendwie wird es schon weitergehen. Denn: Wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her!“, erinnere ich mich an eine seiner Bemerkungen kurz nach dem Weggang von Mainz 05.

Die Kindercamps rief er jedenfalls ins Leben, um endlich seiner lang gehegten Leidenschaft der Nachwuchsförderung frönen zu können: „Vielleicht, wenn’s mich wieder einmal in die Ferne zieht, werde ich Fußballlehrer in einem US-Jugendcamp, wie es derzeit mein Freund Peter Koncilia macht“, hatte er sich bereits als 28-jähriger Spieler vom FC Union Wels zu möglichen Zukunftsprojekten geäußert.

Rund 15 Jahre später sollte er dieses Vorhaben in die Tat umsetzen können: Die „Fußballcamps mit Didi Constantini“ waren geboren. Gesponsert und unterstützt von zahlreichen namhaften Unternehmen, darunter Telekom Austria und Intersport Österreich, finden Papas Camps bis heute jeden Sommer an unterschiedlichen Orten Österreichs für fußballbegeisterte Kinder statt.

„Unsere Philosophie ist, dass wir mit ehemaligen Fußballprofis arbeiten. Das is das, was ich auch immer predige. Und dass die Kinder auch wirklich was lernen, dass es nicht nur ein Urlaubscamp ist“, erklärte er einmal einem Filmteam seine Motivation für die Camps.

Neben dieser Art der Nachwuchsförderung liebte es Papa auch, als aktiver Trainer Fußballturniere für Kinder mitzugestalten und verschiedene Jugendmannschaften als Gasttrainer zu coachen. Wie stolz war auch ich, als Papa sogar regelmäßig in meine damalige Schule kam, um das alljährliche Fußballturnier zur Weihnachtszeit zu pfeifen.

Sogar sportartübergreifend sorgte er für viel kindliche Freude, wenn er meine Schwester und mich bei unseren Reitturnieren besuchte, um mit uns und unseren Reitfreunden allerhand Aufwärmprogramme zu gestalten, bevor wir in den Sattel steigen mussten. „Locker, aber konzentriert“, gab er uns dabei immer mit, bevor wir in die Wettbewerbe einritten.

Und nahmen Leni und ich einmal nicht im Sattel Platz, so tauschten wir jene Reitturniere gegen Trainingswochen, in denen wir Papa und sein Team zu den Camps begleiten durften. Neben den angesprochenen Profitrainern bestand seine Camp-Mannschaft stets auch aus Betreuern, die sich vor allem abends und in den Trainingspausen um die vielen Kinder kümmerten. Für Leni und mich als sogenannte „Juniorbetreuerinnen“ war es toll, die teilnehmenden Jungs (meist kickten übrigens auch Mädchen mit!) beim Spielen beobachten zu können, sie beim täglichen Morgenlauf anzuspornen, vor allem aber sie an die Bettruhe zu erinnern. Um anschließend mit dem Trainer- und Betreuerteam noch Karten spielen zu können. Wie die Großen eben! An jene „Nachtwachen“, die wir stets an der Seite der Campbetreuerinnen (meist handelt es sich dabei um Frauen) verbrachten, erinnere ich mich besonders gerne. Dabei wurden wir nicht nur einmal von diversen Buben-Zimmer-Gruppen mit einem musikalischen Ständchen überrascht. „Stir it up“ und „No woman no cry“ von Bob Marley sind bis heute die unangefochtenen most-played Klassiker jener Abend-Chöre. Ob unter den Sängern auch jene Teilnehmer gewesen sind, die später und nicht zuletzt durch die Empfehlungen und Vermittlungen meines Papas zu wahrhaftigen Spitzen-Fußballern geworden sind, ist mir heute leider nicht mehr gegenwärtig. Jedenfalls fanden sich unter seinen Schützlingen Namen wie Daniel Royer, Julian Baumgartlinger, Aleksandar Dragović, Yasin Pehlivan, Jakob Jantscher und einige mehr.

„Es ist uns gelungen, einen Tormann, einen Fünfzehnjährigen, zu AS Roma zu schicken, letztes Jahr hab ich einen zu Bayern München geschickt, zu Austria Wien einen Neunjährigen oder zu 1860. Des is ein Leichtes für mich, aber wenn, dann mach ich das nur mit wirklichen Toptalenten“, fasste Papa die erfolgreichen Vermittlungen einiger seiner Campkids zusammen, die später zu Toptalenten werden sollten. So manche von ihnen hatten zu Beginn nicht die Mittel gehabt, um an dem kostenpflichtigen Kindercamp teilzunehmen. Mein Papa löste das dann schon mal auf seine Art: „Gebt ihm ein Dress und einen Ball und lasst ihn einfach mitspielen.“ Und so hält sich beispielsweise auch der heute 29-jährige Aleksandar Dragović, dem als Nachwuchskicker ein Didi-Camp ermöglicht worden war, mittlerweile bei einem stolzen Marktwert von 5,2 Millionen Euro.1 Sein Nationalteam-Debüt gab der in Wien geborene und aus Serbien stammende Innenverteidiger, der bis 2018 von seinem Stammverein Bayer Leverkusen an den englischen Erstligisten Leicester City verliehen worden war, im Übrigen ebenfalls unter meinem Papa als Trainer. Nämlich am 6. Juni 2009 beim Qualifikationsspiel der Österreichischen Nationalmannschaft gegen Serbien.

Aber um zu unseren Camp-Abenden zurückzukommen: Ganz egal, welcher spätere Profi-Fußballer sie auch zum Besten gegeben haben mag, jene einstigen „Camp-Chöre“ bildeten häufig nur einen Vorwand, um den ein oder anderen Liebesbrief zwischen den Campjungs und uns Mädchen wechseln zu lassen.


Unkonventionelle Methoden, um an Geld für den Verein zu kommen, wusste Papa auch aus Spielerzeiten anzuwenden. Wie hier bei der verzweifelten Sponsorsuche kurz vor der Auflösung des FC Union Wels, für die er im Jahr 1984 selbst gekickt hatte. Foto: rubrafoto


Diese Richtigstellung habe ich kurz nach dem Unfall auf unserer Camp-Facebook-Seite verfasst. Das Camp wird seit 2018 durch Papas langjährigen Spieler- und Trainerkollegen Andi Schiener verstärkt. Foto: Constantini


Die ersten der nun über zwei Jahrzehnte andauernden Fußballcamps mit Didi Constantini wurden von der Telekom Austria unterstützt. Foto: Constantini


Bis zu 13 Camps fanden jeden Sommer statt. Die 6- bis 16-jährigen Teilnehmer konnten dabei lange Zeit auch vor Ort in Unterkünften übernachten. Aktuell finden nach wie vor zwei Trainingseinheiten täglich statt, und die Teilnehmer schlafen zu Hause. Foto: Constantini


Nach wie vor lässt es sich Papa nicht nehmen, seine Camps zu besuchen. Wie hier im Jahr 2019 kurz nach seinem Unfall. Foto: Constantini


Mit Camp-Teilnehmer Julian beim Camp in Ischgl im Jahr 2018. Foto: Constantini


Auch im Jahr 2019 und damit kurz nach seinem Unfall fieberte Papa am Rand des Austragungsplatzes des Turniers mit. Foto: Mel Burger


Dank unserer Eltern wurde Leni und mir der Reitsport ermöglicht. Bis heute genießen wir die Zeit mit den Pferden. Foto: Fotoagentur Dill


Aleksandar Dragovich zählte zu jenen „jungen Wilden“, die ihr Nationalteam-Debüt unter Papa als Trainer gegeben haben. Foto: APA

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