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Hashtag Didi Constantini


„Stir it up“ – Rühr es auf! – sollte sinngemäß jedenfalls auch zutreffen, als ich mich – aufgewühlt durch die Geschehnisse der letzten Stunden – in der Nacht nach Papas Unfall um die mediale Richtigstellung bemühte. Unsere Camp-Seite war dafür vielleicht nicht die passendste Plattform, aber wir mussten schließlich irgendwo auf die vielen Schlagzeilen des „schwerverletzten Ex-Nationaltrainers“ reagieren. Glücklicherweise hatte es sich bei Papas Verletzungen ja wirklich nicht um solche von lebensbedrohlichen Ausmaßen gehandelt. Trotzdem zogen jene ersten Berichte bereits wenige Minuten nach ihrer Veröffentlichung unzählige Nachrichten über Whatsapp, SMS, diverse Messenger-Dienste sowie Anrufe und Mails nach sich. Und ließen unsere Displays die ganze erste Nacht nach dem Unfall glühen – eine Anteilnahme unermesslichen Ausmaßes, die mir zeigte, nein bestätigte, welch hohe Sympathiewerte mein Papa auch Jahre nach seinem offiziellen Rückzug aus dem Sport noch genoss. Vor allem in jener ersten Nacht nach dem Unfall überforderten uns diese zahlreichen Nachrichten aber auch zugleich. Selbst konnten wir ja noch gar nicht begreifen, was an diesem vergangenen Nachmittag des 4. Juni 2019 passiert war.

Heute – und damit ein knappes Jahr nach diesen so aufwühlenden Stunden – bin ich für jede einzelne Botschaft dankbar. Vor allem für die zahlreichen Nachrichten von den Menschen, die sich nach dem Unfall direkt an uns gewandt haben. Auch für die Kontaktnahme jener Medienvertreter, die zuerst bei uns nachfragten und dann die von uns freigegebenen Informationen abdruckten. Ich bin für alle dankbar, die online oder telefonisch ihre Anteilnahme und die vielen Genesungswünsche kundgetan haben. Die in der Klinik vorbeigekommen sind und mit meinem Papa gelacht und gesprochen haben, über Fußball, die gerade laufende Frauenfußball-WM und alles, was ihn in diesem Moment interessierte. Ich erinnere mich gerne daran, wie er sich über die vielen Besucher freute. Über die Menschen, die es überaus gut mit ihm meinten und meinen und deren Zuspruch unserer ganzen Familie so gutgetan hat.

Natürlich brachten diese Tage auch Enttäuschungen. So haben sich manche Menschen nicht gemeldet, von denen wir es erwartet hatten. Möglicherweise, weil sie aus Scham den Kontakt zu uns gescheut hatten. Vielleicht, weil sie meinten, nicht die richtigen Worte finden zu können. Zur Popularität gehört immer auch ein reger Wechsel an Weggefährten. Diese Erfahrung hat mein Papa in seinem Leben wohl mehr als einmal gemacht. Von den einst besten Freunden – als er berühmt und stets auch sehr großzügig war – sind so manche von der Bildfläche verschwunden, sobald er nicht mehr zur besten Sendezeit auf dem Bildschirm erschien.

Papa selbst sprach über sein Tun nicht allzu gerne auf jenen Kanälen mit den höchsten Einschaltquoten. Vielmehr war er stets jemand, der Taten sprechen lassen wollte. So erfuhren die Medien beispielweise von ihm nicht, wie er für einen jungen Admiraner, der sich das Begräbnis für seine verstorbene Mutter nicht leisten konnte, Spenden über den Verein gesammelt hat. Als Tochter kenne ich unzählige Beispiele mehr, in denen Papa seine Menschlichkeit bewies und niemals offen darüber sprach.

Während jener Tage in der Klinik jedenfalls taten wir gut daran, Enttäuschungen über diejenigen, die sich nicht gemeldet hatten, keinen allzu hohen Stellenwert einzuräumen. Schließlich mussten wir unsere Energien sparen. Dabei halfen immerhin sehr viele „Herzensmenschen“, indem sie auch negative Begegnungen von uns abzuschirmen versuchten. Innerhalb der Klinikmauern war es zudem das beschäftigte Personal, bestehend aus Pflegern1, Schwestern und Ärzten, die durch ihre professionelle und zuvorkommende Arbeit wesentlich dazu beigetragen haben, dass wir uns dort so anonym wie möglich aufhalten konnten. Gegen neugierige Mitpatienten, die ihren Spaß daran fanden, Papa im weißen Patientenkilt abzulichten, hatte das Klinikpersonal leider keine Handhabe.

An eine jener Situationen erinnere ich mich noch besonders gut: Ich hatte Papa zum Röntgen begleitet. Ein Kontrollbild seines verletzten Fußes musste gemacht werden, und so war ich ihm und einem Krankenpfleger ins Erdgeschoss bis vor die Behandlungsräume gefolgt.

Die Untersuchung verlief reibungslos, das Bild konnte schnell gemacht werden, und wir mussten im Anschluss daran noch einige Minuten auf den behandelnden Arzt warten. Der Krankenpfleger hatte Papas Bett an die Wand im Warteraum geschoben, sodass wir uns unterhalten konnten. Papa konnte noch nicht selbst auftreten, weshalb er, im Bett liegend, auf die Ankunft des Mediziners warten musste. Während wir miteinander plauderten, schweifte mein Blick durch den Raum. Eine etwas ältere Dame und ein junger Bursche hatten neben uns auf den Bänken Platz genommen. Der Bursche war mir schon vor der Untersuchung aufgefallen, seine erstaunten und auch etwas erschrockenen Blicke zu Papa hin waren kaum zu übersehen gewesen.

Mein Gefühl sollte mir recht geben. Während wir warten mussten, beobachtete ich, wie der Bursche langsam, aber sicher sein Handy vor seinem Oberkörper aufrichtete. Er hielt es vor sich in Bauchhöhe senkrecht nach oben, die Kameralinse in der rechten oberen Ecke zielte direkt auf meinen Papa.

Der Bursche war offensichtlich davon ausgegangen, dass ich in dem Moment zu sehr in das Gespräch mit Papa vertieft gewesen war, um sein Vorhaben beobachten zu können. So hob er sein Smartphone noch etwas schamloser in die Höhe, möglicherweise auch, um das gesamte Krankenbett meines Papas ablichten zu können. Mit mir hatte der junge Mann jedoch nicht gerechnet. Längst war ich – nach wie vor auf dem Bett sitzend – in Kopfhöhe von Papa gerutscht, um jedenfalls sein Gesicht verdecken zu können. „Unter welchem Hashtag konnte der junge Mann schon posten, wenn auf seinem geschmacklosen Schnappschuss niemand zu erkennen ist?“, dachte ich und schirmte meinen Papa so lange mit meinem Körper ab, bis der Krankenpfleger nach dem OK des behandelnden Arztes das Bett langsam wieder aus dem Raum schob.

Ich atmete erst wieder erleichtert auf, als wir um die Ecke in Richtung der Aufzüge unterwegs waren. Und trotzdem ließ mich dieser Vorfall noch nicht los. Papa hatte davon nichts bemerkt und unterhielt sich nun angeregt mit dem Krankenpfleger. Ich glaube, es ging dabei wieder einmal um die zu diesem Zeitpunkt laufende Frauenfußballweltmeisterschaft. Ohne ihn aus diesem Gespräch reißen zu wollen, gab ich dem Krankenpfleger ein Zeichen, gleich nachzukommen, und machte mich nochmals auf den Weg in den Warteraum.

„Und – hast du dein Bild bekommen?“, fragte ich den jungen Mann mit bewusst ruhiger Stimme, was mir in diesem Moment zugegebenermaßen so gar nicht leichtfiel.

Erstaunt schreckte der Hobbyfotograf von seinem Display hoch. „Natürlich nicht, nein. So etwas würde ich nicht tun!“, erinnere ich mich an seine Verteidigungsworte.

Eine Diskussion anzufangen, erschien mir zu diesem Zeitpunkt sehr unsinnig, denn ich musste mir meine so wichtigen Energieressourcen bewahren.

„Bist du ..., bist du die Tochter, oder? Wie geht es ihm?“, stammelte der Bursche beschwichtigend.

Bis heute weiß ich nicht, ob es ein Bild von Papa und mir gibt, wie wir auf die Röntgenaufnahmen dieses Tages gewartet haben. Ich hoffe es nicht, doch da ich in jenen Tagen nicht immer in der Klinik war, weiß ich auch nicht, ob solche oder ähnliche Aufnahmen tatsächlich immer verhindert werden konnten. Dass ich den unverschämten Hobby-Paparazzo zur Rede gestellt habe, darüber bin ich jedenfalls froh.

Genau so wie seine unverschämten Fotoversuche mussten wir so manche unpassenden Bilder und bösen Kommentare in dieser Zeit schlichtweg hinnehmen. Während wir versuchten, Papa davon abzuschirmen, hatten mittlerweile Unwahrheiten und unbestätigte Aussagen medial die Runde gemacht. Vor allem sogenannte „Top-Leser“ – das sind User, die besonders oft digitale Beiträge von Zeitungen kommentieren – gaben ihre ungefilterten Meinungen zum Gesundheitszustand meines Papas online preis und diskutierten angeregt darüber.

Ich bemühte mich, ihre Ausführungen zu ignorieren. Vielleicht hatten sie aus Langeweile geschrieben, vielleicht aus Enttäuschung, um zu belehren, oder aus reiner Unzufriedenheit. Auch über die Medienvertreter habe ich mich nicht lange geärgert, da sie nur ihrem Job nachgegangen sind und dem Druck der von ihnen geforderten Berichterstattung vor allem in der ersten Nacht nach dem Unfall nachgegeben haben. Ob sie unsere Privatsphäre verletzt hatten, indem nur Stunden nach dem Unfall ein Bild mitsamt Papas Namen in zahlreichen Zeitungen erschien, oder nicht – darüber machte ich mir nur zu Beginn Gedanken, als sich sogar die ermittelnden Polizisten der Autobahnpolizei nach den ersten Veröffentlichungen genötigt sahen, uns darauf aufmerksam zu machen, dass die Presse jenes Unfallbild nicht von ihnen erhalten hatte.

Das bestätigte mir jedenfalls: Geschmackvoll war die mediale Berichterstattung dieses Nachmittags im Juni 2019 jedenfalls nicht gewesen. Doch so ist das nun mal, wenn eine sogenannte „Person öffentlichen Interesses“ auch weit nach ihrem offiziellen Karriereende in einen Autounfall verwickelt ist. Ein Geisterfahrerunfall ist zwar leider etwas beinahe Alltägliches – im Jahr 2019 gab es laut Ö3 Verkehrsfunk sogar ganze 417 Warnmeldungen in Österreich2 –, doch erregt er immer noch mehr Aufmerksamkeit als ein gewöhnlicher Auffahrunfall. Ganz egal ob sich die aufbrausenden „Top-Leser-Online-Kommentare“ also um die Frage nach Alkohol am Steuer oder um etwaige Demenz-Gerüchte gedreht hatten, dass ein solcher Eiertanz folgen würde, war uns klar, noch bevor der Unfall genau rekonstruiert werden konnte.

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