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Erste Liebe

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Wir sind nicht mehr zusammen, aber als alles anfing, war ich vollkommen verknallt in Nail. Der Junge haute mich einfach um, so schön ist er und so intelligent. Er liest Schopenhauer und Nietzsche. Ich lese nie was oder zumindest fast nie. Nails Mama trinkt gerne Sekt. Den holt sie sich in der Tanke, niemals im Supermarkt. Sie verdient das Geld für Nail und sich mit Nachhilfestunden in Mathematik. Und wenn sie zu betrunken ist, dann lässt sie sich von Nail vertreten.

Nail besuchte mich manchmal nachts. Dann stellte ich den Wecker auf drei Uhr und ließ ihn leise ins Zimmer. Wir tranken Whiskey aus der Flasche, den er in seinem Rucksack mitgebracht hatte. Wir saßen auf der Fensterbank, rauchten und sahen uns den Mond über den Dächern der Mietshäuser an. Dann legten wir uns für eine Weile auf mein breites Bett und teilten uns Kopfhörer. Die Tabakkrümel auf der Fensterbank hab ich oft vergessen vor Müdigkeit und Umarmungen. Das gab natürlich wieder Stress und Fragen. Meine Mutter schnüffelte nämlich gern in meinem Zimmer herum, weil sie unbedingt wissen wollte, was ich mache.

Einmal haben wir nachts am Rhein einen betrunkenen Jungen gerettet. Es war warm und ich machte mich schön für den Abend. Ich finde, es sieht toll aus, wenn der Lidstrich dick und schwarz die Augen rahmt. Meine Augen sind sehr blau und ich kann einen eiskalten Hassblick, vor dem sich alle fürchten. Wenn ich damit eine der Langeweilerinnen in der Klasse anschaute, dann war die still. Unter das Lid zeichnete ich drei kleine Punkte, das sieht geheimnisvoll aus. Dazu dick hellen Puder auf meinen eh schon blassen Teint. Ich zog mir die abgeschnittene Levis zum Knöpfen an, die ich mir beim Schüleraustausch in Paris in einem Secondhand gekauft hatte. Meine Schwester würde mich gleich angiften, weil ich sie ihr geklaut hätte. Aber diesmal hatte sie Unrecht. Stimmt, ich war verrückt nach den Sachen meiner Schwester. Wenn niemand zu Hause war, ging ich in ihr Zimmer und nahm mir was, einen Armreif oder einen der Stringtangas, die sie neuerdings trug, Nagellack oder Eyeliner. Meine Schwester machte reichlich Kohle in ihrem Nebenjob und konnte sich massenhaft Sachen kaufen. Das geklaute Zeug versteckte ich dann in meinem Zimmer, in meine Schubladen, vollgestopft mit Tampons, Heften und Spielzeugresten von früher, oder unterm Bett zwischen dem ganzen anderen Kram aus meiner Schultasche, den ich dort verstaute. Meistens nahm ich Sachen, die sie sowieso nicht vermisste, nur manchmal dann doch.

Meine Schwester ist dann bald ausgezogen. Sie hatte einfach die Nase voll von meinen Eskapaden.

Ich zog das schwarze Shirt mit den tiefen Armausschnitten an, durch die man meinen BH sehen konnte, was meine Mutter immer furchtbar auf die Palme brachte, obwohl mein Busen wirklich nicht der Rede wert ist, dann die pinken Plateauschuhe.

Augen geradeaus und an meiner Mutter vorbei, keine Zeit für irgendwelche Outfit-Diskussionen, die musste man direkt mit lauter Stimme im Keim ersticken, damit kein Geschrei folgen konnte und schnell raus aus der Tür – jaaa, bin um elf zu Hause.

Wir trafen uns mit ein paar Leuten am Rhein. Wir tranken Bier und schauten auf den Dom gegenüber und die Schiffe auf dem Fluss. Es war schon dunkel, als Nail auf Rollerblades eine Runde durch den angrenzenden Park drehte, während ich am Strand blieb und rauchte. Da fand er diesen Jungen, der war so betrunken, dass er kaum sprechen und nicht aufstehen konnte. Irgendwann hatten wir verstanden, dass er zu seinem Bruder wollte. Ich musste dabei an den Jungen denken, der sich nachts betrunken auf Bahngleise setzte, weil kein Zug kam. Einmal kam dann doch einer.

Diesen Jungen brachten wir zu seinen Freunden, die hatten nicht ganz so viel getankt wie er, aber doch so viel, dass sie sich nicht um ihn kümmern konnten. Der Bruder war nirgendwo zu finden. Wir riefen den Krankenwagen und blieben bei ihm, bis er kam. Inzwischen war es halb Zwei.

Wie ich es sehe

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