Читать книгу Wie ich es sehe - Johanna Knapp - Страница 6
Break on through
ОглавлениеIch entschloss mich mein eigenes Leben zu führen. Kein Cello, keine Vorschriften. Das alles brauchte ich nicht mehr und was konnte meine Mutter schon dagegen tun? Ich konnte machen, was ich wollte, und nichts würde geschehen.
Ich sagte ihr nicht mehr, mit wem ich mich traf und wo ich den Tag verbrachte. Ich kam einfach mitten in der Nacht nachhause, wenn ich Lust dazu hatte, und ich sagte ihr nicht, wo ich gewesen war.
Meistens war sie dann noch wach und stellte mich zur Rede. Oder sie schickte mich ins Bett und wartete bis zum nächsten Morgen mit ihren Fragen. An diesem Morgen saß sie vor ihrem Kaffee beim Frühstück und streichelte das Katzenvieh, das sich auf ihrem Schoß eingerollt hatte. Ich zog Kopfhörer über, stellte den Walkman so laut es ging und gab mir die Stimme von Jim, eines morgens ertrunken in der Badewanne eines Pariser Hotels. Ich schmierte Nutella auf ein Brötchen und ignorierte ihre genervten Blicke. Break on through to the other side.
Ich tanzte andeutungsweise, krümelte dabei mit meinem Brötchen herum und verschüttete ein bisschen Kaffee auf der Tischdecke, als ich mir eine Tasse eingoss. Die Katze hatte sich schon längst in eine stille Ecke verkrochen, als Mama aufsprang, mir die Kopfhörer von den Ohren riss und versuchte über den Tisch hinweg mir den Walkman vom Gürtel zu zerren. Sie stieß dabei meine Kaffeetasse um und ein dunkler Fleck breitete sich auf der weißen Decke aus. Break on through to the other side. Ich schrie jetzt mit Jim um die Wette und überschüttete Mama mit Schimpfworten.
Und dann tat sie etwas, womit ich im Leben nicht gerechnet hatte. Sie packte mich am Arm, schob mich zur Tür. Geh auf die Straße, wo du hingehörst, schrie sie mich an. Und sie schlug tatsächlich die Tür hinter mir zu. Einige Minuten später, ich stand noch im Treppenhaus, ging die Tür nochmal auf und sie stellte mir meinen Rucksack hin, in den sie ein paar Klamotten gestopft hatte, einen Fuffi und ein Ledersäckchen mit Münzen für die Telefonzelle. Das sollte es jetzt sein. Break on through.
Ich konnte nur zu Jill. Und die half mir. Ja, komm ruhig zu uns. Meine Eltern finden das okay. Ich helfe Dir. Du bist doch meine Boubou.
Jill hatte es sich angewöhnt sich so zu kleiden wie ich. Manchmal lieh sie sich meine kurzen, engen Kleider aus und quetschte ihre großen Brüste rein. Sie nannte sich in ihrer Klasse mit meinem Namen. Alle sollten sie da Rose nennen. Und mir gefiel das, die Bewunderung und dass sie meine Freundin sein wolle.
Bei Jills Eltern konnte ich drei Tage bleiben. Sie wollten, dass ich mit Mama redete, die jetzt ständig bei Jill anrief. Ich aber schickte Jill ans Telefon und ließ sie ausrichten, ich würde nie wieder von mir hören lassen und wolle nie wieder nach Hause zurück zu der Frau, die mich, ihre Tochter, aus dem Haus geworfen hatte. Ich ließ Jill für mich fragen, warum Mama überhaupt anrief. Sie hatte mir doch deutlich gezeigt, dass sie mich nicht mehr wollte. Und darum sollte sie es jetzt genauso haben, wie sie es sich gewünscht hatte. Mama sprach aber nicht mit Jill und sagte nur, ich könne sie anrufen, wenn ich eines Tages mit ihr reden wolle.
Jills Eltern waren letztlich genauso drauf wie alle Erwachsenen und behaupteten, ich müsse meiner Mutter dankbar sein, für alles, was sie für mich getan hatte und dass mich meine Mutter ja so sehr vermissen würde. Jill lächelte dann zustimmend, und ihre Mutter schien ihr tatsächlich zu glauben. Wenn die gewusst hätten, wie Jill über meine Mutter herzog.
Weil sie so blöd und vertrauensselig war, hatte sie auch nichts Besseres verdient, als dass ich mir aus ihrer Schmuckschatulle, die im Badezimmer offen herumstand, ein paar goldene Kreolen stibitzte und dazu noch einen hübschen Ring mit einer Blüte aus weißen Perlen und kleinen Diamanten einsteckte. Weil Jill sich schon regelmäßig aus ihrem Portemonnaie bediente, konnte ich da nicht auch noch zugreifen, ohne dass es Jills Mutter aufgefallen wäre.
Den Abend, als ich bei Jills Eltern rausmusste, verbrachte ich mit Nail und ein paar Leuten aus der Schule im Rheinpark. Wir tranken Wodka mit Limo, rauchten ein paar Joints und irgendwann gegen Morgen war ich zum Sterben müde und hungrig. Ich schnappte mir Dario, der uns um Kippen angeschnorrt hatte. Ich wusste, er wollte nicht bloß rauchen, er suchte unsere Gesellschaft, um sich an ihr zu wärmen, weil er alleine war, von zu Hause abgehauen, ohne Geld und nicht wusste, wo er hinsollte. Wir gingen durch die kühle Nacht am Flussufer entlang nach Hause. Ich war sicher, Mama würde mir aufmachen und vor Mitleid schmelzen. Aber Mitleid gab es nur für die alte Katze und Rotkehlchen Franz. Dario, in Jinglers-Jeans und schmuddeligem T-Shirt, musste draußen bleiben, ich durfte vorläufig rein. Den Rucksack ließ ich vor der Tür stehen. Als sie verlangte, ich solle mich entschuldigen und versprechen, in Zukunft ihre Regeln einzuhalten, ließ ich eine Flut von Schimpfwörtern auf sie los. Dagegen war ich machtlos, es sprudelte einfach aus mir heraus. Wenn es passierte, verglich Mama mich gerne mit der verrückten alten Frau, die bei uns im Viertel herumstreunt und in der Straßenbahn ohne Pause in unüberhörbarer Lautstärke die anderen Fahrgäste beschimpft. Das machte mich dann noch wütender. Als ich wieder rauskam, war Dario schon weg. Für die Zeit, die ich gebraucht hatte, um ein paar Klamotten, Schuhe, Decke, Schminkzeug und Deo in eine Plastiktüte zu stopfen, hatte seine Zuversicht nicht ausgereicht. Später stellte ich fest, dass er die Kreolen und den feinen Ring von Jills Mutter aus meinem Rucksack geklaut hatte. Dario würde sie nun statt meiner zu Geld machen. Er kannte die Läden der Trödler an dem tristen Platz auf der anderen Rheinseite, wo Diebe und arme Leute ihren Schmuck und ihre Uhren versetzen.