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Mein 16. Geburtstag

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Das war der Frühling, in dem ich 16 wurde, und an meinem sechzehnten Geburtstag im Mai lernte ich Jill kennen. Die Sache mit Nail war da schon vorbei. Ich durfte zuhause nicht feiern. Meine Mutter war ausgerastet, als sie eine Telefonrechnung von über tausend Mark bezahlen musste. Das war, weil ich mit dem Jungen, mit dem ich vor Nail zusammen war, ein paar Tage dauertelefoniert hatte. Den Hörer hatte ich nur zum Essen oder Schlafen weggelegt. Mama hatte nichts gemerkt, weil sie 24 Stunden am Tag mit ihrer Ausstellung beschäftigt war. Eine einmalige Chance, ihre Bilder endlich zu zeigen und für uns beide damit Geld zu verdienen – das erzählte sie mir jedes Mal, wenn sie einen Galeristen dazu gebracht hatte, es mit ihr zu versuchen. Und dann verkaufte sie wieder mal bestenfalls eine kleine Zeichnung.

Der Junge hatte mit mir Schluss gemacht und chillte am Pool in einem 5-Sterne-Hotel in Tunesien, wo seine Alten mit ihm die Osterferien verbrachten. Ich konnte einfach nicht verstehen, warum er nicht mehr mit mir zusammen sein wollte, wo ich ihn doch liebte und rief ihn täglich mehrmals an, um mir immer wieder erklären zu lassen, warum eine Beziehung jetzt noch nichts für ihn sei. Ich bekam dann kein Geschenk und keine Party. Zwei von den Jungs, mit denen ich damals herumhing, organisierten für mich eine kleine Feier im Rheinpark zu und da tauchte Jill auf. Sie war überhaupt nicht schüchtern, sondern redete laut mit allen, die da waren. Sie hatte schon einiges erlebt und damit hielt sie nicht hinterm Berg. Mir hat sie zum Beispiel gleich erzählt, was ihre Piercings bedeuten. Besonders die Angel Bites faszinierten mich. Die kleinen silbernen Perlen, wo sie oberhalb der Mundwinkel ein Engel gebissen hatte, sollten sie jedes Mal, wenn sie in den Spiegel schaute, an ihre Zeit auf der Straße erinnern. Und ihre Tätowierung fand ich wunderschön. Eine schwarze, fein gezeichnete Feder in einer orangeroten Perle schien die Stelle hinter ihrem Ohr zu kitzeln. Ihre Eltern machen ihr deswegen keinen Stress, sie haben auch nichts dagegen, dass Jill raucht. Meine Mutter hasst es, wenn ich rauche. Jills Mutter ist ihr monatelang hinterhergegangen und hat sie beobachtet, am Bahnhof. Dabei hat sie mal gesehen, wie sie Kippen aufgesammelt und sich daraus eine gedreht hat. Die Mutter fand es dann besser, dass sie sich Tabak kauft und gab ihr dafür Geld. Ihr Vater raucht Kette und auf langweiligen Familienfesten verschwinden Jill und er gerne gemeinsam für fünf Minuten vor der Tür. Jill hat ein Problem damit, dass ihre Eltern nicht ihre richtigen Eltern sind. Jills Eltern haben sie adoptiert. Ihr richtiger Vater, wie Jill das sieht, war ein Junkie, der an einer Überdosis Heroin gestorben ist, ihre Mutter hat sie abgegeben, als sie ein Baby war. Jill trifft sie ab und zu. Was sie macht und wovon sie lebt, hat sie uns nicht erzählt. Nur dass sie Polin ist und Jill einige Onkels und Tanten in Polen hat, die sie manchmal besucht.

Dauernd sagte Jill, sie hätte die besten Eltern der Welt und solche Sachen. Trotzdem blieb sie vor zwei Jahren regelmäßig über Nacht von zu Hause weg. Wenn ihr mich fragt, wollte sie herausfinden, wie es sich anfühlt, auf der Straße zu leben. Schließlich haben die besten Eltern der Welt sie in eine geschlossene Anstalt gesperrt, um sie vor sich selbst zu beschützen, so haben sie ihr das jedenfalls erklärt. Aber als man sie da nach einem halben Jahr wieder rausließ, ist sie ganz weg, war monatelang auf der Straße, in verschiedenen Städten. Das hat sie ihren Eltern wirklich übelgenommen, dass sie sie haben einsperren lassen.

Jill macht immer, was sie will, und das habe ich total an ihr bewundert. Ihren Mut, einfach abzuhauen, als ihre Eltern sie verraten haben.

Jedenfalls brachte ich sie mit nach Hause und sie gab das nette Mädchen. Das konnte Jill gut. Sie lachte, war freundlich, plauderte mit Mama. Ich bin mir immer noch nicht sicher, ob sie nicht tatsächlich auch ein nettes Mädchen ist. Meine Mutter tat dann auch so, als würde sie Jill mögen. Und ich erzählte von fröhlichen Grillabenden mit Nachbarn und Familie in der alten Hofanlage in einem Vorort, wo Jill wohnte. Alle machten einen auf heile Welt, aber natürlich merkte ich, meine Mutter spürte, dass da was nicht stimmte. Mit den Piercings kam Mama nicht klar. Sie tat nur so, als würde sie mir glauben, das sei bloß Style, um cooler auszusehen als alle anderen. Weil wir alleine lebten und es bei uns eher sagen wir mal ruhig zuging, fand sie es super, dass ihre Tochter wenigstens bei Freunden eine richtige Familie mit fröhlichen, großen Tischrunden erlebte. Mama hatte sich eine Katze angeschafft. Ein altes, dickes Vieh, das sich kaum noch bewegen konnte. Mama fand das gut, denn so konnte die Katze auch keine Meisen und Rotkehlchen aus dem Garten schnappen, die von Mama gefüttert und geliebt wurden, insbesondere das Rotkehlchen, das jeden Tag auf die Terrasse kam und von ihr Franz getauft wurde.

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