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ОглавлениеDER DUFT
VON WEIHNACHTEN
Weihnachten, das ist für mich vor allem eine Erinnerung an meine Eltern und an meine Großmutter. Es ist aber auch eine Erinnerung an einzigartige Gerüche, an intensive Geschmacksmomente und an geheimnisvolle Geräusche (heute würde ich es ein Fest der Sinne nennen).
Wir waren keine reiche Familie, man könnte sagen, wir waren eher arm. Die Eltern haben viel gearbeitet und meine Schwester und ich lernten früh, dass man sich das Leben hart verdienen muss.
Weihnachten aber war bei uns immer etwas ganz Besonderes. Es begann am 24. Dezember in der Früh. Meine Eltern waren zwar arbeiten, aber meine Großmutter, eine ganz zarte Person, weckte meine Schwester und mich auf, zog uns ganz warm an und brach mit uns zum Weihnachtssuchen auf.
Wir lebten in Radstadt und damals gab es wirklich noch sehr kalte Winter. Dick eingepackt sind wir also losgezogen, um das Christkind zu wecken. Das klingt vielleicht etwas komisch, aber für uns war das ganz normal. Es war sehr wichtig, denn nur wenn man das Christkind am Morgen weckt, kann es am Abend Geschenke bringen. So die Erklärung meiner Großmutter, die mir seinerzeit ganz logisch vorkam.
Tatsächlich hatten wir ein paar unbeschwerte Stunden an der klaren, frischen Luft und im knisternden Schnee. Wir haben es geliebt. Wir gingen in den Wald, die Oma erzählte uns Geschichten, oft hat es auch dicht geschneit. Und immer wieder flüsterte die Oma: »Kinder, genau hinhören, damit wir es merken, wenn das Christkind vorbeifliegt«. Wir lachten und riefen und tatsächlich hörten wir jedes Jahr das Christkind. Heute weiß ich, es war ein Vogel, der aufschreckte. Oder ein Ast, der unter der Last des Schnees abbrach. Oder ein Tier, das vor uns flüchtete. Damals jedoch war ich felsenfest davon überzeugt, das Christkind gehört zu haben und war ganz glücklich. So richtig durchgefroren sind wir dann nach Hause gestapft und die Aufregung wurde immer größer. Die Vorfreude auf den Nachmittag war kaum zu ertragen.
Daheim roch es nach frischem Tannenbaum. Harzig, orange-fruchtig und erfrischend. Denn der Vater war in den Wald gegangen und hatte unseren Baum selbst geschlagen. Keinen großen, aber immer einen wunderschönen, saftigen Baum. Die Mutter und er schmückten ihn gemeinsam mit altem Bauernschmuck aus der Familie. Die Oma setzte meine Schwester und mich, durchgefroren wie wir waren, aufs Küchenbankerl und machte uns einen heißen Häferl-Kakao. Dieses zartbittere Aroma von warmer Schokolade mit dem typischen Milchgeruch habe ich heute noch in der Nase und mir rinnt beim Gedanken daran das Wasser im Mund zusammen. Dazu war es wohlig warm, denn der Herd war bereits eingeheizt, das Holz knisterte und knackste und es wurde stetig nachgelegt.
Dann ging’s ans Kochen. Ich stamme aus dem Pongau und am Weihnachtsabend gab es bei uns traditionell vor der Bescherung eine klassische Salzburger Mettensuppe (Würstelsuppe) mit selbstgemachten Würsteln und Nudeln in einer Rindsuppe. Später, nach der Kirche, bekamen wir Buchteln mit einer Prise Zimt und Vanille, dazu Preiselbeeren. Die Buchteln wurden ins Rohr vom Holzofen geschoben, bevor wir zur Kirche aufbrachen. So mache ich das heute noch zu Weihnachten und auch meine Kinder leben diese Tradition weiter.
Beim Kochen durften meine Schwester und ich mithelfen, das hat uns große Freude bereitet. Am späten Nachmittag haben wir uns dann an den Tisch gesetzt und gebetet – gedankt für Speis und Trank. Die Mettenwürstel, wie man sie im Pongau nennt, waren ein richtiges Festtagsessen, weil es bei uns sonst nicht oft Fleisch gab. Die Würste mussten ganz frisch sein. Jede Familie hatte dafür ihre eigene, geheime Würzmischung, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Die Würste wurden direkt in der Rindsuppe mit Gemüse und Suppennudeln gegart. Wärmend, kräftigend, ein Salzburger Familienessen.
Nach dem Auslöffeln war es soweit. Der Vater verließ den Raum, um dem Christkindl beim Anzünden der Kerzen zu helfen. Das Feuer, so sagte er, wäre zu gefährlich fürs Kindl. Und dann endlich – die Glocke. Ich erinnere mich, wie wir ins Nebenzimmer stürmten. Ich immer gleich zum Fenster, um nachzuschauen, ob ich das Christkind wegfliegen sehe. Gehört hatte ich es ja schon im Wald, aber ich wollte es doch so gerne einmal sehen – leider hat das nie funktioniert.
Dann wurde zusammen gesungen, bis die Kerzen am Baum runtergebrannt waren und jetzt, endlich, bekamen wir Kinder ein Geschenk, eine Kleinigkeit nur, aber liebevoll verpackt. Meistens etwas, das wir ohnehin gebraucht haben. Socken zum Beispiel, oder auch einmal einen Pullover. Ich war jedes Mal von der Stimmung und dem Kerzenlicht wie verzaubert und wünschte mir insgeheim, dass jeden Tag Weihnachten wäre.
Nach der Bescherung gingen wir gemeinsam in die Kirche und der letzte Handgriff meiner Mutter vor dem Weggehen war es, die Buchteln ins Rohr zu schieben. Die Kirche war immer ganz voll, alle waren da. Die Nachbarn, die anderen Kinder aus der Schule.
Wenn wir wieder heimkamen und der Vater die Tür öffnete, hat uns dieser wunderbare Geruch von Germ und gebackenem Teig begrüßt. Ein Duft, der bis heute in mir Emotionen auslöst –, er bedeutet Geborgenheit für mich. Ein Duft, der mich wie mit Zauberhand immer mit Weihnachten, mit meinen Eltern und vor allem mit meiner Oma verknüpft.