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Ein rätselhaftes Ereignis
ОглавлениеAls Rico später als sonst in das Häuschen eintrat, denn über dem Gesang war wohl noch eine halbe Stunde vergangen, schoß ihm die Base entgegen.
»Fängst du jetzt so an?« rief sie. »Das Essen stand eine Stunde lang auf dem Tisch, jetzt ist's fort. Geh nur gleich in deine Kammer, und wenn du ein ganzer Vagabund und Lump wirst, so bin ich nicht schuld. Ich wollte lieber ich weiß nicht was tun, als einen Buben hüten, wie du einer bist.«
Rico hatte nie ein einziges Wörtlein geantwortet, wenn die Base ihn schmähte, aber an dem Abend schaute er sie an und sagte: »Ich kann Euch schon aus dem Weg gehen, Base.«
Sie schob den Riegel an der Haustür vor, daß es klatschte, dann fuhr sie in die Stube hinein und schlug die Tür hinter sich zu. Rico ging in seine dunkle Kammer hinauf. Am folgenden Tage, als drüben die ganze große Familie, Eltern, Großmutter und alle Kinder beim Abendessen saßen, kam die Base herübergelaufen und rief in die Stube hinein, ob sie etwas vom Rico wüßten, sie wisse nicht, wo er sei.
»Der wird schon kommen, wenn's ans Abendessen geht«, antwortete der Vater geruhlich.
Nun kam aber die Base ganz in die Stube hinein, denn sie hatte gedacht, sie brauche den Buben nur herauszurufen, er werde wohl da sein. Nun erzählte sie, er sei schon zum Morgenessen nicht gekommen und zum Mittagessen nicht, und im Bett sei er auch nicht gewesen, das sei noch wie gestern abend. Sie glaube fast, der sei schon am frühesten Morgen vor Tag auf seine Lumpereien ausgegangen, denn der Riegel sei inwendig von der Haustür weggeschoben gewesen, als sie auftun wollte. Sie habe aber zuerst gedacht, sie habe vor Ärger vergessen, ihn zuzustoßen, denn es wisse kein Mensch, was sie für Ärger habe.
»Dem hat's etwas gegeben«, sagte der Vater unentwegt. »Er wird vielleicht in eine Spalte am Berg oben hineingefallen sein. Das gibt es manchmal bei so schmalen Buben, die überall herumklettern. Ihr hättet es ein wenig früher sagen sollen«, fuhr er langsam fort, »man wird ihn suchen müssen, und des Nachts sieht man nichts.«
»Es glaubt es kein Mensch« – rief sie aus und sagte damit eine große Wahrheit – »was für ein heimtückischer, hinterlistiger, verstockter Bub der ist und wie er mir das Leben seit vier Jahren schwergemacht hat. Ein Vagabund wird er, ein Landstreicher und schädlicher Lump!«
Die Großmutter hatte schon lange zu essen aufgehört. Sie war vom Tisch aufgestanden und vor die Base hingetreten, die immer noch lärmte.
»Hört auf, Nachbarin, hört auf!« hatte die Großmutter zweimal gesagt, bevor die andere nachgab. »Ich kenne den Rico auch. Seit man das Büblein seiner Großmutter brachte, habe ich es immer gekannt. Wenn ich aber an Eurer Stelle wäre, so würde ich kein Wörtlein mehr sagen, aber ein wenig nachdenken, ob das Büblein, dem ein Unglück begegnet sein kann und das vielleicht schon da droben vor dem lieben Gott steht, ob es da niemanden anzuklagen hat, der in seiner Verlassenheit noch schweres Unrecht mit bösen Worten an ihm getan hat.«
Der Base war es schon ein paarmal eingefallen, wie sie Rico am Abend angeschaut und gesagt hatte: »Ich kann Euch schon aus dem Weg gehen.« Sie hatte auch nur so furchtbar getobt, um diese Gedanken zu übertönen. Sie durfte die Großmutter nicht ansehen und sagte, sie müsse gehen, vielleicht sei der Rico nun doch heimgekommen, was sie jetzt gern genug gesehen hätte.
Von dem Tage an sagte die Base nie mehr vor der Großmutter ein Wort gegen den Rico, freilich auch sonst nicht mehr viele. Sie glaubte, wie alle anderen Leute auch, er sei tot, und war froh, daß niemand wußte, was er am letzten Abend zu ihr gesagt hatte.