Читать книгу Und in uns der Himmel - Johannes Albendorf - Страница 12
VI.
ОглавлениеIn den Semesterferien des ersten Sommers fuhr ich allein nach Hiddensee. Ich sehnte mich nach dem Meer und hielt es im Inneren des Landes nicht mehr aus. Ich lief den Sandstrand entlang, mit den Füßen in den Wellen, wollte zum Horizont am Ende der Insel gelangen.
Dann lag ich nackt in den Dünen und blickte in von Strandhafer umkränzte Himmelsausschnitte. Ich aß nach Sommer duftende, überreife Pfirsiche. Ihr Saft lief mein Kinn herab, über Hals, Schlüsselbein und Brust, tropfte auf die Seiten meines Buches, von dem ich nicht einmal eine halbe Seite gelesen hatte; überall schienen Sand und Wind und Pfirsichsaft zu sein und ich wurde erregt wie noch nie in meinem Leben. Ich vergrub die Kerne im Sand und musste über die Vorstellung lachen, dass eines Tages in den Dünen Pfirsichbäume mit salzigen Früchten sprießen würden.
Dann sprang ich die Dünen herab und rannte windumtost und nackt - mich kennt hier ja keiner, so dachte ich - in die sich brechenden Wellen des Meeres. Die Gischt spritzte auf und ich ließ mich von der Brandung umgarnen. Das Meer und ich. Es fühlte sich so natürlich an, so vertraut, es drückte sich an mich und wollte meine Nähe, zog sich aber sofort wieder zurück, und es perlte an mir und um mich herum und durch mich hindurch, es erfrischte, trieb, heilte, erhob und überspülte mich und ich überließ mich seinem Tun; seine Wellen machten mich süchtig nach ihrer Berührung und nach ihrer Nähe, ich kam im Meer.
Gereinigt und gesalzen tauchte ich aus dem Wasser auf, schwebte ans Ufer wie ein Phönix aus der Asche – und stand unversehens vor Herrn Gundlach, dem milchigen Vorsitzenden des Kirchenvorstands aus meinem Heimatort, und seiner immer leicht vertrocknet dreinschauenden Ehegattin. Beide in identische Windjacken gehüllt und mit je einem Regenschirm bewaffnet.
Es folgte ein äußerst gezwungenes Gespräch, in welcher Ortschaft man denn wohnen würde – gefolgt von gepressten Ausrufen in »Oh« und »Ah« für die Natur und die Aussicht (womit in beiden Fällen bestimmt nicht ich gemeint war) und – endlich – einem erlösenden »Na, dann noch gute Erholung für Sie.«
Ich ging zurück in die Dünen, zog mir Turnschuhe und Shorts an und lief am Meer entlang bis die Sonne unterging. Ich lief gegen den Wind und spürte keine Erschöpfung – bis ich mich umdrehte. Da fühlte ich mich getragen. Und ausgelaugt.