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VORWORT ZU DIESER AUSGABE
ОглавлениеIn einem internen Strategiepapier formuliert der AfD-Bundesvorstand unter der Überschrift »Der Kampf um die Meinungs- und Deutungshoheit« folgendes Vorhaben: »Da die AfD weiterhin wachsen will, muss sie sich systematisch mit Framing, Priming, Virtue Signalling, Nudge, dem Negative oder Dirty Campaigning, Astroturfing und Beeinflussung des Wahrnehmungsfenster befassen. Sie muss immer wieder neu versuchen, selbst Begriffe zu bilden und zu besetzen sowie Meinungskampagnen zu initiieren.« Einige Zeilen weiter unten ist in dem Papier, das den Titel »Strategie 2019–2025: Die AfD auf dem Weg zur Volkspartei« trägt, von der »subtilen Manipulation der bürgerlichen Gesellschaft« die Rede. Das Repertoire der Instrumente, das der Parteivorstand zur Erreichung dieses Ziels aufgelistet hat, ist ein Novum in der Kommunikationskultur der deutschen Parteienlandschaft. Gewiss nicht mit Blick auf Strategien wie »Framing« oder »Negative Campaigning«, sehr wohl aber hinsichtlich anderer genannter Methoden wie dem »Astro Turfing«. Das ist eine Taktik, bei der ein Massenphänomen vorgetäuscht wird, zum Beispiel eine gefakte Bürgerbewegung. Wie die AfD eine derartige Kampagne in die Praxis umsetzen könnte? Dazu ein (sehr) kurzes Gedankenexperiment: In den kommenden Jahren muss das Land unweigerlich die Transformation hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft bewältigen. Dieser Prozess betrifft nicht nur industrielle Vorgänge, sondern auch das Verhalten jedes Einzelnen. Schon heute deutet die AfD die klima- und umweltpolitischen Maßnahmen als Angriff auf den Lebenstil ihrer Anhängerschaft, gut ersichtlich beispielsweise an der Debatte über den Diesel. Vorstellbar wäre nun eine Orchestrierung zahlreicher lokaler, vermeintlich spontaner »Gelbwesten«-Proteste quer durch die Republik. Derartige Bilder, massenhaft verbreitet über die reichweitenstarken Digitalkanäle der Partei, könnten wie ein Brandbeschleuniger in der öffentlichen Debatte über Klimapolitik wirken, die sich noch schneller als die Erde zu erhitzen scheint. Polarisierung würde dort verstärkt werden, wo nur ein gemeinsamer Weg zum Ziel der Klimaneutralität führt.
Diese aktualisierte Ausgabe von »Propaganda 4.0« erscheint just zu dem Zeitpunkt, an dem die erste Legislaturperiode im Bundestag jener Partei zu Ende geht, die den Konsens über das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte und die allseits beschworene »Brandmauer« zum Rechtsextremismus im bundesrepublikanischen Parlamentarismus aufgebrochen hat. Und die Neuausgabe erscheint kurz nachdem ein radikaler Rechtspopulist mit einer Schneise der Verwüstung das Weiße Haus in Washington D. C. verlassen hat. Es ist ein Zeitpunkt, an dem allerspätestens eine oft in den öffentlichen Diskurs eingeworfene Beruhigungspille aus dem rhetorischen Arzneischrank verbannt werden sollte: Rechtspopulisten mäßigen sich nicht an der Macht, sie entzaubern sich nicht durch den »Zauber« ehrwürdiger demokratischer Institutionen. Im Gegenteil: Sie nutzen die Institutionen, um ihre Propagandamaschinerie mit zusätzlichem Treibstoff zu betanken, den sie direkt aus den Kassen der Demokratie finanzieren. Und sie vergrößern ihr Arsenal für den von ihnen ausgerufenen »Informationskrieg«, wie an den eingangs zitierten Plänen der AfD abzulesen ist.
Propaganda 4.0 ist eine kommunikative Strategie, die einerseits darauf abzielt, das Sagbare im öffentlichen Diskurs der Mehrheitsgesellschaft zu verändern, andererseits eine digital konstituierte, radikal rechte »Desinformationsgesellschaft« mittels eines eigenen Medienapparats und verbündeter rechter Alternativmedien zu schaffen. Ein Zusammenspiel aus »earned media« (Aufmerksamkeit durch Polarisierung in Massenmedien) und »owned media« (Aufmerksamkeit durch Emotionalisierung in Parteimedien), mit dem die AfD als digitale Propagandapartei einen schnellen Aufstieg hingelegt hat. Mit den Ressourcen des Bundestags hat die AfD ihre Propagandakapazitäten in den letzten Jahren ausgebaut: Sie nutzt ihre Rechte im Parlament, um es verächtlich zu machen (Delegitimierung) – etwa mit Fotos ihrer Abgeordneten im leeren Plenarsaal vor Sitzungsbeginn, die sie als Beleg für die Faulheit der anderen Fraktionen in sozialen Medien präsentiert. Sie setzt ihre zusätzlichen finanziellen Mittel dafür ein, um als Partei zum Medium zu werden und den unabhängigen Journalismus durch Partei-PR zu ersetzen zu wollen (Medienproduktion). Sie sendet über ihre Parteimedien in erster Linie identitätspolitische Botschaften aus, dadurch wird ihre Propaganda zu einem Vehikel für die Sozialisierung in eine rechtspopulistische Gruppenidentität, die sich gleichermaßen als Wut- und Mut-Gemeinschaft versteht (virtuelles Volk). Sie nutzt die Bühne des Parlaments, um sich zu inszenieren, Menschen zu diskriminieren und die anderen Parteien zu provozieren, den parlamentarischen wie auch gesellschaftlichen Diskurs in dem Sinne zu zerstören, als dass die beiden Lager nicht mehr in der Sache argumentieren, sondern sich nur gegenseitig delegitimieren (extreme Polarisierung). Diese vier strategischen Bausteine, die bereits in der ersten Auflage dieses Buches im Jahr 2017 entwickelt wurden, konnte man bei der AfD in den letzten Jahren in Dauerschleife beobachten. Die vorliegende Neuausgabe wurde daher mit neuer Empirie aktualisiert, etwa einer quantitativen Auswertung der Social-Media-Kommunikation der Partei in ihrer ersten Legislaturperiode im Bundestag sowie um eine qualitative Analyse des »Wir« in den Botschaften der AfD komplementiert.
Offenkundig ist heute auch: Die AfD hat eine sprachliche Gewalt in Parlament und Öffentlichkeit gebracht, die ihr Echo in physischer Gewalt auf den Straßen gefunden hat. In Kassel, in Halle, in Hanau. Die Täter beziehen sich auf das Narrativ vom »großen Bevölkerungsaustausch«, das von AfD-Politikern reichenweitenstark mit verbreitet wird. Die AfD sendet immer wieder Signale mit der Hundepfeife, wenn sie von einer »Tat-Elite«, von »Wehrhaftigkeit«, vom »Aufräumen« spricht. Rechtsextremisten haben diese Parolen mit ihren Methoden umgesetzt. Die AfD hat somit nicht nur das Sagbare verändert, sondern längst auch das Machbare. Da die Partei mittlerweile auch im Visier des Verfassungsschutzes ist, wird häufig die Frage gestellt, ob man die AfD überhaupt noch »rechtspopulistisch« nennen könne. Das kann man. Denn Rechtspopulismus ist ein Kontinuum von noch demokratischen zu eindeutig extremistischen Positionen. Das politische Geschäftsmodell der AfD besteht genau darin, die Grenze des demokratischen Spektrums nach rechts zu verwischen, einen grenzfreien Verkehr für Ideen aus dem nicht demokratischen in das demokratische Gelände zu organisieren und auf dieser neu gelegten Strecke zwischen rechtsradikaler Szene und bürgerlicher Mitte ein möglichst großes Stimmenpotenzial zu mobilisieren. Mit einer Mobilisierungsstrategie, die Propaganda 4.0 heißt.