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DAS ETABLIERTE ANTI-ESTABLISHMENT
ОглавлениеIn dem europäischen Superwahljahr 2017 war nicht nur die »irgendwie für Europa«-Allianz neu. 2017 war auch das erste Jahr, in dem rechtspopulistische Parteien gemeinsam in die jeweiligen nationalen Wahlkämpfe gezogen sind. Zum Wahlkampfauftakt trafen sich am 21. Januar in Koblenz die Anführer und Claqueure jener Parteien, die im Europaparlament in der Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit (ENF) zusammensitzen. An diesem Samstag im Januar betraten sie begleitet von Fahnenträgern und pompöser, fast apokalyptischer Musik, den Saal der Rhein-Mosel-Halle: Frauke Petry und Marcus Pretzell (damals noch AfD), Marine Le Pen (Rassemblement National), Geert Wilders (PVV), Harald Vilimsky (FPÖ) und Matteo Salvini (Lega). Der Ablauf des Spektakels folgt einem einstudierten Drehbuch, das bereits in ähnlicher Konstellation bei der Konferenz der »Europäischen Visionen« im Februar 2016 in Düsseldorf, beim »Patriotischen Frühling« ein paar Monate später in der Nähe von Wien sowie vor der Europawahl im März 2019 in Mailand abgespult wurde: heroischer Einlauf der Parteispitzen, danach eine Rede nach der anderen, keine Debattenformate, aber ein Gruppenfoto mit strahlenden Gesichtern, eine lange Pressekonferenz und ein gemeinsames Essen. Anschließend fahren alle wieder zurück in ihre Heimatländer und ärgern sich vermutlich darüber, dass sie beim Grenzübertritt nicht ihren Pass vorzeigen dürfen.
Bis zum Treffen in Koblenz hatten die Zusammenkünfte der Rechtspopulisten meist nur einmaligen Charakter. Es gab keine gemeinsamen Pläne oder Projekte. Beobachter merkten hämisch an, dass die »Internationale der Nationalisten« ohnehin ein contradictio in adiecto, ein Widerspruch in sich sei. Also bloß nicht zu ernst nehmen. Doch in der Kooperation europäischer Rechtspopulisten hat sich in den letzten Jahren etwas fundamental verändert, und dieser gemeinsameWahlkampfauftakt ist eine der ersten Früchte dieser Zusammenarbeit. Bis zu den Europawahlen 2014 vernetzten sich einzelne Rechtspopulisten in beschränktem und meist punktuellem Maße. Andere beäugten sich gegenseitig noch sehr kritisch. So lehnten wirtschaftsliberale AfD-Vertreter den Rassemblement National wegen seiner angeblich »sozialistisch« geprägten Wirtschaftspolitik ab. Auch Geert Wilders, der seit seiner Jugend persönliche Verbindungen nach Israel pflegt, hielt sich sogar noch von Marine Le Pen fern, als diese sich schon öffentlich vom antisemitischen Kurs ihres Vaters, Jean-Marie Le Pen, distanziert hatte. Nach den Wahlen 2014 dauerte es noch knapp ein halbes Jahr, bis die Wende eingeleitet wurde. Im Oktober 2014 gründeten der (damals noch) Front National, die FPÖ, die italienische Lega Nord und Vlaams Belang aus Belgien die europäische Partei Bewegung für ein Europa der Freiheit und der Nationen (MENL). Im Juni 2015 erfüllte man auch die Bedingungen zur Gründung einer Fraktion im Europaparlament, auch drei Abgeordnete von Wilders PVV hatten sich angeschlossen. Die paneuropäische Anti-EU-Fraktion war somit im Europaparlament installiert. Nach der Europawahl 2019 benannte sich die Partei und Fraktion in »Identität und Demokratie« (ID) um und wurde mit 75 Abgeordneten aus zehn Ländern zur viertgrößten Fraktion. Es ist eine Fraktion, die das System von innen bekämpft. Marine Le Pen sagte im März 2019: »Die EU killt Europa«. Deshalb will sie die EU killen.
Die ID-Abgeordneten verhalten sich bei Abstimmungen im Parlament seither wenig kohärent, die inhaltliche Zusammenarbeit bei EU-Richtlinien, Berichten und Stellungnahmen des Parlaments hat für sie kaum eine Bedeutung. Ihnen geht es in erster Linie darum, Entscheidungen zurück auf die nationale Ebene zu verlagern oder die EU ganz abzuschaffen. Die Form der Kooperation, die sich seit 2014 kontinuierlich zwischen den Rechtspopulisten intensiviert hat, ist auf die gegenseitige Stärkung in den Bereichen Strategie, Organisation und Ressourcen ausgelegt. Denn in ihren Heimatländern kämpfen sie in der öffentlichen Debatte allesamt den gleichen Kampf um Aufmerksamkeit und buhlen zum Teil um ähnliche Gruppen von Wählerinnen und Wähler. In diesen drei Bereichen lässt sich die neue, verstärkte Zusammenarbeit folgendermaßen skizzieren: Erstens bauen die rechtspopulistischen Parteien ein gemeinsames Ressourcen-Netzwerk auf. Als europäische Partei hat die ID auch eine Stiftung (Association pour l’Identité et Démocratie Fondation) gegründet. Europäische politische Stiftungen werden genau wie die Parteien im Wesentlichen vom Europäischen Parlament, also mit öffentlichen Geldern finanziert. Nach den Finanzberichten des Parlaments bekam die rechtspopulistische Stiftung im Gründungsjahr 2015 knapp 250.000 Euro aus diesem Topf. 2017 standen ihr schon über 1 Million Euro zur Verfügung.8 Was macht die Stiftung damit? Sie organisiert interne Kolloquien, nicht öffentliche Konferenzen, erstellt Publikationen und gibt Studien in Auftrag. Etwa zum Euro-Ausstieg oder zur Handelspolitik und den von ihnen abgelehnten EU-Handelsabkommen. In solchen Papieren liefern Experten die Argumentationen für ihre politische Programme, etwa warum Freihandel die Souveränität der europäischen Völker bedrohe.
Zweitens unterstützen sie sich bei der strategischen Ausrichtung, zum Beispiel bei der politischen Themensetzung. Islamisierung, Masseneinwanderung, Ausländerkriminalität, die verderbliche politische Korrektheit, das verräterische Establishment, die »Lügenpresse« – diese Gedankenkonstrukte führen die Parteien sehr oft mit den gleichen Narrativen, Begriffen und Slogans in die Debatte ein. Was anderswo funktioniert, wird importiert. Von dem »Bevölkerungsaustausch«, den Alexander Gauland hinter den Migrationsbewegungen sieht, hat der FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache schon 2013 gesprochen. Der AfD-Slogan »Hol’ dir dein Land zurück« ist die deutsche Übersetzung des Brexit-Claims »Take back control«. Die AfD hat im Übrigen bisher kaum etwas zur rechtspopulistischen Phraseologie in Europa beigetragen. Kopieren statt kreieren, scheint bei ihr zu gelten.
Drittens hilft man sich in organisatorischen Aspekten, insbesondere im Medien- und Marketingbereich. Bei der FPÖ hat die AfD bereits das Videoformat »FPÖ TV« abgekupfert, das unter »AfD TV« bei Youtube läuft. Alice Weidel hat ihren persönlichen Sprecher ebenfalls bei der FPÖ rekrutiert: Daniel Tapp arbeitete zehn Jahre für die österreichischen Rechtpopulisten, bevor er im Bundestag Weidels Kommunikation übernahm. Auch im Agenturbereich gibt es Verknüpfungen unter den Rechtspopulisten. Die Parteien sind für Kampagnen und Veranstaltungen auf Dienstleister angewiesen. Diese zu finden ist nicht immer leicht: Der Berliner Landesvorsitzende der AfD, Georg Pazderski, räumte vor der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus ein, dass er für die Gestaltung des Wahlkamps in Deutschland keine Werbeagentur gefunden hätte. Zu einem treuen Partner europäischer Rechtspopulisten ist die Schweizer Werbeagentur Goal AG von Alexander Segert geworden. Die Agentur ist mit Kampagnen für die Schweizer Volkspartei (SVP) wie »Masseneinwanderung stoppen« bekannt geworden und arbeitete unlängst auch für die ID und deren Stiftung sowie den Rassemblement National und die FPÖ. Außerdem griff die Agentur der AfD bei der Finanzierung der Konferenz »Europäische Visionen« mit 28.000 Euro unter die Arme. Damit nicht genug: Der »Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten e. V.«, ein Verein von überwiegend anonymen Unterstützern der AfD, produziert mit Millionenbeträgen Kampagnenmaterialien als Hilfestellung für die Partei: Für den Bundeswahlkampf 2017 eine »Wochenzeitung« namens »Deutschland-Kurier« (Auflage bis zu 600.000 Stück) sowie, unter anderem zur Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen 2017, die Wahlkampfzeitung »Extrablatt«. Die Gestaltung übernahm die Goal AG. Deren Erfahrungen aus zahlreichen erfolgreichen SVP-Kampagnen gab es dabei inklusive. So entsteht aus dieser organisatorischen Vernetzung letztlich auch wieder ein strategischer Mehrwert.9
Die Rechtspopulisten treffen sich mittlerweile nicht mehr nur zu dramatisch inszenierten Showveranstaltungen, sondern arbeiten auch immer enger strategisch und organisatorisch zusammen. Die AfD ist durch diesen Austauschprozess in vielfacher Hinsicht zu einer FPÖ im Zeitraffer geworden, vor allem mit Blick auf die Kommunikationsarbeit. Man lernt auch voneinander, um die Fehler der anderen zu vermeiden. Davon profitiert die AfD als jüngste der rechtspopulistischen Parteien am meisten. Sie ist Ziehsohn und Musterschüler des europäischen Rechtspopulismus zugleich. Dennoch unterscheiden sich diese Parteien nicht nur hinsichtlich ihrer Geschichte und Tradition, auch programmtisch gibt es Unterschiede, die sie mit der permanenten Beschwörung gemeinsamer Feindbilder kaschieren. Die wichtigste Gemeinsamkeit ist jedoch der Wesenskern des rechten Populismus, der nun näher betrachtet werden soll.