Читать книгу Zentrale Aspekte der Alten Kirchengeschichte - Johannes Hofmann - Страница 54
3.3 Die Anfänge der Ermittlung vertikaler und horizontaler Einheit durch die Regionalsynoden des späten 2. und des 3. Jahrhunderts
ОглавлениеSeit dem Ende des 2. Jahrhunderts versammeln sich – zunächst im Osten – benachbarte Bischöfe oder Bischöfe einer bestimmten Region, meist aber die Bischöfe einer Provinz, zu Synoden. In der Regel orientiert man sich bei der Organisation derartiger kirchlicher Verbände an den Strukturen der staatlichen Ordnung. Der Teilnehmerkreis wird allerdings nicht starr festgelegt, sondern über- oder unterschreitet je nach Anlass die Grenzen einer staatlichen Provinz. Manchmal treffen sich auch die Bischöfe mehrerer Provinzen oder laden führende Bischöfe anderer Provinzen ein. Allmählich schließen sich die Ortskirchen aber zu immer größeren kirchlichen Verbänden zusammen: auf Provinzebene zu Provinzsynoden, auf Reichsebene zu ökumenischen Konzilien, später auf Patriarchatsebene zu Patriarchatsynoden und im Westen im Einflussbereich des römischen Papsttums zu mehr oder minder stark an Rom orientierten Synodalverbänden. So macht sich immer deutlicher bemerkbar, dass die Kirche die universale Gemeinschaft aller Gläubigen umfasst.
Bis zur Mitte des 3. Jahrhunderts besitzen alle Synoden „außerordentlichen“ Charakter, da die Bischöfe bis dahin nur aus gegebenem Anlass zusammenkommen. Ab der Jahrhundertmitte tagen in Kappadozien und im westlichen Nordafrika allerdings schon jährliche Provinzsynoden. So versammelt sich fortan z.B. die nordafrikanische Synode im Frühjahr in Karthago, kann aber aus wichtigen Gründen auch im Herbst ein zweites Mal zusammentreten. Bereits damals nehmen hier bis zu 87 Bischöfe daran teil.
Der erste historisch sichere Fall, der in altkirchlicher Zeit zu Synoden führt, ist der Osterfeststreit, zu dessen Klärung Bischof Viktor von Rom um 195 erstmals in den bedeutendsten Regionen der damaligen christlichen Welt Regionalsynoden initiiert.61 Zu solchen Problemen komplexerer Art, die man synodal zu lösen versucht, gehört auch die um 255/56 im Ketzertaufstreit aufgeworfene Frage, ob man die Taufe von Angehörigen häretischer Gruppen, die zur Kirche konvertieren wollen, als gültig anerkennen könne.62 Hinzu kommt nach der Decischen Verfolgung um 250/51 der auf diversen Synoden erörterte Bußstreit, wobei unter synodalem Austausch geklärt wird, wie die unter Druck vom Glauben abgefallenen Christen (lapsi) und andere sündige Christen in der Kirche zu behandeln sind.63
Manchmal sind auf diesen frühen Regionalsynoden auch Presbyter oder Diakone als Berater, Antragsteller und Beschwerdeführer anwesend. An den nordafrikanischen Konzilien nehmen sogar Laien als Zuhörer teil. Das entspricht dem Bewusstsein der Alten Kirche, gemäß dem das für alle Verbindliche auch in der kirchlichen Öffentlichkeit verhandelt werden muss, wenn auch nur die Bischöfe stimmberechtigt sind. Im 3. Jahrhundert sind solche Synoden schon in Italien, Nordafrika, Ägypten, Syrien-Palästina, Asia und Pontus nachweisbar.
Die Beschlüsse dieser Regionalsynoden werden im Sinne der Communio anderen wichtigen Kirchen in einem Synodalschreiben mitgeteilt. In der Regel erwartet man dann, dass auch die angeschriebenen Kirchen mit einem Antwortbrief zustimmen, vor allem wenn es um verurteilte Häretiker geht, die auch andernorts Anhang haben, oder wenn Fragen synodal geklärt wurden, die man auch in anderen Kirchen diskutiert. In Glaubensfragen sind diese Regionalsynoden davon überzeugt, vorbehaltlos für die ganze Kirche entscheiden zu können. Sind sie sich doch sicher, auf dem Boden der apostolischen Überlieferung zu stehen und in der Kraft des Heiligen Geistes zu urteilen. Wenn sie an andere Kirchen schreiben, dann verbinden sie damit also nicht eine Bitte um „Bestätigung“. Vielmehr verfassen sie ihre Synodalschreiben in der Gewissheit, dass die übrigen Kirchen ihnen zustimmen müssen, dass aber durch deren Beitritt deutlicher hervortritt, dass auf den entsprechenden Synoden die ganze, d.h. die katholische Kirche entschieden hat.
Ein gutes Beispiel für dieses Bewusstsein bietet die 268 abgehaltene Regionalsynode von Antiochien, die Paul von Samosata, den Bischof von Antiochien, als Häretiker verurteilt, absetzt und an seiner Stelle einen neuen Bischof bestellt.64 Den Gläubigen wird daraufhin geboten, jegliche Gemeinschaft mit Paul zu meiden und ihn als einen Menschen zu betrachten, der „aus der katholischen Kirche“ ausgeschlossen ist. Die antiochenischen Synodalen messen ihrem Urteilsspruch also katholische, d.h. universalkirchliche Bedeutung bei. Zur Verdeutlichung ihrer Überzeugung senden sie aber Briefe an die Bischöfe von Rom und Alexandrien mit der Bitte, ihrem Urteil beizutreten.
Hier treten also bereits Rom, Alexandrien und Antiochien als die drei wichtigsten „Schaltstellen“ der katholischen Communio in Erscheinung. Des Weiteren macht sich im Bewusstsein der Regionalsynode von Antiochien bemerkbar, dass die Synodalen ohne Vorbehalt für die ganze Kirche entscheiden. Wie sie durch ihren Synodalbrief zum Ausdruck bringen, halten sie es aber für wichtig, dass die beiden bedeutenden Sitze von Rom und Alexandrien ihrem Spruch „beitreten“; denn dadurch wird noch deutlicher, dass die ganze, die katholische Kirche hinter diesem Urteil steht. Gleichzeitig manifestiert sich in dem tatsächlich erfolgten Beitritt Roms und Alexandriens, was Rezeption von Konzilien bedeutet. Freilich kann es auch vorkommen, dass der Rezeptionsprozess scheitert und Synoden anderer Regionen in wichtigen Fragen anders entscheiden. Dies ist z.B. im Osterfeststreit und im Ketzertaufstreit der Fall. Hier wird die Frage im 3. Jahrhundert gesamtkirchlich unentschieden bleiben.
Das Synodenwesen bildet aber auch ein wichtiges Gegengewicht gegen eine allzu autokratische Amtsführung eines Einzelbischofs. Nachdem sich nämlich gegen Ende des 2. Jahrhunderts der Monepiskopat und damit die hohe Autorität des Einzelbischofs durchgesetzt hat,65 ist ein solches Korrektiv durchaus notwendig; denn eine höhere Instanz, bei der man gegen einen Bischof Beschwerde führen kann, hat es bisher nicht gegeben. Mit der Einführung des Synodenwesens können nun auch Presbyter, Diakone und Laien an die Synode appellieren und gegen ihren Bischof klagen. Dieser kann dann, wie der Fall des Paul von Samosata zeigt, von der Synode zur Verantwortung gezogen und im äußersten Fall sogar abgesetzt werden.
Worin wurzelt nun die Autorität der Regionalsynoden? Es ist einerseits die Autorität der einzelnen Synodalen, die als Inhaber des Bischofsamts inapostolischer Sukzession stehen und so für die unversehrte Weitergabe der apostolischen Tradition und damit auch für die vertikale Einheit mit dem Ursprung bürgen. Indem sie andererseits auf der Synode die Glaubensgemeinschaft mit den anderen Ortskirchen und damit letztlich mit der Catholica suchen, verwirklichen sie auch die horizontale Einheit mit der Kirche. Denn mit diesem Ziel stellen die Bischofssynoden seit dem Ende des 2. Jahrhunderts in strittigen Fragen die „Übereinstimmung aller Kirchen“ fest. Auf den Regionalsynoden verbindet sich also das vertikale Element der apostolischen Tradition und Sukzession mit dem horizontalen Element der synodal praktizierten κοινωνία oder Communio mit allen Kirchen. Von maßgeblicher Bedeutung ist schließlich, dass sich auf den Regionalsynoden unter den bischöflichen Synodalen das Bewusstsein einer Autorität ausbildet, die ohne Vorbehalte für die ganze Kirche spricht, darum aber den Kontakt mit den übrigen Ortskirchen und insbesondere mit den kirchlichen „Schaltstellen“ der katholischen Communio sucht.
DASSMANN (wie S. 12) 175-181.
FIEDROWICZ, Michael, Theologie der Kirchenväter. Grundlagen frühchristlicher Glaubensreflexion, Freiburg Basel Wien 2007, 65-72 (apostolische Sukzession).
GESSEL, Wilhelm, Zentrale Themen der Alten Kirchengeschichte. Zum Umgang mit der Tradition der Kirche, Donauwörth 1992, 53-60.
SCHATZ, Klaus, Allgemeine Konzilien – Brennpunkte der Kirchengeschichte, Paderborn München Wien Zürich 1997, 21-26.
58 Zu den Hauptkirchen und ihren Bischöfen vgl. insbesondere Kapitel 5.0.
59 Zum Osterfeststreit vgl. eingehender Kapitel 5.3.1.
60 Zur Entstehung und Entwicklung des römischen Primatsanspruchs und der Reichspatriarchate bis zum Konzil von Chalzedon (451) vgl. ausführlich Kapitel 5.
61 Zum Osterfeststreit vgl. Kapitel 5.3.1.
62 Zum Ketzertaufstreit vgl. Kapitel 5.3.3.
63 Zum Bußstreit vgl. Kapitel 5.3.2.
64 Zur Synode von Antiochien und zu dem damit zusammenhängenden Zusammenspiel der Hauptkirchen Antiochien, Rom und Alexandrien vgl. Kapitel 5.3.4.
65 Zur Durchsetzung des Monepiskopats Ende des 2. Jh.s vgl. insbesondere Kapitel 2.4.