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1. Die normative Dimension der Klimadebatte Eine seltsame Wende

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Im Jahr 2019 war das Klima in aller Munde. Die Eindämmung des Klimawandels und seiner Folgen galt vielen als die wichtigste politische Herausforderung unserer Zeit. In wöchentlichen Demonstrationen forderten vor allem die Schülerinnen und Schüler von Fridays for Future eine energisch verfolgte, international koordinierte Klimapolitik ein und verschafften ihrer Enttäuschung über ausbleibende klimaschutzpolitische Erfolge entschieden und mit Nachdruck Gehör. Zugleich blickten viele mit Unverständnis auf die Protestierenden, und manch einer fürchtete die Folgen einer echten klimapolitischen Wende für den persönlichen Lebensstil.

Rasch hatten Populisten das Thema für sich entdeckt. Unter Rückgriff auf wissenschaftlich unhaltbare Thesen, wonach der gegenwärtig beobachtbare Klimawandel überhaupt nicht oder nur zu geringen Teilen auf menschliches Handeln zurückzuführen sei, verspotteten sie die demonstrierenden Jugendlichen und wiesen klimaschutzpolitische Forderungen empört als Versuche der Bevormundung, der Meinungsmache, ja, als Versuche, eine ökologische Gesinnungsdiktatur einführen zu wollen, zurück.

Im Frühjahr 2020 zwang dann die Corona-Pandemie die Welt in den Shutdown und veränderte die politischen Prioritäten grundlegend. Zivilgesellschaftlicher Protest, so mussten Klimaaktivisten weltweit lernen, findet auch im digitalen Zeitalter nur dann breite Aufmerksamkeit, wenn er auf den Straßen und Plätzen physisch deutlich sicht- und hörbar ist.

Für ein paar Wochen schien es fast so zu sein, als hätten das Infektionsgeschehen, die politischen Reaktionen und vor allem die Furcht vor den unabsehbaren sozioökonomischen Folgen des verordneten gesellschaftlichen Stillstandes den Klimadiskurs aus den öffentlichen und medialen Foren des Landes verdrängt. Hinzu kamen Meldungen, die den Gedanken nahelegen konnten, der Pandemie seien aus Sicht von Umwelt und Klima auch positive Seiten abzugewinnen: Man berichtete über den dramatischen Einbruch des klimaschädlichen Flugverkehrs, bessere Luftqualität in den großen industriellen Ballungszentren des Planeten, weniger stark verschmutzte Flüsse rund um den Globus – und das Wasser in der Lagune von Venedig war so glasklar wie nie zuvor.

Doch schnell kamen auch warnende Stimmen auf: Es könnte in den kommenden, für das globale Klima entscheidenden Jahren politisch noch sehr viel schwieriger werden, effektive Beschlüsse zu erzielen. Denn während in den vergangenen Jahren Klimapolitik auf Grundlage einer sich stabil entwickelnden Weltwirtschaft betrieben worden sei, sähen sich nun nicht wenige Regierungen weltweit mit der Bewältigung der schwersten Rezession seit Jahrzehnten konfrontiert, deren wirtschaftliche Folgen noch über lange Zeit ihre ganze Aufmerksamkeit allein in Anspruch nehmen würden.

Die großen klimapolitischen Herausforderungen sind, daran kann kein Zweifel bestehen, noch immer nicht gelöst. Das bedeutet auch: Wir werden als Gesellschaft weiter kontrovers diskutieren, wir werden uns weiter darüber streiten müssen, welcher Weg der richtige ist. Der gesellschaftliche Diskurs als Auseinandersetzung darüber, wie eine gute Klimapolitik aussehen könnte, ist nach wie vor unverzichtbar. Umso wichtiger ist es, die diesem breiten Diskurs durch das Corona-Virus teilweise verordnete Zwangspause sinnvoll zu nutzen und diesen Diskurs selbst einer kritischen Analyse zu unterziehen: Mit welchen Begriffen wird gearbeitet? Welche Vorstellungen und Bilder werden mit diesen Begriffen transportiert? Auf welche Argumente und Argumentationsstrategien wird zurückgegriffen? Diesen Fragen widmet sich das vorliegende Buch aus philosophischer Perspektive.

Drei Teildebatten prägen den klimapolitischen Diskurs und verdienen daher besondere Aufmerksamkeit:

Erstens ist die Auseinandersetzung mit Positionen zu nennen, die die Existenz des menschengemachten Klimawandels verneinen. Wenngleich sie im US-amerikanischen Diskurs von ungleich größerem Einfluss sind als in Europa, bleibt die Auseinandersetzung mit »Klimaskeptikern« und »Klimaleugnern« auch hierzulande bedeutsam, und zwar sowohl in praktisch-politischer Hinsicht als auch grundsätzlich. Sie ist praktisch erforderlich, weil eine energische Klimaschutzpolitik nur dann gelingen kann, wenn große Teile der Gesellschaft von der Existenz und Schwere des Problems überzeugt und daher bereit sind, eine solche Politik zu unterstützen, mindestens aber sie zu akzeptieren.

Sie ist jedoch auch grundsätzlich von Bedeutung. Denn in der Debatte um wissenschaftliche Erkenntnisse zum Klimawandel verhandeln westliche Gesellschaften die Frage, welchen Einfluss die Resultate wissenschaftlicher Forschung auf demokratische Politik haben sollten, welcher Stellenwert wissenschaftlich gesicherten Fakten, im Gegensatz zu Bauchgefühl, Emotion und persönlichem Interesse, zukommen soll.

Nebenbei bemerkt: Schon die Begriffe »Klimaskeptiker« und »Klimaleugner« wären eine eigene Untersuchung wert. Denn natürlich handelt es sich bei den so Bezeichneten nicht um Personen, die die Existenz des Klimas anzweifeln oder leugnen, sondern um Klimawandelskeptiker oder, noch genauer, um Personen, die bezweifeln, dass der Mensch der Verursacher dieses Klimawandels ist. Der politische Diskurs neigt permanent zur Ausbildung solch sprachlicher Eigenheiten.

Nicht selten kann diesen Eigenheiten erhebliche politische Bedeutung zukommen. So ist bemerkenswert, dass wir in der Regel beim Klima – wie auch bei Natur, Umwelt und Tieren – von »Klimaschutzpolitik« sprechen und somit in der Bezeichnung des Politikfeldes ein gesellschaftlicher Grundkonsens über dessen Ziel und Ausrichtung bereits zum Ausdruck kommt. In anderen Politikfeldern wäre eine entsprechende Wortwahl unvorstellbar, man denke nur an die Ersetzung von »Rentenpolitik« durch »Rentenerhöhungspolitik« oder »Rentenstabilisierungspolitik«.

Zweitens wird gegenwärtig diskutiert, welchen Stellenwert klimaschutzpolitische Ziele im Vergleich zu anderen politischen Zielen besitzen. Sollte die klimaschutzpolitische Agenda strikte Priorität genießen? Oder ist Klimaschutz ein politisches Ziel unter vielen? Gilt es etwa, zwischen den Anforderungen der Sozial-, der Wirtschafts- und der Klimaschutzpolitik eine angemessene Balance zu finden? Große Teile des deutschen wie des europäischen Klimadiskurses konzentrieren sich auf diese Frage.

Drittens schließlich wird darüber gestritten, wie Klimaschutz konkret gelingt und wie die angestrebten Ziele faktisch erreicht werden können. Welcher Sektor der Gesellschaft sollte welchen Beitrag leisten? Mit welchen politischen Steuerungselementen – mit Anreizen, mit Steuern, mit gesetzlichen Vorgaben – könnte Klimaschutz gelingen? Solche Fragen berühren die praktische Ausgestaltung der politischen Wende hin zu einer klimaneutralen und umweltschonenden Gesellschaftsstruktur.

Die Auseinandersetzung mit »Klimaskeptikern« betrifft die Ebene der Fakten. Die Debatten um den Stellenwert der Klimaschutzpolitik sowie um die Ausgestaltung effizienter Klimapolitik zielen auf die Ebene konkreter klimapolitischer Ziele und entsprechender Handlungsvorgaben ab. Um von den Fakten zu konkreten Handlungszielen zu gelangen, bedarf es eines großen Schrittes. Über diesen Schritt wird verhältnismäßig wenig gesprochen – und zu diesem Schritt hat die Philosophie einiges zu sagen.

Klima, Sprache und Moral. Eine philosophische Kritik

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