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Die dichten Begriffe des Klimadiskurses
ОглавлениеAuch in der klimapolitischen Debatte gilt: Eine Forderung ist dann gut begründet, wenn sie auf einer überzeugenden Verbindung von Tatsachen über den Klimawandel mit plausiblen Normen und Werten beruht. Die nötigen empirischen Befunde liefern die Klimawissenschaften. Was aber ist mit den Normen und Werten?
Meine zentrale These lautet, dass die entscheidenden Normen und Werte in der öffentlichen Debatte um Klimapolitik selten deutlich expliziert und präzise formuliert werden. Sie sind im Diskurs vielmehr in Gestalt komplexer Begriffe und damit in impliziter Form präsent.
Nicht selten handelt es sich bei diesen Begriffen um dichte Begriffe. Die Philosophie versteht unter einem dichten Begriff einen Begriff, in dem bewertende (evaluative) und beschreibende (deskriptive) Komponenten aufs engste miteinander verknüpft sind. In dichten Begriffen werden Sachverhalte zugleich erfasst und beurteilt. Oftmals sind dichte Begriffe nicht einfach zu durchschauen, da der Übergang von der Beschreibung zur Bewertung kaum einzugrenzen ist. Auch wird bei erkennbar evaluativen Verwendungen dichter Begriffe oftmals die Grundlage des wertenden Urteils gar nicht herausgestellt oder erläutert. Der Hörer denkt sich seinen Teil dazu, der konkrete Maßstab der Bewertung bleibt unausgesprochen.
Ein prominentes Beispiel für einen dichten Begriff ist der Begriff der Natur. Als »natürlich« können in beschreibender, deskriptiver Absicht Prozesse bezeichnet werden, die etwa nach den Gesetzmäßigkeiten der Physik oder Biologie ablaufen und entsprechend wissenschaftlich analysiert werden können. Oftmals wird »natürlich« jedoch in einem evaluativen Sinne verwendet und mit in solchen Kontexten zumeist negativ konnotierten (und dann ebenfalls in wertender Absicht verwendeten) Begriffen wie »künstlich« oder »technisch« kontrastiert. Wer etwa mit Blick auf den Schutz eines bestimmten Waldgebietes verlangt, in natürliche Prozesse solle nicht eingegriffen werden, der nimmt erstens auf (natur-)wissenschaftlich beschreibbare Prozesse Bezug, die er aber zweitens als natürliche Prozesse positiv bewertet. Aus dieser Bewertung zieht er drittens den normativen Schluss, dass in den vorliegenden Prozess nicht eingegriffen werden sollte.
Zu den zentralen dichten Begriffen des Klimadiskurses gehören neben dem Begriff der Natur die Begriffe des natürlichen Erbes, der Zukunft und der Schöpfung. Daneben begegnen in der Debatte Begriffe, die insofern keine dichten Begriffe im engeren Sinne sind, als sie nicht primär deskriptive und evaluative Komponenten miteinander verknüpfen. Auch sie verweisen jedoch auf Wertungen und Normen, die nicht konkret herausgestellt und erläutert werden. In diese Kategorie von Begriffen gehören beispielsweise der Begriff des Klimanotstands, der Begriff der von den Kindern nur geliehenen Welt, der Begriff der Heimat, der Begriff der Verantwortung und der Begriff der durch den Klimawandel gefährdeten Gleichheit.
Wer sich darüber klarwerden möchte, welche Normen und Wertungen klimapolitischen Forderungen in der öffentlichen Debatte zugrunde gelegt werden, der muss die dichten und vielschichtigen Begriffe des Klimadiskurses zergliedern und kritisch hinterfragen.
Eine solche Analyse ist überfällig: Sie ist nicht nur theoretisch aufschlussreich, sondern für die politische Debatte selbst von grundlegender Bedeutung. Eine effiziente und nachhaltige Klimaschutzpolitik wird nämlich nur dort gelingen, wo demokratische Mehrheiten von ihrer Notwendigkeit überzeugt werden können. Dabei kommt es auf die Tatsachen ebenso an wie auf die gewählte Begrifflichkeit. Denn Verfechter des Klimaschutzes unterlaufen ihr Anliegen, wenn sie mit Begriffen arbeiten, denen wenig plausible normative oder evaluative Vorstellungen zugrunde liegen.
Systematisch können in der begrifflichen Analyse Fragen nach dem Inhalt, der Plausibilität und der motivationalen Stärke voneinander unterschieden werden. Der genaue Inhalt der hier interessierenden Begriffe erschließt sich dabei keinesfalls von selbst. Welche normativen Leitvorstellungen und Wertmaßstäbe liegen einem Begriff zugrunde? Wie wird das moralische Problem des Klimawandels bestimmt, wenn er etwa als Gefahr für die Zukunft oder als Gefahr für das natürliche Erbe verstanden wird? Wer wird vorrangig in der Pflicht gesehen, den Klimawandel aufzuhalten? Die Klärung solch inhaltlicher Fragen bildet seinerseits die Voraussetzung für die kritische Bewertung der Plausibilität eines Begriffs: Überzeugen die in den Begriff eingelagerten Wertungen? Halten die den Begriff konstituierenden normativen Erwägungen einer kritischen Prüfung stand?
Schließlich ist nach der motivationalen Stärke eines Begriffs zu fragen. Dies mag zunächst überraschend erscheinen, beurteilen wir doch in vielen Kontexten Begriffe nach ihrem Gehalt und nach dessen Plausibilität. Begriffe sollen doch vor allem dazu beitragen, Sachlagen angemessen erfassen zu können, unabhängig davon, ob das Resultat zu bestimmten Handlungen anspornt oder nicht. Doch aus zwei Gründen ist es mit Blick auf die Klimadebatte sinnvoll, Begriffe bzw. die in Begriffe eingelagerten Vorstellungen und Wertungen auf ihr Motivationspotenzial hin zu untersuchen.
1. Motivationsprobleme gehören zu den wichtigsten Problemen effizienter Klimapolitik. Wie können Menschen dazu motiviert werden, ihren Lebensstil im Interesse anderer, ihnen im Regelfall völlig unbekannter Menschen grundlegend zu ändern? In vom Mehrheitswillen abhängigen demokratischen Systemen ist diese Frage entscheidend.
2. Die folgenden begrifflichen Analysen werden zu einem bedenkenswerten Ergebnis kommen: Die Begriffe, die etwa inhaltlich plausibel erscheinen oder die überzeugend auf allgemeine Normen Bezug nehmen, sind nicht unbedingt mit Vorstellungen verknüpft, denen ein starkes Motivationspotenzial zuzusprechen ist. Das letzte Kapitel geht der Frage nach, was mit Blick auf das Motivationsproblem aus diesem Befund zu lernen ist.