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8.

Christian sitzt mit seiner Gitarre im Arm in seinem Arbeitszimmer.

Heute will er wieder an seinem Reisebericht über die Inseln im Thyrrenischen Meer, Sardinien und Korsika weiterarbeiten.

Die Tonaufnahmen vorgestern sind gelungen, soweit man davon bei seinem Amateurniveau reden kann. Natürlich ist er kein ausgebildeter Schauspieler, nie hat er Sprachunterricht erhalten, aber in seinen Beratungs- und Verkaufsgesprächen bei der

Bank hatte er sich schon bemüht, allein durch den Klang seiner Stimme, durch betont deutliches Sprechen und Akzentuierung, Erfolg zu erzielen.

Heute will er mit dem letzten Schritt dieser Filmemacherarbeit beginnen, mit der Hintergrundmusik.

Er weiß, viele Amateure, die ihre Videos vertonen, lassen hier irgendwelche Musik ablaufen und fertig, er weiß aber auch, dass über die Filmmusik ein ganz wichtiges Element der Information abläuft. Während die Texte alleine den Verstand ansprechen, die Bilder großenteils auch, - nur manche werden durch ihre Ästhetik unmittelbar vom Gefühl aufgenommen -, wendet sich die Hintergrundmusik alleine an das Unterbewusstsein. Sie erzeugt Spannung, Trauer, Freude, Skepsis, Humor, je nachdem, was der Reisebericht gerade erzählt und transferiert.

Nicht umsonst sind Filmmusiken oft berühmt geworden. Er denkt an die Mundharmonikamelodie aus: Spiel mir das Lied vom Tod.

In dieser Phase der Arbeit ist Feeling angesagt, ein Gefühl, ein Händchen für die richtige Musikauswahl. Dazu muss er sich selbst erst einmal auf einen gewissen sensitiven Level bringen. Am besten kann er das mit Musik, mit seiner Gitarre.

Christian spielt einige Songs der Beatles, Yesterday, Let it be und Norwegian wood. Er liebt diese Musiker noch heute, 42 Jahre, nachdem sie sich getrennt haben. Dann John Lennons Imagine, bei dessen Melodie es ihm immer noch kalt den Rücken runter läuft. Nur diese gefühlvollen Lieder braucht er jetzt, um sich hochzubringen in eine Gefühlswelt, wo er die richtige Melodie für die richtigen Bilder empfindet. Er spielt noch drei Songs von Leonard Cohen, dem kanadischen Liedermacher, Suzanne und Marianne, und zum Abschluss sein wahnsinniges Halleluja.

Während seinem Gitarrenspiel und seinem Gesang hat er bereits den Laptop hochgefahren und das Programm von > Fotostory < hochlaufen lassen.

Die Arbeit kann beginnen. Er lässt jeweils eine Erzählpassage in der Vorschau ablaufen und sucht dann in seiner riesigen Musikbibliothek nach dazu passenden Songs oder Melodien. Auch eine ganze Reihe rein instrumentaler Aufnahmen stehen zur Verfügung, auch selbst gespielte, die er mit seinem DR2 - Aufnahmerecorder aufgenommen hat. Auch einige Liveaufnahmen von unterwegs sind dabei.

Oft ist aber die erste Wahl falsch, so gut die Musik auch an sich passte, im Zusammenspiel mit den sich bewegenden Fotos und seiner Sprache ist der Gesamteindruck dann doch nicht befriedigend. Es ist wie ein Puzzle.

Nun kommt die herrliche Fahrt durch das Maddalena-Archipel im Norden Sardiniens und die Überquerung der Straße von Bonifacio zur gleichnamigen Stadt im Süden Korsikas.

Hier muss die Musik einfach der Lebensfreude Ausdruck verleihen, die dieser Törn in ihm ausgelöst hatte.

Christian versucht es mit Summertime von George Gershwin. „Summertime and the living is easy“. Ja, genau das war's, diese Leichtigkeit des Seins, als die Nirwana über

azurblaues Wasser durch die Inselwelt des Maddalena-Archipels hindurchglitt.

Dann die zwölf Kilometer über die eigentliche Straße von Bonifacio nach Korsika hinüber, häufig sturmumtost. Er hatte sie aber bei traumhaftem Wetter übersegelt, und dank GPS musste man auch keine Angst vor den zahlreichen Klippen und Untiefen dort haben.

Schließlich Bonifacio selbst, ein Traum. Auf hohen weißen Kreidefelsen diese korsische Küstenstadt. Eine tiefe, fjordartige Bucht schneidet in dieses Kalksteinplateau ein und bildet einen wunderschönen Naturhafen.

Sein Reisebericht erzählt nun die Geschichte der Stadt von der Stadtgründung 828 durch den toskanischen Grafen Bonifacio II bis zur Besetzung 1942 durch deutsche Truppen.

Welche Musik passt zu diesen historischen Informationen?

Er probiert es mit einer ganz schlichten Tonfolge, eigentlich gar keiner richtigen Melodie, die er selbst eingespielt und bereits im Reisebericht des letzten Jahres verarbeitet hatte. Jawohl, wieder passt sie. Sie verdrängt nicht die gesprochene Information, sie lässt den Bildern den Vorrang, aber sie beruhigt die Seele des Zuschauers, sie hilft bei der Konzentration.

Nach zwei Stunden Arbeit hat er die erste halbe Stunde seines Reiseberichtes fertig, knapp die Hälfte und er ist platt. Jetzt würde es zur Routine, sein Feeling ist verbraucht. Er speichert sein Arbeitsergebnis und beendet dieses Programm.

Jetzt erst geht er ins Internet.

Die Nachrichten bei yahoo bringen eine Meldung der Piraten zum Urheberrecht. Sie haben ihr 10-Punkte Programm vom Mai dieses Jahres noch einmal überarbeitet.

Eigentlich interessiert ihn diese Partei gar nicht. Und Schwarmintelligenz als gewünschte menschliche Verhaltensweise ist für ihn Schwachsinn pur. Das haben wir im 3. Reich gesehen.

Aber die Sache mit den Urheberrechten geht ihn unmittelbar an.

Gershwin hat sein Summertime, welches er eben in seinem Reisebericht unterlegt hat, 1935 geschrieben, also vor 77 Jahren. Der Song war damals Teil seiner berühmten Oper: Porgy und Bess.

Nach US-Recht ist er 95 Jahre lang geschützt. Das gilt, wenn er den Song selbst auf der Gitarre spielt und singt. Unterlegt er aber eine Interpretation von Janis Joplin, beginnt der Schutz erst in den 70er Jahren.

Nur der absolut private Gebrauch ist frei. Zeigt er seine Reiseberichte irgendwo in der Öffentlichkeit ohne Eintrittsgelder, macht er sich eigentlich schon strafbar.

Das ist, denkt Christian, eine Schwachsinnsregelung. Er sieht ein, wo Geld fließt, Geld verdient wird, will auch der geistige Urheber seinen Anteil haben. Aber „ohne Moos, nix los“, sagt der Volksmund, da gibt er den Piraten Recht. Auch die Rechtslage in facebook, das ständige Kopieren fremder Texte, Bilder und Melodien, liegt sicher

rechtlich in einer Grauzone.

Er schaut in seinen mail-Briefkasten, bearbeitet seinen Inhalt und geht in facebook. Auf der Startseite nichts Besonderes, aber er hat eine Nachricht: Aha, von Veronika.

Sie will sich nicht mit ihm treffen. Noch nicht, schreibt sie. Sie hätte ihre Gründe, welche auch immer.

Bleib du für mich bitte noch ein bisschen im Dunkeln...das wäre schön.

Geheimnisvolle Worte, die er mehrmals liest.

Ach, Lehrerin ist sie, das hatte er gar nicht gesehen oder gibt sie es auf ihrer Seite auch gar nicht an? Und ihre Telefonnummer schreibt sie dazu. OK. Das letztere ist eigentlich der Beweis oder die Aufforderung, dass es weitergehen soll. Wenn sie ihm ganz ein Rendevouz absagen wollte, würde sie ja wohl nicht ihre Telefonnummer dazu schreiben.

Mit ...und alles Liebe wünscht dir Veronika, schließt sie ihre Nachricht.

Was soll er antworten?

Heute erst mal gar nichts, lass sie zappeln, falls sie doch angebissen hat.

Zwei Tage später schreibt er ihr:

Liebe Veronika,

dein Schreiben und deine Äußerungen sind absolut ok, nicht alles im Leben passt jederzeit zu jeder Situation. Das Geheimnis des Erfolges ist es, zur rechten Zeit am richtigen Platz das Richtige zu tuen.

Vielleicht vertraust du mir ja einmal zu einem späteren Zeitpunkt dein kleines Geheimnis an, welches dich hindert, dich im Moment mit mir zu treffen.

Ich selbst bin auch etwas im Stress, weil ich nächste Woche einen Tauchtörn nach Ägypten unternehme und mein Tauchgepäck nicht extra anmelden will.

Die Fluggesellschaften haben in diesem Jahr die Beförderungskosten dafür verdoppelt von 50,- € auf 100,- €. Deshalb leihe ich mir ein ganz leichtes Jackett, verzichte auf überflüssiges Equipement und bringe meinen Atemregler zerlegt im Handgepäck unter.

Warum nehme ich eigentlich immer eine zweite Jeans, einen zweiten Pullover usw. mit? Zu Hause laufe ich doch auch eine Woche lang in den gleichen Klamotten rum. Und tagsüber auf dem Tauchboot brauchst du eh nur eine Trainingshose, warme Jacke

und Badehosen. Alleine mein großer Tauchbag wiegt schon sechs Kilo von den 20 erlaubten. Nein, ich versuche mein komplettes Gepäck auf 20 kg plus Handgepäck zu begrenzen.

Ja, und eben, bevor ich facebook öffnete, habe ich an einem weiteren Teil meines Reiseberichtes gesessen, an dem ich im Moment arbeite.

Inseln im Thyrrenischen Meer: Sardinien und Korsika

Im Moment bringe ich die Hintergrundmusik ein. Du kennst das sicher aus Filmen als Filmmusik. Ein wesentlicher Teil des Gesamtprojektes. Einen Teil der Musik mache ich selbst mit Gitarre und Gesang. Und auch jetzt steht die Gitarre noch neben mir, mit ihr hab ich mich in Stimmung gebracht, meine Nerven hochgekitzelt, mein Feeling trainiert. Doch länger als zwei Stunden kann man das nicht tun, dann ist man platt, ist leer, ist wie ausgesaugt.

So das reicht, ich denke, ich habe dir genug von mir erzählt, ich muss ja auch noch ein bisschen aufbewahren für den Fall, dass wir uns wirklich einmal treffen.

Ich wünsche dir und deiner Arbeit in der Schule jetzt in den letzten Wochen vor Weihnachten ein gutes Gelingen und denke mal an dich, wenn ich unter der ägyptischen Sonne liege.

Liebe Grüße

Christian

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