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2.

Veronika Langhäuser sitzt am Schreibtisch und bereitet sich auf ihren Geschichtsunterricht an der Ernst Barlach Realschule in Miesenhain vor. Seit 30 Jahren ist sie jetzt Lehrerin, davon 25 an dieser Schule. Geschichte und Deutsch hat sie studiert, der Kunstgeschichte gilt ihre Leidenschaft.

Wenn sie im Unterricht mal ihren Schülern davon erzählen will, schauen ihr ahnungslose, gelangweilte Gesichter entgegen.

Geschichte ist schon eine Zumutung, aber die Ästhetik des romanischen Kaiserdoms in Speyer, es nervt..., wie die Schüler heute sagen. Veronika weiß das. Sie übertreibt es auch nicht. Manchmal überkommt es sie einfach. Noch ist sie begeisterungsfähig, neugierig auf alles Schöne und Interessante in dieser Welt. Warum sollte sie damals Lehrerin geworden sein, wenn sie diese Begeisterung nicht weitergeben darf?

Sie verscheucht diese Gedanken und konzentriert sich wieder auf ihr eigentliches Tun. Das Wachsen des Römischen Weltreiches heißt die Unterrichtseinheit für die nächsten 12 Unterrichtsstunden der 7.4. Das sind sechs Wochen Geschichtsunterricht bei 12 bis 14jährigen pubertierenden Jungen und Mädchen. Wenn sie die Kriege von Hannibal bis Teuteburger Wald in den Mittelpunkt des Unterrichts rückt, hat sie wenigstens die Jungen etwas motiviert. Wichtig, sagt der Lehrplan, ist, dass die Schüler die Romanisierung erkennen, den Kulturtransfer, den die Römer über das ganze

Mittelmeergebiet gebracht haben, auch hier nach Deutschland.

Stunde für Stunde entsteht als Konzept in ihrer Vorbereitung.

Früher schrieb sie das immer mit der Hand auf unzählige Notizblöcke, jedes Jahr neu, weil man Unterricht nie „eins zu eins“ übernehmen kann.

Heute tippt sie ihre Konzepte in den Computer. Ihr Laptop ist ihr wichtigstes Arbeitsinstrument geworden. Es spuckt Bilder und Texte aus, ist Notizbuch, ihr Mädchen für alles und kann mit einem Tastendruck das Schulleben beenden und sie zur Privatperson machen.

Sie überfliegt ihre emails und freut sich über die Grüße einer Freundin aus Hannover, mit der sie im letzten Jahr in den Sommerferien eine Türkeireise unternommen hatte. Von Istanbul nach Izmir mit Ausflügen nach Pergamon, Ephesos, Hierapolis und viele andere Kulturdenkmäler aus hellenistischer und römischer Zeit. Monika und sie hatten gemeinsam den Wandel von ägyptischer, über altgriechische, hellenistische zur römischen Architektur und Bildhauerkunst bewundert und zu begreifen gelernt.

Veronika sieht das > f < von facebook und drückt wie gedankenverloren auf den Button.

Die Startseite springt auf. Oh, sie hat eine Nachricht:

Ach ja, dieser Segeltyp, hat geantwortet:

...Streuner...nicht, was Frauen sich wünschen.

„Hab ich auch noch nicht gelesen“, konstatiert sie. Fast ohne nachzudenken, formuliert sie eine Antwort.

Ja, lieber Christian,

Streuner zu sein, find ich toll, neugierig auf diese Welt mit all ihren Facetten. Da führst du ein wunderbares Leben, um das ich dich beneide.

Liebe Grüße

Veronika

Schon ist die Antwort weg, nicht mehr zurückholbar!

Veronika liest sie jetzt noch mal genau durch. Einen Streuner beneiden?

Nein, sie hat natürlich an den Segler gedacht mit seinen Reiseberichten von der spanischen Süd- und Ostküste, sie hatte seine Fotos von Malaga und Tarragona im Hinterkopf, als sie so schrieb. Diese wunderschönen Fotos von der alten römischen Provinzhauptstadt Tarraco, wie die Römer Tarragona nannten.

Sie vergrößert sein Profilbild.

Ein älterer Mann mit Baseballmütze schaut ihr lachend entgegen. Nicht unsympathisch. Irgendwie anders als ihre Kollegen an der Schule.

Sie muss lächeln. Früher, als sie jung war, hatte sie viele männliche Kollegen, die meisten in Jeans, tolle Typen waren dabei, von den 68ern geprägt, Individualisten, gierig auf Freiheit und Unabhängigkeit.

Wo sind die geblieben? Ja, wie im Song Sag mir, wo die Blumen sind, wo sind sie geblieben? Mädchen pflückten sie geschwind... und die Bürokratie hat sie aufgefressen.

Veronika lässt diese Gedanken fallen. In facebook heutzutage legt man seine Worte nicht mehr auf die Goldwaage, die Zeiten, wo Goethe jedes Wort fein säuberlich setzte, die Texte noch im Rhythmus der Versform erschienen, sind vorbei. Ja, auch das war griechisch-römische Kultur. Wie Homer seine Verse in der Ilias und der Odyssee formulierte: Nenne mir Muse den Mann, den weitgereisten ... Odysseus war gemeint. Der segelte auch durchs Mittelmeer, wie dieser Christian.

Schluss jetzt, sie zwingt sich zur Konzentration auf ihre Unterrichtsvorbereitung.

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