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ОглавлениеIII.
Fred Katz
* * *
Der Professor
Zu unterrichten, indem man mit gutem Beispiel vorangeht,
ist ein höchst inspirierender Ansatz.
Zum ersten Mal sah ich ihn im Lighthouse in Hermosa Beach. Ich war gerade einmal 17 und pilgerte wieder einmal in dieses legendäre Mekka des Jazz. Chico Hamilton, der bereits zu meinen Helden zählte, stand mit seinem Quintett auf der Bühne. Später borgte ich mir Chicos Art, das Ride-Becken zu spielen, für den Doors-Song „The End“ aus. Doch damals musste mein jugendlicher Verstand erst einmal mit der Vorstellung zurechtkommen, einen Cellisten in einer Jazz-Gruppe zu hören. Wer war dieser bebrillte Typ mit der chassidisch anmutenden Optik? Und waren Cellisten in der Lage, einfach drauflos zu improvisieren?
Wie sich herausstellte, war Fred Katz’ gesamte Existenz auf Improvisation aufgebaut. Aber an diesem Nachmittag – im Lighthouse gab es am Sonntag immer Jazz-Matineen – spielte das Cello bei sämtlichen Songs die Melodielinien. Außerdem improvisierte der Cellist sich so richtig den Arsch ab, indem er seine Solos strich, zupfte und sang. Wir konnten gar nicht genug davon bekommen.
Ich bin in Santa Monica zur Welt gekommen, nicht allzu weit weg von Hollywood. Später besuchte ich das San Fernando Valley State College, das heutige Cal State Northridge. Zunächst studierte ich Musik als Hauptfach, aber ich dachte, dass ich damit niemals meinen Lebensunterhalt bestreiten könnte, weshalb ich auf Betriebswirtschaftslehre umsattelte. Doch nun, einige Jahre nach dieser Show im Lighthouse, sah ich mich zunächst nach weiteren Lehrveranstaltungen um. Die erste meiner beiden Memoiren, Mein Leben mit Jim Morrison und den Doors, bringt es am besten auf den Punkt:
In diesem Frühjahr wechselte ich mehrmals meine Fächer am Valley State College. Ich wusste, dass ich Betriebswirtschaftslehre hassen würde, war aber der Ansicht, dass ich es gut gebrauchen könnte, um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich bekam Vieren. Ich hörte nicht auf meine wahren Gefühle. Ich ließ mich von anderen beeinflussen. Aus diesem Grund kam ich auf eine für mich absurde Idee. Ich war gerne mit anderen Leuten zusammen, wollte ihnen helfen. Vielleicht war ja Soziologie etwas für mich. Aber schon bald hasste ich auch dieses Fach.
Als Nächstes wurde ich auf einen Kurs aufmerksam, der ethnologische Musik behandelte. Was zum Teufel war das denn? Ich hielt mich selbst ja für einen Musiker. „Ethnologisch“ bedeutete, dass es um fremde Kulturen ging. Die Lehrveranstaltung wurde vom Institut für Anthropologie angeboten. Ich warf einen genaueren Blick auf die Kursbeschreibung. Ach, du heilige Scheiße! Der Dozent hieß Fred Katz. Sollte es sich bei ihm etwa um denselben Typen handeln, den ich ein paar Jahre zuvor am Cello mit dem Chico Hamilton Quintet gesehen hatte?
Ich schlug im Personalverzeichnis den Lebenslauf dieses Lehrers nach, und er war es tatsächlich. Da wurde doch der Hund in der Pfanne verrückt! Ich wollte mich sofort für den Kurs eintragen, doch es gab bereits eine lange Warteliste. Im darauffolgenden Semester kam ich aber endlich an die Reihe. Professor Katz war unglaublich charmant und faszinierend. Kein Wunder, dass Ethnological Music der beliebteste Kurs auf dem gesamten Campus war. Nicht nur, weil man in dem Kurs eine gute Note auf die leichte Tour erhielt, sondern vor allem, weil Katz auch ein sehr interessanter Zeitgenosse war. Wie ich bereits in Mein Leben mit Jim Morrison und den Doors geschrieben habe:
Er war in der Welt herumgekommen und kannte sich mit dem Leben aus. Manchmal kamen Musikerkollegen wie der Flötist Paul Horn zu uns in die Klasse und spielten mit ihm für uns. Jeder von uns bekam einen Augenblick lang mit, was in der wahren Welt so abging. Natürlich wurde er ein paar Jahre später „freiwillig gegangen“. Zu abgefahren!
Nicht allzu lange, nachdem Fred seinen Hut hatte nehmen müssen, brachen Studentenrevolten über den Campus herein. Es schien fast so, als ob die Leute, die unsere Colleges leiteten, nicht wirklich wussten, wie die Studentenschaft tickte. Ihre Haltung erinnerte mich ein wenig an Antonin Scalia, einen inzwischen verstorbenen Richter am Obersten Gerichtshof der USA. Er grämte sich angesichts der Legalisierung der Homo-Ehe und sah in den Hippies die Hauptschuldigen für diese Entwicklung. Offenbar hatten sie eine respektlose Einstellung gegenüber der Institution Ehe gezeigt. Scalia war von Ronald Reagan ernannt worden. Auch er war ein großer Hippie-Hasser. Heute, im Jahr 2020, protestieren die Studenten (schon wieder diese verdammten jungen Leute!) gegen die Erhöhung der Studiengebühren.
Es ist offenkundig, was die Hochschulverwaltung vor 50 Jahren an Professor Katz auszusetzen hatte: Er wich vom Lehrplan ab und sprach einfach aus, was ihn so beschäftigte. Doch er sprudelte förmlich über vor Vitalität und Lebensfreude – und das war die allerbeste Lektion.
Ich habe eigentlich immer noch ein Jahr am College vor mir, in dem ich 30 Kurspunkte sammeln muss, bevor ich meinen Bachelor in Anthropologie erhalte. Aber ich glaube nicht, dass ich mir das noch antun werde. Allerdings erwies ich Fred Katz noch einmal die Ehre, als er schon in seinen Neunzigern war. In der Los Angeles Times hatte ich gelesen, dass das überaus ehrwürdige Skirball Cultural Center nach 20 Jahren eine Neuauflage von Freds Wohnzimmer-Konzerten organisierte. Da durfte ich nicht fehlen und saß in der zweiten Reihe. Die Bühne war mit Stühlen und Sofas ausstaffiert, um eine einwandfreie Wohnzimmer-Atmosphäre zu garantieren. Die Kulisse war dem tatsächlichen Wohnzimmer des Professors nachempfunden, in dem er jahrelang Jam-Sessions veranstaltet hatte.
Seinerzeit kreuzten etliche klassisch ausgebildete Musiker bei ihm zuhause auf. Immerhin hatte Fred in seinen jungen Jahren bei Pablo Casals gelernt. Aber auch eingefleischte Jazzer standen auf der Matte. Schließlich hatte Fred mit Dexter Gordon, Charles Mingus, Lester Young, Lena Horne, Tony Bennett, Gerry Mulligan, Ken Nordine und Buddy Collette gespielt, um nur ein paar zu nennen, und mit Jim Hall, Paul Horn, Eric Dolphy, Gábor Szabó und Charles Lloyd musiziert, um noch ein paar weitere Jazz-Granden zu erwähnen.
Der Maestro jammte ein bisschen auf seinem Cello, nahm auf einer Couch Platz und begann drauflos zu plaudern. Der Mann liebte es zu quasseln. Er dankte uns dafür, dass wir zur Probe für seinen 92. Geburtstag erschienen waren. Er erzählte Witze. Dann spielte er noch mehr Musik. Die Warmherzigkeit, die den Raum erfüllte, war förmlich greifbar. Es fühlte sich so an, als hätte er tatsächlich alle 200 Anwesenden zu sich in sein Wohnzimmer eingeladen. Wieder einmal wurde einem klar, was die College-Leitung so an Fred Katz frustriert hatte: Seine eindrucksvollste Lektion bestand schlicht darin, wer er war.
Am Ende der Festivitäten wartete ich zunächst noch ein bisschen, ging dann aber doch zu ihm hinüber und stellte mich ihm noch einmal vor. Professor Katz rief mit lauter Stimme: „Hey, du bist der Typ von den Doors! John! Der Schlagzeuger!“ Das war einerseits sehr schmeichelhaft, andererseits aber auch ein bisschen peinlich. Doch wenn es meinen Mentor glücklich machte, mich zu sehen, dann machte mich das erst recht glücklich! Wir verabschiedeten uns und ich fuhr ganz selig heimwärts.
Etwa einen Monat später kam Freds Herz hingegen endgültig zum Stillstand. Sein Geist flog nun jedoch noch höher als jemals zuvor. Die Berichterstattung über sein Ableben überschlug sich nur so vor Superlativen: „Sein großes musikalisches Genie ist nunmehr überall! Es durchdringt den Äther! Es erfüllt den Ozean! Man kann sich überall mit ihm in Verbindung setzen. Es ist für alle verfügbar! Man muss nicht mal mehr eine Eintrittskarte kaufen. Seine Liebe und seine Weisheit kennen keine Grenzen! Dieser Mann, der das Leben so geliebt hat, ist nun ein Schutzengel! Ruft ihn einfach an … er wird euch stets erhören. Er wird euch allen mittels Schallwellen eine Nachricht zukommen lassen.“