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VI.

Emil Richards

* * *

Gute Schwingungen

Musik beruht auf Vibration.

Emil Richards, der zu den beliebtesten Musikern zählt, die jemals auf Erden weilten, hat mit allen gespielt. Damit meine ich wirklich mit jedem – von Frank Sinatra über George Harrison bis hin zu Ravi Shankar. Seine musikalische Präsenz schmückte sämtliche Genres.

Zum ersten Mal traf ich ihn im Shelly’s Manne Hole, jenem Jazzclub in Hollywood, in dem ich auch Coltrane gesehen habe. Tatsächlich sah ich alle Größen dort – und Emil zählte auch dazu. Er spielte dort das Vibraphon mit dem Paul Horn Quintet, einer Gruppe, der auch Miles Davis huldigte. „Paul Horn spielt sein Instrument so, wie sich das gehört“, lobte ihn der Trompeten-Großmeister. Der Altsaxofonist erwiderte das Kompliment. „Miles versteht es, auf den richtigen Augenblick zu warten. Er spielt keine Noten, solange er damit nicht etwas aussagen will. Aber wenn es soweit ist, spricht er die Wahrheit.“

Das Paul Horn Quintet spielte diese hastigen Jazz-Walzer-Tempi, von denen ich als Teenager gar nicht genug bekommen konnte. Ich drosch stundenlang auf die Felle ein, im Bestreben, diesen speziellen 3/4-Takt-Groove nachzuahmen. Wenn Emil ein Solo vom Stapel ließ, war das, als ob er einen Toast mit Butter bestreichen würde. Er lehnte sich dann ein wenig nach links oder rechts und glitt äußerst behände und dynamisch mit seinen Schlegeln über das metallene Vibraphon. Gleichzeitig schien sein Spiel jeglicher Anspannung zu entbehren. Doch was letztlich spielerisch und einfach wirkte, so fand ich heraus, war das Resultat jeder Menge harter Arbeit. Es ist ganz egal, welcher Kunstform man sich verschrieben hat – der Malerei, der Musik, der Schauspielerei –, sie alle erfordern jahrelange Übung.

Jahre nachdem ich Emil Richards Jazz spielen gesehen hatte, begab ich mich auf einen einmonatigen Meditations-Urlaub zum Maharishi. Zu meiner großen Freude traf ich dort auf Paul Horn und Emil. Am Ende dieser Einkehr gab es eine Jam-Session. Mehrere Blues- und Rockmusiker zogen ihr Ding durch, als schließlich Paul und Emil die Bühne betraten. Nun war auch mein Zeitpunkt gekommen. Mein Herz pochte heftig, als ich mich ebenfalls auf die Bühne begab und mich zum Schlagzeuger beugte, um ihm zu sagen: „Ich kennen die Nummern, die sie spielen werden.“ Er reichte mir die Sticks.

Ich gab einen flott gespielten ¾-Takt vor und schon spielten wir „Fun Time“. Ich war überzeugt, dass das, was meine Hände da taten, zum Sound passte. Emil bestätigte mir das, indem er sich zu mir umdrehte und mir mit dem Daumen nach oben seine Zustimmung vermittelte. Er grinste übers ganze Gesicht. Dieser Augenblick ist mir auch heute noch gegenwärtig, obwohl es schon 50 Jahre her ist. Ich zehre immer noch davon. Dieser junge Schlagzeuger in seinen Zwanzigern spielte hier mit zwei seiner Helden und sie reagierten mit Zustimmung.

Es vergingen daraufhin wieder ein paar Jahre. George Harrison tourte inzwischen mit einer Gruppe von ausgezeichneten Rockmusikern und Ravi Shankar, dem phänomenalen indischen Sitar-Spieler. Ravi wiederum begleitete ein kleines Ensemble von indischen Musikern. Emil spielte mit beiden Gruppen. Um in der Lage zu sein, diese ausgefuchsten Raga-Rhythmen zu spielen, musste man es schon draufhaben – ein weiteres Beispiel für seine Vielseitigkeit. Mittlerweile hatten wir uns angefreundet und ich genoss es, seinen vielen Anekdoten über all die Größen, die er in seinem Leben getroffen hatte, lauschen zu dürfen: „Einmal, als ich mit Frank [Sinatra] auf Tour war, fragte er mich, was es mit dem Namen Emil auf sich hätte. ‚Du heißt doch Emilio, stimmts?‘ Ich antwortete ihm: ‚So ist es,

Mr. Chairman!‘“

Der langjährige Studiotechniker der Doors, Bruce Botnick, war dazu übergegangen, große Sinfonie-Orchester für Filmmusik-Produktionen aufzunehmen. Er lud mich zu einer Session ein. Der berühmte Filmkomponist Jerry Goldsmith stand gerade hinter der Konsole, als ich den Regieraum des Studios betrat. Bruce stellte mich der weißhaarigen Legende mit dem Pferdeschwanz vor. Goldsmith gab sich freundlich, hatte aber eine Menge um die Ohren. Wenn man Musik für einen Film aufnimmt, muss man sich um hunderte musikalische Details kümmern.

Mir fiel auf, dass sich im Studio gerade einmal vier Overhead-Mikrofone befanden, die aber 80 bis 90 Musiker einfangen sollten. „Bruce, du hast ja für mein Schlagzeug schon mehr Mikros verwendet als hier. Was hat es denn damit auf sich?“

„Wenn man sie richtig positioniert, John, dann braucht man nicht mehr“, erwiderte mir Bruce.

Diese Antwort erinnerte mich wiederum an den brillanten Produzenten Daniel Lanois, der ganz hinten im Mix eine mit sehr viel Echo verhallte Gitarre platzierte, was der Musik Tiefe und Räumlichkeit verlieh.

Plötzlich erspähte ich ein mir bekanntes Gesicht unter den Perkussionisten: Emil Richards! „Okay, ich verziehe mich mal zu meinen Leuten.“ Ich blickte zu Goldsmith, um sicherzustellen, dass er nicht gerade aufnehmen wollte. Dann betrat ich den Aufnahmeraum. Es erinnerte mich an das Sinfonie-Orchester an der Highschool, nur handelte es sich hier garantiert nicht um Amateure. Emil hieß mich unter meinesgleichen willkommen und zeigte mir seine Ausrüstung. Er besaß eine der umfangreichsten Sammlungen von Instrumenten, die er aus jeder Ecke der Welt mitgebracht hatte.

Als ich Mike am Flügel bemerkte, kam auch er zu uns herüber. Er hatte mit mir die Uni High School besucht. Schon damals hatte sich abgezeichnet, dass er einmal ein großartiger Jazzpianist werden würde. All die Typen hier spielten in der Oberliga der Studiomusiker und wurden angeheuert, um so mancher Session ihren Stempel aufzudrücken. Die meisten von ihnen bekamen das Doppelte oder Dreifache vom Mindestlohn bezahlt.

Jerry Goldsmith hatte nun ebenfalls den Raum betreten und Aufstellung am Podium bezogen. Er machte mit dem Dirigentenstab auf sich aufmerksam. „Einsatz Nummer 36, bitte“, informierte er die große Ansammlung von Musikern. Emil signalisierte mir, dass ich bleiben könne, wenn ich mich mucksmäuschenstill verhielte. Mike Lang kehrte an seinen Flügel zurück. Bruces Stimme erklang über die Lautsprecher: Die Aufzeichnung lief bereits. Jerry dirigierte ein paar überaus komplexe Minuten Orchestermusik. Im Anschluss rief Bruce: „Alles im Kasten!“

Mike Lang kam nun noch einmal zu uns rüber, um unser Pläuschchen fortzusetzen. Ich konnte kaum fassen, dass diese Musiker diese so anspruchsvolle Musik vom Blatt spielen konnten. Ich weiß noch, wie ich mich in der Schule mit dem Notenlesen geplagt hatte. Diese Typen aber schafften alles gleich im ersten Anlauf. Ich empfand enormen Respekt für sie.

Das nächste Mal sah ich Emil erst auf der DVD Concert for George wieder. Ein trauriger Anlass eigentlich: Immerhin handelte es sich hierbei um die Aufzeichnung jener Veranstaltung, die zu George Harrisons erstem Todestag in der Royal Albert Hall stattgefunden hatte. Allerdings war diese Show auch eine der eindrucksvollsten Hommagen, die einem Musiker zuteilwerden konnten. In der ersten Hälfte spielten ungefähr 15 der besten indischen Musiker eine Komposition, die Ravi Shankar anlässlich Georges Ableben geschrieben hatte. Ravis Tochter Anoushka dirigierte und Emil spielte auf der Marimba. Er weihte mich ein, dass Anoushka eine ganz klare Linie verfolgte, um den westlichen Musikern zu helfen, in die sehr komplexen Raga-Melodien hineinzufinden. Das war ja so spannend! George erhielt einen musikalischen Abschied, den selbst die Engel im Himmel noch hören konnten.

Jahre später erklärte mir Emil beim Abendessen, dass er kurz nach Georges Tod noch bei ihm gewesen war. Er war gerade mit seiner heißgeliebten Frau Celeste im Kino, als er von Georges Frau Olivia einen Anruf erhielt. George hatte zwar unsere Daseinsebene bereits verlassen, doch Olivia lud Emil und Celeste zu sich ein, um sich noch zu verabschieden. Zusammen hielten sie am Bett des Beatles-Gitarristen eine traditionelle Puja ab. Dabei handelt es sich um ein Gebetsritual, mit der man einer Gottheit die Ehre erweisen möchte. Emil schwor mir, dass er, als er zum Ende kam, den Anflug eines Lächelns über Georges Gesicht huschen sah.

Emil channelte die Musik der Sphären. Es existieren Geister, die unter uns wandeln, um uns das Licht zu bringen. Wir können so viel Licht gebrauchen, wie wir kriegen können, da die Dunkelheit um uns herum fast undurchdringlich erscheint. Emil leuchtete mit seinem Licht in den Abgrund. Er tat dies mit einem Lächeln. Es ist nun schon 20 Jahre her, dass ihm ein Arzt mitteilte, dass er aufgrund seines Zigarettenkonsums wohl bald den Löffel würde abgeben müssen. George Harrison hatte ihm einmal eine riesige Kiste für seine Percussion-Instrumente bauen lassen, die ein exakter Nachbau einer Camel-Packung war.

Seine Tochter Camille erzählte mir, dass ihr Dad eines Tages auf seine Handfläche zeigte und sagte: „Sieh mal die Lebenslinie hier. Die ist so lang, die reicht bis zu meinen Eiern runter!“ Vor ein paar Jahren sagte Emil beim Mittagessen zu mir: „Ich werde euch schon noch ein Weilchen erhalten bleiben.“ Ich fragte mich, wie viel Einfluss er auf solche kosmischen Fragen tatsächlich hatte. Nun ist das Licht meines geliebten Lehrmeisters erloschen und ich beende das Telefonat, in dem mich Celeste davon in Kenntnis gesetzt hat. Sie berichtete mir auch, dass er sie vor ein paar Tagen noch darum gebeten hatte, sich zu ihm ins Bett zu legen, um ihn zu festzuhalten. Er war 86 Jahre alt und alles ging ganz schnell. Keine Schmerzen. Am Morgen hatte er noch zu seiner Tochter gesagt: „Heute ist es soweit.“

„Ach, komm schon, Dad!“, hatte Camille unwirsch reagiert.

Um sein Licht wieder zum Erstrahlen zu bringen, spielte ich auf einer afrikanischen Trommel, die ich von Emil geschenkt bekommen hatte. Ich widme den Rest meines Lebens der Aufgabe, jenen Funken zu channeln, der den Augen meines Percussion-Kollegen zu entspringen schien.

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