Читать книгу Die Forsyte-Saga (Buch 1-3) - John Galsworthy - Страница 10
Fünftes Kapitel Eine Forsytesche Häuslichkeit
ОглавлениеWie Tausende von Aufgeklärten seiner Klasse und seiner Generation in dem großen London, die nicht mehr an rote Plüschmöbel glauben und wissen, daß moderne italienische Marmorgruppen › vieux jeu‹ sind, bewohnte Soames Forsyte ein Haus, das allen Ansprüchen genügte. Es hatte einen kupfernen Türklopfer von eigenartiger Gestalt, Fenster, die sich nach außen öffnen ließen, hängende, mit Fuchsien gefüllte Blumenbretter, und an der Rückseite (sehr vornehm) einen kleinen, mit nephritgrünen Fliesen belegten Hof, von rosenroten Hortensien in pfaublauen Kübeln umgeben. Hier konnten sich unter einem pergamentfarbenen japanischen Sonnenschirm, der den ganzen Raum bedeckte, Bewohner und Gäste vor neugierigen Blicken schützen, wenn sie ihren Tee tranken und in Muße die neuesten von Soames' kleinen silbernen Dosen betrachteten.
Bei der inneren Einrichtung waren der Empirestil und William Morris bevorzugt. Für seine Größe war das Haus behaglich; überall waren zahllose kleine, Vogelnestern gleichende Nischen, und kleine silberne Nippsachen lagen umher wie Eier.
In dieser allgemeinen Vollkommenheit waren zwei verschiedene Geschmacksrichtungen sehr wählerischer Art mit einander im Streit. Es lebte eine Herrin darin, die sich auf einem wüsten Eiland ein zierliches Heim zu schaffen gewußt hätte, und ein Gebieter, dessen Schönheitssinn, den er nur im Gedanken an sein Emporkommen pflegte, eigentlich eine den Gesetzen des Wettbewerbs entsprechende Kapitalsanlage war.
Dieser berechnete Schönheitssinn hatte bei Soames schon in seiner Schulzeit das Verlangen erweckt, der erste unter den Jungen zu sein, der im Sommer weiße und im Winter Manchesterwesten trug, sie hatte ihn davor bewahrt, öffentlich mit verschobener Krawatte zu erscheinen und ihn veranlaßt, seine Lackstiefel blank zu reiben, wenn sich bei der Schulfeier eine große Menge versammelte, um ihn Molière rezitieren zu hören.
Wie vielen Londonern, war Soames eine makellose Sauberkeit angeboren; es war unmöglich, sich vorzustellen, daß bei ihm ein Härchen in Unordnung geraten könnte, daß seine Krawatte ein Haar breit von der senkrechten Linie abweichen, sein Kragen ohne Glanz sein könnte. Nicht um die Welt hätte er auf sein tägliches Bad verzichtet – es war Mode Bäder zu nehmen, und mit welch bitterer Verachtung sah er auf Leute herab, die es unterließen!
Irene aber konnte man sich als Nymphe vorstellen, die von der Frische und dem Anblick ihrer eigenen holden Gestalt erfreut, in verstecktem Weiher badet.
In diesem häuslichen Konflikt hatte die Frau nachgeben müssen. Wie bei dem Kampf zwischen Sachsen und Kelten, der noch in der Nation fortlebte, war das eindrucksfähigere und empfänglichere Temperament in eine konventionelle Form hineingezwängt worden.
So war das Haus nun von hundert andern Häusern mit den gleichen hohen Ansprüchen kaum zu unterscheiden, war: ›Das reizende kleine Haus von Soames Forsyte geworden, ganz eigenartig – wirklich elegant!‹
Liest man für Soames Forsyte James Peabody, Thomas Atkins, Emmanuel Spagnoletti oder den Namen sonst irgend eines Engländers des besseren Mittelstandes in London, der Anspruch auf guten Geschmack erhebt, so paßt derselbe Satz auf sie, mag die Einrichtung auch verschieden sein.
Am Abend des achten August, eine Woche nach der Expedition nach Robin Hill, saßen im Speisezimmer dieses Hauses, das – ganz eigenartig – wirklich elegant! – war, Soames und Irene bei Tisch. Warmes Mittagessen am Sonntag galt in diesem, wie vielen andern Häusern als eine besondere Vornehmheit. Soames hatte es gleich zu Anfang seiner Ehe zur Bedingung gemacht. »Es muß am Sonntag warmes Mittagessen geben,« pflegte er zu sagen, »sonst haben die Dienstboten nichts zu tun und spielen den ganzen Tag Harmonika.«
Die Anordnung war keinem Widerstand begegnet. Denn – Soames sah es als ein ziemlich bedauerliches Zeichen an – die Dienstboten hingen an Irene, die aller unverletzlichen Tradition zum Trotz, deren Recht auf einen Anteil an den Schwächen der menschlichen Natur anzuerkennen schien.
Das glückliche Paar saß sich nicht gegenüber, sondern an den rechtwinklig zu einander stehenden Seiten des hübschen Tisches aus Rosenholz. Sie speisten ohne Tischtuch – eine besondere Eleganz – und hatten bis jetzt noch kein Wort gesprochen.
Soames liebte es, sich bei Tisch von Geschäften oder seinen Einkäufen zu unterhalten, und solange er sprach, verstimmte Irenens Schweigsamkeit ihn nicht. An diesem Abend aber war es ihm unmöglich zu sprechen. Die Absicht zu bauen hatte ihm die ganze Woche auf der Seele gelastet, und er war entschlossen, es ihr zu sagen.
Die Unruhe angesichts dieser Eröffnung erregte ihn sehr; sie durfte ein solches Gefühl in ihm nicht aufkommen lassen – Mann und Frau waren doch eins. Nicht ein einziges Mal hatte sie ihn angeblickt, seitdem sie sich zu Tisch gesetzt hatten, und er fragte sich, woran sie wohl die ganze Zeit hindurch gedacht haben mochte. Es war hart für einen Mann, der so arbeitete wie er, um Geld für sie zu verdienen – und dazu noch mit diesem Weh im Herzen – wenn sie dasaß und aussah – aussah, als beengten die Wände des Zimmers sie. Es konnte einen Mann vom Tisch vertreiben.
Das rosig gedämpfte Licht der Lampe fiel auf ihren Hals und ihre Arme – Soames sah sie bei Tisch gern im ausgeschnittenen Kleide, es gab ihm ein Gefühl von Überlegenheit über die Mehrzahl seiner Bekannten, deren Frauen sich mit ihren besten hohen Kleidern oder ›Teagowns‹ begnügten, wenn sie zu Hause speisten. Unter dem rosigen Licht bildeten ihr bernsteinfarbenes Haar und die helle Haut einen seltsamen Kontrast zu ihren dunkelbraunen Augen.
Konnte man etwas Hübscheres haben als diesen Speisetisch mit seinen tiefen Farben, den leuchtenden zartblättrigen Rosen, dem rubinfarbenen Glas und dem wunderbar feinen Silberzeug; konnte man etwas Reizenderes haben als diese Frau, die daran saß. Dankbarkeit war jedoch keine Forsytesche Tugend, denn, mit ihrem gesunden Menschenverstand und nur auf Gewinn bedacht, hatten sie keine Verwendung dafür; und Soames empfand nur ein Gefühl der Erbitterung, das sich bis zum Schmerz steigerte, weil er sie nicht besaß, wie es sein Recht war sie zu besitzen, daß er seine Hand nicht ausstrecken konnte wie nach jener Rose, sie nicht pflücken und die tiefsten Heimlichkeiten ihres Herzens ausspüren konnte.
All sein sonstiges Besitztum, alles was er gesammelt hatte, sein Silber, seine Bilder, seine Häuser, seine Gelder, gaben ihm ein geheimes vertrautes Gefühl, nur sie gab ihm keines.
Es stand auf jeder Wand dieses Hauses geschrieben. Seine geschäftsmäßige Natur wehrte sich gegen die geheime Mahnung, daß sie nicht für ihn geschaffen sei. Er hatte diese Frau geheiratet, hatte sie erobert, sie zu seinem Eigentum gemacht, und es schien ihm dem wesentlichsten aller Rechte, dem Besitzrecht zu widersprechen, daß er nichts als ihren Körper sein eigen nennen sollte – wenn das überhaupt der Fall war; er fing fast an daran zu zweifeln. Hätte ihn jemand gefragt, ob er ihre Seele besitzen wolle, wäre die Frage ihm so lächerlich wie sentimental vorgekommen. Aber er wollte es, und die Schrift an den Wänden sagte ihm, daß es ihm nie gelingen würde.
Sie war stets schweigsam, passiv, sanft abweisend, als fürchtete sie durch ein Wort, eine Bewegung oder ein Zeichen den Glauben in ihm zu erwecken, daß sie ihn liebte; und er fragte sich: Wird es niemals anders werden?
Wie bei den meisten Romanlesern seiner Generation (und Soames war ein großer Freund von Romanen), waren seine Lebensanschauungen von der Literatur beeinflußt, und er wiegte sich in dem Glauben, daß es nur eine Frage der Zeit sei. Zuletzt gewann der Mann doch immer die Liebe seiner Frau. Selbst in Fällen – er liebte derartige Bücher nicht sehr – die tragisch endeten, starb die Frau immer mit Worten bitterer Reue auf den Lippen, oder wenn der Mann starb – ein unangenehmer Gedanke – warf sie sich in der Pein ihrer Gewissensqualen über ihn.
Er ging oft mit Irene ins Theater und wählte instinktiv moderne Gesellschaftsstücke mit modernen Eheproblemen, die glücklicherweise von den Eheproblemen im wirklichen Leben so verschieden waren. Er fand, daß sie ebenfalls immer in der gleichen Weise endeten, selbst wenn ein Liebhaber mit im Spiele war. Solange er dem Stück zuschaute, sympathisierte Soames mit dem Liebhaber; aber noch ehe er auf der Heimfahrt in der Droschke mit Irene zu Haus anlangte, sah er ein, daß es keinen Sinn hatte und war froh, daß das Stück geendet hatte, wie er es gesehen. Es war damals gerade eine neue Art von Ehemännern in Aufnahme gekommen, der starke, ziemlich rohe, aber außerordentlich gesunde Mann, der am Ende des Stückes so merkwürdigen Erfolg hatte. Für diesen empfand Soames durchaus keine Sympathie, und wäre er nicht um seine eigene Stellung besorgt gewesen, so hätte er seinem Abscheu gegen den Burschen Ausdruck gegeben. Aber er war sich so wohl bewußt, wie wesentlich die Notwendigkeit für ihn war, ein glücklicher und selbst ein ›starker‹ Ehemann zu sein, daß er niemals von seinem Widerwillen sprach, der vielleicht infolge von wunderlichen Naturprozessen aus einem geheimen Fond von Brutalität in ihm selbst entstanden war.
Allein die Schweigsamkeit Irenens an diesem Abend war außergewöhnlich. Er hatte noch nie einen solchen Ausdruck in ihrem Gesicht gesehen. Und da Ungewohntes immer beunruhigt, war Soames beunruhigt. Er aß seinen Nachtisch und trieb das Mädchen an, als es die Krumen mit der silbernen Tischbürste abfegte. Als es das Zimmer verlassen hatte, füllte er sein Glas mit Wein und sagte:
»War heute Nachmittag irgend jemand hier?«
»June.«
»Was wollte denn die?« Es war ein Axiom bei den Forsytes, daß man nirgendwohin ging, ohne etwas zu wollen. »Wollte sich wohl über ihren Bräutigam aussprechen?«
Irene erwiderte nichts.
»Es sieht mir so aus,« fuhr Soames fort, »als wäre sie verliebter in ihn als er in sie. Sie läuft ihm überall nach.«
Irenens Blicke gaben ihm ein unbehagliches Gefühl.
»Es kommt dir nicht zu, so etwas zu sagen!« rief sie aus.
»Warum nicht? Jeder kann es sehen.«
»Keiner kann das. Und wenn man es könnte, ist es unerhört, es zu sagen.«
Soames verlor seine Fassung.
»Du bist mir eine nette Frau!« sagte er. Aber im geheimen wunderte er sich über ihre hitzige Antwort, das sah ihr gar nicht ähnlich. »Du bist ganz übertrieben mit June. Eines kann ich dir sagen, jetzt, wo sie den Bukanier am Bändel hat, macht sie sich keinen Pfifferling aus dir, du wirst schon noch dahinter kommen. Aber du wirst sie künftig nicht mehr so häufig sehen, wir ziehen aufs Land.«
Es war ihm lieb, seine Eröffnung unter dem Deckmantel dieser gereizten Auseinandersetzung machen zu können. Er hatte einen Ausruf des Entsetzens erwartet, und das Schweigen, mit dem diese Mitteilung entgegengenommen wurde, beunruhigte ihn.
»Es scheint dich nicht zu interessieren,« sah er sich genötigt hinzuzufügen.
»Ich wußte es bereits.«
Er sah sie scharf an.
»Wer sagte es dir?«
»June.«
»Woher wußte sie es?«
Irene antwortete nicht. Enttäuscht und verstimmt sagte er:
»Es ist eine gute Sache für Bosinney; er wird sein Glück dabei machen. Sie hat dir wohl alles darüber erzählt?«
»Ja.«
Es entstand abermals eine Pause, dann sagte Soames:
»Du tust es wohl nicht gern?«
Irene gab keine Antwort.
»Ja, ich weiß nicht, was du willst. Du scheinst hier nie zufrieden.«
»Kommen meine Wünsche dabei irgendwie in Betracht?«
Sie nahm die Vase mit den Rosen und verließ das Zimmer. Soames blieb sitzen. Hatte er dazu den Kontrakt unterzeichnet? Sollte er dafür an zehntausend Pfund ausgeben? Bosinneys Ausspruch: »Frauen sind des Teufels«, fiel ihm wieder ein.
Aber bald beruhigte er sich. Es hätte schlimmer kommen können. Sie hätte aufbrausen können. Er hatte etwas mehr erwartet als dies. Ein glücklicher Zufall immerhin, daß June das Eis für ihn gebrochen hatte. Sie hatte es wohl aus Bosinney herausgelockt; das hätte er sich doch denken können.
Er zündete sich eine Zigarette an.
Schließlich hatte Irene doch keine Szene gemacht! Sie würde nachgeben – das war das Beste an ihr; sie war zwar kalt, aber nicht trotzig. Er paffte einen Marienkäfer auf dem blanken Tisch an und versank in Nachdenken über sein Haus. Es hatte keinen Zweck sich zu ärgern; er wollte sofort zu ihr und alles wieder gut machen. Sie saß wahrscheinlich im Dunkeln draußen unter dem japanischen Sonnenschirm und strickte. Die Nacht war warm und schön ...
Wirklich war June am Nachmittag mit leuchtenden Augen gekommen und hatte gesagt: »Soames ist ein guter Kerl! Eine famose Sache für Phil – genau, was er braucht!«
Da Irenens Gesicht verständnislos und verblüfft blieb, fuhr sie fort:
»Euer neues Haus in Robin Hill nämlich. Wie? Weißt du nichts davon?«
Irene wußte nichts.
»O, dann hätte ich es dir wohl nicht sagen dürfen!« Und mit einem ungeduldigen Blick auf die Freundin hatte sie ausgerufen: »Du siehst aus, als liege dir nichts daran. Siehst du denn nicht, daß es gerade das ist, was ich immer gewünscht habe – genau die Gelegenheit, die er braucht. Jetzt wirst du sehen, was er kann;« und dann gab sie die ganze Geschichte zum besten.
Seit ihrer eigenen Verlobung schien sie kein großes Interesse an der Lage der Freundin zu nehmen; die Stunden, die sie bei Irene zubrachte, waren ihren eigenen vertraulichen Mitteilungen gewidmet. Und zuweilen war es ihr trotz ihres liebevollen Mitgefühls unmöglich, einen Anflug verächtlichen Mitleids mit der Frau zu unterdrücken, die einen solchen Fehler im Leben begangen hatte – solch einen unbesonnenen, lächerlichen Fehler.
»Er soll auch die Inneneinrichtung machen – er hat völlig freie Hand. Es ist prächtig –« Sie lachte fröhlich auf, ihre kleine Gestalt bebte vor Vergnügen; sie hob die Hand und schlug nach einem Musselinvorhang. »Weißt du, ich bat sogar Onkel James –« Aber in einer plötzlichen Unlust von dem Vorfall zu sprechen, hielt sie inne und ging, da sie ihre Freundin so einsilbig fand, dann plötzlich fort. Auf der Straße blickte sie noch einmal zurück, Irene stand noch in der Haustür. Ihren Abschiedsgruß erwidernd, winkte sie mit der Hand, wandte sich langsam um und schloß die Tür ...
Soames ging ins Wohnzimmer und spähte durchs Fenster nach ihr.
Draußen im Schatten des japanischen Sonnenschirmes saß sie ganz still, die Spitze auf ihren weißen Schultern bewegte sich, wenn der Busen sich leise hob und senkte.
Aber die schweigsame Gestalt, die so regungslos dort im Dunkeln saß, schien eine Wärme, eine heimliche Glut zu durchzittern, als wäre ihr ganzes Wesen aufgewühlt und ein Wandel in ihrem tiefsten Innern eingetreten.
Er stahl sich unbemerkt ins Speisezimmer zurück.