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THE DEATH – QUARANTÄNE
Tag 188

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7. April 2021

Internationaler Flughafen von Denver

Lori musste wieder einmal verbissen nach einem Platz in der Cafeteria suchen. Sie schaute sich in dem übervollen Saal um, doch anscheinend war nichts mehr frei. Gerade als sie losging, um sich zwischen den Tischen hindurchzuzwängen, hörte sie ihren Namen.»Lori, hier drüben!«

Als sie sich umdrehte, entdeckte sie den attraktiven Marine-Captain vom Vortag. Er winkte sie zu sich. Sie zögerte zunächst, wusste aber, dass es dauern würde, bis sie einen anderen Platz fand.

«Guten Morgen, Captain«, grüßte sie.

«Guten Morgen.«

Sie ließ sich ihm gegenüber nieder und fing an, auf ihrem Teller herumzustochern.

«Sagen Sie, was war denn gestern los? Sie sind so eilig davongelaufen, und übrigens: Ihre Nasenlöcher flattern, wenn Sie sich aufregen«, sagte er.

Sie sah ihn an und erwiderte:»Ach ja?«

«Wirklich. Hat Sie noch niemand darauf hingewiesen?«

Da sie spürte, dass er mit ihr flirtete, kam sie rasch auf etwas Anderes zu sprechen.»Ich wollte mich bei Ihnen entschuldigen, weil ich so unhöflich war. Was Sie mir erzählten, brachte mich etwas aus der Fassung. Ich habe diesen unsäglichen Drang, alles wissen zu müssen.«

«Schon gut. Wissen Sie denn jetzt wenigstens alles, was Sie in Erfahrung bringen wollten?«

«Mehr als das«, antwortete sie, während sie ihre Gabel packte und die Pelle zweier Würstchen durchtrennte.

Er schaute auf ihre linke Hand und bemerkte den Ring.»Wo ist Ihr Ehemann?«

Ohne den Kopf anzuheben – auch sie betrachtete den Ring – gab sie an:»Er ist mit meinem Sohn in einem Lager. Keine 50 Meilen von hier.«

Er bemerkte, dass ihr dieses Thema nicht behagte, und schwenkte auf ein weniger verfängliches um.»Schauen Sie sich gern Filme an?«

«Äh, na ja, ich schätze, so gern wie jeder andere auch.«

«Haben Sie gehört, dass man hier jede Woche im Terminal C Filmabende veranstaltet?«

«Nein, ist mir neu. So etwas gibt es hier?«

«Ja, man muss auch mal runterkommen und sich berieseln lassen. Selbst nachdem die Welt untergegangen ist.«

«Das stimmt wohl. Ich finde es aber schwierig, mir einen Film aus der Zeit davor anzuschauen, ohne daran zu denken, was uns alles verloren ging.«

«Verstehe, was Sie meinen. Dort gibt es auch eine Bar, falls Sie mal Lust haben, meinen Kollegen und mir Gesellschaft zu leisten.«

Lori hörte auf, sich mit ihrem Frühstück zu beschäftigen, und sah ihn wieder an.

«Captain Priddy, Sie scheinen wirklich ein netter Mensch zu sein, aber falls Sie auf mehr aus sind als zwanglose Gespräche, sollten Sie sich lieber anderswo danach umschauen.«

Die offene Ansage verblüffte Travis; er lehnte sich zurück, machte große Augen und lächelte.

Sie erkannte, dass diese Worte ihre Wirkung nicht verfehlt hatten, und das war ihr recht. Nach dem, was sich am vorangegangenen Tag im Büro des Kanzlers abgespielt hatte, und in Anbetracht des bevorstehenden Abendessens, das sie über sich ergehen lassen musste, konnte sie darauf verzichten, von einem weiteren Mann hofiert zu werden.

«Oha, Sie fackeln nicht lange, was? Ich dachte nur, Sie seien einsam hier, und …«

«Ganz ehrlich, ich bin hier, um eine Aufgabe zu erledigen, nämlich fertige Pläne und architektonische Entwürfe für Arcadia einzureichen. Je schneller ich vorankomme, desto eher sehe ich meine Familie wieder.«

«Tut mir leid, ich wollte nicht …«

Sie fiel ihm wieder ins Wort:»Ich bin nicht auf den Kopf gefallen, Captain. Mit Ihnen hier zu sitzen und manchmal gemeinsam zu essen, bereitet mir keine Probleme, bloß sollten die Fronten geklärt sein.«

«Das sind sie jetzt.«

«Gut, dann steht unserer Freundschaft nichts im Weg.«

Sie hatte ein wenig lauter gesprochen, was den anderen Marines am Tisch nicht entging. Nachdem sie fertig war, starrten alle die beiden an und warteten gespannt, ob das Gespräch nicht vielleicht zu einer dramatischen Szene ausartete.

Travis bemerkte das, wandte sich den rangniederen Offizieren zu und rief:»Haben Sie nicht genug mit sich selbst zu tun?«

Lori hatte nicht beabsichtigt, ihn zu verärgern, sondern nur sichergehen wollen, dass er genau wusste, wer sie war und wo sie stand, insbesondere hinsichtlich ihrer Ehe.

«Captain Priddy, woher kommen Sie?«

«Aus Kalifornien – San Diego, um genau zu sein.«

«Ich liebe San Diego, dort konnte man so viel unternehmen, und das Wetter war fast immer perfekt.«

«Stimmt, meine Männer und ich hatten das Glück, dort stationiert zu werden, doch ich hielt es für besser, anderswohin zu ziehen. Dabei wusste ich leider nicht, dass Camp Lejeune so …«Er hielt inne und überlegte.»… anders sein würde als Südkalifornien; das drückt es wohl am höflichsten aus. Ich mag es, aber diese elende Feuchtigkeit nervt einfach.«

«Da haben Sie recht. Genau deshalb könnte ich niemals im Osten leben, vor allem nicht im Südosten.«

«Captain Priddy, vergessen Sie nicht, dass wir uns in zehn Minuten zum Appell treffen«, warf einer seiner Marines am Tisch ein, während er mit den anderen aufstand.

Travis schaute auf seine Uhr.»Oh, Mist«, fluchte er.»Lori, es war mal wieder schön mit Ihnen, aber jetzt wird es Zeit für unsere Spritzen. «Auch er erhob sich, nahm sein Tablett und sah Lori an.

«Bis zur nächsten Mahlzeit dann?«

«Ja, natürlich, oder vielleicht sehen wir uns ja irgendwann mal im Cockpit.«

«Im Cockpit?«

«Das ist die Bar im Terminal C.«

«Ach so.«

Die anderen Marines gingen bereits zur Tür.

Er schaute ihnen hinterher, konnte sich aber nicht losmachen, bevor er noch eine letzte Sache geklärt hatte:»Lori, bitte halten Sie mich nicht für …«

«Kein weiteres Wort mehr, Sie müssen sich nicht rechtfertigen. Ich wollte mich nur vergewissern, damit kein Missverständnis zwischen uns aufkommt.«

Er nickte und war froh darüber, dass ihr bissiger Ton von vorhin verklungen war.»Tja, bis später dann und einen schönen Tag noch.«

«Captain, was meinten Sie gerade mit Spritzen?«

«Wir bekommen pünktlich jeden Monat eine Injektion.«

«Womit denn?«

Er schaute erneut auf seine Uhr und dann wieder auf sie.»Könnte ich Ihnen erzählen, wenn Sie sich mal im Cockpit blicken lassen. «Damit wandte er sich ab und eilte davon.

«Lori, Lori, Lori, denk erst gar nicht daran«, sagte sie zu sich selbst, um nicht in Versuchung zu geraten, in der Bar aufzuschlagen. Allerdings war sie neugierig wegen der Injektionen. Sie bekam keine und wusste auch von niemand anderem, dem man etwas verabreichte. Ihr kam der Gedanke, die Regierung verfüge eventuell über so etwas wie einen Impfstoff und gebe ihn zuerst den Truppen, sozusagen versuchsweise. Völlig abwegig kam ihr das nicht vor, doch andererseits: Warum hätte man einer wichtigen Gruppe wie den Streitkräften etwas potenziell Schädliches spritzen sollen? Nein, das ergibt keinen Sinn, dachte sie. Abermals brummte ihr Kopf vor Ideen und Theorien. Sie blendete alles rasch aus, weil sie sich auf ihre gegenwärtige Aufgabe konzentrieren musste, die darin bestand, mit ihren Entwürfen für Arcadia fertig zu werden. Da sie jetzt außerstande war, noch einen Bissen zu sich zu nehmen, stand sie vom Tisch auf und verließ den Saal, um sich für die eine Sache ins Zeug zu legen, die den Fortbestand ihrer Familie gewährleisten würde – die neue Stadt.

Jenks’ Grundstück, Reed, Illinois

Da Devin das Gefühl hatte, sich Daryl und seiner Familie gegenüber für ihr Zuvorkommen erkenntlich zeigen zu müssen, bot er an, bei der Arbeit zu helfen. Mary nahm ihm sogleich beim Wort und führte ihn in den Garten, wo er Unkraut jäten und die Pflanzen gießen sollte. Während Devin damit beschäftigt war, stieg ihm der Duft von frischem Kaffee in die Nase, was ihn verblüffte. Woher hatten sie denn Kaffee?

In diesem Moment rief Tess bereits aus dem Haus:»Wer will eine Tasse Kaffee?«

Mary blickte auf.»Klingt großartig, aber ich würde zuerst ein großes Glas Wasser vorziehen.«

«Ich bin dabei«, bemerkte Devin.

Gemeinsam verließen sie den Garten.

Die Schweißflecken auf Devins T-Shirt zeugten von der körperlichen Anstrengung, die er gerade hinter sich hatte. Er zog seine Handschuhe aus, warf sie auf einen kleinen Tisch neben der Terrasse und ging die Treppe hinauf.

Dort begrüßte ihn Tess.»Guten Morgen.«

«Hi, guten Morgen.«

«Nimm schon mal Platz, ich hole das Wasser und bringe dir deinen Kaffee«, sagte Tess und kehrte nach drinnen zurück.

«Solltest du nicht etwas vorsichtiger mit dir sein?«, fragte Devin.

Mary neben ihm sagte:»Sie ist ein Heißsporn, diese Frau. Ich sage Ihnen, sie steckt einiges weg.«

«Sie mag hart im Nehmen sein«, entgegnete Devin.»Aber sie muss sich unbedingt noch ausruhen. «Er setzte sich auf den gleichen Schaukelstuhl wie am Abend zuvor.

Tess kam mit einer Karaffe Wasser und einer Kanne Kaffee in den Händen heraus. Nachdem sie beides abgestellt hatte, drehte sie sich wieder um und wollte nach drinnen.

«Machen Sie langsam«, mahnte Mary.»Devin hat recht, Sie sollten sich noch ausruhen.«

«Mir geht’s gut. Ich fühle mich ausgeruht, und das Antibiotikum wirkt.«

«Das kann gar nicht sein, dazu ist es zu früh. Sie müssen sich schonen«, beharrte Mary streng.»Ich meine es ernst.«

Sie war Mitte 30 und groß, hatte schulterlanges, braunes Haar und dunkle Haut im Gesicht und an den Armen, die von vielen Tagen ohne Sonnenschutz im Freien zeugte. Wegen der Krähenfüße rings um ihre Augen sah sie zehn Jahre älter aus, als sie in Wirklichkeit war. Ihre jugendliche, umgängliche Art stand in Kontrast zu ihren wettergegerbten Zügen.

Tess streckte scherzhaft ihre Zunge heraus und ging erneut in die Wohnung.

«Wo ist Daryl?«, fragte Devin.

«Er ist in der Scheune«, gab Mary an.

Devin stand auf.»Braucht er Hilfe?«

«Nein, er kommt klar. Die Scheune ist sein eigenes Reich, sozusagen sein Männerspielplatz.«

Devin schaute zu dem besagten Gebäude hinüber, einer stattlichen Metallkonstruktion in einem abgelegenen Winkel des Geländes, die von toten Maispflanzen umgeben war.

«Wirklich?«

«Ja, jetzt setzen Sie sich wieder und entspannen sich. «Mary verdrehte die Augen.»Mein Gott, Sie beide haben wirklich Hummeln im Hintern.«

Als Tess zurückkehrte, diesmal mit Gläsern und zwei Kaffeetassen, grinste sie breit.

Devin fiel ein, dass er die Jüngeren und den Hund schon länger nicht mehr gesehen hatte.»Wo steckt Brianna?«, fragte er.

«Weiß nicht. Ich war drinnen.«

Er schaute Mary an, die aber nur ihre Schultern hochzog.

Tess drehte sich um und rief ins Haus:»Brianna, Brando!«

Keine Reaktion.

«Brando, komm her, Junge!«, versuchte sie es wieder.

Nichts.

Sie wurde unruhig.

«Sind Sie sicher, dass Daryl sie nicht mit in die Scheune genommen hat?«, hakte Devin nach.

«Ich glaube nicht, aber …«, begann Mary.

Auf einmal brach Gebell vorm Haus los. Die drei stürzten nach drinnen, um dem Lärm auf den Grund zu gehen. Tess schnappte sich unterwegs ihre Pistole aus dem Zimmer.

Devin eilte mit Mary durch die Wohnung und rannte durch die Eingangstür auf die Vorterrasse. Dort kauerte Brando, während Hudson und Brianna auf der Landstraße standen, wenige Fuß vor drei Männern in Uniformen und deren Geländewagen. Als die Tür aufging, richteten sie ihre Gewehre auf die zwei anderen Erwachsenen.

«Bleiben Sie dort stehen!«, rief einer der Männer, der einen dichten, abstehenden Bart trug.

Devin und Mary hoben ihre Arme, um zu zeigen, dass sie nicht bewaffnet waren.

«Geh und sieh sie dir an«, befahl der eine den anderen beiden.

Diese gingen auf Devin und Mary zu, blieben aber wieder stehen, als Brando erneut bellte und tief knurrte.

Der Anführer warf einen Blick auf ihn und rief:»Sie sehen besser zu, dass der Köter Ruhe gibt, oder ich knall ihn ab!«

«Brando, mein Junge, komm her. Ist ja schon gut!«, beschwichtigte Devin.

Der Hund wollte jedoch nicht gehorchen; er starrte den einen Mann gebannt an.

«Ich mach den Flohbeutel kalt, ich schwör’s!«, drohte der Mann.

«Bitte erschießen Sie meinen Hund nicht«, flehte Devin.

Tess kam nicht heraus, sondern war im Eingang stehen geblieben. Die Pistole zu holen hatte lange genug gedauert, um sie auf den Wortwechsel vorm Haus aufmerksam zu machen. Jetzt ging sie in der Wohnung in Stellung, und zwar mit ihrem Gewehr. Sie nahm den Kopf des Anführers ins Visier und legte den Finger an den Abzug, bereit zum Feuern.

Brando bellte und knurrte wieder, diesmal wegen der beiden Kerle, die nun weiter auf Devin und Mary zukamen. Der eine senkte sein Gewehr und zog eine Pistole aus dem Holster.

«Bitte zielen Sie nicht auf den Hund. Wenn Sie das tun, wird er Sie angreifen«, ließ Devin ihn wissen.»Ich sag’s Ihnen, er ist darauf abgerichtet.«

Der Angesprochene grinste nur.»Unsinn!«

Brianna, die ahnte, dass Brando auf ihn losgehen würde, stellte sich tapfer zwischen ihn und den Mann.

«He, Leute, wir haben eine kleine Heldin hier!«, höhnte der Anführer.

«Erschießen Sie Brando nicht«, bat Brianna.

Als die beiden Männer Devin und Mary erreichten, begannen sie sofort, die beiden nach Waffen abzuklopfen.

«Was wollen Sie?«, fragte Mary.

«Wir sind hier, um Sie zu befreien.«

«Befreien? Von wem?«, erwiderte sie.

«Wir sind ein Erkundungsteam von Turners Raiders. Wir schauen uns in der Gegend nach Hilfsbedürftigen um.«

«Dann können Sie wieder verschwinden«, blaffte Mary.»Uns fehlt nichts.«

«Oh, nicht so kratzbürstig. «Der Mann lachte.»He, Chris, hier ist noch eine, der wir eine Lektion erteilen müssen!«Er kniff ihr grob in die Brust.

Mary war in der Tat kratzbürstig – und trat ihm, ohne zu überlegen, in den Schritt. Er beugte sich vornüber und brüllte auf. Sie setzte mit dem Knie nach und brach ihm die Nase.

Der Mann, von dem Devin untersucht wurde, hielt ihr sein Gewehr an die Schläfe und schrie:»Sofort aufhören, Schlampe!«

Im Haus war Tess kurz davor, den Abzug zu betätigen, als er Mary den Lauf an den Kopf drückte. Ihr Herz raste, während sie verschiedene Szenarien durchging, wie sie die Typen ausschalten konnte beziehungsweise wen sie sich am besten zuerst vornahm.

Der Anführer lachte über Marys Angriff und näherte sich Brianna, während er sexuelle Andeutungen machte.»Was krieg ich von dir, wenn ich den Köter verschone?«

«Was wollen Sie?«, erwiderte sie, obwohl sie genau wusste, was er meinte.

«Wie wäre es, wenn wir zwei in den Humvee steigen und Hoppereiter spielen?«, schlug er vor, indem er ihr zartes Gesicht mit der linken Hand streichelte.

Plötzlich ging die Beifahrertür des Wagens auf. Ein vierter Mann stieg aus, von Kopf bis Fuß in eine Waldtarnuniform gekleidet. Er baute sich vor dem Anführer auf und rief:»Was soll das, Chris?«Dann nahm er die dicke, kurze Zigarre aus seinem Mund, die er rauchte, und blies seinem Gegenüber Qualm ins Gesicht.

«Sir, Sie haben diese Fotzen doch gehört!«

«Oh ja, das habe ich. Aber du weißt, dass alles, was wir finden, zuerst an mich geht, und dazu zählen eben auch Fotzen. Jetzt nimm die Flossen von dem Mädchen.«

Chris trat zähneknirschend von Brianna zurück und grinste seinen Vorgesetzten argwöhnisch an.

Tess in der Wohnung wurde nervöser, als sie diesen vierten Kerl sah. Eine weitere Person machte ihr Vorhaben umso schwieriger.

Der andere, dem Mary in die Hoden getreten hatte, langte in ihr Gesicht und stieß sie gegen die Hausfront. Er hatte ein Messer gezückt und hielt es ihr nun an den Hals.

«Tun Sie ihr nichts!«, verlangte Devin.

«Du hältst die Fresse, Wichser!«, rief der dritte Kerl und rammte ihm den Lauf seines Gewehrs unters Kinn.

Der neu Hinzugekommene auf der Straße stellte sich vor Brianna, beglotzte ihren schlanken, jungen Körper und fragte:»Wie heißt du, Mädchen?«

«Brianna«, antwortete sie zitternd.

«Mein Name ist Brian Liddell. Ich bin der Befehlshaber dieser Patrouille und ein guter Freund von Präsident Turner. Worauf ich hinaus will, ist Folgendes: Wenn ihr mir helft, helfe ich euch.«

Brianna zitterte vor Angst. Brando kam zu ihr, schmiegte seinen Kopf gegen ihr Bein und knurrte Liddell an.

«Nettes Schoßhündchen«, lachte er.

«Stellt endlich jemand die verdammte Töle ruhig?«, brüllte der Kerl namens Chris und richtete seine Pistole auf Brando.

Mehr musste nicht geschehen. Tess war nicht darauf gefasst, doch der Hund reagierte, und sie ebenfalls. Sie übte gleichmäßigen Druck auf den Abzug aus, bis das AR-15 einmal knallte. Die Kugel vom Kaliber.223 traf Chris von der Seite in den Kopf. Daraufhin explodierte sein Schädelknochen, und der Kopf wackelte noch kurz, bevor der Körper mit einem dumpfen Knall zu Boden sackte.

Tess zielte auf Brian, doch der packte Brianna und benutzte sie als Schutzschild. Brando ging auf ihn los, doch der Mann war schneller und schoss. Der Hund fiel mit verwunderter Vorderpfote vornüber.

Hudson hatte die ganze Zeit über hinter dem Tier gestanden und vor Furcht gelähmt zugesehen. Als die Schüsse fielen, hielt er sich die Ohren zu und begann zu schreien.

Devin griff nach dem Lauf des Gewehrs unter seinem Kinn und begann mit dem Mann zu ringen, der ihn bedrohte. Die beiden stürzten die Stufen hinunter auf die geschotterte Einfahrt.

Tess stürzte mit ihrer Waffe im Anschlag vor die Tür. Sie konnte Mary nicht sehen, seit sie gegen die Mauer gestoßen worden war, und wollte deshalb zuallererst ihr helfen. Sie drehte sich nach rechts um, doch zu spät: Ihr Peiniger hatte die scharfe Klinge seines Messers über Marys Kehle gezogen und sie weit aufgeschlitzt.

Mary riss die Augen weit auf, panisch und im Wissen darum, dass sie nun sterben würde. Blut sprudelte aus der klaffenden Wunde, floss in Strömen über ihre Kleider und auf die Terrasse.

Tess zögerte nicht; sie tötete den Mann mit drei Schüssen.

Mary rutschte langsam an der Hauswand hinunter und blieb auf den Bohlen liegen.

Tess wollte zu ihr laufen, wusste aber, dass sie ihr nicht mehr helfen konnte, und außerdem war Brianna noch in Gefahr. Entschlossen sprang sie die Treppe hinunter und beendete Devins Ringkampf, indem sie seinem Gegner in den Hinterkopf schoss.

Nachdem ihr Freund den Toten von sich gewälzt hatte, sprang er auf, dessen Gewehr in der Hand.

Tess und er richteten ihre Aufmerksamkeit auf Liddell.

«Knarren runter, oder ich bring die kleine Schlampe um!«, drohte er.

Hudson, der noch auf der Straße stand, schrie weiter.

«Nichts da«, entgegnete Tess wütend.

«Ich mach sie kalt, verstanden? Wisst ihr, wer ich bin? Brian Liddell, Kommandant und Freund von Matt Turner. Ich gehöre zur Armee der Republik Ozark, und ihr steckt sowieso schon in der Scheiße, weil ihr meine Männer umgebracht habt. Jetzt nehmt eure Waffen runter, dann vergesse ich, dass das hier passiert ist!«

«Nein!«, beharrte Devin. Er sah rot, nachdem er mit angesehen hatte, was Mary passiert war.

«Ich bin Befehlshaber in der Armee der Republik Ozark!«, rief Brian erneut.

«Lassen Sie sie frei!«, rief Tess.

Sie behielt Brian im Visier, so gut sie konnte, während er sich ruckartig hin und her bewegte.

«Wenn ihr mich gehen lasst, werde ich den anderen nicht erzählen, was hier geschah, doch die kleine Schlampe hier nehme ich sicherheitshalber mit!«, entgegnete Liddell.

«Mit ihr gehen Sie nirgendwohin«, gab ihm Tess zu verstehen.

«Du sagst mir nicht, was ich zu tun habe, Drecksweib. Ich habe was zu sagen bei Turners Raiders, klar?«

Ein Schuss fiel.

Tess und Devin zuckten zusammen, als Brians Schädel nach hinten abknickte. Er war genau ins Gesicht getroffen worden. Sein Hinterkopf platzte, und sein Körper erschlaffte, bevor er wie ein nasser Sack umfiel.

«Mir ist scheißegal, wer du bist!«, raunte Daryl und trat aus seiner Deckung neben dem Haus hervor. Dann rannte er unter den Vorbau und fiel vor Marys Leichnam auf die Knie.

Tess stürzte zu Hudson hinüber, schlang ihre Arme fest um ihn und zog ihn von der Straße. Da sie nicht wollte, dass er seine tote Mutter sah, brachte sie ihn zur rückwärtigen Seite des Hauses, fort von der Eingangstür.

Devin blieb einfach nur stehen. Er befand sich noch im Adrenalinrausch, das Blut raste durch seine Adern. Er spürte den Puls gegen seine Schläfen pochen, während er das Gewehr senkte und das Blutbad vor sich betrachtete. Einen solchen Kampf hatte er noch nie erlebt, nicht zu vergessen die Tatsache, dass er nicht geflohen war. Woher seine plötzliche Tapferkeit kam, wusste er nicht. Noch vor sechs Monaten hätte er sich nie am Lauf eines Gewehrs vergriffen, geschweige denn so erbittert gerungen. Schließlich hängte er sich die Waffe über seine Schulter und ging zu Brianna, die neben Brando kniete.

«Bringen wir ihn hinein«, sagte er.

«Okay.«

«Auf drei … eins, zwei drei«, zählte Devin.

Brando heulte auf, als sie ihn behutsam hochhoben. Die beiden gingen so sachte wie nur möglich vor, um dem Tier nicht wehzutun, während sie es ins Haus trugen.

Als sie an Daryl vorbeikamen, sah Devin ihn schluchzend Marys leblose Hand halten.

Drinnen legten sie Brando auf den Esszimmertisch. Tess kam hinzu und ergriff die Initiative.»Brianna, geh ins erste Zimmer rechts, dort liegt ein Ersthilfekissen.«

Das Mädchen eilte los.

«Wo ist Hudson?«, fragte Devin.

«Oben. Ich glaube, er steht unter Schock«, antwortete Tess, während sie ein Geschirrtuch auf Brandos Verletzung drückte, um die Blutung zu stoppen. Während sie dies tat, neigte der Hund den Kopf zur Seite und leckte ihr mehrmals zärtlich die Hand.

«Das wird schon wieder, Junge, hörst du?«, sprach sie ihm zu.»Mama Tess macht dich im Nu wieder gesund.«

«Ich kümmere mich um Daryl«, sagte Devin, da er das Gefühl hatte, hier nicht gebraucht zu werden, und sich große Sorgen um den Mann machte.

Als er auf die Vorterrasse zurückkehrte, kauerte Daryl noch immer weinend neben Marys Leichnam.

Devin kniete sich neben ihn, suchte seinen Blick und fragte leise:»Was kann ich tun? Wie kann ich Ihnen helfen?«

Daryl schaute auf. Seine Augen waren rot und aufgequollen.»Lassen Sie mich einfach noch ein wenig allein mit ihr.«

«Sicher, selbstverständlich, kein Problem. Es tut mir so leid …«, stammelte Devin im Flüsterton.

«Sie war ein guter Mensch, eine fürsorgliche Frau und Mutter.«

«Geben Sie mir Bescheid, wenn ich Ihnen helfen kann«, sagte Devin und stand wieder auf. Als er das Blutbad erneut ins Auge fasste, sagte er laut:»Was sollen wir jetzt bloß machen?«

Daryl antwortete mit zorniger Stimme:»Wir werden sie töten, sie alle!«

Internationaler Flughafen von Denver

Lori war nervös wegen ihrer Verabredung mit Kanzler Horton – nicht wegen seiner Stellung hier, sondern weil sie ahnte, was er von ihr wollte. Dass sich die Männer in ihrer genetischen Anlage nicht verändert hatten, stellte wohl keine Überraschung dar, doch sie hatte geglaubt, das starke Geschlecht werde in Anbetracht des Endes der Welt aufhören, sich einseitig auf Sex zu versteifen. Ihr Erfolg hier hing von so vielen Faktoren ab, dass sie nicht genau voraussehen konnte, was heute Abend geschehen würde. Aber sie wusste, was nicht geschehen durfte, und wollte ihr Möglichstes tun, um sicherzugehen, dass es nicht geschah. Nachdem sie mehrere Sicherheitsinstanzen passiert hatte, kam sie vor Hortons Quartier an. So wie es auf dem Flur aussah, handelte es sich hierbei um nichts anderes als ausgediente Büros auf der Hauptebene des Flughafens, die zu Wohnquartieren umgestaltet worden waren.

Lori atmete tief durch, strich sich die Haare hinter die Ohren und klopfte an. Es dauerte einen kurzen Moment, dann ging die Tür ruckartig auf.

Der Kanzler stand grinsend vor ihr. Er trug lockere Kleidung, eine Jeans und ein schwarzes Knopfhemd, das er nicht eingesteckt hatte, mit hochgekrempelten Ärmeln.

«Lori, pünktlich auf die Minute, bitte treten Sie ein«, begrüßte er sie und zog die Tür ganz auf.

«Danke«, erwiderte sie beklommen, während sie hineinging. Ein kurzer Blick ins Wohnzimmer genügte ihr, um zu erkennen, dass er sich ausrechnete, der Abend könnte romantisch werden: Die Beleuchtung war gedämpft, er hatte Duftkerzen angezündet und seichte Musik aufgelegt. Ein appetitlicher Geruch stieg ihr in die Nase. Sie drehte sich zur Küche um, in der ein Mann damit beschäftigt war, Essen zuzubereiten. Es beruhigte sie ein wenig, den fremden Koch zu sehen.

«Darf ich Ihnen ein Glas Wein oder vielleicht Champagner anbieten?«, fragte Horton.

«Ich nehme Rotwein, falls Sie welchen haben«, entgegnete Lori. Sie wollte eigentlich nichts trinken, hielt es aber für strategisch klug, so aufzutreten, als wollte sie es unbeschwert angehen lassen und keinen Ärger verursachen.

«Fein, ich bin gleich wieder da. Bitte nehmen Sie im Wohnzimmer Platz und fühlen Sie sich wie zu Hause.«

An einer Wand stand ein Regal mit gerahmten Fotos. Als sie es sah, war ihr erster Gedanke: Wie seltsam. Ihr fiel es schwer, zu begreifen, dass sein neues Domizil jetzt der internationale Flughafen von Denver war. Wäre dem nicht so, hätte sie dem Glauben aufsitzen können, es sei ein Luxusapartment. Beim Betrachten der Bilder kam ihr nichts ungewöhnlich vor; alle sahen wie typische Fotos von Verwandten, Freunden und Kollegen aus. Erst die Personen auf einem größeren Foto schaute sie sich genauer an. Sie kannte sie alle. Horton stand in der Mitte, Chance Montgomery zu seiner Rechten, und linkerhand der Mann, der gestern sein Büro verlassen hatte, als sie gekommen war, sowie vier Männer, die ihr schon beim Mittagessen in der Cafeteria aufgefallen waren. Nun fand sie das gemeinsame Bild von ihnen allen nicht sonderbar, sondern vielmehr die Umgebung, in der man es fotografiert hatte, nämlich im Freien vor einem Denkmal, das sie nicht zuordnen konnte. Alle Männer strahlten, und einer zeigte auf die Schrifttafel des großen Steins. Nun wurde sie neugierig und wollte wissen, was darauf stand, also nahm sie den Rahmen in die Hand und entzifferte die Schrift, allerdings nur drei Zeilen:

4. Herrscht mit Leidenschaft – Glauben – Tradition – und allem, was maßvollem Verstand entspricht. 5. Schützt die Nation mit gerechten Gesetzen und integren Gerichten. 6. Gewährt allen Völkern innenpolitische Freiheit und schlichtet außenpolitische Dispute vor einem Weltgericht.


«Bitteschön. «Horton hatte sich hinter sie gestellt.

Lori zuckte zusammen. Sie stellte das Bild hastig zurück und drehte sich um.»Oh je, haben Sie mich erschreckt. Verzeihung, ich sah mir Ihre Fotos an.«

«Schon gut, dazu sind sie ja da – damit ich mich daran erfreuen kann, genauso wie jeder andere auch, und außerdem als Erinnerung daran, woher ich komme, wer ich bin und wohin ich gehen möchte.«

«Stehen Sie Ihren Angehörigen noch sehr nahe?«

«Ja, und darüber bin ich froh.«

«Familie ist wichtig. Mir jedenfalls bedeutet sie alles, und aus diesem Grund bin ich hier«, erklärte Lori und trat von ihm weg.

«Ach, kommen Sie, hegen Sie nicht insgeheim das Bedürfnis, an etwas teilzuhaben, das größer ist als Sie selbst – dem Aufbau unseres neuen Landes beispielsweise?«

«Was meinen Sie damit: Neues Land?«

«Leuchtet Ihnen das noch nicht ein? Unsere früheren Lebensgewohnheiten sind Geschichte. Sie wurden hinfällig, als das Virus alles und jeden auslöschte. Es machte reinen Tisch, damit die Menschheit neu beginnen kann. Das muss Ihnen doch wenigstens ein bisschen spannend vorkommen«, schilderte Horton hingebungsvoll.

Nachdem sie ihn gestern in Fahrt erlebt hatte, beschloss sie, ihre Meinung für sich zu behalten und ihre Fragen sorgfältig zu formulieren.

«Ich müsste lügen, würde ich behaupten, mich nicht geehrt zu fühlen. Hätte ich nicht schöpferisch tätig sein und Schönes zu Werke bringen wollen, das mich überdauert, wäre ich nicht Architektin geworden. Auf diese Weise werde ich ein …«

«… Vermächtnis hinterlassen.«

«Genau, ein Vermächtnis.«

«Ich wusste es. Ich wusste, in Ihnen schwelt das gleiche Feuer wie in mir und den anderen im Beirat. Würde ich glauben, uns beide eine nicht das gleiche brennende Verlangen, etwas Gewaltiges, Prachtvolles zu schaffen, hätte ich Sie nicht herbestellt.«

Ein Dutzend Fragen schwirrten ihr durch den Kopf, doch sie hütete ihre Zunge. Sie musste nichts weiter tun, als das Dinner zu überstehen, um ungehindert in ihr Quartier zurückkehren zu können. Ihr Plan sah vor, Übelkeit vorzutäuschen, allerdings erst, nachdem sie sich durchs Essen gequält haben würde.

«Schmeckt Ihnen der Wein?«, fragte er.

«Er ist gut, ja.«

«Gut? Ich finde ihn überragend. Es ist ein 2015er Opus. Ich ließ Kisten davon einfliegen und lagern. Auf diese Weise kann ich etwas von der Schönheit und Kreativität der Vergangenheit bewahren. «Er hielt sein Kristallglas gegen das Licht und schwenkte es.

Lori ging wieder zu den Fotos und zeigte auf das eine, von dem ihr Interesse geweckt worden war.»Wo ist dieses Bild entstanden?«

«Oh, das? Elbert County in Georgia.«

«Wo ist das genau?«

«Muss man nicht unbedingt wissen, im Nordosten des Staates.«

«Wie lange ist es her?«

Er ging zum Regal und nahm das Foto in die Hand. Als er es betrachtete, musste er lächeln, stellte es aber gleich wieder hin.»Das war ein schöner Tag.«

«Sie alle sehen glücklich aus.«

«Sind wir auch gewesen. So hat alles begonnen.«

«Was?«

Darauf antwortete er nicht.

Der Koch kam herein und kündigte an:»Das Dinner ist aufgetragen.«

«Großartig, ich sterbe vor Hunger«, sagte Horton und wandte sich Lori zu.»Nach Ihnen.«

«Aus welchem Jahr stammt das Foto?«

«Ach vergessen Sie’s. Mein Koch hat uns Ossobuco zubereitet; das habe ich schon ewig nicht mehr gegessen.«

Sie wollte sich nicht so abspeisen lassen.»Was bedeutet die Inschrift an dem Denkmal?«, beharrte sie.

Er ignorierte ihre Frage, ging ins Esszimmer und stellte sich hinter einen Stuhl mit hoher Lehne und zog ihn zurück.»Bitte sehr.«

Lori setzte sich.»Danke.«

Er nahm ebenfalls Platz, gleich neben ihr am Kopfende des Tisches.

«Ich fand die Inschrift interessant; was hat es damit auf sich?«

«Das Foto geht Ihnen nicht aus dem Kopf, was?«

Mehr als diese Bemerkung brauchte sie nicht zu hören, um fortan zu schweigen. Sie wollte tunlichst vermeiden, dass es erneut zu einer Szene wie gestern kam.

Kein einziges Mal während des Essens ließ sich Lori zu weiteren Fragen hinreißen. Sie erduldete die langweilige, belanglose Unterhaltung und sehnte das Ende des Abends herbei. Ihr ging nicht aus dem Kopf, dass alle Personen auf dem Foto merkwürdigerweise noch lebten und am DIA waren. Wie wahrscheinlich konnte so etwas sein? Das Virus hatte 90 Prozent aller Infizierten dahingerafft, also standen die Chancen sehr gering, dass diese Männer alle durchgekommen waren. Doch hier lebten sie nun, arbeiteten allesamt am Flughafen und waren Freunde oder Kollegen des Kanzlers. Wie war es dazu gekommen: rein zufällig?» Hallo, Lori, noch da?«, bemerkte Horton, während er mit einer Hand vor ihrem Gesicht winkte.

«Oh … äh … tut mir leid. Ich habe mich in Gedanken verloren. Das passiert mir oft, wie mein Mann meint.«

«Ich rief heute im Lager 13 an und unterhielt mich mit dem Aufseher dort. Er behält Ihren Mann und Ihren Sohn jetzt für mich im Auge, denn ich möchte, dass für die beiden gesorgt ist.«

«Vielen Dank.«

«Das ist wohl das Mindeste, was ich tun kann. Ich weiß, dass sie Ihnen keine Ruhe lassen, und dachte, wenn Sie zufrieden sind, schlägt sich das in Ihrer Arbeit nieder. Und sollte dies der Fall sein, profitiere nicht nur ich davon, sondern wir alle.«

«Entschuldigung, aber ich würde gern etwas wissen.«

«Oh je, hier kommt sie wieder, die unverhoffte Mrs. Naseweis. «Horton feixte und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, um sich auf eine abwegige Frage gefasst zu machen.

«Die Männer auf jenem Foto leben alle noch und arbeiten hier, oder?«

«Sie sind nicht nur eine hübsche und talentierte Frau, sondern auch besessen.«

«Von Kleinigkeiten, ja. Das macht eine große Architektin aus«, erwiderte sie mit gefälligem Lächeln.

«Nun ja, das bleibt abzuwarten.«

«Ach wirklich?«

«Niemand hat bisher irgendetwas von Ihnen bekommen, und erst wenn es soweit ist, können wir bestimmen, ob Sie eine große Architektin sind.«

«Das liegt nahe. Was ist nun mit dem Foto?«

«Im Ernst, Sie wollen keine Ruhe geben?«

«Nein. Ich finde es einfach eigenartig, dass noch jeder lebt und hier arbeitet, der darauf zu sehen ist. Das stimmt doch, nicht wahr?«

«Ja, wir alle hatten Glück.«

«Riesenglück, aber ich schätze, ganz unwahrscheinlich war es nicht.«

«Möchten Sie einen Digestif, zum Beispiel einen Portwein?«, bot er an und stand auf.

Der Koch hatte zehn Minuten zuvor Feierabend gemacht. Die beiden waren nun allein.

«Für mich nichts mehr. Eigentlich fühle ich mich nicht sonderlich gut.«

«Das kaufe ich Ihnen nicht ab; diese Entschuldigung schieben Frauen zu oft vor. Nur noch ein Drink, dann lasse ich Sie gehen.«

Lori spürte tatsächlich einen Anflug von Übelkeit. Ihr Magen verkrampfte sich.»Nein, mir ist nicht wohl.«

«Ach kommen Sie, stimmt das wirklich?«

«Ich glaube … wo ist das Bad?«Sie fuhr hoch.

Sie kam ihm blass vor, also sagte sie möglicherweise die Wahrheit.

Lori rannte in das geräumige Badezimmer. Als sie die Toilette erreichte, klappte sie den Deckel hoch und erbrach sich sofort in die Kloschüssel.

Nach einigen Minuten klopfte Horton an.»Alles in Ordnung mit Ihnen da drin?«

Sie hatte eine gefühlte Ewigkeit lang gewürgt, jetzt kam nur noch Galle. Ihr Magen war wieder leer. Sie fühlte sich schwach.

«Hallo, Lori, geht es Ihnen gut?«, fragte er erneut. Diesmal drehte er am Knauf der Tür. Sie hatte nicht abgeschlossen. Als er sie öffnete, war er überrascht, Lori auf dem Boden sitzend zu sehen. Ihr rechter Arm lag auf der Toilettenschüssel.»Soll ich einen Arzt rufen?«

«Nein, bitte nicht, es geht wieder. Muss wohl am Essen gelegen haben.«

«Warten Sie, ich helfe Ihnen. «Er trat ein und zog sie am Arm hoch.

Sie hatte weiche Knie und wusste, dass sie umkippen würde, falls er sie nicht stützte.

«Ich ziehe mich wohl besser in mein Zimmer zurück.«

«Lassen Sie mich jemanden holen, der Sie begleitet«, bat er, während er sie zur Couch führte.

«Danke sehr«, antwortete sie, indem sie die Beine hochlegte und sich an ein Kissen schmiegte.

«Ich bestelle einen Arzt her«, beharrte er.»Es ist das Beste.«

«Nein, bitte, ist nicht nötig. Mir ist nur irgendetwas nicht bekommen, das ich gegessen habe.«

«Das glaube ich nicht.«

«Lassen Sie mich hier ausruhen, bis Ihre Leute kommen, um mich zurückzubringen.«

«Na gut.«

Sie schloss die Augen, um wieder zu Kräften zu kommen, schlief jedoch sofort ein.

Als man den letzten Gurt festzurrte, wachte sie auf.

«Was ist hier los?«, fragte sie, als sie an sich hinunterschaute und sah, dass sie gefesselt auf einer Tragbahre lag.

«Wir gehen auf Nummer sicher, das muss sein. Ich weiß nicht genau, ob Sie krank sind, bis wir Sie untersucht haben.«

«Ich bin immun, ich kann nicht krank werden.«

«Dass Sie sich ein mutiertes Virus eingehandelt haben, ist nicht ausgeschlossen. Dies dient zu unser aller Schutz.«

Sie stemmte sich vergeblich gegen ihre Fesseln. Horton ging neben ihr her, während sie zügig durch Flure und über Korridore gingen, bis sie die Krankenstation erreichten.

«Mir geht es wieder gut. Wenn ich es Ihnen sage, es lag nur am Essen. Bitte lassen Sie mich gehen«, sagte Lori.

Horton legte eine Hand auf ihre Schulter und entgegnete:»Lassen Sie uns einfach eine genaue Untersuchung durchführen, dann haben wir Gewissheit.«

Fachpersonal rollte Lori in einen Raum und schloss die Tür vor Horton. Die Ärzte trugen ausnahmslos Schutzkleidung und machten sich schnell an die Untersuchung.

Lori hob ihren Kopf und blickte sich im Saal um. Er unterschied sich kein bisschen von anderen Räumlichkeiten, die sie bisher in Krankenhäusern gesehen hatte: Medizinische Geräte, Monitore und ein Bett standen darin, außerdem eine Reihe von Schränken und ein Arbeitstisch an der Wand gegenüber der Tür.

Nachdem man ihre Gurte gelöst hatte, wurde sie auf das Bett gehoben, wo man ihre Arme und Beine abermals fesselte.

«Das ist doch nicht nötig«, beschwerte sie sich.

«So wollen es die Bestimmungen«, erklärte einer der Ärzte.

Eine Frau trat vor, schob ihren Ärmel hoch und legte einen Gummischlauch um ihren Arm.»Machen Sie eine Faust.«

Sie tat es. Mehrere Adern an ihrem Arm traten hervor.

Die Schwester begann, Blut abzunehmen.

Lori legte den Kopf nieder und schloss ihre Augen. Warum geschieht das?, fragte sie sich. Als die Frau fertig war, ging sie mit der Blutprobe zu dem Tisch.

Gleich darauf kam eine andere Schwester mit einem Tablet-PC. Sie schaute auf Lori hinab und fragte:»Wie fühlen Sie sich?«

Lori hob den Kopf wieder.»Gut. Ich sagte doch, es lag am Essen.«

«Irgendwelche Beschwerden?«

«Nein, nichts.«

«Übelkeit?«

«Nicht mehr.«

«Bekannte Allergien?«

«Keine.«

«Nehmen Sie regelmäßig Medikamente, beispielsweise R-59?«

«Äh, nein, aber was ist R-59?«

Die Frau, die ihr Blut abgenommen hatte, drehte sich um und sagte:»Sie hat nichts. Das Virus ist präsent, aber keine Mutation feststellbar.«

Die Schwester mit dem Tablet tippte rasend schnell auf dem Touchscreen herum.

«Da hören Sie es, ich habe nichts. Darf ich jetzt aufstehen?«

Die Frau schaute sie an und nahm zur Kenntnis, was sie gesagt hatte, ging aber nicht darauf ein, sondern fragte im Gegenzug:»Hatten Sie während der letzten sieben Tage Geschlechtsverkehr?«

«Das geht Sie nichts an.«

«Sind Sie schwanger?«

«Nein!«, brauste Lori auf. Sie war mit ihrer Geduld am Ende. Zorn trat an die Stelle ihrer Angst. Als sie einen Blick auf die kleine Scheibe in der Tür warf, sah sie Horton hereinschauen.»Kanzler, sagen Sie denen, sie sollen mich gehen lassen.«

Die Schwester mit dem Tablet ging zu einem Arzt im Saal, die andere gesellte sich zu ihnen. Sie unterhielten sich über Lori, doch sie konnte es nicht verstehen. Schließlich ging eine der Frauen zu einem schweren Gerät, an dem ein Monitor mit einer breiten Tastatur befestigt war, und rollte es hinüber.

«Ist das ein Ultraschallgerät?«

Die Schwester nickte.

Die zweite kam herbei und hob Loris Shirt hoch, während der Arzt hinter ihr stand und die Situation beobachtete.

Die Frau, die das Gerät bediente, fing zu tippen an, woraufhin der Monitor mit einem Piepen aufleuchtete und wieder ausging. Mit ihrer linken Hand griff sie zu einer Flasche Gel und spritzte etwas davon auf Loris Bauch, ehe sie den Messwertwandler auf die feuchte Stelle drückte und begann, ihn hin und her zu schieben.

«Das ist doch verrückt, ich bin nicht schwanger. Ich meine, ich glaube nicht, dass das sein kann«, echauffierte sich Lori.

Die Schwester fuhr weiter mit dem Wandler über die Haut. Auf einmal stockte sie, drückte mehrere Tasten und blickte zu dem Arzt im Saal auf. Er ging zu ihr, nickte und schaute auf Lori hinab.»Herzlichen Glückwunsch, Sie sind schwanger.«

Lori machte großen Augen.»Was? Das … das kann nicht sein, einfach unmöglich.«

Der Mann drehte den Bildschirm zu ihr um.»Ich fürchte doch, und von der Größe her würde ich sagen, seit ungefähr zehn Wochen.«

«Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, druckste Lori.

«Möchten Sie den Fötus behalten?«, fragte er.

«Sie wollen wissen, ob ich abtreiben will?«

«Nein, ich frage, um zu erfahren, ob Sie die Konsequenzen kennen. Ist Ihnen bewusst, dass Ihr Kind nicht immun sein muss, nur weil Sie es sind? Im Augenblick wird es durch Sie und die Antikörper geschützt, die Ihr Körper gebildet hat. Von dem Moment an, da das Baby zur Welt kommt, besteht eine 90-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass es stirbt.«

«Sie sagen also, ich habe eine Wahl?«

Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihr Gespräch.

Lori schaute hinüber, wo Horton den Arzt zu sich winkte.

Dieser verließ den Raum, kam aber einen Augenblick später wieder zurück.»Amy, Heather, folgen Sie mir.«

Die Schwestern gingen mit ihm, woraufhin der Kanzler eintrat und die Tür schloss.

«Schätze, ich sollte Ihnen gratulieren, oder?«

«Mir fehlen die Worte. Ich bin entsetzt, wirklich zutiefst. Während meiner ersten beiden Schwangerschaften musste ich mich auch ständig übergeben. Doch damit hätte ich nun nie gerechnet. Ich dachte, ich hätte nur etwas Falsches gegessen.«

«Diese lange Antwort bedeutet also ja?«

«Natürlich werde ich dieses Kind austragen.«

«Und Sie wollen bestimmt diese Fesseln loswerden. «Er lächelte.

Sie lächelte zurück.»So behandelt man keine werdende Mutter.«

Nachdem er ihr die Gurte abgenommen hatte, stellte er die obere Hälfte des Bettes schräg und schob Lori ein zweites Kissen unter den Kopf.»Freut mich zu hören, dass Sie Ihr Baby behalten möchten. «Als er sah, dass noch Gel auf ihrem Bauch klebte, zupfte er mehrere Stofftücher aus einem Spender und gab sie ihr.

Während sie ihre Haut trocken wischte, nahm er sich einen Stuhl, stellte ihn neben das Bett und setzte sich. Schließlich atmete er lange aus und sagte:»Ich möchte Ihnen helfen.«

«Das können Sie, indem Sie meinen Mann und meinen Sohn herholen, damit sie mich durch die Schwangerschaft begleiten.«

«Das geht nicht, Lori, tut mir leid. Aber dafür kann ich Ihnen genau das geben, was das Überleben Ihres Kindes garantiert.«

«Wieso darf meine Familie nicht herkommen? Ich brauche meinen Ehemann.«

«Das ist ausgeschlossen. Allein schon die Schwangerschaft wird Sie von unserem Projekt ablenken, doch damit werden wir fertig. Ihre Familie hier zu haben, würde jedoch zusätzliche Zerstreuung bedeuten.«

«Ich bin schwanger, und das ist nicht nur mein Baby, sondern auch Davids! Wenn ich ihn und Eric nicht bei mir haben darf, werde ich zurückkehren. Bringen Sie mich wieder zu ihnen!«

Horton schwieg und dachte nach, bevor er antwortete.»Ich werde sehen, was ich bezüglich der Umsiedlung Ihrer Familie tun kann, aber gedulden Sie sich bitte, das dauert.«

«Ich dachte, Sie hätten das Sagen?«

«Habe ich auch, trotzdem muss ich politisch denken. Jede Entscheidung, die ich treffe, hat Folgen. Können wir nun über das Leben des Kindes weitersprechen?«

Lori beruhigte sich und schlug einen sanfteren Ton an:»Was können Sie tun, um sein Leben zu retten?«

Horton senkte den Kopf und seufzte.»Wir entwickeln gerade ein Heilmittel …«

«Einen Impfstoff?«

«Nennen Sie es, wie Sie wollen … Gegenmittel oder was auch immer. Unser Name dafür lautet R-59. Bisher sieht es so aus, als schlage es an, aber wir befinden uns immer noch in der Versuchsphase. Ob sich spätere chronische Leiden oder Nebenwirkungen zeigen, weiß man nicht.«

«Es wirkt also?«

«Kurz gesagt, ja. Nicht jeder Kranke, dem wir es verabreicht haben, ist an dem Virus gestorben.«

«Wie soll das funktionieren?«

«Es wäre nicht das erste Mal, dass wir es bei Ungeborenen tun, und es wird nicht ohne Risiko sein, weil wir es dem Kind in der Gebärmutter zuführen müssen. Später zu injizieren, wäre zu gewagt, denn sollte es sich nach der Geburt mit dem Virus anstecken, gibt es keine Rettung, außer es ist immun. R-59 wirkt nicht, nachdem man sich den Erreger eingehandelt hat; deshalb muss es vor dem Kontakt gespritzt werden.«

Lori musste nicht lange nachdenken.»Wann können wir es tun?«

«Nicht vor dem sechsten Monat, also haben wir noch Zeit, und bis dahin werden wir auch weitere Tests durchgeführt haben.«

Lori streckte einen Arm aus und umschloss Hortons Hand. Madeleine zu verlieren, hatte ihr einen schweren Schlag versetzt, doch dieses Kind gereichte ihr zu einer neuen Chance, für die sie dankbar war.

Der Kanzler drückte ihre Hand fest und fügte hinzu:»Alles wird gut. Ich sorge dafür, dass Sie und Ihr Baby in beste Hände kommen.«

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