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Von einem, der nicht klug genug war – doch zu sehr liebte.

SHAKESPEARE, Othello

In seiner Gefängniszelle hatte er lediglich eine Decke, mit der er sich auf den Betonboden legen konnte. Aber in der ersten Nacht nach seiner Tat hätte er ohnehin nicht schlafen können. Seit er ein kleiner Junge war, hatte er sich immer vor Verbrechern gefürchtet, jetzt wusste er, wie es sich anfühlte, einer zu sein. Dieses Gefühl verstärkte sich noch am nächsten Morgen – es war Freitag, der 15. Februar 2013. Begleitet von einem Polizeikonvoi fuhr man ihn zum Gericht im Zentrum von Pretoria. Dort wurde er dem Haftrichter vorgeführt, der bestätigte, was er bereits ahnte: Die Staatsanwaltschaft klagte ihn wegen vorsätzlichen Mordes an. Bei dem Wort »Mord« brach Pistorius in Tränen aus. Seine Schwester Aimée, die mit seinem Onkel und einigen anderen Familienmitgliedern direkt hinter ihm saß, schlug die Hände vors Gesicht und weinte.

Die Entscheidung über eine Freilassung auf Kaution wurde auf eine Anhörung am kommenden Dienstag vertagt und in die Hände des Richters Desmond Nair gelegt. Unter dem Apartheidregime hätte dieser erfahrene und angesehene Jurist aufgrund seiner indischen Abstammung keine Karriere machen können. In Südafrika, wo es ähnlich wie in Deutschland kein Geschworenengericht gibt, besitzen die Richter eine enorme Entscheidungsbefugnis. Von ihnen wird erwartet, an jeden Fall völlig unvoreingenommen und unparteiisch heranzugehen. Verteidiger wie Staatsanwälte setzen sich gründlich mit den privaten und professionellen Biografien der Richter auseinander, um womöglich auf Hinweise zu stoßen, wie die aktuelle Verhandlung im eigenen Interesse in eine bestimmte Richtung gesteuert werden könnte. Pistorius’ Anwälte glaubten einen Ansatzpunkt bei einem bemerkenswerten Fall von 2011 gefunden zu haben, in dem Nair das Urteil fällte.

Es handelte sich um den Fall des weißen Rugbyspielers »Bees« Roux, eines Buren, der wegen Totschlags an einem schwarzen Polizisten angeklagt war. Bei einer Besprechung im Vorfeld der eigentlichen Anhörung, an der neben Roux, seinem Anwalt und dem Staatsanwalt auch der Bruder und die Ehefrau des Opfers teilnahmen, brachte Roux gegenüber den Anwesenden sein aufrichtiges Bedauern zum Ausdruck und schilderte den Tathergang aus seiner Sicht: Es sei Nacht gewesen und er habe geglaubt, der Beamte habe ihn ausrauben wollen. Daher schlug der hochgewachsene Roux auf den Polizisten ein, der sofort das Bewusstsein verlor. Roux habe noch versucht, ihn wiederzubeleben, doch es war bereits zu spät. Mit Tränen in den Augen entschuldigte sich Roux bei den Angehörigen des Opfers und flehte sie an, ihm zu vergeben. Und das taten sie tatsächlich. Zuerst nahm der Bruder des Opfers, der ebenfalls weinte, Roux in die Arme, dann dankte die Witwe ihm in einer kurzen Ansprache für seine Aufrichtigkeit und erklärte, dass auch sie ihm vergeben wolle. Der Staatsanwalt schlug daraufhin vor, dass sich Roux der fahrlässigen Tötung für schuldig bekenne und der Familie des Opfers ein Schmerzensgeld zahle, woraufhin man ihn im Gegenzug zu einer Haftstrafe von fünf Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilte. Nair als vorsitzender Richter ließ sich auf diesen Vorschlag ein – und Roux war ein freier Mann.

Würde Nair die Parallelen zwischen den beiden Fällen erkennen und Pistorius’ Kautionsantrag ebenso wohlwollend beurteilen wie den von Roux? Pistorius’ Anwälte wollten das gerne glauben. Zudem gab es noch einen weiteren Umstand, der etwas mit seinem persönlichen Umfeld zu tun hatte und sie zuversichtlich stimmte, dass Nair nachsichtig sein könnte. Sie hatten herausgefunden, dass die Familie des Richters gerade selbst einen schweren Schicksalsschlag zu verarbeiten hatte: Nairs Cousine hatte sich und ihre Kinder umgebracht. Die Anwälte von Pistorius hofften, dass Nair bei der Anhörung am kommenden Dienstag aufgrund seines persönlichen Schmerzes empfänglich wäre für die extreme Situation des Angeklagten, dem seine Qualen förmlich ins Gesicht geschrieben standen, und dass er deshalb zu dessen Gunsten urteilen würde.

Doch bis Dienstag war es noch lange hin, und während die Beamten Pistorius vom Gerichtssaal aus zu einem Einsatzwagen führten, mit dem er auf ein Revier in den mittelständischen und ehemals rein weißen Stadtteil Brooklyn gebracht wurde, kreisten seine Gedanken beständig um seine Tat und all das Schreckliche, das ihm noch bevorstand. Er musste noch mindestens vier weitere Nächte im Gefängnis verbringen, und falls man ihn nicht auf Kaution freiließ, blieb er auf jeden Fall bis zum Ende des Prozesses, dessen Dauer nicht absehbar war, hinter Gittern. Sollte man ihn dann für schuldig befinden, würde er den Großteil seines restlichen Lebens in der Gesellschaft von Schwerverbrechern verbringen. 25 Jahre Haft drohten ihm – mindestens –, falls man ihn im Sinne der Anklage des vorsätzlichen Mordes für schuldig befand.

Angesichts der Journalisten und Fotografen, die sich vor dem Sitzungssaal und dem Gerichtsgebäude drängten und den Polizeiwagen, in dem er abgeführt wurde, belagerten, wurde ihm schlagartig bewusst, welche Wellen sein Fall in der Öffentlichkeit schlug. Und das mediale Interesse wurde angesichts der mysteriösen Umstände von Reevas Tod noch zusätzlich befeuert. Wäre das, was sich in den frühen Morgenstunden des Valentinstags in seinem Haus abgespielt hatte, völlig unstrittig gewesen, hätte man von vornherein gewusst, dass er Reeva Steenkamp entweder vorsätzlich erschossen hatte oder ihr Tod ein tragischer Unfall gewesen war, wäre das Interesse an seinem Fall bei Weitem nicht so groß und so lang anhaltend gewesen. Was den Reiz an der Geschichte Monat für Monat auf einem gleichbleibend hohem Niveau hielt, war die Tatsache, dass man über das, was sich in der Tatnacht ereignet hatte, bis zuletzt nur spekulieren konnte. Tag für Tag diskutierten zahllose Menschen überall auf der Welt darüber, ob Pistorus seine Freundin nun vorsätzlich erschossen hatte oder nicht.

Seine Prominez und Reevas Schönheit trugen zusätzlich dazu bei, dass der Fall von sehr vielen mit einer gewissen Leidenschaft diskutiert wurde – wobei dies wohl vor allem mit Pistorius zu tun hatte, den die meisten Menschen als öffentliche Person offenbar gut genug zu kennen glaubten, um ein vermeintlich fundiertes Urteil über ihn fällen zu können. Unabhängig von der Prominenz war es das Mysteriöse der Tat, das die Öffentlichkeit bewegte, ähnlich wie bei zwei anderen berühmten zeitgenössischen Kriminalfällen. Der erste ist der des 2007 in Portugal spurlos verschwundenen Mädchens Madeleine McCann, der zweite der von Amanda Knox, die – ebenfalls im Jahr 2007 – des Mordes an Meredith Kercher beschuldigt wurde. In beiden Fällen diskutierten weltweit Millionen Menschen im Gefühl, genau zu wissen, was in der Tatnacht geschehen war.

Im Fall McCann war man vielfach der Meinung, dass die Eltern des Mädchens, beides Ärzte, ihr Kind mit einer Überdosis Schlaftabletten unabsichtlich getötet und die Leiche danach fortgeschafft haben müssten, während sie der Welt vormachten, dass das Mädchen entführt worden sei. Ähnlich im Fall Knox, wo viele überzeugt waren, dass die angeklagte Amerikanerin keinesfalls unschuldig sei, wie sie beteuerte, sondern sich vielmehr an einer satanistischen Gruppensexorgie beteiligt habe, in deren Folge ihre Freundin Meredith grausam zu Tode gekommen sei. Andere waren sich hingegen absolut sicher, dass Amanda Knox – ebenso wie die McCanns – die volle Wahrheit sagte und ein Opfer schändlicher Verleumdungen sei.

Tatsächlich verriet das, was all diese Leute taten, wenn sie die Medien nach Informationen durchforsteten, die ihre Meinung untermauerten, mehr über sie selbst, über ihre Vorurteile und Beweggründe, als über das, was wirklich passiert war. Denn die Wahrheit kannten nur jene ihnen völlig fremden Menschen, an deren persönlichen Dramen sie sich ergötzten.

Ein weiterer aufsehenerregender Fall, der Parallelen aufwies, war der Mordprozess gegen den amerikanischen Footballspieler O. J. Simpson. Auch er wurde weltweit mit großem Interesse verfolgt. Bei Simpson war es ähnlich wie bei Pistorius: Berühmter Sportler tötet schöne Frau, die er liebte. Die Mehrheit der Amerikaner war überzeugt, dass der Footballspieler des Mordes an seiner Ex-Frau Nicole Brown schuldig war – und das noch bevor der Mordprozess 1995 in Los Angeles überhaupt begonnen hatte. Doch hier enden auch schon die Übereinstimmungen. Der Fall Simpson folgte einem klassischen Krimischema: Eine Leiche war entdeckt worden, und die Polizei musste ermitteln, wer der Mörder war. Den sah man schließlich in Simpson, woraufhin es zur Aufgabe der Polizei und der Staatsanwaltschaft wurde, den Beweis für seine Tat zu erbringen.

In Pistorius’ Fall stellten sich die Fragen nach dem Wer, Wann, Wo und Wie gar nicht. Und rassistische Motive konnte man auch ausschließen – wobei das für Pistorius natürlich kein großer Trost war. Im Fall Simpson war der Verdächtige ein Farbiger, sein Opfer eine Weiße gewesen, dementsprechend gespalten war die Meinung dazu in der amerikanischen Öffentlichkeit. Das war in Pistorius’ Fall ganz anders, wo es keine eindeutig ethnisch motivierte Parteinahme für oder gegen den Verdächtigen gab. Der namhafte farbige Publizist Justice Malala schrieb einmal: »Wir Südafrikaner können Oscar Pistorius nicht laufen sehen, ohne das Gefühl zu haben, zusammenbrechen, weinen und vor Freude jubeln zu müssen.« Das zu wissen, war für Pistorius immer sehr beglückend.

Es erfüllte ihn als Südafrikaner mit Stolz, dass die Menschen in seiner Heimat mit ihrer Apartheidvergangenheit in ihrer Bewunderung für erfolgreiche nationale Sportler – nicht nur für ihn – farbenblind waren. Südafrikaner ganz gleich welcher Hautfarbe hatten Rugbyspieler wie den Weißen Francois Pienaar und den Mulatten Bryan Habana sowie Cricketspieler wie den asiatischen Moslem Hashim Amla und den Farbigen Makhaya Ntini ins Herz geschlossen. Pistorius erinnerte sich an die Worte Nelson Mandelas, dass der Sport wie wenig anderes in der Lage sei, Rassenschranken zu überwinden. Niemand wollte sich ausgeschlossen fühlen, wenn es einen Sieg der Nationalmannschaft zu feiern gab.

Was Pistorius von all den gerade genannten Sportlern unterschied, die ihre Landsleute ebenso begeistert hatten wie er selbst, war seine besondere Physis. Sie machte ihn zu einem Symbol für das unermüdliche Streben der Nation, das schwere Erbe der Vergangenheit hinter sich zu lassen. Jeder Südafrikaner nahm Anteil an seinen Erfolgen, die das Nationalgefühl der Unbezwingbarkeit stärkten, das alle Südafrikaner, gleich welcher Hautfarbe, einte. Jeder hatte sich mit Pistorius identifiziert, weil er das Selbstverständnis der Südafrikaner personifizierte, den unbedingten Willen, sich nicht unterkriegen zu lassen. Die Buren, deren Vorfahren im frühen 19. Jahrhundert von der Kapregion aus nach Norden gezogen waren, um ein unwirtliches Land zu kolonialisieren und fruchtbar zu machen, wurden nie müde, sich selbst und alle, die ihnen zuhörten, daran zu erinnern, dass das, was sie ausmache, sich am besten mit dem Begriff »Überlebende« in Worte fassen lasse. Überlebende sind per definitionem Pragmatiker. Dieser gemeinsamen Erfahrung ist es zu verdanken, dass schwarze wie weiße Südafrikaner, anders als so manche ethnische Gruppen anderswo, denen es nicht gelingt, alte Fehden zu überwinden, in der Lage waren, das Apartheidregime hinter sich zu lassen und sich zu versöhnen. Südafrikaner betrachten sich selbst als eine Nation, die Probleme angeht und löst, und aus eben dieser Tatkraft erwuchs eine ganz eigene südafrikanische Haltung, die sich vor Zeiten zwar unter den Buren herausgebildet hatte, inzwischen aber so etwas wie das Lebensgefühl und den Nationalcharakter aller Südafrikaner ausmachte. Einen Plan aufstellen und die Dinge anpacken, darum geht es. Und wenn man sich Pistorius’ Lebensgeschichte vor diesem Hintergrund ansah, schien sie eine strahlende Erfolgsstory des typisch südafrikanischen Kampfgeistes zu sein, dessen Mantra ist: »Wir werden dieses Hindernis überwinden. Uns wird schon etwas einfallen. Irgendwie werden wir es schon schaffen.«

Durch seine internationalen Erfolge hatte Pistorius den Menschen in aller Welt gezeigt, dass Südafrikaner tatsächlich aus härterem Holz geschnitzt sind. Er war für alle ein Vorbild: Wenn er trotz seines schweren Schicksals die Dinge anpacken und es bis ganz nach oben schaffen konnte, dann konnte es jeder. Pistorius hielt seinen Landsleuten einen ihnen schmeichelnden Spiegel vor, der sie genauso zeigte, wie sie sich sehen wollten.

Doch damit war es nun vorbei. Jetzt repräsentierte er den Bodensatz Südafrikas. Obschon die Menschen ihn nur durch die Medien kannten, kaum etwas über Reeva Steenkamp wussten und rein gar nichts über das, was sich in der Tatnacht zwischen ihnen ereignet hatte, sahen viele in ihm nun das Monster, das seine Freundin vorsätzlich getötet hatte, nicht etwa in Panik, sondern in Rage, und sie verlangten eine Strafe, die dem Verbrechen angemessen war und überdies die unmissverständliche Botschaft aussenden sollte, dass Frauen in Südafrika genug gelitten hatten.

Wie es zu diesen heftigen Reaktionen kam, wird nachvollziehbarer anhand der Statistiken. Südafrika steht bezüglich seiner Mordrate im internationalen Vergleich auf Rang zehn; 2013 ereigneten sich dort durchschnittlich 45 Morde pro Tag. Was Gewalt gegen Frauen anbelangt, ist das Land sogar unangefochten weltweiter Spitzenreiter. Alle vier Minuten wird in Südafrika eine Frau oder ein Mädchen – meist ein Teenager, gelegentlich aber auch ein Kind – vergewaltigt, alle acht Stunden wird eine Frau von ihrem Mann oder Lebenspartner getötet. Dieses Phänomen hat in Südafrika sogar einen eigenen Namen, es nennt sich »Intimate Femicide«. In den Augen vieler Südafrikaner hatte Pistorius den erschütternden Statistiken einen weiteren Zähler hinzugefügt. In den Wochen und Monaten nach Steenkamps gewaltsamem Tod war die Presse voll von Kommentaren und Leserbriefen, die seinen Fall in den Kontext von Gewalt gegen Frauen rückten.

Er hasste das. Er hasste die Ungerechtigkeit, die darin lag, dass die Menschen seine Schuld voraussetzten, ohne dass er überhaupt die Gelegenheit gehabt hatte, seine Version der Geschichte vor Gericht schildern zu können, und es beschämte ihn zutiefst, dass man ihn als Frauenhasser darstellte. Umso mehr, als sich Reeva selbst aktiv für Frauenrechte eingesetzt und Vergewaltiger scharf verurteilt hatte. Und Pistorius hatte sie darin immer unterstützt, hatte ihre Empörung und ihr Entsetzen über ein gerade aktuelles Verbrechen geteilt, bei dem der Täter derart brutal vorgegangen war, dass selbst Präsident Jacob Zuma bei seiner alljährlichen Rede zur Lage der Nation darauf eingegangen war.

Am 3. Februar 2013 wurde ein 17-jähriges Mädchen namens Anene Booysen aus einer armen ländlichen Gemeinde bei Kapstadt auf einer Baustelle nahe einer Bar, wo sie den Abend mit Freunden verbracht hatte, vergewaltigt, verstümmelt und halbtot zum Sterben liegengelassen. Ein Arzt, der versucht hatte, ihr das Leben zu retten, soll Presseberichten zufolge gesagt haben, dass ihr der Täter nach der Vergewaltigung den Bauch aufgeschlitzt und die Gedärme herausgezogen habe. Pistorius und Reeva hatten über den Fall gesprochen und waren beide über das bestialische Verbrechen so entsetzt wie der Rest der Nation. Reeva teilte ihre Gefühle auch auf Instagram mit. »Ich bin heute Morgen in einem glücklichen, sicheren Heim aufgewacht«, schrieb sie. »Das war nicht jedem vergönnt. Verurteilt die Vergewaltigung in SA. RIP Anene Booysen. #rape #crime #sayNO.« Noch am 13. Februar hatte sie an einer Rede gearbeitet, die sie zwei Tage später im Gedenken an Anene Booysen und zu Ehren der »Black Friday Campaign for Rape Awareness« vor Schülern einer Johannesburger Schule halten sollte.

Es fällt nicht leicht, sich vorzustellen, wie eine Frau mit einem derart ausgeprägten sozialen Gewissen, die solch eine Rede vorbereitet, das Bett gleichzeitig mit einem Monster teilt. Dennoch haben viele genau das gedacht, insbesondere die Frauenliga des Afrikanischen Nationalkongresses, der Partei Nelson Mandelas. Pistorius wurde Zeuge, wie Angehörige der Frauenliga vor dem Gerichtsgebäude, in dem sein Kautionsantrag verhandelt wurde, seinen Kopf forderten. »Echte Männer vergewaltigen nicht und töten keine Frauen«, hieß es auf einem Plakat, »Pistorius soll im Gefängnis verrotten« auf einem anderen. Lulama Xingwana, Ministerin für das Ressort Frauen, Kinder und Behinderte, war ebenfalls unter den Demonstranten und forderte lautstark, den Antrag auf Freilassung auf Kaution abzulehnen.

Dieselbe Ministerin ging sogar so weit, die Buren und ihre Kultur im Allgemeinen für Reevas Tod verantwortlich zu machen. »Junge Buren, die im calvinistischen Glauben erzogen wurden, sind davon überzeugt, dass sie eine Frau besitzen, dass sie ein Kind besitzen, dass sie alles besitzen, und dass sie daher auch ein Leben nehmen können, einfach weil es ihnen gehört.« Später entschuldigte sie sich für ihre Worte und nahm ihre Aussagen zurück, vielleicht weil sie durch Gespräche mit anderen farbigen Frauen begriffen hatte, dass es sich nicht um ein rein ethnisches Problem handelte und dass es in Südafrika keine soziale Schicht gab, deren Männer ein Monopol auf den tugendhaften Umgang mit Frauen für sich beanspruchen konnten.

Einiges von dem, was Henke Pistorius im Zusammenhang mit der Tat seines Sohnes äußerte, war genauso wenig hilfreich wie die unbedachten Worte der Ministerin. Am Tag, nachdem sein Sohn Reeva Steenkamp erschossen hatte, sagte er gegenüber der Presse, der Afrikanische Nationalkongress sei nicht in der Lage, Weiße vor Verbrechen zu schützen, daher sähen sich Menschen wie er dazu genötigt, sich zu bewaffnen. Die rassistischen Untertöne, die in dieser Aussage mitschwangen, weil Henke nicht begriff, dass Schwarze viel stärker unter der landesweiten Kriminalität zu leiden haben als Weiße, sorgten in der Öffentlichkeit für einen großen Aufschrei und brachten seinen Sohn noch mehr in Verruf – falls das überhaupt möglich war. Henke machte alles noch viel schlimmer, als er in völliger Verkennung der Lage sagte: »In unserer Familie achten wir das Leben viel zu sehr, als dass wir bei jeder sich bietenden Gelegenheit zur Waffe griffen. Ich war durchaus schon in Situationen, wo ich von einer Waffe hätte Gebrauch machen können, aber wir sind dazu erzogen worden, das Leben anderer sehr hoch zu schätzen.«

Die lautstarke Empörung derer, die überzeugt waren, dass Henkes Sohn das Leben seiner Freundin so wenig wertgeschätzt hatte, dass er sie vorsätzlich ermordete, hallte quer durchs ganze Land. Sie hatten Reeva zwar nicht gekannt, aber ihr Tod ging ihnen sehr nahe. In ihrem Schicksal spiegelte sich alles, was Frauen in Südafrika in Angst und Schrecken versetzte. In ihrem Land war eine Kultur der Gewalt alltäglich, die Männer für das Leid, das sie anderen zufügten, abstumpfte – selbst wenn sie diesen anderen nahestanden oder mit ihnen befreundet waren. Das Männlichkeitsideal war in Südafrika derart pervertiert, dass das Misshandeln und Vergewaltigen von Frauen – nicht zuletzt auch durch Polizisten – fast schon etwas Alltägliches und Normales war. Tag für Tag wurden überall im Land mit Waffen jeder Art Menschen bedroht, verletzt oder ermordet. In Südafrika kamen Männer, die einen Mord begingen, ungestraft davon. Vor diesem Hintergrund bot Pistorius’ aufsehenerregender Fall die Gelegenheit, ein Exempel zu statuieren und zu zeigen, dass nicht das Recht des Stärkeren gilt. Die Feministinnen, die auf Rache sannen, wollten Pistorius stellvertretend für alle Frauenhasser brennen sehen.

Tatsächlich hatte die Strafe für Pistorius längst begonnen, noch bevor die Staatsanwaltschaft im Prozess überhaupt eine Anschuldigung gegen ihn erhob, ja sogar noch vor seiner Anhörung im Zusammenhang mit seinem Kautionsantrag. In seiner Zelle im Polizeirevier Brooklyn, wohin er nach seinem ersten Gerichtstermin verbracht wurde, schlief er abermals auf dem nackten Boden. Aimée, Carl und sein Onkel Arnold versuchten zu trösten, verstärkten dadurch aber eher Pistorius’ Leid. Der Kontrast zwischen dem unbeschwerten Leben, das sie wenige Tage zuvor noch geführt hatten, und ihrer aktuellen Lage führte ihnen überdeutlich vor Augen, wie sehr sich das Leben von ihnen allen auf einen Schlag verändert hatte.

Pistorius war nicht mehr der Wundersprinter, der eine strahlende Zukunft vor sich hatte. Er war ein Häufchen Elend, gefangen im Körper eines durchtrainierten Athleten, der ein Verbrechen begangen hatte, das sich nicht wiedergutmachen ließ. Zumindest nicht in diesem Leben. Onkel Arnold, der in schweren Zeiten Trost und Beistand bei Gott suchte, kannte einen Pfarrer, der bereit war, Pistorius in seiner Zelle zu besuchen. Der Geistliche verbrachte viele Stunden an der Seite des gefallenen Stars, las ihm aus der Bibel vor und sprach über Gottes unergründliche Wege und seine unermessliche Gnade. Pistorius kam dadurch ein wenig zur Ruhe, dennoch fand er während der sechs Tage und Nächte, die er in der Zelle verbrachte, kaum Schlaf. Er aß wenig und litt unter chronischen Kopfschmerzen. Weder geistig noch körperlich war er in der Lage, sich mit seinen Anwälten auseinanderzusetzen, die von ihm dringend eine schlüssige Schilderung der Ereignisse in der Tatnacht benötigten, damit sie ihre Strategie für die Anhörung vorbereiten konnten.

Seine Verteidiger waren für Pistorius keine Fremden. Er wurde vertreten durch Brian Webber und Kenny Oldwadge; Letzterer war für seinen Mandanten in der Vergangenheit bereits zweimal vor Gericht tätig gewesen. Verglichen mit dem, worum es jetzt ging, konnte man diese älteren Fälle allerdings nur als Lappalien betrachten. 2009 war Pistorius mit einem Speedboot in einen Holzpier gekracht, wobei er sich den größten Schaden selbst zugefügt hatte: Er hatte sich den Kiefer und ein paar Rippen gebrochen und zwei Tage lang im Koma gelegen; sein Gesicht musste mit 180 Stichen genäht werden. Im zweiten Fall war er von einer Frau verklagt worden, die ihm vorwarf, ihr – die zum Tatzeitpunkt selbst betrunken gewesen war – auf einer Party in seinem Haus eine Tür vors Gesicht geschlagen zu haben. In beiden Fällen hatte Oldwadge Pistorius geholfen, um eine gerichtliche Verurteilung herumzukommen. Der Sportler betrachtete Kenny und Brian nicht nur als seine Anwälte, die er für ihre Dienste bezahlte, sondern auch als seine Freunde.

Im Gegensatz zu anderen, die seinen Prozess später beobachteten, kam Pistorius gar nicht auf die Idee, dass es unter Umständen besser gewesen wäre, sich durch Anwälte vertreten zu lassen, die seine Situation von einer wesentlich nüchterneren und damit professionelleren Warte aus beurteilen konnten. Eingesperrt in seine Zelle, beruhigte es ihn sehr, zu wissen, dass sich mit Kenny und Brian Freunde um seine Angelegenheiten kümmerten. Wollte er auf Kaution freikommen, musste er mit ihnen eine eidesstattliche Erklärung vorbereiten, und das hieß, die Ereignisse der Tatnacht minutiös zu rekonstruieren und schriftlich niederzulegen. Er hatte zwei Nächte lang nicht geschlafen, war verwirrt und orientierungslos. In seiner Zelle gab es nicht einmal eine Sitzgelegenheit, auch keinen Tisch, an dem man etwas aufschreiben konnte. Für die beiden Anwälte, die gemeinsam über mehr als 40 Jahre Berufserfahrung verfügten, war es das emotional aufreibendste und formal schwierigste Mandantengespräch, das sie je geführt hatten. Pistorius brach immer wieder in Tränen aus und musste sich wiederholt übergeben. Trotz allem gelang es ihnen letzten Endes irgendwie, sein mentales Chaos so weit zu ordnen, dass sie eine augenscheinlich schlüssige Schilderung dessen zu Papier bringen konnten, was sich in der Tatnacht in seinem Haus ereignet hatte. Und sie hofften, Richter Nair mit diesem Schriftstück dazu bewegen zu können, Pistorius vorläufig auf freien Fuß zu setzen.

Am frühen Morgen des 19. Februar öffnete sich Pistorius’ Zellentür. Wenige Augenblicke später brachte ihn ein Einsatzwagen quer durch Pretoria zum Gerichtsgebäude, in dem über seinen Kautionsantrag entschieden wurde.

Eine Meute Pressefotografen erwartete ihn. Eigentlich war das für ihn nichts Neues. Paparazzi waren ihm seit jeher auf Schritt und Tritt gefolgt. Er war es gewohnt, dass sie sich in Scharen um ihn drängten, um ein Bild von ihm zu erhaschen, sobald er vor irgendeinem Hotel in London oder Paris vorfuhr. Bei den Paralympischen Spielen in Athen, als er seine erste Goldmedaille gewann, hatte ihn diese massive mediale Aufmerksamkeit noch sehr irritiert, wenngleich auch nicht wenig geschmeichelt. Acht Jahre später, als er bei den Olympischen Spielen in London seinen größten Triumph feierte, war das Medienspektakel für ihn bereits zur Routine geworden. Er hatte in der Zwischenzeit längst gelernt, sich vor den Kameras immer perfekt zu verkaufen und immer das passende Gesicht aufzusetzen. Seine PR-Leute waren stets in der Nähe, um ihm zu helfen, sobald er Hilfe brauchte, dabei war er ein Naturtalent und imstande, sich jederzeit wie ein erfahrenes Model strahlend lächelnd in Szene zu setzen. Wenn er sich öffentlich äußerte, wusste er immer genau, wann er sich besser zurückhielt, wann Höflichkeit und Bescheidenheit gefragt waren und wann er mit Dankbarkeitsbezeugungen die Leute für sich einnehmen konnte. Wer nicht wusste, wie sorgfältig er sich auf diese Termine und Begegnungen vorbereitete, beneidete ihn um die scheinbare Leichtigkeit, mit der er sich der Welt präsentierte.

In Wahrheit war er viel unsicherer, als er es sich anmerken ließ. Manchmal fühlte er sich kurz vor einem Presseauftritt wie betäubt und fragte sich, wer dieser Mann namens Oscar Pistorius, den er da spielte, eigentlich war. Von Kindheitsbeinen an hatte er einen Schutzschild um sich herum errichtet und gelernt, seine wahren Gefühle nicht preiszugeben. Noch tapferer und stärker fühlte er sich, wenn er eine Frau an seiner Seite hatte. Anfangs war das seine Mutter gewesen; sie hatte in seinem Leben eine wesentlich wichtigere Rolle gespielt als sein Vater. Ab seinem 17. Lebensjahr folgte dann mehr oder weniger ohne große Pausen eine Beziehung der nächsten.

Pistorius’ erste Freundin hieß Nandi und war seine absolute Traumfrau: hübsch, relativ vernünftig für ihr Alter und außerordentlich loyal. Und loyal blieb sie ihm gegenüber bis heute. Selbst Jahre später, nach seinem tiefen Fall, kam kein negatives Wort über ihn über ihre Lippen. Es hatte mit dem Erfolg zu tun, dass er sich veränderte, und so trennte sie sich irgendwann von ihm. Es dauerte vielleicht einen Monat, dass er über das Ende der Beziehung traurig war, dann lernte er Vicky kennen. Auch in sie verliebte er sich unsterblich, was er ihr am Valentinstag eindrucksvoll demonstrierte, als er die Bäume und den Zaun rund um ihr Haus mit zweihundert Luftballons schmückte und ein »Ich liebe dich, Tiger«-Graffito auf die Fahrbahn vor ihrer Einfahrt sprühte. (Seinen allerersten romantischen Vorstoß wagte Pistorius übrigens ebenfalls an einem Valentinstag. Er war damals acht Jahre alt und schenkte einer Mitschülerin eine Rose.) Als es mit Vicky vorbei war, trat Jenna in sein Leben. Es folgten viele weitere Frauen, manche davon älter als er, andere jünger. Irgendwann lernte er Samantha kennen, mit der er 18 turbulente Monate lang liiert war. Ihr folgte kurz nach seinem 26. Geburtstag schließlich Reeva. Er war überzeugt, mit ihr endlich die Richtige gefunden zu haben.

Die einzige Frau, die ihm jetzt zur Seite stand, während er sich auf die Anhörung vorbereitete, war Aimée, seine Seelenverwandte. Sie würde bei der Verhandlung anwesend sein, ebenso wie sein Bruder Carl. Aber Carl war labil. Wie Pistorius neigte er zu plötzlichen Stimmungsschwankungen. In einem Augenblick höflich und ruhig, konnte er schon im nächsten völlig außer sich geraten. Auch er war seinem Bruder gegenüber loyal, aber nicht so verlässlich wie Aimée, die von den drei Geschwistern die Beständigste war. Sie war zwar die Jüngste, aber dennoch reflektierter und reifer als ihre Brüder, denen sie immer wieder Halt geben konnte. Aimée war ein durch und durch aufrichtiger Mensch, ohne Arglist und Hintergedanken. Oscars Beziehungen zu Frauen waren immer auf gewisse Weise kompliziert gewesen. Es war immer ungeheuer viel Leidenschaft im Spiel gewesen und immer um alles oder nichts gegangen. Die Beziehung zwischen ihm und seiner Schwester war demgegenüber von Unbeschwertheit, Selbstverständlichkeit und liebevoller Vertrautheit geprägt.

Dennoch halfen ihm weder ihre Anwesenheit vor Gericht noch sein angeborenes Talent für makellose öffentliche Auftritte dabei, die Fassung nicht zu verlieren. Als der Wagen, der ihn zur Anhörung brachte, vor dem Gerichtsgebäude anhielt und er die Menge erblickte, die dort auf ihn wartete, riss der Panzer, den er mit so viel Mühe um sich herum errichtet hatte. Die Kameras – einst Ausdruck der großen Bewunderung, die ihm zuteil geworden war – verspotteten mit ihrem Blitzlichtgewitter nun den Champion, der er einst gewesen war.

Beschämt und verängstigt stieg er aus dem Wagen, flankiert von zwei Beamten, die sich mit ihm in der Mitte einen Weg durch die dicht gedrängt stehenden Fotografen bahnten, die mit allen Mitteln versuchten, ein ausdrucksstarkes Bild von ihm zu schießen. Spätestens im Gerichtssaal konnte er sich nicht mehr verstecken. Seine Körpersprache sagte alles: Dieser Mann war völlig verzweifelt. Anwesende Familienmitglieder grüßte er mit einem düsteren Kopfnicken. Mit gesenktem Kopf schlurfte er in den Saal und wirkte dabei nur noch wie ein Schatten des Helden, als den ihn die Welt einst betrachtet hatte. Ein ganzes Jahrzehnt lang hatte er die Menschen begeistert, jetzt empfanden sie bei seinem Anblick nur noch Mitleid oder Verachtung. Die böse Frage, die vielen durch den Kopf ging, war, ob ihn das, was er Reeva Steenkamp angetan hatte, mehr schmerzte als das Leid, das er sich mit seiner Tat selbst zugefügt hatte.

Der für die Anhörung zur Kautionsfrage zuständige Staatsanwalt, Gerrie Nel, war sich seiner Antwort auf diese Frage völlig sicher, und er hatte keine Scheu, Pistorius damit zu konfrontieren. Nels Aufgabe bestand nicht darin, seinen Schmerz nachzuvollziehen, sondern ihn zu verstärken, und so zeichnete er vor Richter Nair das Porträt eines herzlosen, von sich selbst eingenommenen, ruhmsüchtigen Menschen, dem es zuzutrauen ist, einen vorsätzlichen Mord zu begehen.

In früheren, unschuldigeren Zeiten war Pistorius’ ärgster Rivale ein junger, beidseitig amputierter Brasilianer gewesen, der versucht hatte, ihm den Rang als schnellster paralympischer Sprinter abzulaufen. Jetzt hieß sein Gegner Nel, und bei der Auseinandersetzung mit ihm ging es nicht um den Sieg über 200 m, sondern um die Frage, ob er die nächsten 25 Jahre hinter Gittern verbringen müsste oder nicht. Nel, der auch im Mordprozess als Staatsanwalt fungierte, hätte als Strafverteidiger in einer Kanzlei das Fünffache seines tatsächlichen Gehalts verdienen können. Einige seiner Kollegen meinten, ihm fehle das Selbstbewusstsein, um freiberuflich zu arbeiten, ohne den Staat im Rücken. Andere hielten ihn für einen Idealisten, dem die südafrikanische Rechtsordnung am Herzen lag. Auf jeden Fall war Nel zäh und couragiert. Als Staatsanwalt waren ihm Drohungen von einflussreichen Politikern oder skrupellosen Kriminellen, die enge Kontakte zu Auftragskillern pflegten, nichts Neues.

In seine schwarze Robe gekleidet, erklärte er Richter Desmond Nair, die Staatsanwaltschaft sei überzeugt, dass der Angeklagte in dem Moment, als er schoss, genau gewusste habe, auf wen er zielte. Es sei unstrittig, erklärte er, dass das Opfer durch »mehrere Schusswunden« zu Tode gekommen sei, dass der Angeklagte vier Schüsse auf die Badezimmertür abgefeuert habe, von denen drei das Opfer trafen, und zwar in die Hüfte, den rechten Arm und den Kopf. Uneins seien sich Staatsanwaltschaft und Verteidigung lediglich über die Motive des Täters. Die Staatsanwaltschaft gehe davon aus, dass er vorsätzlich gehandelt habe, wobei Vorsatz nicht zwangsläufig bedeute, dass Pistorius den Mord an Reeva Steenkamp bis ins Detail geplant habe. Die Staatsanwaltschaft müsse lediglich beweisen, dass er entschlossen gewesen sei, ihr Leben zu beenden, bevor er abdrückte.

Sollte Nel mit dieser Darstellung unter anderem auch daran gelegen gewesen sein, eine Reaktion des Manns auf der Anklagebank hervorzurufen, konnte er definitiv einen Teilerfolg verbuchen. Pistorius, dem es ohnehin schwer fiel, sich vor Gericht zusammenzureißen, zuckte zusammen, als er zum ersten Mal von offizieller Seite hörte, dass man ihn des vorsätzlichen Mordes an Reeva anklagte, vergrub sein Gesicht in den Händen und man sah, wie seine Schultern bebten.

Nel verwandelte daraufhin die Vorlage, die Pistorius ihm durch diese Reaktion bot, zu einem Treffer: »Es ist durchaus möglich«, sagte er mit einem schiefen Blick ins Publikum, »dass sich bei jemandem, der einen anderen Menschen erschossen hat, Selbstmitleid breitmacht.« Aimée schlug daraufhin die Hand vor den Mund und schüttelte den Kopf, entsetzt über Nels Unverfrorenheit. Doch der Staatsanwalt war immer noch nicht fertig. Es sei möglich, fuhr er fort, dass sich der Angeklagte bemitleide, weil er denke: »Ich muss jetzt ins Gefängnis, das ist das Aus für meine Karriere.«

Nels Herzlosigkeit hatte durchaus Methode. Er wollte verhindern, dass die Öffentlichkeit und vor allem der Richter Sympathien für den Angeklagten entwickelten. Er wollte, dass sie ihn verachteten.

Während sich Pistorius auf die Anhörung vorbereitet hatte, war ihm klar gewesen, dass es den Leuten schwerfallen würde, seiner Schilderung der Tat Glauben zu schenken. Ihm war bewusst, dass sie dachten, an seiner Stelle würden sie lügen. Auch seinen Anwälten war klar, wie schwer es werden würde, die Öffentlichkeit und erst recht einen Richter davon zu überzeugen, dass er die Wahrheit sagte. Es war unbedingt erforderlich, seine Darstellung plausibel zu machen oder – wie andere es ausdrückten – sich eine gute Geschichte auszudenken. Ton und Inhalt der eidesstattlichen Erklärungen, die dem Richter vorgelegt wurden, mussten sorgfältig abgewogen werden. Ein britischer Medienberater warnte Pistorius’ Anwälte davor, zu dick aufzutragen. Man folgte seiner Empfehlung, anders als ursprünglich geplant, in der Erklärung nicht zu erwähnen, dass Pistorius Reeva nicht nur sehr geliebt habe, sondern sie sogar hatte heiraten wollen. Das sei aber doch absolut wahr, insistierte er, doch man wog die Stimmung in der Öffentlichkeit und damit auch die mögliche Einstellung des Richters sorgfältig ab und kam zu dem Schluss, dass es im Gerichtssaal, in dem es von Journalisten und Schaulustigen nur so wimmelte, zu einem Aufschrei kommen könnte, wenn diese Hochzeitspläne erwähnt würden. An der eigentlichen Sachlage, aufgrund derer der Richter in der Kautionsfrage entschied, änderte dieser Umstand überdies nicht das Geringste.

Alle Anwesenden vernahmen Pistorius’ Schluchzen, als Oldwadge begann, die eidesstattliche Erklärung zu verlesen.

»Am 13. Februar 2013 waren wir um etwa 22 Uhr in unserem Schlafzimmer. Sie machte ihre Yogaübungen und ich lag im Bett und schaute fern. Meine Prothesen trug ich nicht. Nachdem Reeva ihre Übungen beendet hatte, kam sie ins Bett, und wir schliefen beide ein. Wir waren sehr verliebt, und ich hätte nicht glücklicher sein können.

Ich habe extreme Angst vor Einbrechern, die auch vor Gewalttaten nicht zurückschrecken, wenn sie in fremde Häuser eingedrungen sind. Ich habe bereits Todesdrohungen erhalten. Auch bin ich selbst schon Opfer von Gewaltverbrechen und Einbrüchen geworden. Daher liegt nachts, wenn ich schlafen gehe, immer meine Waffe, eine 9-mmParabellum-Pistole, unter meinem Bett.«

Pistorius gab an, in den frühen Morgenstunden des 14. Februar aufgewacht zu sein und sich daran erinnert zu haben, dass er einen Ventilator auf seinem Schlafzimmerbalkon stehengelassen hatte. Er ging auf seinen Stümpfen hinaus, um ihn zu hereinzuholen. Als er die Schiebetüren hinter sich schloss, hörte er »Bewegung« aus dem Bad, das über einen schmalen Flur vom Schlafzimmer aus zu erreichen war.

»Angst überkam mich. Das Badezimmerfenster ist nicht vergittert, und ich wusste, dass Handwerker, die am Haus zu tun hatten, ihre Leitern draußen stehengelassen hatten. Obschon ich keine Prothesen trug, konnte ich mich auf meinen Stümpfen fortbewegen. Ich glaubte, dass jemand in mein Haus eingedrungen war. Ich war zu verängstigt, um das Licht anzumachen. Ich holte meine 9-mm-Pistole unter dem Bett hervor. Auf dem Weg ins Bad schrie ich, dass er / sie mein Haus verlassen solle / sollen, Reeva rief ich zu, dass sie die Polizei verständigen solle.

Ich schoss auf die Toilettentür und rief Reeva zu, sie solle die Polizei rufen. Sie antwortete nicht. Ich verließ, mich rückwärts bewegend, das Badezimmer, immer mit einem Auge auf der Badezimmertür. Es war stockfinster im Schlafzimmer, und ich ging davon aus, dass Reeva im Bett lag. Als ich dort war, merkte ich, dass sie gar nicht im Bett lag. In dem Moment dämmerte mir, dass Reeva die Person in der Toilette gewesen sein könnte.«

Wäre er einer der Zuschauer gewesen und hätte seine eigene Lage aus der Distanz heraus beurteilen können, hätte er diese Darstellung wohl selbst nur schwer glauben können. Ganz abgesehen davon, dass er gar nicht bemerkt haben wollte, dass seine Freundin nicht im Bett lag, als er mit der Waffe in der Hand ins Badezimmer lief, blieb die Frage offen, wie er auf den Gedanken kam, dass sich ein vermeintlicher Einbrecher ausgerechnet in der Toilette verstecken würde. Was hätte ein Einbrecher wohl gerade dort zu finden gehofft? Es war mehr als lächerlich, zu erwarten, dass die Leute ihn tatsächlich für so einfältig hielten. Es dauerte daher auch nicht lange, bis man sich über seine Argumentation lustig machte. Bilder von Badezimmertüren mit der Aufschrift »Bin auf der Toilette – bitte nicht schießen« verbreiteten sich wie ein Lauffeuer in den sozialen Netzwerken. Es waren Witze, über die er wahrscheinlich selbst gelacht und die er über seinen Twitter-Account verbreitet hätte, wäre ein anderer Star betroffen gewesen.

Pistorius’ Anwälte waren alles andere als begeistert davon, die Hauptpunkte ihrer Verteidigungsstrategie bereits im Rahmen der Anhörung zur Kautionsfrage darlegen zu müssen. So verzweifelt wie Pistorius war angesichts der Aussicht, mehrere Monate – oder, wie sich später herausstellte, ein ganzes Jahr – hinter Gittern verbringen zu müssen, bevor es zur eigentlichen Hauptverhandlung kam, zwang ihn diese Aussicht geradezu dazu, dem Gericht eine detaillierte Darstellung der Abläufe in der Tatnacht aus seiner Sicht vorzulegen. Das bedeutete auch, dass er bereits jetzt eingestehen musste, dass er die tödlichen Schüsse auf Reeva abgefeuert hatte. Seinen Verteidigern blieb dadurch nichts anderes übrig als zuzugeben, dass er vorsätzlich auf jemanden geschossen hatte, während sie zugleich beweisen mussten, dass er nicht vorgehabt hatte, seine Freundin zu erschießen. Auf diese Version der Geschichte, die nur sehr wenig Interpretationsspielraum bot, musste er sich daher lange vor der eigentlichen Hauptverhandlung festlegen, was der Staatsanwaltschaft ausreichend Zeit ließ, sie zu zerpflücken. Der erfahrene Strafverteidiger Barry Roux, der die Verteidigung nicht nur während der Anhörung, sondern auch im Verlauf des späteren Mordprozesses leitete, beklagte die Notwendigkeit, seine Karten so früh auf den Tisch legen zu müssen, erkannte allerdings auch, dass ihm gar keine andere Wahl blieb.

Was Pistorius nicht wusste, war, dass etliche südafrikanische Juristen, die nicht in den Fall involviert waren, jedoch ebenso sehr in seinen Bann gezogen wurden wie der Rest der Öffentlichkeit, ihm kaum Chancen einräumten, ohne Freiheitsstrafe davonzukommen – selbst wenn er vorerst auf Kaution freikam. Wer in Südafrika des vorsätzlichen Mordes angeklagt wird, muss nicht zwangsläufig für dieses Vergehen verurteilt werden; das Urteil kann auch über ein geringeres Vergehen erfolgen. Es liegt im Ermessen des Richters, die Tat einer anderen Kategorie von Tötungsdelikten zuzuordnen, was aber durchaus auch zu einer Freiheitsstrafe führen würde. Bestenfalls, so glaubten viele Juristen, würde Pistorius der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden werden, und in diesem Fall gab es für die Strafmaßfestsetzung einen großen Ermessensspielraum. Wenn er Glück hatte, kam er auf Bewährung frei, andernfalls konnte er zu einer Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren verurteilt werden.

Solche Gedanken musste sich Pistorius im Verlauf der Anhörung allerdings gar nicht machen. An einem Punkt nahm die Verhandlung für die Verteidigung sogar eine unerwartet positive Wendung. Zu verdanken war dies Hilton Botha. Botha war der leitende Ermittler gewesen, der für die Untersuchung in Pistorius’ Villa kurz nach den tödlichen Schüssen verantwortlich war. Ein hartgesottener, abgehärteter Beamter, der keinerlei Mitleid empfunden hatte, als Pistorius unter der Last seiner grauenvollen Tat neben Reevas Leiche zusammengebrochen war. Eigentlich hätte er mit seiner Aussage die Argumentation der Staatsanwaltschaft stützen sollen, doch letzten Endes schadete er der Anklage mehr als er ihr nützte.

Ähnlich wie im Fall O. J. Simpson, an den sich die anwesenden amerikanischen Journalisten unmittelbar erinnert fühlten, stellte sich heraus, dass Botha bei der Tatortbesichtigung grobe Schnitzer unterlaufen waren. So war er beispielsweise überall herumgetrampelt, ohne Rücksicht auf eine sorgfältige Spurensicherung zu nehmen. Zudem erwies sich Botha im Verlauf der Befragung durch Barry Roux als reichlich unzuverlässiger Zeuge und letztlich wenig kompetenter Ermittler.

Zunächst hatte Botha erklärt, die Schüsse durch die Toilettentür wären von schräg oben abgefeuert worden, was bedeutet hätte, das Pistorius während der Tat seine Prothesen getragen haben müsste und nicht, wie er angab, auf seinen Stümpfen gelaufen war. Als Roux Botha jedoch vorhielt, dass es für diese Behauptung gar keine Beweise gäbe, ruderte der Ermittler zurück und gab zu, dass dies stimme.

Botha erwähnte auch eine Zeugin, die vor den tödlichen Schüssen, zwischen zwei und drei Uhr morgens, einen Streit zwischen zwei Personen in Pistorius’ Haus gehört haben wollte. Im Kreuzverhör musste er gegenüber Roux dann allerdings einräumen, dass er nicht genau wisse, ob die Zeugin zu diesem Zeitpunkt 300 oder 600 Meter vom Tatort entfernt gewesen war und dass die Zeugin gar nicht sagen konnte, ob die Stimmen, die sie gehört hatte, von Pistorius und Steenkamp stammten. Eine weitere Behauptung seitens Botha, nämlich dass er am Morgen nach der Tat Steroide in Pistorius’ Haus entdeckt habe, entschärfte Roux, indem er das Gericht ohne große Mühe davon überzeugte, dass Botha auch diese Aussage nicht mit Beweisen untermauern könne, sondern es sich bei dem, was der Ermittler als Dopingmittel identifiziert habe, in Wahrheit um ein harmloses pflanzliches Heilmittel gehandelt habe.

Roux’s Strategie bestand vornehmlich darin, die Argumentation der Staatsanwaltschaft auseinanderzunehmen. Allerdings rief er auch eine eigene Zeugin auf, eine Frau, die Reeva gut gekannt hatte und die die Beweisführung der Verteidigung mit der Aussage, dass ihre Freundin den Angeklagten »sehr geliebt« habe, stützte.

Nel konterte, indem er argumentierte, dass – fragwürdiger Zeuge hin oder her – völlig unstrittig sei, dass Pistorius jemanden erschossen habe, dass es ziemlich unerklärlich sei, warum er sich nicht davon überzeugt habe, dass Reeva wirklich im Bett lag, bevor er zu seiner Waffe griff, warum er beim ersten Anzeichen einer Gefahr nicht nach ihr gerufen habe und warum sie nicht nach dem ersten Schuss sofort laut aufgeschrien habe, was ihm unmissverständlich klar gemacht haben müsste, dass sie die Person im Bad war. Zuletzt erhielt seine Argumentation einen reichlich populistischen Einschlag, als er erklärte, dass es ein Schlag ins Gesicht aller je zu Opfern von Gewaltverbrechen gewordenen Südafrikanerinnen sei, wenn Pistorius auf Kaution freikäme. Er riet dem Richter, keine reinen »Lippenbekenntnisse« abzulegen, wenn es darum ging, die Gewalt gegen Frauen in Südafrika zu bekämpfen, sondern vielmehr harte Maßnahmen dagegen zu ergreifen.

Der Richter maß diesem Appell nur wenig Gewicht bei. Für sein Urteil beschränkte er sich auf die Analyse der konkreten Beweise und belastbaren Aussagen, die ihm vorlagen. Während der zweistündigen Verlesung des Richterspruchs erörterte er im Detail die Argumente für und gegen eine Freilassung auf Kaution, wobei er keinerlei Hinweise darauf gab, wie sein Urteil letztendlich ausfallen würde. Dieses Geheimnis lüftete er erst am Ende seiner Darlegungen. Die Luft im Gerichtssaal war zum Reißen gespannt. Pistorius hätte ein Leben im Gefängnis, Seite an Seite mit Mördern, nicht ertragen können. Selbst wenn seine Mithäftlinge ihn in Ruhe ließen, musste er sich fragen, wie er mit der Erinnerung an das, was er getan hatte, weiterleben könnte, ohne eine Tante, Schwester, Cousine oder Großmutter an der Seite zu haben, die ihn tröstete.

Während Nair seinen Richterspruch verlas, nährte er in einem Augenblick Pistorius’ Hoffnungen, im nächsten zerstörte er sie wieder. Er gestand die Ermittlungsfehler der Polizei ein, betonte aber auch die »evidenten Ungereimtheiten« in der Schilderung des Tatablaufs durch den Angeklagten. Er habe – so drückte er sich aus – eine ganze Reihe von Problemen mit dieser Version der Geschichte. Allerdings war auch die Beweisführung der Staatsanwaltschaft nicht niet- und nagelfest, wobei man aber auch nicht verlangen könne, dass die Anklage zu diesem frühen Zeitpunkt schon alle Puzzleteilchen zusammengesetzt habe. Die Fluchtgefahr schätzte Nair bei Pistorius aufgrund seiner Behinderung und seines auch international hohen Bekanntheitsgrades als vergleichsweise gering ein. Ebenso wenig fürchtete er durch ihn eine »Bedrohung der öffentlichen Sicherheit«.

Daher gab er am 22. Februar 2013, acht Tage nach der Tat, dem gestellten Kautionsantrag gegen eine Zahlung von 1 000 000 Rand (zum damaligen Zeitpunkt umgerechnet ca. 85 000 Euro) statt. Außerdem musste Pistorius dem Gericht seinen Pass aushändigen sowie sämtliche Waffen, die sich in seinem Besitz befanden (abgesehen von der Tatwaffe, die bereits von der Polizei sichergestellt worden war). Danach stand es ihm frei, nach Hause zu gehen bzw. zu seinem Onkel Arnold, wo er nach der Anhörung unterkam.

Pistorius weinte vor Erleichterung, doch draußen auf den Straßen Südafrikas waren viele empört über die Entscheidung des Richters. Das Ganze roch für sie stark nach Vorzugsbehandlung – Rechtsprechung spezial für Reiche. Es schien gleichzeitig eine Beleidigung der vielen Tausend Menschen – 46 000 lautete die offizielle Zahl für ganz Südafrika – zu sein, die zu jener Zeit in dreckigen Gefängniszellen auf ihre Verhandlung warteten und denen zum Teil weitaus geringere Verbrechen zur Last gelegt wurden, oder gegen die die Beweislast weitaus weniger erdrückend war. Ein von einer Zeitung exemplarisch herangezogener Fall war der eines 50-jährigen, schwarzen Querschnittsgelähmten namens Ronnie Fakude, bei dem es nicht um Mord, sondern um Betrug ging und der zwei Jahre lang hinter Gittern auf den Beginn seines Prozesses hatte warten müssen.

Für südafrikanische Kolumnisten war der Ausgang der Anhörung ein gefundenes Fressen. Gerechtigkeit und Gleichheit vor dem Gesetz waren das Erbe, das Nelson Mandela seiner Nation hinterlassen hatte. Die Vorzugsbehandlung, die einem reichen Weißen durch einen Richter zuteil geworden war, stellte diese Ideale in Frage. Was ein Richter schon einmal über Gerechtigkeit in Großbritannien gesagt hatte, galt auch für Südafrika: Gerechtigkeit stand hier allen Menschen offen wie die Türen des Ritz. Pistorius hatte sich dank seines Vermögens die allerbesten Anwälte leisten können, das und – wie viele fanden – die Hilfe eines leicht zu beeindruckenden Richters hatten ihm unverdienterweise die Freiheit beschert – vorläufig zumindest.

Pistorius stand nicht der Sinn danach, über derlei Fragen nachzugrübeln. Für ihn und seine Familie war Barry Roux der Held der Stunde. So unbeirrbar und akribisch, wie er an den Fall herangegangen war, den viele seiner Kollegen für aussichtslos hielten, war er seinem Ruf, einer der besten südafrikanischen Strafverteidiger zu sein, gerecht geworden. Dennoch war die Sache für ihn noch nicht abgeschlossen. Er legte Berufung gegen die Auflagen ein, und so überraschend es auch war, er kam damit durch. In einem zweiten Urteil wurden das Ausreiseverbot und das von Richter Nair auferlegte Alkoholverbot als »unangemessen und unfair« zurückgewiesen.

Einen weiteren Teilsieg errang die Verteidigung, als Hilton Botha von dem Fall abgezogen wurde, nachdem ans Licht gekommen war, dass er im Zusammenhang mit einem Fall aus dem Jahr 2011 mit zwei weiteren Beamten des versuchten Mordes angeklagt worden war; ihm und seinen Kollegen wurde vorgeworfen, auf eine Gruppe Verdächtiger in einem Kleinbus geschossen zu haben. Die Anklage geriet mit ihrer Beweisführung damit vorläufig stark ins Schleudern.

Die erste Runde vor Gericht ging damit an Pistorius. Statt der grünen Häftlingskluft dufte er vorläufig seine eigenen Sachen tragen, durfte essen, was er wollte, und in seinem eigenen Zimmer im Haus seines Onkels schlafen. In sein eigenes Haus zurückzukehren, hätte er nicht ertragen. Seine Familie spendete ihm Trost, wenn die Erinnerungen an Reeva seine Schuldgefühle unerträglich machten. Trost fand er auch bei dem Gedanken an eine andere Frau, die seinen Charakter geprägt und weitaus tiefere Spuren in seinem Leben hinterlassen hatte als Reeva oder irgendeine andere Frau, die er je geliebt hatte: seine Mutter. Auf der Innenseite seines rechten Bizeps hatte sich Pistorius Sheilas Lebensdaten tätowieren lassen.

Oscar Pistorius

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