Читать книгу Die Göttliche Komödie - Jona Tomke - Страница 7
Die immergrüne Wiese Dante trifft und bewundert die größten Geister des Altertums in der Heimat Vergils, dem Limbus.
ОглавлениеDer Limbus war Vergil, dem alten römischen Dichter, wohl vertraut. Hier wohnte er ja sonst selbst.
Das Inferno in Dantes Traum bestand aus einem gewaltigen Trichter. In dessen Abgrund reichten neun Ringe hinab wie Mulden, in denen die unterschiedlichen Sünden bestraft wurden.
Der Limbus bildete die oberste Mulde. Seine Bewohner waren nicht hier, um bestraft zu werden, sondern weil sie gelebt hatten, bevor Jesus Christus zur Welt kam, also weil sie noch Heiden gewesen waren. Die Geister vieler hervorragender Menschen befanden sich deswegen hier.
Von einigen Namen hast vielleicht auch du schon einmal gehört.
Als Dante in den dunklen Abgrund spähte, erschauderte er erst. Dann fragte er Vergil, ob schon einmal eine Seele, die in den Limbus gekommen war, aus dessen Halbdunkel gerettet worden war.
»Einmal«, antwortete Vergil, »drang ein mächtiger Erlöser bis hierher vor.« Der hatte viele mit sich aus dem Kreis des Limbus gehoben. Adam, Eva, Abel, Noah, Moses, Abraham, König David und viele andere wurden von Christus, denn er war der Erlöser, aus den Schatten der Halbwelt ins Licht gehoben.
»Und jetzt treten wir in die Nebel«, sagte Vergil. »Bleib dicht auf meinen Fersen, während ich vorangehe.«
Während er diese Worte sprach, sah Dante, dass sein Meister bleich geworden war.
»Wenn du schon solche Angst hast, Meister«, sagte er, »wie soll ich es dann erst wagen, weiterzugehen?«
»Nicht aus Angst, sondern aus Mitleid werde ich bleicher«, sagte der Dichter und schritt in die erste Mulde des Infernos voran.
Hier erklang kein Jammern, nur Seufzer trübten die stille Luft.
Als sie ins Dunkel drangen, sah Dante in der Ferne eine helle Flamme. Sie warf Licht um sich ins Halbdunkel.
»Wer hält sich wohl dort auf«, fragte sich Dante, »wo es etwas heller ist?«
Vergil, als hätte er die Gedanken Dantes erraten, sagte, ebenda weilten jene, die während ihres Lebens etwas Außerordentliches geleistet hätten.
Noch während der Meister sprach, sah Dante, wie sich ihnen vier mächtige Geister von dort zuwandten.
Als sie näher kamen, grüßte einer von ihnen Dantes Führer und rief: »Ehre sei dem Dichter, der zu uns zurückkehrt.«
Da wurde Dante von Herzen froh, da er in seinem Traum auf einmal in der Gegenwart von solchen war, die Großes auf der Welt vollbracht hatten.
Vergil nannte ihm die Namen der vier, die gekommen waren, um sie zu grüßen, und Dante verbeugte sich demütig.
Er stand vor den größten Dichtern der Welt.
Jener, der Vergil als Erstes gegrüßt hatte, trat hervor. Er hatte ein scharfes Schwert in der Rechten. Das war Homer, der griechische Dichter, der über den Trojanischen Krieg in einem Buch voller Abenteuer geschrieben hatte, das die Menschheit seitdem immer wieder liest. Homer gilt als der größte Autor und »hoher Dichterfürst«.
Homer folgten Horaz, Ovid und Lukan, drei römische Dichter. Sie hörten, dass Dante ebenfalls Dichter war. Er sollte ihnen Gesellschaft leisten.
Als er sich der Gruppe näherte, grüßten sie vornehm, und er unterhielt sich mit den berühmten Kollegen. Dass sie ihn auch nur für kurze Zeit in ihrer Mitte als »sechsten in dem Kreis so weiser Männer« duldeten, entschädigte Dante für alles Entsetzen, das er bisher erlitten hatte.
Ins Gespräch vertieft erreichten die Dichter eine hellere Gegend des Limbus.
Und worüber haben sie sich unterhalten, die größten Poeten der Welt? Darüber hüllt sich Dante in seinem großen Gedicht in Schweigen.
Die sechs Männer erreichten dann ein fabelhaftes Schloss, das von sieben Mauern sowie von einem klaren, glitzernden Fluss umgeben war.
Die Dichter überquerten den Fluss als wär’s feste Erde. Nachdem sie sieben Tore durchschritten hatten, erblickte Dante eine schöne Wiese. Niemals, auch in Florenz nicht, hatte Dante so grünes Gras gesehen, so seltene Blumen wie jetzt im wallenden Licht.
Auf dem grünen Gras saßen die Geister anderer berühmter Menschen. Alle strahlten sie etwas sehr Vornehmes aus. Wenn sie sich bewegten, dann ohne Hast und voll gutem Willen. Wenn sie einmal etwas sagten, klang es angenehm und stimmig.
Wenn man all die Namen der erhabenen Geister aufzählen wollte, die Dante auf der Wiese erblickte, würde man lange nicht fertig werden.
Einige wie Hektor oder Aeneas hatten Ruhm auf dem Schlachtfeld erlangt, die beide das belagerte Troja verteidigt hatten, auch Brutus, ein römischer Patriot. Saladin war ebenfalls unter den Großen, der erhabene Sultan der Türken.
Als Dante ihn erblickte, erinnerte er sich, wie man von ihm sagte, dass er, als er im Sterben lag, seine Leute um ein bescheidenes Begräbnis bat. Nur sein Hemd sollte als Fahne an der Spitze einer Lanze vor ihm hergetragen werden. Ein einfach angezogener Priester sollte der Fahne vorangehen und für alle hörbar rufen: »Saladin, Herrscher des Ostens, nimmt von all seiner Größe und all seinen Reichtümern, die er im Leben hatte, nicht mehr mit sich ins Grab als dieses Hemd.«
Aber nicht nur jene, die durch die Kraft ihrer Arme berühmt geworden waren, saßen auf der grünen Wiese.
Auch diejenigen, die Großes mit ihrem Kopf vollbracht hatten, waren versammelt.
Die Philosophen Plato, Sokrates und Aristoteles waren mit ernsten Augen unter heiterer Stirn da, glücklich über die Gesellschaft hier, die sie auf der Welt nicht hatten.
Cornelia war da, die zwei berühmte Römer, Tiberius und Cajus Gracchus, zur Welt gebracht hatte.
Als die beiden noch klein waren, kam eines Tages eine Frau, um ihre Mutter, Cornelia, zu besuchen.
Die Frau war sehr reich und sehr stolz auf ihre Ringe, Halsbänder und den Schmuck, den sie trug. Die hatte sie Cornelia alle gezeigt, während sie sich unterhielten. »Zeig mir deine Schmuckstücke«, sagte sie dann.
Tiberius und Cajus waren gerade in den Raum gekommen. Cornelia legte ihre Arme um sie und antwortete ihrer reichen Freundin: »Dies sind meine Juwelen.«
Es gab noch einige Geschichten von den großen Geistern zu erzählen, die Dante im Limbus erblickt hatte, der als oberste Mulde im Trichter des Infernos kreiste.
Aber er konnte nicht zu lange auf der herrlichen Wiese bleiben, er hatte ja noch eine lange Reise vor sich.
Homer, Horaz, Ovid und Lukan schlossen sich nun den anderen Geistern an, während Vergil Dante fortführte – dorthin, wo die Luft nicht mehr so ruhig war, weg vom Licht in die Dunkelheit.