Читать книгу Catharsis - Schatten und Wahn - Jonas Eideloth - Страница 5
2. Kapitel
ОглавлениеEin quadratisches, flaches Paket lehnte vor der zerschrammten Türe zu Appartement 23 am Ende des langen Flures. Die Bodendielen des barocken Altbaus knarrten unter den schweren Schritten des Jägers.
Ah, meine neue Platte, dachte er und hob voller Vorfreude den Karton auf. Mit der anderen Hand entriegelte er die Wohnungstüre und der Geruch von erloschenem Holzfeuer empfing ihn.
Den länglichen Waffenkoffer platzierte er im Inneren, direkt neben dem Eingang, um mit routinierten Handgriffen den Zugang wieder zu verriegeln.
Er war stolz auf die unscheinbare Holztür, die in ihrem Inneren einen Kern aus massivem Stahl verbarg. Der umlaufende Rahmen war durch lange Armierungen fest mit der Wand, Boden und Decke verbunden, denn die Sicherheit seiner Unterkunft war ihm äußerst wichtig.
Leise summend schritt er ins Innere seiner edel eingerichteten, hohen Altbauwohnung.
Antike Möbel säumten die Wände und moderne Elemente waren geschmackvoll dezent eingefügt worden. Eine Soundanlage, vereinzelte Werke zeitgenössischer Künstler und Laptop waren Zeugen der neueren Zeit.
Die holzvertäfelten Wände und die dunkle Tapete wurden von ein paar reich verzierten Wandleuchtern mit grünem Schirm erhellt.
Der Jäger trat an eine breite Kommode mit schwarzer Marmorplatte heran, auf der ein alter Plattenspieler stand.
„Dann wollen wir mal sehen“, murmelte er und öffnete das Paket, um die Schallplatte hervorzuholen.
Die neue Scheibe seiner Lieblingsband war schon lange angekündigt gewesen, sehr lange.
Doch er hatte geduldig gewartet, Crosscoix hatten ihn mit ihrer Musik noch nie enttäuscht.
Vorsichtig setzte er die Nadel auf das satt leuchtende Schwarz der sich drehenden Platte und erste zarte Streicherklänge fluteten aus der Anlage, gefolgt von dezenten Bassschlägen, welche sein Inneres vibrieren ließen.
Genussvoll schloss er die Augen.
Feierabend.
Er schlenderte zu seinem großen Sessel aus dunklem und durch die Jahre abgewetzten Leder. Von einem kleinen Beistelltisch nahm er die bereitstehende, teure Flasche Whiskey und schenkte sich etwas in eines seiner Kristallgläser ein.
Leise knarzte der Sessel, als er sich müde niederließ. Es war ein gutes Gefühl, wieder zu Hause zu sein.
Der Auftrag zur Eliminierung Blakes hatte ihn gegen Mitternacht erreicht und ihm eine durchwachte Nacht beschert. Der Mann hatte sich an ein Pharmaunternehmen verkaufen wollen, um der Menschheit Einblick in die Andersartigkeit und die Möglichkeiten der Parahumanoiden Gesellschaft zu geben, von der diese nichts ahnten. Doch seit dem letzten Krieg vor über achtzig Jahren, achteten die Wächter und Verschleierer des Ministeriums penibel darauf, die Gesellschaft der Parawesen in Mythen und Legenden verschwinden zu lassen.
Wer sich an Uneingeweihte der Humanoiden wandte, wurde gnadenlos gejagt und vernichtet.
Dass Blake gewarnt worden war und er sich samt Familie hatte absetzen wollen, rettete ihn nicht mehr.
Nicht vor dem grauen Jäger.
Seine Aufträge waren ihm heilig, genau wie seine Bezahlung und dem Ruf der absoluten Zuverlässigkeit, den er sich über die Jahre hinweg aufgebaut hatte.
Das morgendliche Licht brach sich in den Gravuren des mit Whiskey gefüllten Kristallglases und warf sternförmige Muster in den Raum.
Rauchig, unterlegt mit einer torfigen Note, füllte der erste Schluck seine Kehle.
Perfekt.
Er zog sein Smartphone aus der Manteltasche und tippte auf eine Kurzwahltaste.
„Amt für Außeneinsätze, Valen Gahl, was kann ich für Sie tun?“
„Ich habe eine Eliminierung zu melden.“
„Ihr Name und den Auftrag bitte.“
„Remus Dracon, Auftrag 8493, Eliminierung Blake“, sagte Remus. „Blake samt näheren Angehörigen“, fügte er noch hinzu.
„Bitte?“
„Ehefrau Elisabeth Blake mit dem Nachwuchs Cathrin und James Blake. Überweisen sie bitte meinen Lohn auf das übliche Konto. Vielen Dank“, erklärte er dem Beamten und wollte schon auflegen, als ihm noch ein Detail einfiel. „Ach ja. Notieren Sie noch eine Beobachtung für das Ministerium.“
„Ähm, einen Moment Herr Dracon“, kam es geschäftig vom anderen Ende der Leitung. „Für all das muss ich erst noch das passende Formular heraussuchen.“
Remus nahm noch einen Schluck von seinem Whiskey und wartete.
Im Hintergrund spielte die Band Crosscoix gerade zu einem fulminanten Finale auf, welches durch plötzlich einsetzende Fahrstuhlmusik aus dem Hörer zerstört wurde.
Angewidert erstickte er das Handy mit einem Kissen.
Als ob einfache Ruhe zum Warten zuviel verlangt wäre. Remus schloss tief ausatmend seine Augen, um sich ganz der Musik und dem Geschmack des Alkohols hinzugeben.
Er konnte Beamte nicht ausstehen. Einfach alles an ihnen war so schwach, inkompetent und hilflos und es nervte ihn, dass er trotzdem regelmäßig mit ihnen zu tun haben musste. Zum Glück meist nur am Telefon.
Wenn die oberen Stellen nicht so gut und zuverlässig zahlen würden, hätte er diesen Aufträgen schon längst den Rücken gekehrt.
„…llooo?“, tönte es kaum hörbar unter dem Kissen hervor.
Remus stürzte den letzten Schluck herunter und nahm sein Smartphone wieder auf.
„Ja?“, fragte er mit vom Whiskey angerauter Stimme.
„Ich hätte jetzt das passende Formular da und habe Ihre Angaben eingetragen. Sie wollten noch eine Beobachtung schildern?“
„Nach der Eliminierung gab es ungewöhnliche Schattenbildungen um den Exekutionsort“, fasste Remus die Ereignisse kurz zusammen.
Im Nachhinein schien es ihm nicht mehr sonderlich wichtig zu sein.
„Ungewöhnlich?“, fragte der Beamte nach.
Remus strich sich einige Haarsträhnen aus dem Gesicht und schielte zu der Whiskeyflasche, in welcher die goldbraune Flüssigkeit verheißungsvoll glänzte.
„Schatten verdunkelten sich und strömten zu den Opfern. Möglicherweise auch eine optische Täuschung“, fügte er gedankenverloren hinzu.
Kurz blieb es am anderen Ende der Leitung still.
„Hm, na gut. Ich reiche das dann mal so weiter, Herr Dracon. Wir erwarten Ihren ausführlichen Bericht im Laufe der nächsten Woche. Einen schönen Tag noch.“
Das Freizeichen ertönte und fügte sich passend in die Hintergrundmusik ein.
„Geschafft“, murmelte Remus und lehnte sich entspannt zurück.
Moment. Er richtete sich noch einmal auf, griff zur Flasche und füllte sein Glas zur Hälfte auf. Danach nahm er zwei Eiswürfel aus dem kleinen Gefrierschrank unter dem Beistelltisch.
Mit der anderen Hand regelte er die Musik lauter.
Remus schloss seine Augen und ließ sich in das knarrende Leder sinken, als plötzlich die Türklingel losschrillte.