Читать книгу Catharsis - Schatten und Wahn - Jonas Eideloth - Страница 9
4. Kapitel
Оглавление"Und ihr Kleinen mögt unter den Stiefeln der Großen zermalmt werden. Erinnerst du dich, Spinnenbein John?“, fragte Remus den Kobold, der in einem unglaublich überfüllten Laden direkt vor ihm auf einem kleinen Holzstuhl saß. Ein Regal neben ihm sah aus, als würde es jeden Moment unter seiner Last zusammenbrechen. „Das ist eine wunderbare Passage aus einem wunderbaren Theaterstück, nicht wahr?“
„Ja, ja“, krächzte der Kobold mit heiserer Stimme. Er hatte einen dünnen, zerzausten Bart und in einem seiner zerfetzten Ohren hing ein Goldring, der dermaßen poliert war, dass sich Remus in ihm spiegeln konnte. „Aber in schweren Zeiten steigen nun einmal die Preise, mein lieber Herr Dracon. Das wissen Sie doch.“
„Achthundert, für eine Information die nur interessant sein ´könnte´? Ihr übernehmt euch, John“, sagte Remus und ging drohend auf den kleinen Mann zu. „Ich gebe euch hundert für eine gute Information, oder ich sehe mich genötigt, einen anderen Informanten finden zu müssen.“
Der kleine Kobold nahm eine speckige Kappe von seinem Kopf, um sie wie einen Schild vor sich zu halten. Die großen, glänzenden Augen in dem runzligen Gesicht fixierten die von Remus.
„Hundertfünfzig für die kleine Information“, meinte er und hielt auffordernd seine Hand hin. „Und zwar schnell, ich muss zu meiner Pokerrunde.“
Remus holte mehrere Scheine aus seiner Tasche und legte sie dem Kobold in die Krallen. Schnell ließ Spinnenbein das Geld in den Taschen seiner geflickten Hose verschwinden.
Geheimnisvoll winkte ihn der Kobold näher heran.
„Sie verschwinden. Immer wieder“, flüsterte er mit heiserer Stimme.
„Wer?“, fragte Remus.
„Die verschiedensten Wesen scheinen sich einfach in Luft aufzulösen. Am Anfang gerade in den Armenvierteln, da fiel es nicht wirklich auf. Doch mehr und mehr verschwinden auch wichtigere Gestalten. Einfach so, ohne je wieder aufzutauchen.“
„Und wie hängt meine Zielperson damit zusammen?“
„Wer weiß? Es kann sein, dass ich von jemanden gehört habe, der etwas gesehen haben könnte, ganz aktuell, erst heute. Für fünfhundert“, flüsterte John mit dreckigem Grinsen weiter.
Remus legte das Geld nach, es war jedes Mal das gleiche Spiel.
„Der Junge heißt Master Kar, ein Kobold, noch sehr grün hinter den Ohren. Aber ich bin sicher, aus ihm wird einmal was werden“, sagte Spinnenbein gespielt überzeugt und wackelte mit einem Ohr. „Du findest ihn gerade sicherlich vor der rostigen Banane. Du kennst den Laden?“
Natürlich kannte er ihn, ein abgeranzter Schuppen der härteren Musik und Gangart.
„Master Kar also“, sagte Remus. „Und was soll er gesehen haben?“
„Er redete von den Entführungen und einer Person, die er dabei immer wieder gesehen hat. Oder welche in der Nähe gesehen wurde. Diese Person trifft nach seiner Beschreibung sehr gut auf dein Bild zu“, meinte John und kniff die Augen ein Stück weit zusammen. „Er erzählt das in der Gegend herum und will die Information, wo diese Person zu finden ist, an den Meistbietenden verkaufen.“
„Keine gesunde Lebenseinstellung“, meinte Remus.
„Ach, ich sagte doch, dass er noch grün hinter den Ohren ist“, winkte John ab. „Wenn er deshalb gemeuchelt wird, habe ich einen Konkurrenten weniger.“
„Dann werde ich Master Kar wohl aufsuchen müssen, bevor mein Kollege es tut. Auf bald John Spinnenbein, halte deine Ohren gut angespitzt.“
„Natürlich Herr Dracon, für Sie immer zu Diensten“, verabschiedete sich der kleine Kobold mit einer Verbeugung und verschwand umgehend im hinteren Teil des Ladens.
Remus hörte wie eine Tür geöffnet wurde und wild diskutierende Stimmen erklangen.
Remus ging über die staubigen Bodenbretter zurück zur niedrigen Ladentüre, durch die er geduckt wieder ins Freie gelangte. Eine kleine Glocke klingelte dabei wie wild über ihm.
Die Nacht draußen war stürmisch.
Regen wurde durch die Straßenschluchten gepeitscht und das Schattenviertel war nun wie leergefegt.
Remus machte sich geduckt auf den Weg in Richtung rostige Banane. Er musste den jungen Kobold finden. Wer eine solche Information derart durch die Gegend posaunte, konnte nicht damit rechnen, lange am Leben zu bleiben.
Der Weg durch die Straßen wurde von Schritt zu Schritt unangenehmer. Eine umgefallene Mülltonne klapperte immer wieder gegen eine Backsteinmauer und im Regen vergessene Wäsche flatterte klatschnass über ihm im Wind.
Remus blieb kurz vor einem Obst- und Gemüseladen stehen, wo der Duft nach frischen Früchten noch immer in der Luft lag.
Er wischte sich die nassen Strähnen seiner Haare aus dem Gesicht und zog seine Zigarre aus der Mantelinnentasche. Nach dem dritten Versuch mit dem alten Sturmfeuerzeug konnte er die ersten Züge nehmen.
So konnte er sich den nächtlichen Spaziergang zumindest etwas gemütlicher gestalten, auch wenn die ersten Tropfen bereits ihren Weg unter seine Kleidung fanden.
Remus bog in eine Seitengasse ab.
Alte, historische Gebäude reihten sich aneinander und er meinte, in der Nähe den Fluss Botca zu hören.
Er hoffte, den jungen Kobold direkt zu finden und seine Information schnell zu bekommen. Auf eine Jagd nach einer kleinen, windigen Kreatur hatte er keine Lust.
Nach einer groben Steinmauer, deren Fugen lose und weitgehend herausgewaschen waren, reihten sich mehrere Casinos aneinander und ein Pub in dem es hoch herging. Durch die kleinen Fenster konnte Remus erkennen, wie einige Minotauren auf einem Tisch tanzten. Zwei weitere Tische lagen bereits zerbrochen auf dem Boden.
Eine Türe vor ihm knallte gegen die Wand und eine hysterisch lachende Frau mit Hufen und einem Mieder, das unter ihrer Oberweite zu platzen schien, stolperte ihm entgegen. Mit ihrer anderen Hand zerrte sie einen geschuppten Mann hinter sich her, der sich sichtlich in dem plötzlichen Regenguss wohlfühlte.
Sie grinste Remus mit rot glänzenden Wangen an und verschwand in einer abseitigen Straße.
Nach zwei weiteren Ecken sah Remus die rostige Banane, vor der sich eine größere Meute an Besuchern versammelt hatte.
Wohl viel los heute, dachte er. Trotz oder wohl auch wegen dem schlechten Wetter.
Eine johlende Truppe in arger Schräglage kam auf ihn zu.
„Beeilt euch“, lachte eine stolpernde Frau und zerrte an ihrem Trinkkumpan. „Bevor die Wächterschweine kommen.“
Kichernd liefen sie an Remus vorbei.
Eine böse Ahnung machte sich in ihm breit und er beschleunigte seine Schritte.
Die Gesichter vor der Bar spiegelten unterschiedliches wieder. Von einer in Tränen ausgebrochenen Kobolddame bis zu prustend, lachenden Trollen. Irgendwo schrie einer nach mehr Bier.
Remus Blick wanderte die Wand hinauf zu dem oberen Stockwerk. Neben einem rostigen Schild, welches entfernt an eine Banane erinnerte, standen die Fenster der Kneipe weit offen. Ohrenbetäubender, knallharter Sound dröhnte daraus durch die Straßenschlucht, ungeachtet dessen, dass direkt unter dem Fenster ein Kobold mit einer Stahlstange an die Mauer gepinnt worden war.
Das Gesicht war noch immer schreckverzerrt und aus seinem Umhang mit weiter Kapuze troff das Blut an der dreckigen Mauer hinab.
Remus hatte wohl Master Kar gefunden.
Unter lauten Rufen wurde ein Zylinder mit einer kleinen Aster im Hutband auf das Ende der Stange geworfen, die dadurch leicht wippte und dunkelroten Lebenssaft in dicken Blasen aus der Wunde hervorquellen ließ.
Einige Ghule kamen in den tiefen Schatten angrenzender Hauseingänge bleibend näher und schnüffelten bereits an dem vom Regen weggespülten Blut im Rinnstein der Straße.
Nun ja, das war es wohl mit dem Informanten. Spinnenbein John konnte sich über einen Konkurrenten weniger freuen.
Remus bekam von einem Troll ein Bier in die Hand gedrückt.
„Wie er gequietscht hat“, lachte der Troll und klopfte sich wiehernd auf die Schenkel. Tränen liefen über das grobe Gesicht und kurz darauf warf er sich ebenfalls mit dem Rücken gegen die Mauer und quietschte dabei theatralisch. Johlen und lauter Applaus brandete auf.
Remus´ Blick blieb an der weinenden Kobolddame hängen. Sie schien Master Kar gekannt zu haben, vielleicht wusste sie mehr.
Er schob sich nach vorne, als er plötzlich etwas in seinem Augenwinkel wahrnahm.
Vor einer Laterne sah er als Schattenriss ein markantes Profil. Remus blieb stehen und versuchte einen Blick auf das Gesicht zu erhaschen.
Der Mann bewegte sich und holte sein Handy aus der Tasche, um einen Anruf entgegenzunehmen.
Im Licht des Displays leuchtete das Gesicht auf und direkt unter dem Haaransatz lag ein Leberfleck.
Manchmal brauchte man doch wirklich einfach nur etwas Glück.
Er hatte seine Zielperson gefunden, die sich unglaublich entspannt am Ort eines selbst begangenen Mordes bewegte.
Der kräftige Mann mit dem kantigen Gesicht und den halblangen Haaren steckte das Telefon weg, blickte noch einmal mit einem Lächeln zu dem exekutierten Kobold und ging.
Remus widmete der Szenerie vor der Kneipe keinen Blick mehr, reichte das Bier an einen freudig überraschten Zentauren weiter und heftete sich dem anderen Jäger an die Fersen.