Читать книгу Catharsis - Schatten und Wahn - Jonas Eideloth - Страница 7
3. Kapitel
ОглавлениеRemus Dracon schritt durch das Schattenviertel.
Dass ein solcher Ort, voller fabelhafter und mythologischer Wesen, der niemals entdeckt werden durfte, mitten in einer Menschenstadt lag, war natürlich ein Risiko. Doch mehrere Maßnahmen sicherten den Ort gegen das ungewollte Entdecken ab.
Wachtruppen im Außenbereich und die Lage im übelsten Teil der Menschenmetropole waren natürlich von Vorteil, doch selbst wenn ein Mensch das Viertel betreten und seine absonderlichen Bewohner gesehen hätte, wäre er danach direkt in eine psychiatrische Anstalt überwiesen worden. Das waren jedoch nur einige wenige Gründe, weshalb das Viertel seit Jahrzehnten unentdeckt geblieben war.
Jetzt in den Abendstunden waren die Gassen gefüllt mit Leben und Remus musste sich immer wieder durch eifrig palavernde Gruppen hindurchschieben.
Gestalten in langen Kapuzenumhängen kamen wie er hauptsächlich aus Richtung der Viertelaußengrenzen.
Offen schlenderten Minotauren, Harpyien und ein Faun in teils unauffälliger, teils ausgefallener Kleidung umher. Eine Gruppe bleicher Gestalten stand im Schatten eines Vordaches vor dem Abgang in eine Kellerkneipe. ´Blutschänke´ stand in roten Lettern über dem Eingang.
Wie kitschig, dachte Remus und richtete seinen schwarzen Mantel. Eine schwere Vollautomatik, welche er immer mit sich führte, zog die Jacke auf der rechten Seite leicht nach unten.
Er schritt unter einer niedrigen Brücke hindurch, an der mehrere Laternen baumelten, die von kleinen Wesen umflattert wurden. Eine dickliche Frau mit gelben Reißzähnen spickte gerade lachend eines der kleine Wesen mit einer langen Klaue auf und steckte das schreiende Ding in ihren breiten Mund. Sie schmatzte genüsslich und spülte mit einem langen Schluck aus einer stark nach billigem Alkohol aussehenden Flasche nach.
Schimpfend flatterten die übrigen kleinen Wesen davon.
Remus hatte am Nachmittag doch weniger Ruhe bekommen, als eigentlich geplant.
Durch das Schrillen der Türglocke kündigte sich unerwartet früh ein Paket aus Frankreich an.
Ein besonderer, langer Dolch vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Die Klinge war versilbert und fein ziselierte Ornamente umrankten die Schneide.
Die Waffe des guten alten Jack.
Remus hatte schon zuhause bleiben wollen, um den Dolch einigen Untersuchungen zu unterziehen, doch der Anruf des Ministeriums hatte aus seinem freiwilligen Abendausflug ins Schattenviertel eine lästige Pflicht gemacht.
Zuhause wollte er sicherlich keinen Beamten empfangen.
Er sollte einen Herren Gahl treffen und wenn ihn nicht alles täuschte, war dies die unfähige Person, mit der er des Öfteren am Telefon zu tun hatte.
Remus hatte keine Lust, auch nur ein einziges Wort mit diesem Beamten zu wechseln und hoffte, dass der Blödsinn nicht allzu lange dauern würde.
Eine Gruppe grölender Zentauren galoppierte an ihm vorbei, als er in eine dreckige Gasse einbog.
Rechts und links von ihm erhoben sich Stahlbetonwände bis weit nach oben in den dunkler werdenden Himmel. Nur noch ein letzter, leicht rötlicher Streifen der sterbenden Sonne war am Ende der schmalen Straßenschlucht zu sehen.
Remus ließ seine Finger über das Ende einer stählernen, stark verrosteten Feuertreppe gleiten, auf der niemand mehr würde fliehen können, ohne sich das Genick zu brechen.
Ein Blick nach oben zeigten ihm lose Kabel, die an einigen Stellen aus der Wand hingen und ein paar wenige Fenster, aus denen schmutzig gelbes Licht hervorschien.
Remus hörte einen fauchenden Streit schräg über sich.
Die Justiz der Unteren Stadt hatte hier oben wenig Macht und so blühte auch der Handel mit Bewusstseinsverändernden Substanzen, was nicht unbedingt zur Friedlichkeit des Viertels beitrug.
Remus selbst mochte solche Verhältnisse und auch die Freiheit, die darin lag.
Rechts von ihm, mit seinem Glatzkopf nahezu direkt unter der Glühbirne einer kleinen Lampe, stand Gork. Dass er fast das komplette Licht der kleinen Funzel verdeckte, schien ihn nicht zu interessieren und auch nicht, dass die paar Haare welche ihm wuchsen, so immer wieder weggeschmort wurden.
„Guten Abend Herr Remus Dracon“, donnerte er.
Remus kannte Gork, seit der Troll angefangen hatte als Türsteher und Rausschmeißer im ´Anders´ zu arbeiten und das war schon einige Jahre her.
„Guten Abend, Gork“, grüßte Remus. „Ich hoffe, mein Stammplatz ist noch frei?“
„Aber natürlich! Wenn nich sag Bescheid“, lachte der Troll dröhnend und gab die schmale Treppe nach unten frei. Eine einfache Stahltüre lag an ihrem Ende, die geziert wurde von mehreren Dellen, Kratzern und vereinzelten Einschusslöchern. Zeugen weniger friedlicher Momente.
„Ich schmeiß deine Platzbesetzer schon raus, falls welche da sind“, setzte Gork nochmal unnötigerweise mit einem breiten Grinsen nach. Dabei entblößte er mehrere, teils abgebrochene Hauer und verströmte einen unerbittlichen Mundgeruch.
„Danke Gork“, sagte Remus. Der Troll war nicht der Hellste, aber trotzdem überdurchschnittlich gut für seinen Job geeignet.
Nachdem er die wenigen Betonstufen hinabgeschritten war, öffnete Remus die schwere Stahltür zum ´Anders´.
Entgegen der Erwartung, welche Außenstehende vielleicht von der Bar aufgrund der Umgebung gehabt hätten, eröffnete sich ein vollkommen anderes Bild.
Klassische Musik strömte dem Besucher entgegen, immer wieder untermalt von dezenten elektronischen und rocklastigen Elementen.
Das Ambiente erinnerte an eine Mischung aus Irish Pub und Wiener Kaffeehaus. Ein langer, holzverkleideter Tresen mit schweren Schnitzereien erstreckte sich geschwungen durch den halben Raum. Dahinter standen aufgereiht eine Vielzahl erlesener alkoholischer Getränke.
Auf den Barhockern davor saßen einige Gäste und ließen sich von der aufreizend gutaussehenden Barkeeperin Jade die Gläser füllen.
Jade war eine reinblütige Harpyie. Ihre mit Ketten behangenen schwarzen Flügel flatterten immer wieder leicht, was ein sanftes Klirren erzeugte. Auch in ihrem Gesicht zeigte sich feiner Goldschmuck.
Ihr Oberkörper war von einem knappen Ledermieder bedeckt, unter dem Rokokotätowierungen hervorrankten und sich um ihren Leib zu schmiegen schienen.
Jade schenkte Remus ein bezauberndes Lächeln, während sie am Zapfhahn einen Krug füllte.
Er nickte ihr zu und wandte sich nach links, tiefer in die Bar hinein. Vorbei an ledernen Sessel- und Couchgruppen, welche vor kleinen Tischen standen, gelangte er nach ganz hinten. Die Sitzgruppen waren durch Holzwände mit Glaseinlagen voneinander getrennt und kleine Lampen verbreiteten gedimmtes Licht.
Sein Stammplatz im dunklen Schatten der hintersten Ecke bestand aus einer kleinen Eckcouch mit zwei Sesseln, sowie einem kleinen Tisch, dessen Umgebung von einer Öllampe schwach erhellt wurde.
Remus mochte den Platz. Aus dem Dunkel heraus konnte er das Treiben in der Bar in Ruhe betrachten und dabei gute Musik, zusammen mit den wahrhaft besten Getränken des Viertels genießen.
Die Bar offerierte darüber hinaus auch Zigarren und Pfeifen mit ganz besonderen Kräutermischungen.
Remus ließ sich entspannt in der Ecke nieder und genoss den Geruch von Leder, mit einer Ölnote, den die kleine Lampe vor ihm verströmte. Dazu mischten sich verschiedene Kräutergerüche des gerauchten Tabaks.
„Was kann ich dir bringen, Remus?“, fragte Jade, die mittlerweile an seinen Tisch getreten war.
„Dasselbe wie immer und eine Zigarre des Hauses bitte.“
„Bekommst du gleich“, sagte sie und verschwand mit wiegenden Hüften zurück zur Theke.
Remus bemerkte wieder einmal, dass bei Jade die Krallenfüße ungemein elegant in ihre schneeweißen, leicht befiederten Unterschenkel übergingen, bis sein Blick von einem knielangen schwarzen Rock aufgehalten wurde.
Kurz darauf stand eine kleine dampfende Tasse Kaffee, ein Kristallglas Whiskey mit mehreren Eiswürfeln und ein Tablett mit Zigarre plus Zubehör vor ihm auf dem Tisch.
Remus nahm den Kaffee und blickte durch die hellen Dampfschwaden, von denen ein intensiv herber Geruch mit einer dezenten Gewürznote verbreitet wurde.
Genussvoll schloss er die Augen und nahm einen ersten Schluck.
Jetzt hieß es auf diesen Herren Gahl zu warten, der hoffentlich bald kam und auch schnell wieder ging. Das momentane Ausharren störte seine innere Ruhe und die Entspannung. Das waren schließlich die Gründe, aus denen er das „Anders“ üblicherweise aufsuchte.
Sein zweiter Whiskey stand inzwischen auf dem Tisch, als er sehen konnte wie eine schmale Person in kariertem Trenchcoat zögerlich von der Tür zur Bar ging. Nach einem kurzen Gespräch mit der Kellnerin, wies diese in seine Ecke.
Remus nahm einen langen Zug von der Zigarre und hüllte sich in eine Rauchschwade. Zeit, es hinter sich zu bringen.
„Herr Dracon, Remus?“, fragte der Mann vor seinem Tisch.
„Ja.“
„Ich bin Herr Valen Gahl, vom Amt für Außeneinsätze, Ministerium. Darf ich mich setzen?“
Remus nickte und der Beamte ließ sich ihm gegenüber nieder. Unter dem Trenchcoat saß ein ordentlicher Anzug. Der Blick des Herren Gahl war etwas nervös, wie Remus bemerkte. Genauso wie die Bewegungen mit der er seine lederne Aktentasche öffnete.
„Ich soll mit Ihnen folgende Unterlagen durchsprechen“, sagte Herr Gahl und legte eine Mappe vor ihm ab.
Wenig interessiert schaute Remus auf das Deckblatt.
Unterlagen für außergewöhnliche Sichtungen, Formular A bis F stand dort.
Das konnte ja heiter werden.
„Meine Vorgesetzten scheinen sich für Ihre sogenannte Schattensichtung sehr zu interessieren. Ich will direkt zur Sache kommen: Im ersten Formular benötige ich allgemeine Daten wie Name, Wohnsitz und so weiter. Dieses können Sie gerne selbst ausfüllen.“ Er reichte ihm das erste Formular und einen silbernen Kugelschreiber, in dem ´Valen´ eingraviert war.
Remus drehte die Öllampe etwas heller und legte das Dokument mit einem kritischen Blick vor sich ab. Wie sehr er so etwas hasste.
„Meine Herren, was darf ich Ihnen noch bringen?“, fragte Jade, die an ihren Tisch getreten war.
„Ich denke, ich benötige noch einen Whiskey“, knurrte Remus und beobachtete, wie Herrn Gahls Blick über Jade wanderte. Er schien sichtlich von ihrem Äußeren angetan zu sein.
„Einen Tee, bitte. Mit etwas Zucker und Milch.“
„Sollt Ihr bekommen“, sagte sie lächelnd und verschwand wieder.
Remus füllte inzwischen das erste Formular aus. Fragen wie Körpergröße, Augenfarbe und Gattung der Eltern reihten sich in einer schier endlosen Schlange der Belanglosigkeiten aneinander.
Er hielt immer wieder inne, um Fragen zu überspringen. Als ob das irgendein Amt etwas anginge.
Nach einer Weile schob er das dürftig ausgefüllte erste Formular wieder in die Mappe.
„Haben Sie alles beantwortet?“, fragte der Beamte.
„Natürlich“, antwortete Remus und ließ sich mit seiner Zigarre wieder zurück in die Couch sinken.
Nach einem tiefen Zug hüllte er sein Gesicht in Rauchschwaden, was der Beamte mit einem Naserümpfen quittierte.
„Ihr Tee, Mister“, sagte Jade in dem Moment und stellte ein leise klapperndes Gedeck ab. Herr Gahl zuckte zusammen.
„Vielen Dank“, sagte er leicht verspätet.
„Und Ihr Whiskey, Remus.“
Der Jäger nahm ihr das Glas aus der Hand und bedankte sich mit einem kurzen Nicken.
„Nun denn, machen wir weiter“, meinte der Beamte.
„Standen Sie bei der Beobachtung jener Schatten unter Alkohol- oder Drogeneinfluss?“, fing er an.
Remus runzelte die Stirn und beugte sich ungehalten nach vorn. „Herr Gahl, ich führe meinen Beruf schon seit sehr langer Zeit aus. Ich lege höchste Priorität auf einen sauberen und exakten Ablauf oder glauben Sie, Ihre Regierung würde ihr Vertrauen in einen Amateur setzen?“
„Also nein?“, fragte der Beamte mit einer hochgezogenen Augenbraue nach.
„Ich werde Ihnen noch einmal mein Erlebnis in allen Einzelheiten schildern, schreiben Sie es nieder oder lassen Sie es bleiben.“
„Meine Vorgesetzten bestehen auf die Formulare“, meinte der Beamte und versuchte dabei autoritär zu klingen.
„Dann füllen Sie sie selber aus.“
„Ich werde Meldung über Sie erstatten müssen, Herr Dracon, sollten Sie sich nicht kooperativ zeigen. Sind Sie sich dessen bewusst?“
„Tun Sie sich keinen Zwang an“, sagte Remus und nahm genussvoll einen weiteren Schluck Whiskey. Er war sich sicher, diesen Beamten bald los zu sein und endlich seine verdiente Ruhe haben.
Unschlüssig spielte Herr Gahl an seiner Teetasse herum, um schließlich einen Schluck zu nehmen.
„Dann schildern Sie mir bitte den genauen Vorgang der Ereignisse, ohne auch nur ein Detail auszulassen“, sagte er schließlich und nahm ein liniertes Blatt aus seiner Tasche.
Remus begann, sein Erlebnis mit den Schatten, die sich auf das Fahrzeugwrack zu stürzen schienen, noch einmal zusammenzufassen.
Es mochte eine optische Täuschung gewesen sein, doch selbst wenn es keine war, interessierte es ihn nicht. Außer jemand gab ihm einen gut bezahlten Auftrag dafür.
„Das wars“, schloss er seine Erzählung.
„Nun ja“, meinte der Beamte unzufrieden, schaute auf seine nur halb vollgeschriebene Seite und danach auf die dickere Mappe mit den Formularen.
„Ich werde nochmal mit meinem Vorgesetzten telefonieren, vielleicht geht es wirklich ohne die Formulare. Vielen Dank für die Auskunft, Herr Dracon.“
„Falls Ihre Vorgesetzten wieder einen Auftrag haben, geben Sie mir bescheid“, antwortete Remus.
„Wir werden sehen, wie zufrieden meine Kollegen mit Ihrer Arbeit sind.“
Der Beamte packte seine Sachen zusammen und erhob sich. „Nun denn, ich empfehle mich, auf Wiedersehen, Herr Dracon.“
Remus nickte ihm zu.
„Ach ja, eine Frage noch“, meinte der Beamte zögerlich, während er sich noch einmal umdrehte.
„Sie scheinen öfters hier zu verkehren, wissen Sie ähm…“, er geriet kurz ins Stocken. „Wissen Sie, wie die Kellnerin hier heißt? Nur falls ich doch noch einmal einkehren sollte.“
Remus schaute kritisch zu dem Beamten hinauf, nahm noch einen Schluck aus seinem Glas und sog an seiner Zigarre. Mit dem ausgeatmeten Rauch stahl sich ein spöttisches Lächeln auf seine Lippen. „Fragen Sie sie doch einfach, Herr Gahl. Auf Wiedersehen.“
Remus beobachtete, wie der Beamte nach vorne ging und noch einmal kurz mit Jade sprach, die nur lachend abwinkte.
Remus meinte zu erkennen, dass Herr Gahl leicht errötend schnell in Richtung der Toiletten verschwand. Er schmunzelte und ließ sich wieder in die dicken Polster sinken.
Die meisten scheiterten schon bei dem Versuch, den Namen der hübschen Bedienung zu erfahren.
Nach einigen Zügen an seiner Zigarre, hatte er sein Inneres wieder zur Ruhe gebracht und beobachtete entspannt das Treiben in der Bar.
Das Treffen war doch nicht so schlimm gewesen wie erwartet, eher amüsant. Beamte waren wohl doch allesamt Dilettanten.
Ein Mann mit verkniffenem Gesicht und schwarzer Melone auf dem Kopf trat plötzlich an seinen Tisch.
„Hallo Dracon, wir hätten wieder einen Auftrag für Sie“, sagte er mit einer genauso verkniffenen Stimme.
Der Mann war die rechte Hand des Chefs einer Stahlfirma aus der Oberen Stadt. Die Firma trug immer wieder blutige Kleinkriege mit verschiedensten Organisationen aus und Remus bekam die Aufträge zugewiesen, woran sich ihre Straßenschläger die Zähne ausbissen.
„Haben Sie die Unterlagen mit allen wichtigen Informationen zum Zielobjekt dabei?“, fragte Remus. Das wäre der zweite Auftrag innerhalb eines Tages, sein Konto würde sich darüber freuen, auch wenn Geld für ihn wirklich kein Problem darstellte.
„Nun ja, es ist diesmal etwas schwieriger“, meinte der Mann, nahm seine Melone ab und fing an, sie zwischen den Fingern zu kneten.
„Wir haben nur ein etwas verschwommenes Bild von einer Überwachungskamera, haben es Ihnen bereits aufs Handy geschickt.“
Remus nahm sein Telefon heraus und rief die eingegangene E-Mail auf, ein undeutliches Gesicht war im Profil zu sehen. Die markante Nase und ein großer Leberfleckansatz unter den halblangen Haaren waren gute Anhaltspunkte. Es würde kein Problem sein, die Person auf der Straße zu erkennen.
„Was ist mit ihm?“, fragte Remus.
„Leute verschwinden aus unserer Firma“, zischte der Mann ihm zu. „Wir glauben eine andere Firma will uns ausbluten lassen und hat diesen Jäger auf uns angesetzt. Schalten Sie ihn aus, außerdem wollen wir den Namen unseres Kontrahenten.“
Remus überlegte kurz und überschlug den Zeitaufwand im Kopf. „Fünfundvierzigtausend“, meinte er. „Zehntausend sofort.“
Der Mann kniff die Augen noch weiter zusammen, als sie es sowieso schon waren. „Mein Chef wird nicht erfreut sein, machen Sie ein besseres Angebot.“
„Ihr Chef kennt meine Preise“, mehr zu sagen hielt Remus nicht für nötig.
Der Mann nickte, telefonierte kurz und bald darauf erhielt Remus die Nachricht, dass das Geld eingegangen war.
„Vielen Dank, ich übernehme den Auftrag. Einen schönen Abend noch“, verabschiedete Remus die Person vor seinem Tisch.
Der Mann setzte seine Melone wieder auf, nickte ihm zu und ging in Richtung Ausgang. Dort stieß er fast mit einem älteren Mann zusammen, welcher ebenfalls mit Melone und langem weißen Bart gerade von der Toilette kam.
Zufrieden griff Remus nach seinem Whiskeyglas und ein leicht vorfreudiges Kribbeln breitete sich in ihm aus. Der neue Auftrag war ganz nach seinem Geschmack.
Ein anderer Jäger bedeutete eine größere Herausforderung und er durfte sein Können spielen lassen. Weit besser, als eine Familie in ihrem Auto zu zerquetschen, auch wenn ihm die Inszenierung mit dem Kran Spaß gemacht hatte.
Warum nicht gleich losziehen und den neuen Auftrag starten?, fragte er sich. Der Abend war noch jung.
Der Kaffee hatte seinen eigentlich müden Leib aufgerüttelt und der Alkohol beschwingte ihn zusätzlich. Das war genug, um direkt zu starten.
Aber nicht bevor… er hob die Hand und Jade kam hinter der Theke hervor.
„Doppelter Espresso, extra stark“, bestellte Remus mit vom Rauchen dunkel verfärbter Stimme. „Ich trinke ihn direkt an der Bar.“
Er erhob sich und warf seinen Mantel über. Die Zigarre löschte er und steckte den Rest in die Innentasche, für später. Mit einem zusätzlichen routinierten Griff versicherte er sich, seine Vollautomatik parat zu haben, dann schlenderte er vor zur Theke.
Der Espresso stand schon dampfend auf dem zerkratzten, dunkel lackierten Holz, auf welches er schon so manche Nacht gestarrt hatte. Mit einem schnellen Schluck stürzte er das Getränk hinab, welches sofort eine Woge der Energie durch seine Adern zu jagen schien.
„Danke Jade, bis zum nächsten Mal“, sagte er und legte ihr das Geld für den Abend auf den Tresen, danach wandte er sich dem Ausgang zu.
„Vielen Dank für Ihren Besuch Herr Dracon, kommen Sie bald wieder“, rief sie ihm nach.
Er würde sicherlich bald wieder kommen, doch jetzt freute er sich auf die Jagd.
Und er liebte diesen Job, es war sein Leben. Jede Jagd erfüllte ihn mit unbändiger Energie und großem Stolz auf die erbrachte Leistung.
Hoffentlich machte es ihm der Andere nicht zu einfach.
Remus öffnete die Tür nach draußen und ein kalter Wind schlug ihm heulend entgegen.
Er würde seinen Informanten, Spinnenbein John, aufsuchen. Wenn ihm jemand einen ersten Anhaltspunkt geben konnte, dann diese kleine, alte Parodie auf einen Mann.
Gorks großer Trollschatten zuckte wie von unnatürlichem Leben erfüllt durch die Gasse, als er sich ihm zuwandte und ein „Auf Wiedersehen, Herr Remus Dracon“, grollte.