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FÜNF

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„Arthur! Du hast dich nicht verabschiedet, dich nicht gemeldet, nicht geschrieben und jetzt sagst du nicht einmal Bescheid, dass du wieder da bist!“ Laetitia wirkt verärgert und drückt sich durch die halboffene Tür in die Wohnung.

„Was machst du denn hier? Bist du betrunken?“

„Ich wollte dich sehen, du Idiot!“

Arthur ist sich ziemlich sicher, dass sie verärgert ist.

„Ist gerade schlecht“, versucht er sich herauszureden. „Ich wollte eben los zu meinem Bruder.“

„Das ist mir egal, du musst jetzt einfach mal Zeit für mich haben. Das bist du mir schuldig. Du bist einfach gegangen. Ich wusste überhaupt nicht, was los ist, bis Ferdinand mir alles erklärt hat. Warum hast du mir nichts gesagt?! Warum hast du dich nicht verabschiedet oder mir wenigstens geschrieben?!“

„Ja, keine Ahnung, tut mir leid.“

„Das ist alles?! Arthur, ich habe dich so vermisst.“ Laetitia schmiegt sich ganz feste an den Jungen, als würde sie ihn nie wieder loslassen wollen.

„Hör zu, können wir das nicht wann anders klären?“

„Nein, jetzt bin ich hier. Hast du was zu trinken?“

„Hast du nicht genug?“

„Nur ein Gläschen, nur zum Anstoßen, auf dich, dass du wieder da bist. Oh man, siehst du gut aus. So braun und kräftig.“

„Na schön, ein Glas, dann muss ich los.“

Sie setzen sich zusammen an den kleinen Tisch, und Laetitia kann kaum ihren Blick von den tiefen grünen Augen abwenden.

„Ohne Ferdinand hätte ich wahrscheinlich in Wochen noch nichts von deiner Rückkehr erfahren.“ Ihre Stimmung schwankt zwischen Enttäuschung und blinder Zuneigung.

„Laetitia, es freut mich ja sehr, dass du vorbeikommst … aber wir können nicht einfach da weitermachen, wo wir aufgehört haben. Es gab gute Gründe, warum ich gegangen bin. Zwei Jahre sind eine lange Zeit; ich habe mich verändert. Du hast dich verändert. Das wird so einfach nicht funktionieren.“

„Ja, ich weiß, dein Papa und so. Wir brauchen Zeit, das weiß ich, das weiß ich doch. Oh man, ich muss dir so viel erzählen! Du hast hier echt so viel verpasst!“

Als der Wein leer ist und Laetitia noch betrunkener als zuvor, setzt Arthur sie in ein Taxi nach Hause. Das Mädchen hat fast durchgehend einen munteren Monolog über ihre letzten zwei Jahre in Paris gehalten und nicht einmal nach seiner Zeit gefragt. Paris, der Mittelpunkt all jener, die darin leben und wirken. Früher hat Arthur Spaß an ihrer Gesellschaft und an ihren Geschichten gehabt, hat mitreden oder sich ansonsten alles genau vorstellen können. Doch nicht an diesem Abend. Sie ist ihm fremd geworden, ebenso die Geschichten und die Menschen darin. Die Darsteller des größten Theaters der Welt. Hat man erst eine andere Welt kennengelernt, beginnt man beide miteinander zu vergleichen, gegeneinander auszuspielen.

Arthur bleibt alleine zurück und legt sich gedankenverloren auf das Bett. Vor einer gefühlten Ewigkeit, so kommt es dem Jungen heute vor, hat er das Mädchen wirklich gerne gehabt. Sie haben eine schöne gemeinsame Zeit verbringen können. Bis sein Vater erkrankt ist, er sich um ihn hat kümmern müssen. Er ist damals zu ihm gezogen, in eine kleine Wohnung, als die Anzeichen immer stärker geworden sind. Zuerst hat der Vater keine Bücher mehr lesen können, weil er den Kontext vergaß, hat seinen Lieblingssendungen im Fernsehen nicht mehr folgen können. Immerzu ist seine Brille verschollen gewesen, auch wenn er sie auf dem Kopf oder auf der Nase getragen hat, ganz zu schweigen von den Autoschlüsseln. Von jetzt auf gleich hat er vergessen gehabt, was er hat machen wollen, die Arbeitszeiten verpasst und kurz darauf seinen Job als Physiker verloren. Nach dreißig Jahren zuverlässiger Arbeit ist ihm gekündigt worden. Und auch das hat er mit der Zeit vergessen. Mehr und mehr hat er die Begeisterung und den Spaß an allem, was ihn vor seiner Krankheit besonders gemacht hat, verloren. Er ist bis dahin immer ein lebensfroher und zuverlässiger Mensch gewesen. Die Demenz ist rasch voran geschritten, und als er eines Tages den Herd angelassen hat und beinahe mitsamt der Küche verbrannt ist, hat es keinen anderen Weg gegeben, als ihn in eine persönliche und geschlossene Betreuung zu übergeben. Arthur hat nicht damit umgehen können, sich zurückgezogen, war nur noch für seinen Bruder da, hat sein ganzes übriges Umfeld außer Acht gelassen, bis endlich die erlösende Zusage für die Feldforschung gekommen ist und er sein bedeutungsschweres Umfeld hat verlassen können.

Laetitia ist zu der Zeit der aufkommenden Krankheit unfähig gewesen, sich mit der Situation der Familie und den Sorgen Arthurs auseinanderzusetzen, hat wieder und wieder abgelenkt, wenn das Thema auf den Vater gefallen ist. Sie hat damit nicht umgehen können, beschloss, sich in keiner Weise damit in Berührung zu bringen, sich stattdessen in die Pariser Mode-, Kunst- und Kultur-Szene zu stürzen. Arthur und Laetitia haben sich bereits vor der Abreise kaum noch gesehen. Für ihn ist es zuletzt keine ernstzunehmende Beziehung mehr gewesen.

Mit rauschenden Boxen aus den Neunzigern tanze ich durch dieses Drecksstück an Zimmer. Arme zum Himmel, immer bereit für das Becken und den Bass. Mein Körper springt wild umher, in den stinkenden Bademantel gehüllt, der mit den bunten Mustern. Ich bin im Rausch, im Rausch der Musik und der Zeit, im Rausch des Seins – im Rausch der ungreifbaren Überwältigung. Das Herz tanzt. Es tanzt in einem unbestimmten Takt, aus reiner Existenz.

Arthur legt seine Notizen weg. Manchmal kann er sich gar nicht mehr an das erinnern, was er aufgeschrieben hat. Er weiß noch, dass er das seltsam schmeckende Getränk von einem alten Schamanen bekommen hat.

„Wenn du unsere Kultur verstehen willst, dann darfst du nicht nur zugucken.“

Ein Durchbruch für das Vertrauensverhältnis. Er hat keine Wahl gehabt. Von da an ist alles bergab gegangen.

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