Читать книгу BOHÈME - Jonas Zauels - Страница 8
EINS
ОглавлениеFrankreich. Ausgerechnet Frankreich. Nein. Paris. Ausgerechnet Paris. Die Stadt der Liebe, der Einzigartigkeit, der Kunst und des Verlangens.
Der Nebel liegt schwer über dem Land, als das Flugzeug langsam schwankend aufsteigt. Eine kleine Bergkette ragt wie Eis aus dem dunklen Wasser der Wolken. Am Horizont leuchtet die aufgehende Sonne verhängnisvoll rot, während sich das warme Blut allmählich auf die Wolken verteilt. Auf der einen Seite ist noch Nacht, auf der anderen schon Tag.
Der Grund, warum ich in diesem Flieger sitze, ist mir eigentlich genauso fremd, wie die Menschen um mich herum. Ein fetter, bärtiger Mann sitzt zu meiner Rechten, eine schneeweiße Schönheit zu meiner Linken. Mit Fensterblick, selbstverständlich. Zusammengepfercht, zwischen dem Handgepäck der Frau und den Rettungsringen des Mannes wackele ich unruhig hin und her. Mein erster Flug. Überhaupt meine erste richtige Reise. Und dann gleich alleine. In eine fremde Stadt, mit einer fremden Kultur, so weit fort von allem Bekannten, von den wenigen Freunden, von der Familie, von den vertrauten Ecken und Vierteln der Heimat. So fern von allem, was ich jemals war und jemals vorgegeben habe zu sein.
Der Tag ist gerade erst geboren. Dunkle Wolken schieben sich über den Horizont, während das Flugzeug sich mit ohrenbetäubender Energie immer weiter gen Himmel zieht, als wäre es selbst aus Pappe. Leicht wie eine Feder, wie ein Vogel dem Himmel entgegenstrebend, scheinbar alle Naturgesetze aufhebend. Außerhalb jeglicher Schwerkraft, gleiten wir sanft tobend ins unendliche Schwarzblau, wie eine Hummel, die doch eigentlich viel zu fett fürs Fliegen ist.
Jetzt weiß niemand mehr, wer ich bin. Das trifft sich doch nicht schlecht, da ich mich in den letzten Wochen, oder schon viel länger, selbst nie recht gefunden habe.
„Man kann nicht wissen, wer man ist, ohne zu wissen, was man will”, hat meine Mutter immer zu sagen gepflegt.
So klar wie der Himmel, wie das Blau, wie das unerreichbar Fremde über unseren Köpfen, den Köpfen der Menschen, die ihre eigene Größe im Kosmos niemals verstehen mögen, so klar scheint auch die Erkenntnis des Unwissens über meine kleine, unbedeutende Person. Aber ja! Wer weiß das schon mit zarten neunzehn Jahren. Wer weiß da schon genau, wohin man geht und woher man kommt. Wer weiß da schon mehr mit sich anzufangen als über oberflächliche Probleme zu diskutieren, über andere Personen, über Vorlieben und Dinge, die man aus den verschiedensten Gründen nicht ausstehen kann. Über Hobbys, über das Aussehen. Über Musik, Make-Up und falsche Wimpern.
Ich sitze also hier. Quasi ohne Persönlichkeit. Oder vielmehr ohne gesehene Persönlichkeit. Ich habe natürlich eine. Eine wilde, junge, ungezähmte und leidenschaftliche Persönlichkeit. Ja. Nein. So sollte es vielleicht sein in meinem Alter. Ehrlich gesagt kann ich das nicht wirklich bestätigen oder überhaupt beurteilen. Damit ist jetzt Schluss. Sobald ich aus diesem Flugzeug aussteige, werde ich genau die Person sein, die ich sein will. Eine neue, eine erfundene, eine kreierte Persönlichkeit. Nicht gefesselt und gehemmt durch stetige Selbstzweifel, Unzulänglichkeiten und ewige Ängste. Ich werde ein neuer Mensch sein. Ich werde genau das sein, was ich mir vorstelle und genau das, was ich sein möchte.
Während dunkelweiße Nebelschwaden die Tragflächen des Flugzeuges scharf durchschneiden, erhebe ich mich, wie in Trance. Auf jede Höflichkeit verzichtend, dränge ich mich mit großem Kraftaufwand in die kaum eine Hand messende Lücke, zwischen dem fetten Mann und dem Vordersitz. Der Mann, kaum größer als ein Meter siebzig, doch ebenso breit, mit ungleichmäßig gestutztem Bart, unreiner Haut und amüsant geformtem Doppel- und Dreifachkinn, ist schon kurz nach dem Start in einen tiefen und laut schnaubenden Schlaf gefallen. Durch zwei Beine wie Ozeane schwimme ich endlich in den engen Gang, taste mich zwischen all den blöd aufguckenden Fluggästen, den schmalen Pfad entlang zur Toilette und schließe mich, tief durchatmend, in der Ein-Quadratmeter-Zelle ein.
Das kalte, standardgerechte Neonlicht verleiht eine unwirkliche Atmosphäre. Mit einer Nagelschere, die ziemlich mutwillig im Handgepäck gelandet ist, trete ich meinem Spiegelbild entgegen. Ein mageres Gesicht, umhüllt von langem, schwarzem, unkontrollierbar gewelltem Haar und hellen blauen Augen, erwidert entschlossen meinen musternden Blick.
Genauso verlasse ich die kleine Kabine wieder. Nur ohne meine Haare. Die sind ungleichmäßig kurzgeschoren und fliegen in diesem Moment durch die Wolken, weit verstreut über den Ozean. So stelle ich es mir zumindest vor. Was leicht klingt, hat gefühlte Stunden gedauert, und ich habe es bereits nach dem ersten Schnitt bereut. Da ist es schon zu spät gewesen.
Vor der Tür wartet eine alte Frau, grimmig dreinblickend. Ich dränge mich mit gesenktem Kopf an ihr vorbei.
Der Mann schläft noch immer. Laut schnaubend, als würde er schlecht Luft bekommen. Die Schönheit zu meiner Linken blickt mich kurz entgeistert an, wendet sich jedoch gleich wieder ihren eigenen Problemen und dem kleinen Fenster mit der wunderschönen Aussicht auf den Horizont des Wolkenmeeres zu.
„Fliegst du nach Paris?“
„Alle hier fliegen nach Paris“, gibt sie nach einem nicht zu überhörenden Seufzer zurück und würdigt mich keines weiteren Blickes.
Blöde Frage, ich gebs ja zu. Das Fliegen nervt mich schon jetzt. Ich habe keinen Platz, keine gute Sicht. Meine Sitznachbarn sind genervt oder komatös. Ständig kommen Stewardessen vorbei, um Getränke oder Zeitschriften zu verteilen. Beim fünften Mal nehme ich eine Cola. Nicht, weil ich Durst habe. Ich mag Cola nicht einmal. Die ganze Zeit etwas anzubieten, ohne dass jemand darauf reagiert – und dann auch noch in dem Outfit – muss schrecklich sein. Die junge Frau beugt sich mit dem Getränk, ich mich mit dem Geld so weit als möglich über den schlafenden Mann. Wir treffen uns in der Mitte, beide sehr darum bemüht zu lächeln. Unsere Arme sind bei dem Koloss keinen Zentimeter zu kurz.
Ich stelle die Cola vor meinen unbeirrt schnaubenden Nachbarn und mache die Augen zu. Schlafen kann ich nicht, doch erlaubt es mir die Illusion, alleine zu sein.
In meinem Kopf gehe ich den Plan durch, den mein Vater mir zurechtgelegt hat. Einen Monat habe ich in einer Gastfamilie Zeit, um mich einzugewöhnen, eine Wohnung zu finden, einen Job. Dann soll ich studieren. Dort hätte ich bessere Chancen. Keine Ahnung, ob ich das überhaupt will. Ich weiß ja generell nicht, was ich will. Etwas anderes natürlich – das ist klar.
Ich stelle mir eine junge, schöne Frau mit kurzgeschorenen Haaren vor, interessiert an Kunst, Literatur und Musik. Modernes Zeug, das, was die Klassik verstören würde. Formen, Farben, Gebilde. Stets ein passendes Zitat auf den Lippen. Keine Zitate! Die kann ich mir nie merken. Ein leichter Hang zum Alkohol, für die Inspiration. Nur Sekt, besser: Schnaps für die Figur. Modisch gekleidet. Nicht im klassischen Sinne, versteht sich. Experimentell und unheimlich individuell. Sport ist wichtig, wird aber nicht thematisiert. Proleten mag niemand. Kunststudium oder so. Viele oberflächliche Beziehungen zu allerlei Menschen, doch nur wenige ausgewählte Freunde.
Ich schlage die Augen auf, unterdrücke einen leichten Würgereiz. Ob er von der Vorstellung kommt oder von dem Luftloch, in das das Flugzeug hereingeflogen ist, kann ich nicht beurteilen. Die Cola steht wieder vor mir. Leer. Der dicke Mann schläft noch immer – oder wieder –, und auch die grimmige Schönheit hat ihre rosarote Schlafmaske aufgesetzt.
„Ist mir recht“, sage ich zu mir selbst und viel zu laut. Die ältere Dame von vorhin sitzt auf der anderen Flurseite und guckt mich blöd an. Ich gucke blöd zurück, dann wieder gegen den grauen Stuhlrücken vor mir, wo der allgemeinen Beruhigung wegen der Notfallplan hängt. Ich streiche mir über die Stoppeln auf meinem Kopf. Ein ungewohntes Gefühl. Am liebsten würde ich mir meine Kleidung gleich mit vom Körper reißen. Das muss noch etwas warten. Ich will alles, was ich bin, hinter mir lassen. Was hätte es auch sonst für einen Sinn, dorthin zu gehen, wo einen niemand kennt?
Das Dröhnen und Rauschen der Sprechanlage reißt mich unsanft aus dem Schlaf. Mein Kopf liegt angelehnt auf den weichen Schultern des dicken Mannes, der wohl schon länger wach ist.
„Tschuldigung“, nuschle ich in mich hinein und wische mir angetrocknete Spucke von der Wange. Der Mann blickt mich halb entgeistert, halb bemitleidend an; ich schenke ihm ein gequältes Lächeln.
„Bitte hinsetzen und die Gurte anlegen, wir befinden uns im Landeanflug“, schallt es fast unverständlich durch den Lautsprecher. Dann noch einmal auf Englisch und noch ein weiteres Mal auf Französisch. Ein scheinbar taubstummer Mann mittleren Alters mit langen Koteletten steht nach wie vor im Gang und wird überfreundlich zweisprachig von einer Stewardess zum Hinsetzen aufgefordert.
Jetzt ist es gleich soweit. Ich stelle mir meine clichéhaft französische Gastfamilie vor, wie sie mit fünf Kindern, Luftballons und einem großen Schild mit Felicia am Ausgang steht und auf mich wartet.
Ich freue mich so hier zu sein, ich habe ja schon so viel Schönes über Paris gehört, lege ich mir meinen ersten Satz zurecht.
„Flugangst?“, fragt mich der Dicke, der merkt, wie ich unruhig auf dem Stuhl hin und her rutsche.
Eher Angst vor dem, was nach dem Flug auf mich zukommt, denke ich und antworte: „Ja, ein bisschen.“
Er drückt mir eine kleine Plastikflasche Wodka in die Hand, so eine, die es in den Hotel-Minibars immer gibt und versucht seinen Bauch einzuziehen, um den Gurt zu schließen. Der Schnaps schmeckt fürchterlich; ihn nicht zu trinken wäre unhöflich. Ich merke, wie ich mich nach ein paar Minuten beruhige. Ob das am Alkohol liegt oder dem wachsenden Bewusstsein, dass ich mich mit meinem Schicksal schon abgefunden habe, als ich in dieses Flugzeug eingestiegen bin, kann ich nicht sagen.
Die Landung ist holprig. Das ganze Flugzeug klappert, und der Mann nimmt irgendwann meine Hand, um mich oder sich selbst zu besänftigen. Ich lasse es über mich ergehen, bis wir mit einem harten Ruck und quietschenden Reifen aufsetzen. Ein paar Passagiere klatschen, während ich mich schon luftanhaltend an dem Dicken vorbei in den Gang quetsche.
Endlich am Ausgang angelangt, halte ich zuerst nach Luftballons Ausschau, dann nach einem Schild mit meinem Namen und dann nach einer Familie mit fünf Kindern. Niemand wartet auf mich. Provokant stelle ich mich in die Mitte, sodass mich jeder sehen kann. Die weiße Schönheit wird von einem noch schöneren, braungebrannten Latino mit süßem Akzent und einem kleinen Strauß Lilien empfangen. Der Dicke wird von einer, im Gegensatz zu ihm geradezu schmächtig wirkenden Frau und einem kleinen Mädchen – vielleicht fünf oder sechs Jahre alt – begrüßt und herzlich in die Arme geschlossen. Selbst ein bärtiger Wilder – oder vielleicht doch ein Obdachloser – schreitet elegant, auf jeden Fall entschlossen, auf sein Ziel zu.
Nach und nach strömen alle bekannten und unbekannten Gesichter aus unerschöpflich landenden Flugzeugen an mir vorbei in die offenen Arme von Verwandten und Bekannten.
Es ist mitten in der Nacht. Ich bin genervt. Ich setze mich auf einen dieser unbequemen Flughafenstühle mit den harten Lehnen und blicke mich suchend um.
Es vergeht über eine Stunde, in der ich auf den verschiedensten Sprachen nach den verschiedensten Sachen gefragt werde, doch nicht einer ist dabei, der mich mitnehmen will. Wie ein ungeliebter Hund im Tierheim sitze ich auf meinem Stuhl und warte.
Als ich gerade gehen will – wohin, weiß ich selbst nicht genau –, erblicke ich einen zerstreuten, so gar nicht französisch aussehenden Mann, der hereingeflogen kommt und gleichzeitig etwas auf ein Stück Pappe schreibt. Ein letzter Hoffnungsschimmer glüht in mir auf, doch als der Mann das Schild unsicher herumwedelnd vor sich hält und suchend um sich blickt, lese ich, in undeutlichen Lettern geschrieben: Florence.
„Immerhin nah dran“, sage ich leise zu mir selbst und seufze. Ich packe mir meine Tasche auf den Rücken und gehe mit leicht gesenktem Kopf Richtung Tür.
„Mademoiselle, Mademoiselle, so warten Sie doch!“, hallt es mir in einem indischen Akzent nach. Unsicher drehe ich mich um und sehe, wie der Mann mit dem Schild freudestrahlend auf mich zugelaufen kommt. Ich weiß nicht, ob ich weglaufen oder schreien soll und bleibe aus Unschlüssigkeit bewegungslos stehen.
„Mademoiselle Florence? Ich soll Sie abholen. Zu Besuch bei Familie Dupont, Florence Fontaine richtig?“
„Florence?“
Er streckt mir etwas stolz, etwas unschlüssig sein Schild entgegen. Dabei scheint es mir recht verwunderlich, dass er ausgerechnet mich zu erkennen glaubt, obwohl ich doch ganz anders aussehe als die anderen. Trotzdem bin ich erleichtert, auch, wenn ich weder Florence noch Fontaine heiße, noch zu irgendeiner Familie Dü-irgenwas will.
„Ja, Florence natürlich, das bin ich“, sage ich zögerlich.
„Ja, ganz offensichtlich, kommen Sie, ich nehme Ihr Gepäck, mein Taxi steht gleich da vorne.“
Ich rede mir ein, dass Florence zu früh angekommen ist und jetzt als Felicia herumläuft und steige ein bisschen zu bereitwillig in das fremde Taxi.
„Ein Familienbesuch, ja? Tolle Stadt, viele Eindrücke. Wirklich toll“, erzählt mein Taxifahrer.
„Ich freue mich so, hier zu sein, ich habe ja schon so viel Schönes über Paris gehört“, rattere ich den zurechtgelegten Satz herunter. Danach schweigen wir beide.
Die Fahrt dauert zwanzig Minuten. Obwohl es mitten in der Nacht ist, stecken wir ständig im Verkehr fest. Wir fahren schließlich eine lange, gewundene Auffahrt entlang und halten vor einem imposanten Gebäude. Der Taxifahrer bemüht sich, mir gleichzeitig die Tür aufzuhalten und mein Gepäck aus dem Kofferraum zu hieven. Ich bedanke mich freundlich und bin mir nicht sicher, ob ich etwas bezahlen muss oder ein Trinkgeld angemessen wäre. Deshalb drücke ich ihm ein Snickers in die Hand, das ich noch von der Reise übrig habe und drehe mich schnell in Richtung Haus. Überwältigt von dem Anblick der prächtigen Stadtvilla, die von einem weitläufigen Park umringt, mitten in Paris liegen muss, merke ich gar nicht, wie das Taxi langsam davonfährt und ich ganz alleine mit meiner Tasche im Dunklen zurückbleibe.
„Verdammt, Florence, du hast es ja mal richtig gut getroffen.“
Sommerwarm hängt die Luft über dem Anwesen, jagt mir leichte Schauer über den Rücken. Es dauert einige Minuten, bis ich mich traue, auf das weißsteinige Ungetüm zuzugehen. Vorsichtig steige ich die breiten Treppenstufen hinauf und erkenne über der Tür ein goldenes Schild mit der Aufschrift: Villa Dupont.
Zaghaft drücke ich auf das ebenso beschriftete, ebenso goldene Klingelschild und höre aus dem Inneren heraus eine weiche, tiefe Glocke läuten. Fast unmittelbar erhellen sich die großen Fenster und eine recht betagte Frau, ganz in schwarz gekleidet, mit ordentlich hochgestecktem Haar, öffnet mir die großen Türflügel.
„Madame Dupont?“, bringe ich unsicher über die Lippen, überzeugt davon, direkt wieder abgewiesen zu werden. Es ist mir äußerst unangenehm, mitten in der Nacht eine so vornehme Familie zu stören.
„Aber nein, nicht doch. Ich bin Marguerite, die Haushälterin. Die Herren und Damen Dupont schlafen bereits. Mademoiselle Fontaine, willkommen in der Villa Dupont. Ihr Gästezimmer ist bereits angerichtet“, bittet sie mich zu meiner Überraschung hinein. Für einen kurzen Augenblick denke ich, dass ich hier vielleicht doch richtig bin.
„Danke, ich wollte auch niemanden so spät wecken.“
„Aber nein, in den Schlafzimmern hört man die Klingel ja nicht. Folgen Sie mir bitte.“
Durch etliche Gänge und Flure, nach rechts und links, eine Treppe hinauf, durch große hölzerne Torflügel, vorbei an goldgerahmten Bildern und Statuen von vorwiegend antiken, nackten Männern gelangen wir endlich zu einer vergleichsweise unscheinbar wirkenden Türe.
„Hier ist es. Sollten Sie noch etwas benötigen, geben Sie einfach Bescheid. Frühstück gibt es morgen um acht Uhr, ich wünsche eine gute Nacht.“
„Danke“, presse ich überwältigt heraus und blicke der emsigen Frau hinterher.
Hinter der Türe befindet sich nicht das, was man gemeinhin unter Gästezimmer verstehen würde. Hinter der Türe wartet ein ganzes Appartement, bestehend aus einem Schlafzimmer, einem begehbaren Kleiderschrank, einem weiß strahlenden Badezimmer, das für sich genommen schon größer ist, als mein Zimmer zuhause, und nicht zuletzt einem Balkon mit Sicht auf den Park.
Ich hänge meine zwei Sweater, meine drei Shirts und zwei Blusen ordentlich in dem Kleiderschrank-Zimmer auf, blicke auf die übrigen dreiundneunzig leeren Kleiderbügel und schüttle belustigt den Kopf. In der Wellness-Oase aus weißem Keramik lasse ich heißes Wasser in die viel zu große Badewanne ein und kippe Unmengen duftender Öle und Seifen hinterher, bis sich große, leise knisternde Schaumburgen aufbauen. Vorsichtig gleite ich durch die Blasen in das heiße Wasser, merke, wie mein, durch die Reise verspannter Körper, sich langsam erholt. Benebelt, sinke ich immer tiefer hinein und schließe meine Augen. Man hört nichts, außer das unregelmäßige Ploppen der kleinen Schaumblasen. Ich fühle mich unwillkürlich in das 18. Jahrhundert zurückversetzt. Der Park, das Haus, die Gemälde und Statuen. Alleine die pedantische Haushälterin.
Florence. Ja: daran könnte ich mich gewöhnen. Ein schöner Name. Ein schönes Haus. Ein schönes Bad. Alles in mir befreit sich, löst sich auf, bis nichts mehr da ist. Mein Körper – verschwunden. Mein Geist treibt ohne Ziel durch den warmen Keramiksee.