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Restaurant Marcos, Cala Pi

29. April 2017, vormittags

In den folgenden Wochen nahm Renners Gaststätte immer mehr Gestalt an. Er war wie ein Verrückter im Restaurant umhergerannt, hatte Handwerker angetrieben, die Bedienung angeschnauzt und die Abzugshaube eigenhändig montiert. Der Zeitplan war verflucht knapp, aber jetzt fehlten nur noch letzte Details – die irdenen Steingutschälchen, die als Teller dienen sollten, waren noch nicht aus Palma eingetroffen. Nach einem kurzen Telefonat, bei dem Renner in den Hörer brüllte, beschloss er, das Geschirr selber in Palma abzuholen. Die ersten Gäste kamen schon übermorgen, da wollte er nicht ohne Geschirr da stehen. Er hatte sowieso das Gefühl, mal wieder Stadtluft schnuppern zu müssen, und musste dringend etwas durchatmen, bevor die Saison anfing. Er würde noch einen kurzen Spaziergang durch Cala Pi machen und dann nach Palma aufbrechen. Renner ging durch die Villensiedlung, passierte ein niedriges, höchstens zweistöckiges, helles Haus nach dem anderen und erreichte schließlich die „Innenstadt“. Als er zum wiederholten Mal an dem Aztekenmuseum vorbeikam, beschloss er kurzerhand einen Blick hineinzuwerfen. Die Azteken hatten ihn als Kind schon fasziniert, auch wenn er nicht ganz verstand, was die hier auf Mallorca zu suchen hatten.

Das Museum verdiente den Namen eigentlich nicht, wie er feststellen musste, als er den Eingang durchschritt. Ein einzelnes Zimmer mit lauter handgefertigten Schautafeln, eine Vitrine mit einer seltsamen Figur darin: Körperstatur und Bemalung sprachen für einen Azteken, aber statt dem typischen Federschmuck, trug der junge Indio Schilfrohre auf dem Kopf. Auf der Brust trug er ein dreieckiges, blaues Symbol, das ein wenig aussah wie ein stilisiertes Diadem.

Renner zuckte zusammen, als eine Stimme aus dem Hintergrund ertönte: „Sie fragen sich bestimmt, was der Azteke in Cala Pi sucht?“ Hinter einem Vorhang aus Holzperlen war eine farbenfroh gekleidete, junge Frau getreten. Vielleicht Mitte zwanzig, schätze er. Ihr ungewöhnlich exotisches Gesicht war fein gezeichnet, wies zwei leicht vorspringende Wangenknochen auf und war von vielen kleinen und großen Sommersprossen übersät. In den Augenwinkeln waren leichte Lachfältchen angedeutet, die ein paar tiefgrüner Augen einrahmten. Die schwarzhaarige, hochgewachsene Frau trug ein rotes Kopftuch zu ihrem blau-grün-rot gemusterten Kleid und jede Menge bunter Glasperlen um den Hals. Er lachte und sagte: „Ja, allerdings.“

Die Frau dozierte: „Die Azteken waren ein Indio-Volk aus Südamerika, die im heutigen Mexico lebten und noch heute tief verwoben mit der Identität des Landes waren. Selbst der Name des Landes stammte vom Eigennamen der Azteken ,Mexica‘ ab.“

„Soweit bin ich auch im Bilde. Ich kenne die Geschichte von Cortes, dem spanischen Eroberer, der einen der bedeutendsten Azteken-Herrscher, Moctezuma, besiegte.“ Renner erinnerte sich daran, wie er seinem Vater mit leichtem Gruseln, bei dessen Erzählungen über die brutalen Eroberungsfeldzüge der Spanier gelauscht hatte. Die Frau ging stumm im Kreis um ihn herum, so als wolle sie ihn von allen Seiten begutachten. Das irritierte Renner etwas, er versuchte, sie zum Sprechen zu bewegen: „Was hat es denn mit dem Azteken auf sich? Hat der sich verlaufen?“, fragte er irritiert. Die Frau ging zu der Figur im Schaukasten in der Mitte und zeigte ein Bild, das dort befestigt war. „Das ist die Blutfinca, die letzte Station des letzten Sohnes von Moctezuma. Der Prinz kam als Sklave hierher, er war der Besitz eines spanischen Konquistadors, der sich auf seinem zu Unrecht erworbenen Gut niederließ.“

„Was wurde dann aus dem Azteken?“

„Er stürzte sich von den westlichen Steilklippen im Torrent de Cala Pi, nachdem er den Spanier getötet hatte.“

Renner sah die Frau an: „Das ist ja eine tragische Geschichte. Wo kann man denn das nachlesen?“

Die Frau ging leichtfüßig zu ihm herüber und stand noch knapp eine Nasenspitze von ihm entfernt vor ihm. „Das wurde von Generation zu Generation in unserer Familie weitergegeben.“

Renner bemühte sich, ungerührt dreinzublicken. Die Frau duftete nach Oleander, ihr tief ausgeschnittenes Kleid zeigte ein beeindruckendes Dekolleté in einem dunklen Hautton, den Renner noch nie gesehen hatte. So nahe war ihm seit langer Zeit keine Frau mehr gekommen – genau genommen niemand mehr, seit seiner Scheidung von seiner Ex-Frau Sabine. Er räusperte sich: „Und woher kommt die Figur?“

„Die wurde von einem Künstler aus Llucmayor in den frühen Siebzigern geschaffen. Anhand von Beschreibungen meiner Großmutter, die den Azteken immer wieder auf der Klippe erscheinen sah.“ Sie musterte ihn nachdenklich und fragte dann wie aus heiterem Himmel: „

Wie heißen Sie?“

„ Marc“, sagte er, ohne lange nachzudenken.

Die Frau ergriff seine Hand und sagte: „Ich bin Maria.“ Ihre Hand war trocken und warm und während sie mit dem Finger auf seiner Handfläche entlangfuhr, strengte Renner sich an, den Blick auf ihren Finger zu richten. Die Berührung war seltsam intim, irgendetwas zog ihn an dieser Frau an, während sie ihn gleichzeitig massiv irritierte.

„Normalerweise bezahlen die Besucher hier entweder den Eintritt oder dafür, dass ich ihnen aus der Hand lese.“

Renner wollte nicht unhöflich sein, aber ein skeptisches Schnauben konnte er sich dann doch nicht verkneifen. Der pensionierte Kriminalbeamte wurde in ihm wach und witterte Humbug. Maria lächelte und Renner ließ sich unfreiwillig von ihrem Lachen gefangen nehmen. So kitschig das auch klingen mochte, aber wenn diese Frau lächelte, wurde ihm warm ums Herz.

„Sie müssen nicht an das Schicksal glauben, das Schicksal kommt auch ohne Sie zurecht. Und für Sie mache ich heute eine Ausnahme, Sie bekommen mich gratis.“

Langsam geriet Renner etwas aus der Fassung. Er wusste nicht recht, ob das jetzt eine Anspielung sein sollte. Seine Flirtkünste waren ziemlich eingerostet. Bevor er sich eine witzige Antwort darauf einfallen lassen konnte, stieß Maria einen spitzen Schrei aus. Sie ließ seine Hand blitzartig los und wich zurück.

„Raus. Weg. Bitte gehen Sie! Sofort!“

Renner wusste nicht recht, wie er sich verhalten sollte. Die Stimmung war blitzartig umgeschlagen. Er wollte noch etwas sagen, aber Maria kreischte hysterisch: „Hinaus!“, und schlug mehrfach ein Kreuz in der Luft. Verwirrt stolperte er hinaus. Draußen schüttelte er sich kurz und versuchte den Oleanderduft zu vergessen, der noch hartnäckig in seiner Nase feststeckte. Dann zuckte er mit den Achseln. Das Museum würde er wohl besser nur als Kuriosum erwähnen und vor der seltsamen, wenn auch schönen Frau im Inneren höflich warnen.

Die Blutfinca

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