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Am Strand von Cala Pi

30. April 2017, vormittags

Am nächsten Morgen fuhr Renner entgegen seiner Gewohnheiten nicht mit dem Rad, sondern mit dem Auto zur Bucht und parkte den Wagen oberhalb des Strandes. Dann nahm er einen unhandlichen und schweren Karton in die Hand und stieg vorsichtig balancierend die 147 Stufen bis zum Strand hinunter und lief geradewegs auf Frangelicos Strandbar zu. Als er an den Plastikstühlen und Sonnenschirmen vorbeiging und erleichtert den Tresen ansteuerte, rannte er direkt in eine Frau. Beide stürzten auf den Boden, Renner stützte sich gerade noch mit der Hand ab, während die Frau wie in einer Slapstick-Komödie mit einem weithin vernehmbaren „Rumms“ auf dem Hintern landete und einige Milch-Packungen aus dem hohen Karton abbekam. Frangelico kam aus seiner Bude heraus und wollte helfen, aber die Frau, eine großgewachsene Mittvierzigerin mit langen, brünetten Haaren, hatte sich schon wieder aufgerichtet und klopfte sich den Hintern ab. Die Frau sagte lachend: „Als Milchlieferant sind Sie aber nicht sehr gut.“

„Na, dann bin ich ja froh, dass ich Gastronom bin, nicht Milchlieferant. Ist alles okay bei Ihnen?“

Die Frau nickte und warf ihm einen amüsierten Blick aus ihren funkelnden, braunen Augen zu. Renners Blick blieb an ihr hängen, fasziniert stellte er fest, dass die braunen Augen mit grünen Farbsprenkeln übersät waren.

„Ja, aber wenn Sie mich das nächste Mal flachlegen wollen, zahlen Sie mir vorher einen Drink.“ Sie schlug sich entsetzt die Hände vor den Mund. „Oh Gott, habe ich das wirklich gesagt? Ich klinge ja wie eine fürchterliche Aufreißerin.“

„Wenn Sie sich besser fühlen, könnte ich Ihnen jetzt eine zotige Antwort liefern. Aber Sie müssten mir etwas Zeit zum Nachdenken lassen, das ist nicht gerade mein Spezialgebiet.“

Die hübsche Brünette lachte und winkte ab. „Es reicht ja, wenn ich aus der Rolle falle.“

„Renner, Marc Renner. Ich erwähne das sonst nicht, aber um einen Anstrich von Seriosität in diese Unterhaltung zu flechten: Ich bin pensionierter Kriminalbeamter.“

Renner wurde eine feingliedrige Hand entgegengestreckt, an der ein dezenter, silberner Ring mit einem elegant gefassten, rund geschliffenen Türkis steckte. „Lucy Körner. Und Sie sind schon pensioniert? Wieso denn das?“

Renner stockte kurz und sagte dann widerstrebend: „Ich wurde bei meinem letzten Einsatz verletzt. Und bin deshalb früher als geplant aus dem aktiven Dienst ausgeschieden.“ Und weil ich die Gewalt und den Tod nicht mehr ertragen habe, dachte er. Aber das war nichts, was man einer zufälligen Strandbekanntschaft gleich auf die Nase band.

Lucy schien zu spüren, dass Renner sich unbehaglich fühlte, denn sie wechselte schnell wieder das Thema.

„Also ich mache Urlaub hier. Und Sie betreiben eine Strandbar?“

Renner lachte, wuchtete die Milch auf den Tresen und zeigte auf den Barkeeper, der mittlerweile auch am Unfallort eingetroffen war und die Milchkartons aufsammelte. „Nein, das ist Frangelicos Bar. Ich bringe ihm nur laktosefreie Milch, damit ich hier meinen Café con Leche oder meinen Eiskaffee trinken kann. Als ich vor Wochen das erste Mal hier war, gab es weder Soja noch laktosefreie Milch. Also habe ich angefangen, selbst welche anzuschleppen. Im Gegenzug berechnet mein Kollege mir den Kaffee nicht.“ Irgendwie war ihm die Frau sympathisch, er wollte sich gerne weiter mit ihr unterhalten. „Darf ich Sie auf einen Kaffee einladen, um den Schrecken zu überwinden?“ Renner freute sich, als Lucy ohne zu zögern zustimmte und seiner einladenden Geste zu einem nahegelegenen Plastiktisch folgte. Ein verrückter Tag war das. Da begegnete er innerhalb von kürzester Zeit zwei sehr attraktiven Frauen, die eine brüllte ihn an und die andere trank jetzt Kaffee mit ihm.

„Also, wenn das hier nicht Ihre Bar ist, was machen Sie denn dann?“

„Ich erfülle mir einen alten Jugendtraum und eröffne ein Restaurant. Außerdem habe ich noch ein paar Fremdenzimmer.“

„Dann kochen Sie sehr gerne?“

„Im Prinzip schon, aber ich habe einen einheimischen Koch. Ich werde höchstens mal ein deutsches Gericht zubereiten, für die Touristen.“

„Was macht dann Ihren Jugendtraum aus, wenn nicht das Kochen?“ Lucy lehnte sich zurück und spielte etwas mit ihrem brünetten Haar. Sie drehte es zu einer Locke auf.

„Sie sind scharfsinnig“, sagte er leicht fasziniert und stellte innerlich fest, dass sie direkt auf den Kern der Sache zusteuerte. Und stellte sich unwillkürlich die Frage, ob sie wohl verheiratet war. Er wunderte sich über den Gedanken, das war nicht seine Art.

„Ich mag das Gefühl, ein guter Gastgeber zu sein. Ich liebe den Gedanken, dass ich meinen Gästen eine Auszeit aus dem Alltag ermögliche. So kann ich zumindest einen kleinen Teil dazu beitragen, die Welt wenigstens für ein paar Stunden besser zu machen.“

Lucy beugte sich etwas vor und berührte seine Hand. „Das scheint Ihnen extrem wichtig zu sein. Die Welt ein wenig besser zu machen?“

Renner verlor ein wenig die Fassung, es war, als würde sie ihm in die Seele blicken. „Sind Sie alleine hier?“, rutschte es ihm heraus.

„Na, im Moment sitze ich hier mit Ihnen am Tisch.“ Lucy pustete eine Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte ihn schelmisch an. „Es wartet aber kein eifersüchtiger Ehemann auf mich, wenn Sie das wissen wollten.“

Renner räusperte sich. „Ich stelle mich nicht besonders geschickt an, oder?“

„Nein, das machst du nicht, Marc.“

Hatte Sie ihn gerade geduzt? Ein prüfender Blick in ihre schelmisch lächelnden Augen genügte. Er lachte verlegen und beschloss, sie auch zu duzen. Und stellte fest, dass er seinen Namen gerne öfter aus ihrem Mund hören wollte. Er nahm seinen Mut zusammen und sagte: „Dafür bin ich aber als Fremdenführer recht geschickt.“ Er zog einen zerknitterten Flyer aus der Hosentasche. „Das ist das Infoblatt für meine Gäste, mit den wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Region. Wenn du Lust hast, können wir uns einige davon ansehen.“

Sie schwieg kurz und schaute ihn an. Dann lächelte sie. „Ja, wieso eigentlich nicht.“

Nach einem langen Nachmittag, der zuerst in die kleine örtliche Kirche Nostra Senyora dels Angels führte, dann in die Bronzezeitsiedlung Capocorb Vell und schließlich mit einem Ausflug auf einem kleinen Motorboot zum Naturschutzgebiet auf den Inseln Cabrera, die südlich vor Cala Pi lagen, hing Lucy an Renners Arm und war hin und weg, sowohl von ihm als auch vom Ausflugsprogramm. Das Cabrera-Archipel tat sein Bestes, um einen unvergesslichen Tag zu liefern. Nach einer kurzen Stippvisite in der historischen Burgruine, von deren Mauern Renner und Lucy einen wunderbaren Blick auf das tiefblaue Meer und die Inseln hatten, standen sie mit einem Eiskaffee vor dem winzigen Besucherzentrum.

„Lucy, psst! Schau mal!“ Renner deutete auf einen kleinen schwarzen Salamander, der über eine Mauer huschte und in der struppigen Vegetation verschwand.

„Ob der Glück bringt?“ Lucy lachte, was zwei winzige Grübchen offenbarte, wie Renner fasziniert bemerkte.

„Ich fürchte, eher nicht, jedenfalls kommt ausgerechnet jetzt unser Taxi nach Hause.“ Renner deutete auf das Motorboot, das gerade angelegt hatte. „Ich hatte gehofft, wir sehen noch Delfine oder einen Finnwal. Die sollen sich hier gelegentlich blicken lassen.“

Lucy legte ihre Hand auf seinen Arm und sagte: „Der Tag war so schon unvergesslich.“ Sie trat einen Schritt näher. Renner wurde nervös. Lucy neigte sich zu ihm und ihre Lippen trafen sich. Nach einem kurzen, vorsichtigen Kuss stiegen sie ins Boot. Lucy legte ihren Kopf auf seine Schulter und sagte leise: „Lass uns zu dir gehen. Ich möchte deinen sagenhaften Koch in Aktion erleben.“ Lucy küsste ihn erneut. Diesmal ein klein wenig länger.

Der Abend ging schnell zu Ende. Santos hatte das Restaurant in seiner Abwesenheit geschmissen, den treuen Koch hatte er vor einer Stunde nach Hause geschickt, als der letzte Gast ging.

Renner ging mit beschwingten Schritten zum Turm, eine Flasche Cerveza Nau, von den deutschen Hausbrauern in Santa Maria del Cami, unter dem Arm geklemmt. Einen so schönen Abend hatte er lange nicht mehr gehabt. Ihre fröhliche und frische Natur hatte die manchmal leicht depressive Grundstimmung seiner selbstgewählten Einsamkeit durchbrochen. Zum ersten Mal seit Jahren war ihm wieder eine Frau sehr nahe gekommen. Vor fünfzehn Minuten war Lucy ins Hotel aufgebrochen, sie hatte entschuldigend die Hände gehoben und um Nachsicht gebeten. „Ich alte Jungfer brauche einfach noch meinen persönlichen Freiraum. Zumindest bis ich mich wieder an einen Mann an meiner Seite gewöhnt habe.“ Der letzte Satz hatte Renner geradezu in Hochstimmung versetzt. Er konnte es sich wirklich vorstellen, Lucy bei sich zu haben. Einmal kräftig durchatmen wäre jetzt sicher eine gute Idee, um einen kühlen Kopf zu bewahren. Gar nicht leicht, er spürte noch den Geschmack ihrer Lippen. Und hatte den leidenschaftlichen Abschiedskuss noch deutlich vor Augen. Er setzte sich vor den Turm und schaute glücklich auf das weite, blaue Meer hinaus. Die Hitze prallte fast wirkungslos an ihm ab, der Schatten der Kiefern um ihn herum und die steife Brise vom Meer kühlten ihn zusätzlich ab. Es war fast 22 Uhr. Als er seinen Blick von der Sonne abwandte, die schon fast im Meer versunken war und dabei den ganzen Horizont in Brand zu setzen schien, streifte sein Blick die gegenüberliegende Steilküste. Dort stand jemand. Hochaufgerichtet, direkt an der Steilküste. Renner stand wie hypnotisiert auf und ging bis an den Rand des Abgrunds. Die Gestalt auf der Klippe trug etwas, das aussah wie ein Kopfschmuck. Als Renner blinzelte, verschwand die Gestalt plötzlich wieder. Ein leichtes Frösteln überkam ihn und irgendwie fühlte er sich auf einmal sehr unbehaglich.

Die Blutfinca

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