Читать книгу Die Blutfinca - Jorge de la Piscina - Страница 13

Оглавление

Am Strand von Cala Pi

1. Mai 2017, vormittags

Die Frau schrie. Laut, grell und gellend. Sie stand am Strand und schrie ohne aufzuhören. Immer und immer wieder. Überall unter den Strohschirmen am Strand drehten sich die Köpfe, um zu sehen, was passiert war. Einige junge Männer waren in die Richtung der Frau geeilt, um zu helfen. Der Strand war nur fünfzig Meter breit, aber rund hundert Meter lang. Als der erste Mann bei der Frau eintraf, verharrte er kurz bei ihr, dann drehte er sich blitzartig weg, erbrach sich würgend und fiel auf die Knie. Dann robbte er von der Stelle weg. Ein weiterer näherte sich vorsichtig, dann wandte er erbleichend das Gesicht ab. Der Anblick war zu grausig. Ein unförmiger Körper, über und über mit Blut bedeckt und kaum noch als Mensch zu identifizieren. Einzig die langen Haare deuteten darauf hin, dass es sich einmal um eine Frau gehandelt haben musste. Der Mann brüllte in Richtung Strand: „Miriam, ruf sofort die Polizei. Hier liegt eine Tote.“ Und bring mir die Decke. Seine Freundin kam angerannt und brachte eine Decke, das Mobiltelefon dabei an das Ohr pressend. „Geh ein Glas Wasser holen. Und schau hier bloß nicht her!“ Der blonde Mann nahm mit sanfter Gewalt die schreiende Frau an den Schultern und rüttelte sie etwas. Er sprach mit ruhiger Stimme auf sie ein und drehte sie weg von der Leiche und hüllte die zitternde Frau in die Decke ein. Ihr Gesicht war bleich wie der Tod, die schwarzen, nassen Haare hingen ihr wirr in die Stirn. Der Blonde hielt die nächsten Touristen auf, die an ihnen vorbeilaufen wollten. Er herrschte sie an: „Was denken Sie, was Sie da tun? Gehen Sie zurück.“ Die drei jungen Männer blieben verdutzt stehen. Einer der drei meinte vorlaut: „Was geht Sie das an?“ Der Blonde sagte: „Sie halten den Mund und bleiben, wo sie sind, bis die Polizei hier war. Sonst können Sie denen erklären, dass Sie hier den Tatort verunreinigt haben, dann verbringen Sie den Rest des Tages auf einem unklimatisierten Polizeirevier.“ Kleinlaut verzogen sich die Halbstarken wieder.

Als Comisario Arturo Miller eintraf und sein Auto parkte, war der Strand unter ihm schon die reinste Hollywoodkulisse. Die Guardia Civil ankerte in der Bucht mit einem Patrouillenboot, mehrere Zodiacs fuhren durch den Torrente de Cala Pi, setzten Taucher ab – und die Policia Local hatte den gesamten Strand geräumt und gesperrt.

„Ah, die Policia Nacional kommt, damit wir unfähigen Landeier, die Ermittlungen hier nicht versemmeln.“ Ein Mann in Zivilkleidung begrüßte den Neuankömmling spöttisch.

Der Comisario verdrehte die Augen. „Luca, erspar mir den Blödsinn. Du weißt so gut wie ich, dass ich vom Innenministerium hierhergeschickt wurde, weil ihr einen deutschen Pass bei der Leiche gefunden habt.“ Luca Péron, der örtliche Kriminalbeamte aus der Polizeiwache der Policia Local, reichte Arturo Miller zwinkernd die Hand. Der kleine, gedrungene Polizeibeamte war gut zwei Köpfe kleiner als der Comisario. Allerdings war Miller auch über zwei Meter groß. Und im Gegensatz zu Péron schlank und muskulös, der Dorfpolizist schien einen guten Appetit zu haben, er war eher dick und gemächlich – hatte aber dafür einen gesunden Humor. Die beiden gingen die Stufen zum Strand hinunter, Péron schnappte sich von einem Stapel am Boden zwei Einwegoveralls, reichte einen Arturo, dann hob er die Absperrung hoch und beide stapften durch den Sand zum Fundort der Leiche. „Was wisst ihr denn bisher, Luca?“

„Der Todeszeitpunkt ist irgendwo zwischen 0 und 6 Uhr angesiedelt. Glücklicherweise war es gestern so heiß, das der Gerichtsmediziner die Körpertemperatur als Anhaltspunkt nehmen konnte.“

Arturo brummte nur, ging die letzten Schritte zur Fundstelle und sagte: „Dann schauen wir uns die Bescherung mal an.“ Er biss sich auf die Lippe und sagte mit gepresster Stimme: „Heilige Mutter Gottes, so etwas habe ich noch nicht gesehen. Was bei allen Heiligen ist das?“ Dann ließ er sich in die Hocke hinab und schaute sich das Opfer an. Der Gerichtsmediziner aus dem nahegelegenen Städtchen Llucmayor drehte sich um, schaute kurz auf die Abzeichen auf Arturos Schultern, und sagte: „Üble Sache, Comisario. Dem Opfer ist die Haut chirurgisch entfernt worden.“

Péron schluckte. „Vollständig?“

Der Mediziner nickte stumm und stützte die Hände an seinem weißen Overall ab, an dem schon kleine Blutspuren zu sehen waren. Dann deutete er auf den nassen Sand um das Opfer herum. „Es wird noch seltsamer, hier ist keinerlei Blut.“

„Naja, dann wurde das Opfer woanders getötet, das ist doch nicht ungewöhnlich.“, meinte Arturo.

„Sie missverstehen mich, hier ist nicht zu wenig Blut, hier ist gar keines. Das Opfer ist blutleer.“ Vorsichtig kniete sich der Akademiker in den Sand und deutete in die Richtung des Halses. „Es ist schwer zu sehen, aber ich habe eindeutig einen Schnitt in der Kehle identifiziert. Das Opfer wurde ausgeblutet.“

„Gibt es irgendwo zwei Einstichlöcher?“

„Das ist nicht witzig, Comisario“, murmelte der Rechtsmediziner, „das war kein Vampir. Die Frau wurde vermutlich über Kopf aufgehängt und dann direkt geschächtet.“

„Lebendig?“

„Der Schnitt ist ante mortem.“

Péron stammelte: „Sie wollen mir hoffentlich nicht sagen, dass die Frau ...“ Der Dorfpolizist war derartige Verstümmelungen nicht gewöhnt und geriet aus der Fassung.

Der Mediziner biss die Zähne zusammen. „Ja! Die Verletzungen in den Muskeln von der chirurgischen Hautentfernung sind ebenfalls ante mortem, die Frau lebte noch. Ich gehe davon aus, dass sie aber das Bewusstsein schnell verlor. Ob sie betäubt wurde, kann ich erst sagen, wenn ich das Blutbild vorliegen habe.“

Arturo erhob sich und zeigte mit verkniffenem Gesicht um die Leiche herum. „Irgendwelche persönlichen Gegenstände, die bei der Identifizierung helfen könnten?“

Péron drückte ihm eine Kladde in die Hand und sagte: „Alle Daten stehen hier drauf. Wir haben ihren deutschen Personalausweis gefunden und einen Schlüssel zu einer Ferienwohnung“, er zögerte kurz und fuhr dann fort: „für zwei Personen.“ Arturo biss die Zähne zusammen. Das hieß, er musste jemandem den Urlaub versauen. Diesen Teil seines Berufes hasste er, aber er würde ihn niemals abtreten. „Gut, dann gehen wir als erstes dorthin. Ich schaue mir im Auto den Zwischenstand der Ermittlungen an.“ Luca hielt den Comisario am Arm fest und zeigte ihm einen Ausdruck. Arturo starrte darauf: „Wer ist das, wen sollen wir da zu unseren Ermittlungen hinzuziehen? Noch nie gehört!“ Der Dorfpolizist kratzte sich am Kopf, sagte: „Das ist der da!“, und deutete auf die andere Liste in seiner Hand. Der Comisario lachte hell auf. „Nicht ihr Ernst!“ Luca zuckte hilflos mit den Achseln. Sein Vorgesetzter schüttelte den Kopf und setzte sich in Bewegung. Die beiden Ermittler gingen langsam von der Fundstelle weg und steuerten den Dienstwagen an.

Die Blutfinca

Подняться наверх