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Erster Tag
7. Kapitel.
Blanchemont

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Nachdem Marcelle die Müllerin umarmt und die Dienstboten der Mühle insgeheim reichlich beschenkt hatte, bestieg sie wohlgemut die verwünschte Patache. Ihr erster Versuch in der Gleichheit hatte ihre Seele erheitert und der Verlauf des Romans, welchen sie verwirklichen wollte, schwebte in den dichterischsten Farben vor ihrer Phantasie. Allein der Anblick von Blanchemont verdüsterte schon eigentümlich ihre Gedanken, und sie fühlte ihr Herz beklemmt von dem Augenblick an, wo sie die Schwelle ihrer Besitzung überschritten hatte.

Den Lauf der Vauvre aufwärts verfolgend, befand man sich, nach Übersteigung eines ziemlich abschüssigen Hügels, auf der Anhöhe von Blanchemont. Dies ist ein schöner, von alten Bäumen beschatteter Grasplatz, der eine reizende Landschaft beherrscht, die, nicht sehr hoch über dem schwarzen Tal gelegen, einen frischen, melancholischen, fast wilden Anblick darbietet, weil man von den zerstreuten Wohnungen, welche umherliegen, nur da und dort ein Strohdach oder ein gebräuntes Ziegeldach aus den Baumgruppen hervorragen sieht. Eine arm aussehende Kirche und die kleinen Häuser des Weilers bedecken diese Anhöhe, die sich gegen den Fluss hinabzieht, der hier in anmutigen Windungen sich dahinschlängelt. Von hier führt ein holperichter Weg auf das Schloss zu, welches etwas weiter hinten am Fuß der Anhöhe mitten in Fruchtfeldern liegt. In die Ebene hinablenkend, verliert man die herüberblauenden Landschaften des Berry und der Marche aus dem Gesicht und man muss, um sie wieder zu erblicken, das zweite Stockwerk des Schlosses besteigen.

Dieses Schloss war nie sehr fest gewesen, die Mauern, aus denen schlanke Türme hervorragten, haben nur fünf bis sechs Fuß im Durchmesser. Es wurde erbaut, als die Feudalkriege schon zu Ende gingen. Indessen wiesen die engen Pforten, die spärlich angebrachten Fenster, die zahlreichen Trümmer von Mauern und Türmen, welche die Außenwerke gebildet hatten, dennoch auf eine Zeit voll Misstrauen und Gefahr hin, in welcher man sich gegen einen Handstreich sicherzustellen gesucht hatte.

Das eigentliche Schloss ist ziemlich hübsch. Es bildet ein längliches Viereck und hat in jedem Stockwerk ein einziges großes Gemach. An jeder der vier Ecken befindet sich ein Turm, welcher kleinere Gemächer enthält, und ein fünfter Turm, der an der Hinterseite angebracht ist, dient zum Treppenhaus. Die Zerstörung der ehemaligen Verbindungswege hat die Kapelle isoliert hingestellt, die Gräben sind zum Teil geebnet, die Türme der Ringmauer zur Hälfte abgetragen und der Teich, welcher das Schloss sonst an der Nordseite bespülte, hat sich in eine schöne Wiese verwandelt, in deren Mitte eine Quelle hervorquillt.

Allein die Aufmerksamkeit der Erbin von Blanchemont wurde bald von dem malerischen Anblick des alten Schlosses abgelenkt. Der Müller führte sie nämlich, nachdem er ihr aus dem Fuhrwerk geholfen, auf ein Gebäude zu, welches er das neue Schloss nannte, und zu den weitläufigen Gebäulichkeiten der Meierei, welche am Fuß des alten Herrenhauses liegen und sich längs eines sehr großen Hofraums hinziehen, der auf der einen Seite von einer gezackten Mauer, auf der andern von einer Hecke und einem, mit schlammigem Wasser angefüllten Graben begrenzt wurde.

Man kann sich nichts Traurigeres und weniger Anheimelndes denken, als diese reiche Pächterwohnung. Das sogenannte neue Schloss ist weiter nichts als ein großes Bauernhaus, welches vor etwa fünfzig Jahren aus den Trümmern der Festungswerke erbaut wurde. Die frisch geweißten Wände desselben und das Dach von neuen, schreiendroten Ziegeln bezeugten eine unlängst vorgenommene Reparation, und dieser äußerliche Aufputz stach grell von der verwitterten Altertümlichkeit der übrigen Baulichkeiten und dem unreinlichen Hof ab. Diese finstern Bauten, welche Spuren alter Architektur an sich trugen und gut unterhalten waren, bildeten eine Reihe von Scheunen und Ställen, das einzige, was den Stolz der Pächter und die Bewunderung sämtlicher Bauern ausmacht. Aber diese Umgebung, den Ackerbaugeschäften so förderlich, für Viehzucht und Ernte so bequem, beschränkte Blicke und Gedanken auf einen traurigen, prosaischen und durch seinen Schmutz widerlichen Raum. Ungeheure Misthaufen, welche, tief in ihre steinernen Gruben versenkt, dennoch zehn bis zwölf Fuß hoch hervorragten, entsandten schmutzige Bäche, welche man ganz offen über den Hof leitete, damit sie die Gemüsebeete des tieferliegenden Küchengartens tränkten. Diese Düngervorräte, ein mit Vorliebe gepflegter Reichtum des Landmanns, ergötzen seinen Blick und machen sein Herz selbstgefällig schlagen, wenn einer seiner Nachbarn sie mit Blicken des Neides und der Bewunderung mustert. Bei kleineren ländlichen Heimwesen beleidigen diese Einzelheiten weder das Auge, noch den künstlerischen Sinn. Ihre Unordnung, die überall zerstreuten Ackergeräte, das allenthalben wuchernde Grün verbergen oder verschönern dieselben, aber nach einem größern Maßstabe und auf einem weiten Raum ist nichts abschreckender, als der Anblick dieser unreinen Gegenstände. Scharen von Truthühnern, Gänsen und Enten scheinen es darauf anzulegen zu verhindern, dass man den Fuß irgendwie auf eine von dem Abfluss der Mistlache verschonte Stelle setzen könnte und der gepflasterte Weg, welcher den Hof durchschnitt, war ebenso unpraktikabel, wie der übrige Raum. Die Überbleibsel des alten Daches von dem neuen Schlosse lagen zerstreut umher, und so wandelte man auf einem Boden von zerbrochenen Ziegeln.

Es war zwar bereits sechs Monate her, seit das Dach neu gedeckt worden war, allein solche Reparationen waren die Sache des Eigentümers, so dass sich der Pächter mit dem Aufräumen des Abfalls und dem Ausputzen des Hofes nicht eben sehr beeilte, sondern sich vornahm, dieses nach Beendigung der sommerlichen Feldarbeiten gelegentlich besorgen zu lassen. Einesteils ersparte man sich also dadurch ein paar Tagewerke, andernteils war auch die tiefe Apathie unserer Bauern daran schuld, welche jederzeit gern etwas ungetan lassen, wie wenn ihre Tätigkeit nach einer Anstrengung schlechterdings der Ruhe bedürfte und sie die Süßigkeit des Nichtstuns schon vor Beendigung der Arbeit kosten wollten.

Marcelle verglich diesen unpoetischen und widerlichen bäurischen Überfluss mit dem anmutigen Heimwesen des Müllers und hätte ihm hierüber gern einige Bemerkungen gemacht, wenn sie inmitten des Geschreis der aufgescheuchten und doch vor Schrecken unbeweglichen Truthähne, des pfeifenden Geschnatters der Gänsemütter und des Gebells von vier oder fünf dürren, gelbfarbigen Hunden hätte zu Worte kommen können.

Da es Sonntag war, befanden sich die Ochsen im Stalle und die Knechte lungerten in ihrem Sonntagsstaat von grobem blauem Tuch an dem Hoftor umher. Sie sahen mit großer Verwunderung die Patache auf den Hof fahren, aber keiner rührte sich von der Stelle, um die Ankömmlinge zu empfangen, oder dem Pächter den ankommenden Besuch zu melden. So musste denn Louis der Frau von Blanchemont zum Führer dienen. Er machte auch wenig Umstände, trat ohne anzuklopfen ein und sagte:

»Frau Bricolin, kommen Sie doch! Da ist die Frau von Blanchemont, welche Sie besucht.«

Diese unerwartete Neuigkeit erschreckte die drei weiblichen Glieder der Familie Bricolin, welche soeben aus der Messe zurückgekehrt und im besten Zuge waren, stehend ein kleines Voressen zu sich zu nehmen, dass sie wie erstarrt einander ansahen, um sich zu fragen, was unter solchen Umständen zu sagen und zu tun sei, und sich noch nicht geregt hatten, als Marcelle eintrat.

Die weibliche Gruppe, welche sich ihr darstellte, war aus drei Generationen zusammengesetzt. Da war erstlich die Mutter Bricolin, welche weder lesen noch schreiben konnte und bäurische Tracht trug; da war zweitens Frau Bricolin, die Gattin des Pächters, ein wenig modischer angetan als ihre Schwiegermutter, mit der Haltung einer Pfarrershaushälterin. Sie verstand ihren Namen leserlich zu schreiben und die Stunden des Sonnenaufganges, sowie die Mondsveränderungen in dem Kalender von Lüttich nachzulesen. Endlich war da Jungfer Rose Bricolin, wirklich schön und frisch, wie eine Mairose. Sie konnte Romane lesen, das Haushaltungsbuch führen und Contretänze tanzen. Ihre Haare waren zierlich geordnet und sie trug ein hübsches Kleid von rosenrotem Musselin, welches die reizenden Formen ihres Wuchses hervorhob. Die wirklich hinreißend schöne Gestalt des Mädchens, dessen Gesichtsausdruck zugleich schlau und naiv war, verwischte bei Frau von Blanchemont den widerwärtigen Eindruck, welchen die sauren und harten Züge der Pächterin auf sie machten. Die Großmutter, welche gebräunt und gerunzelt war, wie eine echte Bäurin, hatte eine offene und kühne Physionomie.

Die drei Frauen standen mit aufgesperrtem Munde da. Die Mutter Bricolin legte sich die Frage vor, ob diese junge schöne Dame wohl die nämliche sei, welche sie vor ungefähr dreißig Jahren etlichemal auf dem Schlosse gesehen, obgleich sie wusste, dass die Mutter Marcelles schon lange tot sei; Frau Bricolin, die Pächterin, nahm zu ihrem Leidwesen wahr, dass sie bei ihrer Rückkunft aus der Messe eiligst eine Küchenschürze über ihr Merinokleid gebunden; Jungfer Rose aber überzeugte sich rasch, dass sie untadelhaft gekleidet und aufgeputzt sei und dass sie, dank dem Sonntag, von einer eleganten Pariserin überrascht werden dürfe, ohne bei einem allzu gemeinen Hausgeschäft betroffen zu werden.

Frau von Blanchemont war in den Augen der Familie Bricolin bis jetzt immer ein problematisches Wesen geblieben, welches man nie gesehen hatte und welches man sicherlich nie sehen würde. Ihren Mann hatte man gekannt, man hatte ihn aber nicht geliebt, weil er hochmütig war, nicht geachtet, weil er verschwenderisch, und nicht gefürchtet, weil er stets Geld bedurfte und sich dasselbe um jeden Preis zu verschaffen suchte. Seit er gestorben, hatte man geglaubt, man werde jetzt nur noch mit Geschäftsträgern zu tun haben, in Betracht nämlich, dass der Verstorbene, ein nicht sehr schmeichelhaftes Portrait von seiner Frau entwerfend, öfters geäußert hatte:

»Frau von Blanchemont ist ein Kind, welche sich nie mit Geschäften befasst und nie fragt, woher das Geld komme, wenn es nur da ist.«

Dabei ist noch zu bemerken, dass der gute Mann die Gewohnheit hatte, alle Verschwendung, welche ihm seine Maitreffen verursachten, auf Rechnung seiner Frau zu setzen. Man kannte demnach den wahren Charakter der jungen Witwe ganz und gar nicht, und Frau Bricolin glaubte zu träumen, als sie dieselbe plötzlich in Person mitten in den Pachthof von Blanchemont treten sah. War diese wunderliche Erscheinung für das Glück der Familie Bricolin von guter oder schlimmer Vorbedeutung? Kam sie, um Untersuchungen anzustellen und Rechenschaft zu fordern? Während die Pächterin, ihren verwirrten Gedanken überlassen, Marcelle musterte mit der Miene eines Bockes, der sich beim Anblick eines fremden Schäferhundes in Verteidigungszustand setzt, hatte Rose Bricolin, durch die liebliche Gestalt und das einfache Benehmen der Fremden schnell für sie eingenommen, den Mut gefasst, derselben einige Schritte entgegenzugehen.

Indessen zeigte die Großmutter sich am unbefangensten. Nachdem die erste Überraschung vorüber war und sie ihren altersschwachen Kopf mit der Frage angestrengt hatte, was wohl hier zu tun sei, näherte sie sich Marcelle mit derber Offenheit und hieß sie beinahe mit den nämlichen Worten, wenn auch mit weniger Herzlichkeit und Artigkeit, wie die Müllerin von Angibault, willkommen. Ihre Schwiegertochter und Enkelin beeilten sich hierauf, ein wenig beruhigt durch die sanfte und wohlwollende Art, womit Marcelle sich für zwei oder drei Tage zu Gaste bat, während welcher sie, wie sie sagte, sich mit Herrn Bricolin über ihre Angelegenheiten unterhalten wollte, die junge Witwe zum Frühstück einzuladen. Die ablehnende Antwort Marcelles stützte sich auf das treffliche Frühmahl, welches sie eine Stunde zuvor in der Mühle von Angibault eingenommen und die Erwähnung dieses Umstandes lenkte endlich die Blicke der drei Damen Bricolin auf den großen Louis, der an der Türe stehen geblieben war und ein Gespräch über Mehl mit der Magd angeknüpft hatte, um einen Vorwand zu haben, ein wenig zu zögern. Der Ausdruck der drei Weiberblicke war ein sehr verschiedener. Der Blick der Großmutter war freundlich, der ihrer Schwiegertochter höchst verächtlich, der von Rose aber unbestimmt und unbeschreiblich, wie wenn sie innerlich von gemischten Empfindungen bestürmt worden wäre.

»Wie«, schrie Frau Bricolin in beleidigendem und spöttischem Ton, nachdem Marcelle ihre Abenteuer während der vergangenen Nacht kurz geschildert hatte, »Sie sind also in der Mühle über Nacht geblieben? Und wir wussten nichts davon! Ei, warum hat Sie denn dieser Dummkopf von Müller nicht sogleich hieher gebracht? Ach, mein Gott, was für eine schlechte Nacht müssen Sie gehabt haben, gnädige Frau!«

»Im Gegenteil eine ganz gute. Ich wurde behandelt, wie eine Königin, und bin Herrn Louis und seiner Mutter sehr verpflichtet.«

»Das wundert mich nicht«, sagte die Großmutter, »die große Marie ist ja eine gar brave Frau und hält ihr Haus so reinlich! Sie ist eine Jugendgespielin von mir und wir haben, mit Ihrer Erlaubnis zu sagen, mitsammen die Schafe gehütet. Wir waren damals ein paar hübsche Märchen, obschon jetzt nichts mehr davon zu sehen ist, nicht wahr, gnädige Frau? Wir konnten weiter nichts, als spinnen, stricken und Käse machen, das war alles. Beim Heiraten gingen wir verschiedene Wege: sie nahm einen viel ärmern Mann, als sie war, und ich einen viel reicheren, als ich. Damals heiratete man sich nämlich noch aus Liebe, heutzutage aber heiratet man sich bloß noch aus Interesse, und die Taler vertreten die Stelle der Neigung. Es ist aber dadurch wohl nicht besser geworden, nicht wahr, gnädige Frau?«

»Ich bin ganz Ihrer Meinung«, versetzte Marcelle.

»Ei, Gott, Mutter, was schwatzt Ihr da an die gnädige Frau hin?« sagte die Pächterin verdrießlich. »Glaubt Ihr denn, Eure alten Geschichten werden ergötzlich für sie sein? He, Müller«, setzte sie in befehlshaberischem Ton hinzu, »geht doch und seht, ob Herr Bricolin in dem Kaninchengehege oder in seinem Haferfeld hinter dem Hause ist. Sagt ihm, er möchte herkommen, um die gnädige Frau zu begrüßen.«

»Herr Bricolin«, entgegnete der Müller mit einem hellen Blick und einer Art munteren Trotzes, »befindet sich weder im Kaninchengehege noch auf dem Haferfeld, denn ich bemerkte im Vorübergehen, dass er mit dem Herrn Pfarrer im Pfarrhaus einen Schoppen oder eine Halbe aussticht.«

»Ach ja«, sagte die Mutter Bricolin, »er wird wohl im Pfarrhof3 sein. Der Herr hat nach dem Hochamt immer großen Hunger und Durst und liebt es, wenn man ihm bei Befriedigung desselben Gesellschaft leistet. Louis, mein Sohn, sag’ mir, wärest du wohl so gefällig, ihn zu holen?«

»Auf der Stelle«, erwiderte der Müller, welcher sich bei dem Befehl der Pächterin vorhin nicht von der Stelle gerührt hatte, und lief weg.

»Wenn Ihr den da gefällig findet«, murmelte die Pächterin und warf ihrer Schwiegermutter einen zornigen Blick zu, »so seid Ihr nicht sehr wählerisch.«

»O, Mama, das kann man nicht sagen«, bemerkte mit sanfter Stimme die schöne Rose, »der große Louis hat ein gutes Herz!«

»Und was habt ihr denn mit seinem guten Herzen zu schaffen?« entgegnete die Pächterin mit wachsender Entrüstung. »Was habt denn ihr beide seit einiger Zeit mit ihm?«

»Aber, Mama. Du behandelst ihn ja seit einiger Zeit so ungerecht«, erwiderte Rose, welche, des Schutzes der Großmutter gewiss, ihre Mutter nicht sehr zu fürchten schien. »Du schnautzest ihn immer so an und weißt doch, dass der Vater viel auf ihn hält.«

»Und du noch mehr«, sagte die Pächterin, »geh’ und räume, anstatt zu räsonieren, lieber deine Kammer auf, welche das besteingerichtete Gemach im Hause ist. Die gnädige Frau wird vor dem Mittagessen noch ein wenig ausruhen wollen. Aber die gnädige Frau wird uns entschuldigen, dass sie bei uns nicht zum Besten logiert ist. Erst im vergangenen Jahre hat der selige Herr von Blanchemont seine Einwilligung gegeben, dass das neue Schloss, welches ebenso verfallen aussah wie das alte, ein wenig hergestellt werden solle, und erst seit der Erneuerung unseres Pachtes konnten wir anfangen, uns etwas besser einzurichten. Aber noch ist nichts fertig, die Zimmer sind noch nicht vollständig tapeziert und wir erwarten noch Möbeln und Betten, die von Bourges kommen sollen. Einiges ist auch schon angekommen, aber noch nicht ausgepackt. Sie finden uns überhaupt in einem rechten Wirrwarr, denn die Arbeitsleute haben alles drunter und drüber gemacht.«

Die Unordnung im Innern des Hauses, welche Frau Bricolin in gemeldeter Weise eingestand, hatte die nämlichen Ursachen, wie die, welche Marcelle außerhalb des Hauses wahrgenommen hatte. Sparsamkeit mit Trägheit verbunden verhinderte die nötigen Ausgaben und schob den Augenblick, in welchem man sich eines Luxus, den man wünschte, den man vermochte und sich dennoch nicht zu gestatten wagte, erfreuen wollte, stets auf ungewisse Zeit hinaus.

Das Gemach, in welchem man von der Besitzerin des Schlosses überrascht worden, war das unangenehmste und unreinlichste des neuen Schlosses, düster und verräuchert über und über. Es war zugleich Küche, Speisesaal und Wohnzimmer. Die Hühner hatten freien Zutritt, weil die Türe in den Hof beständig offenstand, und es war eine unaufhörliche Beschäftigung der Pächterin, dieselben hinauszujagen, wie wenn es für sie Bedürfnis gewesen, sich über das immer wiederkehrende Hereinkommen des Geflügels in Zorn zu versetzen. Man empfing hier auch die Bauern, mit welchen man jeden Augenblick dies und das abzumachen hatte, und da die kotigen Schuhe und das unachtsame Gebaren derselben den Boden und die Möbeln unausweichlich hätten beschmutzen müssen, so hatte man sich begnügt, plumpe Strohstühle und hölzerne Bänke auf die bloßen und täglich zehnmal umsonst abgeflößten Steinplatten zu stellen. Das Fliegengeschmeiß, welches in Scharen aus dem Hofe hereinfiel, und das Feuer, welches zu jeder Stunde und zu jeder Jahreszeit in dem ungeheuren, mit Kesselhaken von verschiedenster Größe gezierten Kamin brannte, machten dieses Gelass fast unausstehlich. Aber dennoch hielt sich die Familie des Pächters beinahe ununterbrochen in demselben auf, und als man Marcelle in das anstoßende Zimmer führte, konnte sie wahrnehmen, dass diese Art von Salon, obgleich seit einem Jahre eingerichtet, noch unbewohnt geblieben sei.

Das Gemach war mit dem geschmacklosen Luxus der Gasthauszimmer ausgerüstet. Der neue Boden desselben war noch gänzlich ungebohnt, die Vorhänge von schreiendfarbiger Indienne waren an kupfernen Ornamenten vom schlechtesten Geschmack aufgehängt. Die Verzierungen des Kamins entsprachen an Grellheit und Hässlichkeit jenen, welche man einfältigerweise dem Geschmack der Renaissance auf Rechnung setzt, ein sehr reicher Kronleuchter hatte noch die Papierstücke und Bindfadenschnüre um seine Zieraten von vergoldeter Bronze, womit dieselben während des Transports verwahrt gewesen; die Möbeln trugen rot und weiß gestreifte Staubdecken, so dass ihre Überzüge von Wollendamast nie zum Vorschein kommen konnten, und da man in Pachthöfen den Unterschied zwischen einem Salon und einem Schlafzimmer nicht kennt, standen zwei, noch nicht mit Vorhängen versehene Betten, mit den Füßen dem Fenster zugekehrt, links und rechts von der Türe. Man sagte sich in der Familie in die Ohren, es wäre dies das Brautgemach von Jungfer Rose.

Das ganze Haus gefiel Marcelle so wenig, dass sie beschloss, nicht in demselben zu wohnen. Sie erklärte daher, dass sie ihren Wirten nicht die geringste Störung verursachen möchte und dass sie sich in dem Weiler irgendein Bauernhaus zur Nachtherberge aussuchen wolle, im Fall sich nicht in dem alten Schloss ein wohnliches Zimmer fände. Die letztere Idee schien der Frau Bricolin einige Unruhe zu verursachen und sie unterließ nichts, um ihren Gast davon abzubringen.

»Es ist allerdings wahr«, sagte sie, »dass in dem alten Schloss jederzeit ein Gemach vorhanden war, welches man das Herrschaftszimmer nannte. Wenn der Herr Baron, Ihr seliger Gemahl, uns die Ehre eines Besuches antun wollte, so setzte er uns zuvor in Kenntnis und wir konnten dann alles herrichten, so dass er nicht gar zu schlecht beherbergt war. Aber bei alldem ist das unglückliche alte Schloss so traurig, so zerfallen! Die Ratten und Eulen verführen darin einen so entsetzlichen Lärmen, und das Dachwerk ist in einem so schlechten Zustande, die Mauern sind so wackelig, dass man in Wahrheit nicht mit Sicherheit dort schlafen kann. Ich begreife nicht, was für einen Narren der Baron an diesem Zimmer gefressen haben konnte. Er wollte nie eines bei uns annehmen, als ob er sich zu erniedrigen geglaubt, wenn er eine Nacht außer seinem alten Schlosse zugebracht hätte.«

»Ich will dieses Zimmer sehen, und wenn es mir eine sichere Nachtherberge bietet, so wünsche ich weiter nichts. Indessen bitte ich, Sie möchten sich durch mich in nichts stören lassen; ich will Ihnen auf keine Weise lästig werden.«

Rose drückte hierauf ihren Wunsch, der Frau von Blanchemont ihr eigenes Gemach abzutreten, in so liebenswürdiger Weise und mit so zuvorkommender Miene aus, dass ihr Marcelle freundlich die Hand drückte, ohne indessen von ihrem Entschluss abzustehen. Der Anblick des alten Schlosses und ein instinktmäßiger Widerwillen gegen Frau Bricolin ließen sie ein für alle Mal eine Gastfreundschaft zurückweisen, welche sie doch in der Mühle so herzlich angenommen. Sie wehrte sich noch gegen die zeremoniöse Zudringlichkeit der Pächterin, als Herr Bricolin eintrat.

3

Es findet sich hier im Originale ein durch einen sprachlichen Irrtum der Mutter Bricolin veranlasstes Wortspiel zwischen presbytère und précipitère, welches im Deutschen verloren gehen musste. A. d. Übers.

Der Müller von Angibault

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