Читать книгу Fanfan von der Tulpe - José-André Lacour - Страница 8

II Die kleinen Strolche von Saint-Denis I

Оглавление

So um das Jahr 1770 herum wuchs in der Pariser Vorstadt Saint-Denis ein kleiner Junge heran, der trotz seines jugendlichen Alters schon eine Berühmtheit war. Laut einer in irgendeinem gottverlassenen Nest in Frankreich vorhandenen Eintragung im Taufregister hieß er wohl Franqois, doch nannten ihn alle Fanfan, seit er in diesem farbenprächtigen und lärmenden Viertel hier wohnte.

Tatsächlich schien zu jener Zeit alles Leben in diesem Viertel zusammengeballt. An der Rue Saint-Denis selbst lagen zahlreiche Spitäler und Klöster, aber auch unzählige Lagerhäuser, Herbergen und Fuhrunternehmen aller Art, die sowohl den Personen- wie auch den Warentransport besorgten. Stets herrschte heilloses Gedränge; die Flüche der Kutscher wie auch die Rufe der fliegenden Händler vermischten sich mit dem häufigen Gebimmel der Klosterglocken; unter die Reisenden, die auf die Abfahrt warteten, drängten sich Wachsoldaten, Taschenspieler, Freudenmädchen, die nach einem Vogel Ausschau hielten, der sich rupfen ließe - kurz: es brodelte und kochte eigentlich ständig in dieser Straße. Hätte es einen herrlicheren Spielplatz für ein acht- oder neunjähriges Bürschchen geben können, das alle Schlupfwinkel, Sacksträßchen, Gassen und geheimnisvollen Durchgänge kannte?

Doch kannte Fanfan auch viele Leute, insbesondere ein paar Damen, die es mit der Tugend nicht ganz so genau nahmen und denen er manchmal dienlich sein konnte, indem er ein Brieflein überbrachte und dafür Dragees aus der berühmtesten Zuckerbäckerei von Paris, die den bezeichnenden Namen «Zum getreuen Schäfer» trug, bekam. Fanfan war verrückt nach diesen Dragees, doch noch nicht nach Mädchen. Es kam auch gelegentlich vor, dass ein Reisender, dem er mit einer Auskunft dienlich gewesen war, ihn unversehens auf ein Gläschen einlud. In solchen Fällen pflegte er sich den heißgeliebten Apfelwein zu bestellen.

Ab und zu postierte er sich, sei es allein, sei es mit dem einen oder anderen Bengel aus jener kleinen Bande, deren Chef er war, vor dem Portal des Hospizes «Zum Heiligen Grab», das ebenfalls in der Rue Saint-Denis lag. Dort versammelten sich die Pilger, die nach Jerusalem aufbrachen oder von dort zurückkehrten. Einige seiner Freunde, wie zum Beispiel Goujon, pflegten sich hier aufzupflanzen, von Kopf bis Fuß mit Pflastern verunziert oder gar ein verkrüppeltes Bein vortäuschend, um das Mitleid der frommen Reisenden zu erwecken und auf diese Weise zu einer milden Gabe zu gelangen, mit der sie sich später vor den Mädchen brüsten konnten.

Fanfan verschmähte dieses Brot der frommen Nächstenliebe. Ihn zog es hierher, weil er all die Leute betrachten wollte, all die Menschen verschiedenster Altersgruppen und Gesellschaftsschichten, die auszogen in jenes ferne Land, wo Christus begraben lag. Wie gern wäre er mit ihnen gefahren, um das Meer und die Kamele zu sehen - und vielleicht auch das Grab Jesu, der ihm eigentlich recht sympathisch war, seit er gehört hatte, jener sei über das Wasser geschritten! Doch was das Beschaffen von ein paar Notgroschen anbelangte, da hatte Fanfan ganz andere Quellen, die ihm weit eleganter schienen, denn Eleganz war ihm durchaus nicht gleichgültig, wenn er auch aus einem Milieu kam, wo man mit derlei Annehmlichkeiten nicht gerade gesegnet war. Eine dieser Quellen war die List, sich unter die «blauen Kinder» zu mischen.

Der Stadtteil beherbergte nämlich auch das «Hospiz der Heiligen Dreifaltigkeit», wo einhundertsechsunddreißig arme Kinder, hundert Knaben und sechsunddreißig Mädchen, Kost und Logis erhielten. Wegen der Farbe ihrer Kleidung und ihrer Häubchen nannte man sie «die blauen Kinder». Das Hospiz lieh sie aus zur Vervollständigung von Leichenzügen gewisser hochgestellter Persönlichkeiten, die sich einen großen Trauerzug gewünscht hatten. Der Preis war vernünftig bemessen: drei Pfund für das Dutzend - das Dutzend Kinder, wohlgemerkt! Die Erben zahlten am Schluss der Totenmesse. Die Kollekte wurde von einem Beauftragten des Klosters in Empfang genommen, und dann zog die Kinderschar wieder heimwärts. Nur Fanfan, der eigentlich gar nicht zu den «blauen Kindern» gehörte, folgte mit der größten Unverfrorenheit dem Trauerzug bis auf den Friedhof. Die blaue Uniform hatte er sich zu verschaffen gewusst: Der Färber Valhussart, der ihn gern hatte, weil Fanfan ihn wissen ließ, wann Sieur Aimery, der Gendarm, Nachtdienst hatte und somit Madame Aimery, die Geliebte des Färbers, frei war für die Nacht, hatte ihm ein altes Nachthemd und eine Schlafmütze blau eingefärbt, und noch nie hatte sich jemand aus den trauernden Familien über Fanfans Anwesenheit am Grabe gewundert. Für gewöhnlich erachtete man dies sogar als eine besondere Aufmerksamkeit von Seiten der Hospizverwaltung, war es doch gleichsam eine außervertragliche Zusatzleistung! Vor allem, da Fanfan mit seinem Knabensopran die liturgischen Gesänge so hinreißend vorbrachte, dass selbst jene, die nichts geerbt hatten, zu Tränen gerührt waren. Und so kam es, dass er an guten Tagen die drei Pfund, die eigentlich pro Dutzend vorgesehen waren, in seine eigene Tasche wandern lassen und gleich in Dragees vom «Getreuen Schäfer» umsetzen konnte.

Großzügig teilte er mit Goujon, dem mit Pflastern verunzierten «Invaliden », mit Nicolas Namenlos, dessen Mutter auf den Strich ging und Nicolas quälte, weil er unbedingt lesen lernen sollte, mit dem «Heiligen Vater», der seinen Namen der Tatsache verdankte, dass er der Sohn eines Kanonikus war kurz: mit all denen, die, seit er denken konnte, seine Gefährten waren und Freud und Leid mit ihm teilten. Der «Heilige Vater», zwar Sohn eines Kanonikus, doch niemandes Kind, wohnte mit Nicolas Namenlos bei dessen Mutter, die nicht nur ein Freudenmädchen, sondern — wie man sieht — auch ein Mädchen mit Herz war. Eigentlich gehörte noch der bucklige Pastenague zu ihnen, aber Pastenague hatte sie verraten. Seinen Namen konnten sie nur noch im Zusammenhang mit obszönen Beiwörtern aussprechen, und wenn sie erst einmal groß wären, würden sie einer Hexe auftragen, jene Jammergestalt namens Pastenague mit Nadeln zu durchlöchern.

Ein paar Jahre zuvor — sie waren wohl erst fünf oder sechs gewesen — hatten sie sich zu einer richtigen kleinen Gaunerbande zusammengeschlossen. Da gehörte Pastenague noch zu ihnen. Man hatte Obst von den Auslagen geklaut, die Karren der fliegenden Händler umgekippt, andere Gassenjungen, die schüchterner oder nur besser angezogen waren als man selbst, vermöbelt; doch dabei hatten sie so viele Fußtritte und Schläge einstecken, ja einmal sogar vier Tage in einem stinkenden Verlies zubringen müssen, wo sie nur heulen konnten und obendrein, als Trost sozusagen, von den jeweiligen Eltern nochmals eine gehörige Tracht Prügel bekamen, dass sie es nun endgültig leid waren, sich als Helden aufzuspielen. Daher waren sie zu jenen kleinen Tausch- und Nebengeschäftchen übergegangen und stibitzten nur noch hie und da etwas von einer Auslage, denn man musste sich ja schließlich beweisen, dass man ein Mann war.

Nur Pastenague hatte im alten Stil weitergemacht. Er hatte sie als Versager und Schlappschwänze beschimpft. Und dann hatte er sie verraten, indem er in die Bande von Cartouche überwechselte, eine Bande, die unbestreitbar mehr darstellte als die ihre; das waren richtige Männer (sie waren ja auch schon zwölf Jahre alt!), die nicht davor zurückschreckten, bei Nacht arglose Passanten zu überfallen. Sie stammten nicht direkt von hier, sondern gehörten eher in das Viertel um die Bastille, doch manchmal leisteten sie sich auch Übergriffe nach Saint-Denis.

«Deinem Cartouche», hatte Fanfan dem Verräter Pastenague entgegengeschleudert, «kriech ihm doch in den Arsch!»

«Wenn er dich nur anschaut, scheißt du ja schon in die Hosen», hatte der andere zurückgebrüllt.

Und dann war ein Gipfeltreffen anberaumt worden. Durch einen fliegenden Boten hatte Cartouche Fanfan wissen lassen, er habe sich am folgenden Sonntag im Hinterstübchen des Cafes «Zum Dorn» in der «schwarzen Straße», jenseits der Bastille einzufinden, wo Cartouche seine Versammlungen abzuhalten pflegte. Für Fanfan war das zwar feindliches Ausland, aber er ging hin, im Geleitschutz seiner Freunde Goujon, Heiliger Vater und Nicolas Namenlos.

Mindestens zehn Burschen erwarteten sie dort, im Hinterstübchen des Cafes «Zum Dorn», und fast alle waren zwölf Jahre alt, außer Cartouche, der war siebzehn. Fanfan hatte ihn bislang nur von weitem gesehen. Das war ein Koloss!

«Ich hörte, ich kann dich mal ...» ließ sich jener vernehmen und schlug seine riesigen Fäuste gegeneinander. Sein Grinsen wirkte umso höhnischer, als ihm vorne drei Schneidezähne fehlten.

«Nein. Ich sagte zu Pastenague, er solle dir in den Arsch kriechen.»

Es entstand jene feierliche Stille, wie sie im römischen Zirkus eintrat, ehe man die Löwen auf die Christen in der Arena losließ. Cartouche trat auf Fanfan zu, der nicht zurückwich, sondern dem Blick des Ungeheuers trotzte, obwohl er sich in diesem Augenblick eingestehen musste, dass er tatsächlich in die Hosen machen würde und seine einzige Zuflucht die Diplomatie war.

«Ist es mit der Würde eines Mannes vereinbar, sich an einem kleinen Jungen zu vergreifen?» fragte er, woraufhin sich auf mehreren Köpfen, in denen ethische Probleme bisher nur allzu selten aufgenommen waren, die Stirnfalten zu runzeln begannen.

Die Anstrengung des Nachdenkens ließ dem gewaltigen Cartouche fast die Augen aus den Höhlen springen. Suchend schweifte sein Blick über seine mucksmäuschenstille Bande.

«Also, ich werde dich nicht verprügeln», sagte er schließlich, und in seiner Stimme lag das Erstaunen dessen, der soeben von der Existenz der Ritterlichkeit erfahren hat, «aber ich verlange, dass du mich von nun an respektierst, denn ich bin Cartouche, und du bist nichts weiter als die Haut eines winzigen Hodensacks.»

«Ich bin sieben Jahre alt», entgegnete Fanfan, «und mein Sack ist genauso groß wie deiner!»

«Na, dann schau mal her!» röhrte Cartouche, indem er seinen Hosenschlitz öffnete. Allgemeine Bewunderung. Der Kerl hatte wirklich was zu bieten. Zwei richtige Orangen und alles, was dazugehört.

«Na, und das hier?» ließ sich Fanfan vernehmen. Betroffenes Schweigen. Es sei erklärend hinzugefügt, dass der Schrecken Fanfan das Blut in die Hoden gejagt hatte, aber immerhin — und Cartouche fasste die allgemeine Meinung, nicht ohne selbst verdutzt zu sein, in folgender Frage zusammen:

«Und das gehört alles dir?»

Die erste Runde schien unentschieden gelaufen, sofern man geneigt war, den Altersunterschied zu berücksichtigen. Cartouche setzte sich, schloss die Augen und ging die zweite Runde an. Seine Autorität und sein Prestige bezog er nämlich nicht nur aus seiner Herkules-Statur, sondern vor allem daher, dass er tatsächlich der Enkel des legendären Cartouche war, der 1721 auf der Place de Greve gerädert worden war. Und nun schilderte er dessen Aufstieg, dessen Bravourleistungen, dessen Gaunerstückchen, dessen Morde, aber auch dessen Strafen und Qualen, und das alles mündete, nachdem er lange in das ehrfurchtsvolle Schweigen hinein gesprochen hatte, in die Frage: «Wer von euch, meine Herren, weiß Besseres zu berichten?»

Und dann zu Fanfan gewendet: «Was deinen Rammbock anbetrifft, so wirst du's bald mit mir aufnehmen können. Aber gegen meine Vorfahren kommst du nicht so schnell an, du Jammerlappen!»

«Zeig ihm deinen Fuß», flüsterte Goujon Fanfan ins Ohr, der auch sofort seinen Schuh auszog, einen für solche Gelegenheiten immer griffbereiten Spiegel aus der Tasche holte und alle, wie sie da in der Runde saßen, die Tätowierung seiner Fußsohle lesen ließ: das Winkeleisen und das Wort Egalite. Da aber außer ihm niemand lesen konnte, sagte Fanfan: «Das Wort heißt Egalite, Gleichheit.»

Wie Cartouche von seinem Ahnen, so bezog Fanfan einen Großteil seines Prestiges von dieser Tätowierung, die anscheinend auch hier ihre Wirkung nicht verfehlte. Einen Tätowierten gab es in dieser Bande nicht!

«Und weißt du, was das bedeutet?» fragte der verdutzte Cartouche.

«Na klar», entgegnete Fanfan, der nicht die geringste Ahnung hatte. «Das Winkeleisen stellt das Bett des Königs dar. Und Egalite, das bedeutet, <auf gleicher Stufe mit dem König>. Mein Großvater hatte mit der Königin geschlafen, daher stand er auf gleicher Stufe mit dem König.»

Schon ein paar Jahre vor dieser Szene hatte Fanfan diese Erklärung erfunden, und an manchen Tagen glaubte er selbst daran.

«Mit welcher Königin?» fragte Cartouche.

«Das kann ich dir erst an dem Tag sagen, wo ich achtzehn werde», erwiderte Fanfan. «Aber auch nur dir allein. Ehrenwort. »

Damit war das Duell der beiden Bandenführer beendet. Eigentlich hätte es durch einen Friedenspakt besiegelt werden können. Tatsächlich kam es weder zum Krieg noch zum Frieden, denn mehr als zwei Jahre lang sah man einander nicht wieder. Das Interessante daran ist, dass die Freudenmädchen seines Viertels, denen etwas zu Ohren gekommen war, Fanfan ab und zu baten, ihnen doch seinen stolzen Mannesschmuck zu zeigen, den er dann auch in voller Pracht vorführte, was ihm jedes Mal einen kleinen Obolus einbrachte - wieder eine neue Einnahmequelle!

Doch der Verräter Pastenague hatte die Waffen nicht gestreckt. Da er Fanfan verraten hatte, schien es ihm nur logisch, ihn zu hassen. Ihm war ja schon vor Wut die Luft weggeblieben, als er miterleben musste, dass beim Zusammentreffen mit Cartouche sein Feind immer noch nicht um einen Kopf kürzer gemacht worden war. Was diesen hässlichen Rotfuchs aber besonders wurmte, war der spezielle Ruhm, den Fanfan seit neuestem genoss, denn er selbst hatte nur Taubeneier und ein kümmerliches Hälmchen in der Hose. Auf diesem Gebiet waren sie übrigens seit langem Rivalen. Schon weit lag jener Winter zurück, da sie einen Pinkelwettkampf ausgetragen hatten und Fanfan nicht nur weiter als alle anderen gespritzt, sondern auch noch seinen Vornamen in den Schnee geschrieben hatte. Und diese Demütigung hatte Pastenagues rasende Verbitterung nur noch gesteigert, denn er konnte nicht schreiben. Aus all diesen Gründen hatte er sich nun eine Demütigung ausgedacht, die für Fanfan unvergesslich werden sollte.

Auf der südöstlichen Ecke der Rue Saint-Denis und der Rue des Lombards erheben sich die spitzen Dächer des Katharinen-Hospizes, das damals von Augustinerinnen geführt wurde, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, stellungslosen Hausmädchen drei Nächte lang Obdach zu gewähren. Die jeweils über sechzig Mädchen wurden in zwei Schlafsälen im Erdgeschoß untergebracht; der eine Saal enthielt sechzehn große Betten für je vier Mädchen, der andere fünf Einzelbetten. Pastenague kannte diesen Ort, denn mehrere Monate lang hatte er hier Fliesen gescheuert. Und in dieser Falle sollte Fanfan krepieren! Zumindest abgrundtief lächerlich gemacht werden.

Zwei Jahre lang hatte Pastenague nun schon über unzähligen Racheplänen gebrütet, aber dieser war der beste, und noch besser war es, ihn so spät erst durchzuführen, da die Rache umso süßer schmeckt, wenn sie kalten Herzens genossen wird.

Der Zufall, der häufig die Dinge günstig fügt, wollte es, dass eines schönen Morgens Fanfan, der mal wieder vor dem Portal des Hospizes «Zum Heiligen Grab» die Jerusalem-Pilger betrachtete, sich plötzlich Pastenague gegenübersah.

Pastenague, der Rotfuchs, dessen Haar nicht kupferrot, sondern widerwärtig gelb war, dem der Rotz aus der Nase lief, der schielte — dieser Pastenague verstand sich, wie alle Verräter, meisterhaft aufs Heucheln. Schon trat er auf Fanfan zu und streckte ihm die Hand hin. Fanfan sei ja mächtig groß und kräftig geworden in den zwei Jahren, in denen man sich nicht gesehen habe, was stimmte, denn Fanfan war jetzt schon zehn. Dann sagte er noch, was vergangen sei, müsse vergessen werden, und sie sollten doch jetzt wieder Freundschaft schließen, alles sei wie früher; kurz, seine ewig aufgesprungenen Lippen sprudelten honigsüße Worte. Nur sein verschlagener Blick hätte ihn verraten können, doch Fanfan, von Natur aus loyal und außerdem in Gedanken noch bei den Lebensbeschreibungen großer Männer von Plutarch, die er im Augenblick las, war nicht misstrauisch. Dank Plutarch sah er die Menschen jetzt in heroischem Licht. Er glaubte, jedermann sei aus edlem griechischem Marmor gemeißelt.

Und leider waren auch weder Goujon noch der Heilige Vater oder Nicolas Namenlos in Sicht, seine getreuen Vasallen, die dieses schamlose Individuum vielleicht durchschaut hätten. Der Heilige Vater und Nicolas mussten zu dieser Stunde das Martyrium des Rechenunterrichts erdulden — Lesen und Schreiben hatten sie inzwischen gelernt -, denn ihre Mutter und Beschützerin hatte soeben den einen Kunden verabschiedet und wartete auf den nächsten. Und Goujon musste seinem Vater, dem Konditor, beweisen, dass er eben doch Talent hatte zum Teigkneten, was jedoch ohne heftige Fußtritte nie gelang.

Fanfan und Pastenague verließen also ihren Standplatz vor dem Hospiz «Zum Heiligen Grab», schlenderten in der Menge dahin, erzählten einander ihre besten Streiche und kamen schließlich, ohne dass Fanfan auch nur im entferntesten eine Absicht gewittert hätte, zum Katharinen-Hospiz.

Dort blieb Pastenague stehen und sah träumerisch vor sich hin. «Ich hätte mir die fünf Pfund ja gern verdient, aber die Sache ist einfach zu riskant», ließ er sich schließlich, mit Bedauern in der Stimme, vernehmen.

«Welche fünf Pfund?» fragte Fanfan. «Und was für eine Sache?»

«Ach, so eine Idee von Cartouche; sollte mal so richtig was zum Lachen sein. In seiner Bande wird ja nicht nur geklaut, wir machen auch einen Haufen Blödsinn. Mutproben zum Beispiel, da sieht man gleich, wer eine Memme ist und wer was taugt. Letzte Woche, da war ich dran: Cartouche hatte behauptet, ich würde mich nicht trauen, einem Gardepferd vor den Tuilerien ein Stück Schwanz abzusäbeln. Pah! Mein Lieber, da hat er sich aber getäuscht: ritsch, ratsch mal eben mit der Heckenschere . . . Die anderen Burschen sind alle dabeigestanden; wollten ja sehen, ob ich mir auch nicht in die Hosen machte. Aber nichts dergleichen, wie du siehst.»

«Nicht übel», bemerkte Fanfan anerkennend.

«Hättest du's gemacht?»

«Darüber muss ich mal nachdenken. Aber du hast mir noch nicht gesagt, was Cartouche hier vorhatte.»

«Da reingehen.»

«Ins Katharinen-Hospiz?»

«Na ja.»

«Das ist doch leicht.»

«Aber in der Nacht!»

«Um zu klauen? Man klaut nicht in einem Kloster. Da käme man ja in die Hölle.»

«Von klauen redet doch keiner, Idiot, sich ins Bett legen mit den Puppen!»

«Was? Du meinst, ein Junge soll sich zu den Mädchen ins Bett legen?»

«Na, streng doch deinen Grips mal ein bisschen an: als Mädchen verkleidet natürlich! Cartouche hat seine fünf Pfund behalten können; keiner hat sich getraut, ich auch nicht; wenn sie einen erwischen, brummen sie einem gleich ein paar Tage Fort l'Eveque auf, das kannst du mir glauben.»

«Und Cartouche?» fragte Fanfan, den die Idee reizte, nicht wegen der Mädchen, eher schon wegen des Geldes, aber vor allem wegen der Mutprobe. «Hat Cartouche selbst auch gekniffen?»

«Der als Mädchen verkleidet? Bei seiner Größe?»

«Da hast du recht», musste Fanfan zugeben. «Aber die Leistung wäre umso toller!»

Jetzt blickte er träumerisch vor sich hin, während der andere ihn aus den Augenwinkeln beobachtete. Der hatte doch noch immer jede Herausforderung angenommen, oder sollte er mit zunehmendem Alter vielleicht feiger werden? überlegte Pastenague.

«Ich mach's!» erklärte Fanfan, der es allein schon deswegen gemacht hätte, um sich als verwegener zu erweisen als alle anderen.

«Wann soll es sein?»

«Heute Abend.»

«Ist recht, heute Abend.»

«Du hast Mut», sagte Pastenague, nicht ohne einen Anflug neidischer Bewunderung. «Wir werden es uns anschauen kommen, damit du nicht mogelst.»

«Für wen hältst du mich eigentlich?» fragte Fanfan beleidigt und gab ihm nicht die Hand.

Er machte auf dem Absatz kehrt und ging schnurstracks zu Madame Aymery, der Geliebten seines Freundes, des Färbers Valhussart, und Gattin des Gendarmen Aymery, der nicht daheim war. Madame Aymery war eine hübsche, vollbusige Person, die Fanfan hätschelte und tätschelte, ihn auf den Schoß nahm und überall streichelte, was Fanfan immer nur höchst lästig war, denn all die Zeit ging ihm fürs Herumstreunen und Spielen verloren.

«Madame», fragte er nach den üblichen Liebkosungen, «habt Ihr Eure Kinderkleider vielleicht aufgehoben? Irgendetwas, das mir passen würde?»

«Ich habe alle meine Kleider, von meiner Geburt bis heute, aufbewahrt, einen ganzen Schrank voll», sagte die heißblütige Polizistengattin. «Aber was willst du denn damit?» gluckste sie. «Willst du dich vielleicht als Mädchen verkleiden?»

«Wir wollen uns einen Spaß machen», erwiderte er. «Ich bringe sie Euch morgen zurück.»

«Na, dann schauen wir mal nach, kleines Schlitzohr», sagte sie und führte ihn in ihr Schlafzimmer, wo er sich nackt ausziehen musste, angeblich, um ihre Kleinmädchenkleider besser anprobieren zu können.

Die stellungslosen Hausmädchen trafen zu jeder Tageszeit bei den Augustinerinnen ein; wenn es dunkel war und sie wiederum vergeblich nach einem neuen Obdach gesucht hatten, dann kamen sie zuhauf. Fanfan hatte sich für acht Uhr entschlossen, um sich nicht bei Tag in Mädchenkleidern hier, wo er doch einen ehrbaren Ruf genoss, zeigen zu müssen. Er hatte sich bei Goujon umgezogen, heimlich, in einem Werkzeugschuppen hinten im Garten, während Goujon draußen Wache schob. Goujon hatte es auch übernommen, Nicolas Namenlos und den Heiligen Vater zusammenzutrommeln.

Als er um die Ecke der Rue des Lombards bog, erkannte sein geübtes Auge sogleich die drei Kumpane, die sich in verschiedenen Toreinfahrten postiert hatten. Und verstreut, dort im Dunkeln, waren auch noch andere schwarze Gestalten auszumachen, wohl die Burschen von Cartouches Bande. Fußgänger waren nur noch vereinzelt zu sehen; die Geschäfte schlössen ihre Läden; die Kontore der Transportfirmen waren verlassen.

Fanfan ging auf das Pförtchen zu, das in einen Flügel des mächtigen Hauptportals eingelassen war, und stieß es auf. Er wusste, dass links von diesem Pförtchen, da, wo der dem Kloster vorgelagerte Innenhof begann, die Wohnung der für die Neuzugänge zuständigen Pförtnerschwester lag.

Es wäre ihm lieber gewesen, in einer Gruppe Frauen hier anzukommen, um weniger Aufmerksamkeit zu erregen, aber im Augenblick war weit und breit keine Weibsperson zu sehen — außer ihm. Aber schließlich hatte ihm ja Madame Aymery heute Morgen gesagt, er sähe süß aus, richtig wie ein Mädchen, und das verlieh ihm jetzt Sicherheit, wenn es ihn auch den ganzen Tag gewurmt hatte.

Keine Spur von einer Pfortenschwester! Die Pförtnerloge war nicht einmal beleuchtet. Er sagte sich, die Aufnahme erfolge wohl im Kloster selbst, und ging auf das Gebäude zu. Hinter den Fenstern des ersten Stocks flackerten Kerzen und Öllampen. Merkwürdig, das Erdgeschoss lag völlig im Dunkeln, daher zögerte er einen Augenblick. Schließlich ging er doch hinein, denn es gab kein Zurück: Darauf warteten die Strolche von Cartouche ja nur, da draußen auf der Straße.

Die Vorhalle stank bestialisch nach Essig, weiß der Himmel, warum. Weiter hinten erkannte man mühsam die nach oben führende steinerne Treppe. Fanfan ging in diese Richtung, und je weiter er kam, desto dröhnender wurde der Lärm, der ihm von oben entgegenhallte. Er hatte immer gedacht, hier sei Schweigen geboten, aber das schien nicht der Fall zu sein, denn jetzt vernahm er auf halber Treppe dumpfes Stimmengewirr. Und nun brach jemand in dröhnendes Gelächter aus! Er stand vor einer mächtigen Tür. Er presste sein Ohr dagegen und fuhr sofort zurück, denn er hatte eine Männerstimme vernommen, die irgendetwas ihm Unverständliches sagte. Eine Männerstimme hier? Da fiel's ihm ein: Natürlich, das war Dr. Brieuzin. Er kam ja jeden Abend her, um nachzusehen, ob unter den Neuangekommenen auch keine Anzeichen irgendeiner verruchten Krankheit trug, wie zum Beispiel Spitzblattern, von denen ganz Europa heimgesucht wurde. Verdammt, der kennt mich ja! dachte Fanfan. Da sitze ich schön in der Klemme. Er wollte schon umkehren, hatte eben Pech gehabt. . . verdammte Scheiße! Doch da hörte er nochmals dieselbe Stimme: «Zapfenstreich!»

Großes Gepolter da drinnen, und dann ging die Tür auf. Fanfan, der im Dunkeln stand, drückte sich hinter einer Standuhr an die Wand und hörte den Schritt des Doktors auf der Treppe, dann schon etwas ferner im Flur des Erdgeschosses, bis er sich ganz verlor. Hastig schlüpfte er in den verdunkelten Schlafsaal - allgemeines Gähnen, Brummen, knarrende Betten -, schlich zur erstbesten Lagerstatt, an der er sich erst einmal gehörig stieß, und jubilierte innerlich vor Freude, dass ihm dieser tolle Streich gelungen war.

Die Person, die er ein wenig zur Seite geschoben, wofür er sich aber auch gleich halblaut entschuldigt hatte, sagte zunächst nichts. Doch dann spürte Fanfan, wie sie sich zu ihm umdrehte. Sich erhob. Ein Feuerstein funkelte in der Dunkelheit. Eine Öllampe wurde angezündet. Die Person, die sie hielt, war — ein Mann!

«Freunde», rief dieser, «ich habe sie als erster gesehen, aber ich werde euch schon noch was übriglassen. Bist du süß!» An allen Ecken und Enden gingen weitere Öllampen und Kerzen an, aus allen Betten purzelten Männer, meist nicht einmal ausgezogen, höchstens ohne Stiefel, woran zu erkennen war, dass es sich um eine Dragonerkompanie handelte. Junge, kraftstrotzende Dragoner, entzückt über diese glückliche Fügung und fest entschlossen — das war im Nu klar —, diesen süßen Vogel von Hand zu Hand zu reichen, denn schließlich war dieses kleine Luder ja deswegen hergekommen!

Dreißig Dragoner! Fanfan lief ein Schauder den Rücken hinunter. Er machte einen Satz zur Tür, doch schon drei Sekunden später hatte ihn der, der ihn «entdeckt» hatte, eingeholt, während die anderen - wenn auch nur halblaut, wegen des Obersten, der unten schlief und den Fanfan für den Doktor gehalten hatte — ihren Kompanieschlachtruf skandierten. Schon wurde er eingekreist, am Wickel gepackt und aufs Bett geworfen, eine Hand, die keine Umstände machte, fuhr ihm unter die Röcke, er drehte und wand sich, bis er seinem Peiniger schließlich den Rücken zukehrte, und beinahe wäre er rücklings vergewaltigt worden, hätte besagte Hand nicht - Gott sei's gedankt! — noch rechtzeitig erkannt, dass mit dem Geschlecht da etwas nicht stimmte. So wäre es also durchaus möglich gewesen, dass man Fanfan schlicht und einfach an die Luft gesetzt hätte, natürlich nicht ohne passende obszöne Bemerkungen von Seiten der rechtgläubigen Haudegen, die keinen Zweifel an seinen Absichten hegten, hätte nicht, vom Lärm angelockt, der Oberst plötzlich den Saal betreten.

Er hieß Monsieur de Ramponeau und war ein Mann, der unter seiner geringen Körpergröße und infolgedessen an Magenbeschwerden litt. Man hatte ihn in seiner Kindheit wohl zu früh aufs Pferd gesetzt, daher seine Säbelbeine. Von Natur aus ein Angsthase, liebte er die Armee, nicht weil sie Krieg führte, sondern weil es etwas Köstliches ist, andere exerzieren zu lassen, und das Reglement ein Gespinst ist, das zu entwirren nur wenigen gegeben ist. Befand er sich in Gesellschaft oder vor seinen aufmarschierten Mannen, gefiel sich Oberst de Ramponeau (der nur dem niederen Adel angehörte, was sein Lebtag an ihm nagte) in der Rolle dessen, der vier Dutzend verschiedener Reglements nur so herunterschnarren konnte. Und was dem Reglement zuwiderlief, das hasste er. Fanfans Anwesenheit hier war ein Verstoß gegen das Reglement! Ja, sie war geradezu schandbar in den Augen des Obersten, für den gar kein Zweifel bestand, dass Fanfan ein Strichjunge war, und Strichjunge zu sein verstieß gegen das Reglement der Gesellschaft, die so etwas verurteilte, wie auch gegen das Reglement der Kirche, die so etwas verdammte. Monsieur de Ramponeau erteilte folglich die entsprechenden Befehle.

Die Jungen von Cartouches Bande und die Freunde von Fanfan hatten so lange auf der Straße ausgeharrt, bis man mit Fug und Recht annehmen konnte, dass Fanfan das Ding gedreht hatte. Man war übereingekommen, am nächsten Morgen um sieben Uhr, wenn die Frauen, deren dreitägige Beherbergungsfrist abgelaufen war, das Kloster verließen, sich an Ort und Stelle wieder einzufinden, um Fanfan, den Helden, in Empfang zu nehmen.

Und zur vereinbarten Zeit waren sie alle, vor Neugierde berstend, wieder da. Cartouche, umringt von seinen Vasallen, erklärte soeben, dieser Fanfan mit seiner für sein Alter erstaunlichen Unerschrockenheit müsste unbedingt für ihre Bande gewonnen werden, als plötzlich, zur allgemeinen Verwunderung, aus dem Hof der Augustinerinnen ein Trommelwirbel herüberschallte.

«Wenn jetzt auch schon die Nonnen die Trommel schlagen . . . wohin soll das noch führen?» bemerkte Goujon, nicht ohne Scharfsinn, und der Heilige Vater und Nicolas Namenlos pflichteten ihm kopfnickend bei.

Aber was war denn da los? Langsam, in allen Fugen knarrend, öffneten sich die beiden Torflügel, aufgestoßen von . . . Dragonern!

Und jetzt fasse man sich ein Herz, um das von Monsieur de Ramponeau ersonnene entsetzliche Martyrium Fanfans zu ertragen. Alle jene, die von der Straße aus zusahen, Freunde, Bekannte, herbeiströmende Passanten, rissen die Augen auf. Im Hof hatte die Kompanie inzwischen in zwei Reihen Aufstellung genommen. Der Trommelwirbel dauerte noch immer an, wie bei einer Hinrichtung. Und es war eine Hinrichtung!

Da kam ja Fanfan! Noch immer trug er das niedliche Kleidchen von Madame Aymery. Er trat aus demselben Flur, in dem seine Kumpane ihn vor nunmehr zehn Stunden hatten verschwinden sehen. Mit den Füßen an ein Bett gefesselt, hatte er die Nacht verbringen müssen.

Zwei kräftige Dragoner hielten ihn unter den Armen, wobei sie ihn fast vom Boden hoben. Schritt um Schritt schleiften sie ihn so bis in die Mitte des Hofes. Auf der Straße lief immer mehr Volk zusammen, und Tausende von Fragen schwirrten herum.

Nun erschien Oberst Ramponeau, ihm folgte seine Ordonnanz, die einen Stuhl trug. Auf der Höhe von Fanfan wurde der Stuhl abgesetzt, und der Oberst ließ sein mächtiges Hinterteil darauf nieder. Die Dragoner, die den um sich schlagenden Fanfan hielten, betteten ihn schließlich sanft über die fetten Schenkel des Obersten, der sein Opfer mit der Linken wie mit einer Zange umklammerte und ihm mit der Rechten, unter der feierlichen Begleitmusik des Trommlers, den Hosenboden versohlte. Fünfzig klatschende Schläge auf den blanken Popo! Doch Fanfan, der schier verging vor Scham und ohnmächtiger Wut, hatte es vorgezogen, noch vor dem Ende ohnmächtig zu werden. Aber den Namen des Obersten hatte er für ewige Zeiten seinem Gedächtnis eingeprägt.

Was hier geschehen war?

Folgendes: Zwei Tage zuvor waren im Kloster der Augustinerinnen drei Fälle von Spitzblattern aufgetreten, woraufhin der Polizeihauptmann die völlige Evakuierung des Klosters verfügt hatte. Das war bei Nacht und in größter Stille geschehen, um keine Unruhe unter der Bevölkerung aufkommen zu lassen. Die Augustinerinnen und ihre Schützlinge hatten bei den Visitandinerinnen Asyl gefunden, während ihr Kloster, ebenfalls bei Nacht, von einem Sanitätstrupp gründlichst mit Essigwasser desinfiziert worden war. Diesen Geruch hatte Fanfan bei seiner Ankunft ja auch wahrgenommen.

Nach der Hinrichtung hatte Cartouche mitsamt seiner Bande schweigend den Weg zu seinem Hauptquartier im Bastille-Viertel eingeschlagen. Doch hatte die hysterische Schadenfreude Pastenagues während dieser ganzen abscheulichen Angelegenheit ihn stutzig gemacht.

«Hör mal, Pastenague», sagte er mit sanfter Miene, als sie ihr Standquartier erreicht hatten. «Hast du gewusst, dass anstelle der Betschwestern dort Dragoner einquartiert waren?»

«Ich hatte es von einem Wachsoldaten in der Schenke gehört. Diese Dragoner sind auf dem Durchmarsch nach Norden, und es musste für eine Nacht eine Unterkunft gefunden werden. Und weil die Schwestern erst morgen zurückkommen dürfen, hat man sie dort einquartiert», antwortete dieser Eselskopf, der nach Bewunderung lechzte und von seiner endlich vollzogenen Rache schon ganz trunken war.

«Meine Parole hatte geheißen, im Bett der Weiber, nicht der Dragoner, zu schlafen», fuhr Cartouche mit immer noch sanfter Miene fort. Und da er kein Mann der großen Worte war, schloss er seine Rede mit einem wuchtigen Fausthieb in Pastenagues Schnauze, dem nun nicht mehr drei, sondern sechs Zähne fehlten und der, am Hosenboden emporgehoben, mit Karacho aus dem «Schwarzen Dorn» sowie aus der Truppe des stolzen Cartouche hinausflog. Mit eingekniffenem Schwanz verlor er sich in der Weite von Paris.

Durch ein Kärtchen, das Cartouche einem Stadtschreiber diktiert hatte, erfuhr Fanfan, dass der große Rivale an seiner hochnotpeinlichen Lage mitfühlend Anteil genommen hatte. Dem Kärtchen waren dreißig Pfund beigefügt. Sympathie und Geld waren ein kleiner Trost für Fanfan, aber da das beschämende Rot seines Hinterteils auch auf seine Seele und auf seine Selbstachtung abgefärbt hatte, ließ er sich zwei Monate lang nicht blicken, in der Hoffnung, er selbst wie auch die allzu zahlreichen Zuschauer möchten diese Blamage vergessen.

Fanfan von der Tulpe

Подняться наверх