Читать книгу Die seltsamen Morde des Ikonenmalers - José Luis de la Cuadra - Страница 12

Оглавление

5

Das Atelier gleicht auf den ersten Blick einer Abstellkammer.

Sie müssen wissen, dass es für mich in jedem Durcheinander eine strenge Ordnung gibt. Wir befinden uns gewissermaßen in einer Kathedrale der Seelenbilder. Um die Kunstwerke, die Sie nun erblicken, in ihrer Vollkommenheit zu erfassen, müssen Sie alle Sinne offenhalten. Gewiss werden Sie mir beipflichten, dass Ihnen der Duft des Weihrauchs in die Nase steigt. Sie spüren das sanfte Lüftchen, das durch den Raum schleicht. Es ist der Wind des Engelschlags. Sie hören die Bässe des Männerchors, welche die Wände zum Vibrieren bringen und von der Auferstehung des Messias künden. Sie sehen die leuchtenden Farben, die den Ikonen Russlands eigen sind. Am Ende fühlen Sie aus den Tiefen der Bilder die Wahrheit aufsteigen.

Wenn Sie alle Eindrücke in sich aufgenommen haben, werden Sie begreifen, wie ein Ikonenmaler seinem Auftrag nachkommt. Denn er ist kein Künstler. Er ist die Hand des Allmächtigen. Seine Arbeiten gehören ihm nicht. Er ist nur das Instrument. Die Ikonen bedürfen der Segnung eines Geistlichen. Erst dann entfalten sie ihre Wirkung auf die Menschen. Und nur so ermöglichen sie die Verbindung der Gläubigen zu Gott. Wenn der Gläubige die Ikone berührt oder küsst, taucht er in die himmlische Welt des Schöpfers ein.

Jetzt wissen Sie, wer ich bin und was in mir vorgeht, wenn ich eine alte Ikone restauriere. Mein Pinsel bewegt sich, als würde er geführt. Ich gleite in Sphären, die sich außerhalb der menschlichen Wahrnehmung befinden. Ich gehorche einer Macht. Ich bin Befehlsempfänger, ein Ausführender. Ich bin das Instrument des Herrn.

Hier, im Untergeschoss, ist das wahre Zuhause des Ikonenmalers. Der ganze Raum ist erfüllt von Mystik. An den Wänden hängen Ikonen an kleinen Haken. Von der Decke pendeln sie an Schnüren. Der Boden ist übersät von Skizzen mit Motiven der Heiligen. Wo der Raum es zulässt, lagern Tafeln aus Linden-, Pinien- und Olivenholz. Auch Nadelhölzer sind dabei. Dazwischen stehen kleine Tische mit in Eigelb gelösten Farbpigmenten, Blattgoldfolien, Pinseln und Versiegelungslacken. In der Mitte des Raumes steht eine Staffelei, in die eine Ikone eingespannt ist. Das ist die Ikone, deren Geheimnis darin besteht, nicht zu verraten, woher sie kommt, wem sie gehört, und ob es einen Auftrag zu ihrer Restauration gibt. In der Luft liegt die Frage, ob das Kunstwerk mit dem Mord am Fluss zu tun hat.

Alex nähert sich der Ikone gemächlichen Schritts, als würde er sich direkt zum Allmächtigen begeben. Es ist das Bild einer Gottesmutter mit dem Christuskind auf dem Schoss. Eine Darstellung vom Typ der Hodegetria, ein Bild der Madonna von Konstantinopel, einer Maria griechisch-byzantinischer Herkunft. Es ist die Fürsorgende Gottesmutter.

Alex hat genügend Erfahrung, um zu erkennen, dass die Ikone alt ist. Er vermutet allerdings, dass sie übermalt wurde und dass sich das Original unter der oberflächlichen Farbschicht verbirgt. Dafür spricht der durchscheinende Rand aus Blattgold.

Der Auftrag dürfte darin bestehen, das ursprüngliche Bild freizulegen, denn niemand würde verlangen, eine Übermalung zu bearbeiten.

Alex setzt sich auf einen Schemel und versucht, sich in den Zustand der Demut eines Dieners höherer Mächte zu versetzen. Als er die Augen schließt, beginnen sich seine Lippen zu bewegen. In seinem Inneren hört er das unablässige Gebet altrussischer Pilger. Er ist nun auf dem Weg des Lichts. Er ist das Werkzeug ...

Plötzlich blitz ein Messer vor seinem inneren Auge auf. Ein blutiges Messer. Sein Puls schnellt in die Höhe und sein Kopf scheint zu bersten. Er hält sich die Ohren zu um das Trommelfeuer zu unterbrechen, das sein Gehirn martert. Wie konnte es geschehen? Was hat ihn angetrieben? Woher hatte er das Messer? Warum Tanja? Alles wegen einer Ikone, wegen DIESER Ikone?

Alex öffnet die Augen und starrt auf die Madonna. Ihr Blick ist emotionslos, streng. Sie schaut geradeaus, neben ihm vorbei in die Unendlichkeit. Es bleibt ihr Geheimnis, was die Entfernung der Übermalung enthüllen wird. Ist die Ikone wirklich so wertvoll, dass sich ein Mord rechtfertigen lässt?

Tanja sagte, die Ikone sei kostbar. Und sie könnte mein Leben in Gefahr bringen. Glaubte sie, dass mir dasselbe Schicksal bevorstehen würde wie ihr? Kannte sie das originale Bild unter der Übermalung?

Jetzt ist Alex zu aufgeregt, um an der Ikone zu arbeiten. Die Stimmung ist vorbei. Er bedeckt das Bild mit einem Tuch, geht zum Weihrauchkessel, der zwischen den Ikonen von der Decke hängt, und setzt ihn in Schwingung. Qualm entweicht den Öffnungen. Der Weihrauch ist für ihn eine Droge. Er beruhigt ihn und steigert seine schöpferischen Kräfte. Deshalb ist er stets darum bemüht, die Glut im Innern am Glimmen zu halten.

In diesem Augenblick klopft es an der Türe.

Das muss Claudia sein! Sie wird meine fahrige Stimmung sofort bemerken.

Alex setzt sich geräuschlos auf den Schemel und hofft, dass die Frau sich wieder entfernt.

Es könnte ja sein, dass ich nicht da bin.

Das Klopfen wird energischer.

«Alex, ich weiß, dass Sie da sind. Ich spüre Sie. Bitte öffnen Sie die Türe.»

Sie spürt mich?

«Alex, Sie wollen mich nicht zurückweisen, oder? Ich habe den Wein bei mir.»

Der Ikonenmaler schleicht zur Türe. Er hört die beschleunigten Atemzüge seiner neuen Nachbarin. Seine Hand gleitet zum Türriegel, schiebt ihn zur Seite, dann drückt er die Klinke.

Claudia hält zwei Gläser tiefroten Weins in den Händen. Sofort fällt Alex wieder das Spezielle ihrer Augenstellung auf. Durch die dezent aufgetragene Schminke wirkt die Asymmetrie noch tiefgründiger, beinahe verführerisch. Der Ikonenmaler findet keine Worte.

Sie schiebt sich neben ihm vorbei und stellt die Gläser auf den Tisch mit dem Blattgold. Die Spiegelung überzieht den Wein mit einem goldenen Schimmer. Dann setzt sie sich auf den Schemel vor der Staffelei. Alex holt einen zweiten Stuhl, sodass sie sich gegenübersitzen und gegenseitig mustern.

«Da bin ich. Haben Sie mich nicht erwartet?»

Claudia blickt sich im Raum um. Ihre Augen erglänzen in freudiger Überraschung. Alex ist peinlich berührt.

«Toll, einfach toll. Das muss ein Vermögen wert sein. Ich habe noch nie so viele Ikonen auf einmal gesehen. Diese Farben! Sie scheinen die Bilder lebendig zu machen, als könnten die Heiligen aus den Rahmen springen. Sind Sie ein Maler? Ein Künstler?»

«Ich restauriere Ikonen. Ab und zu male ich selbst.»

«Sie müssen echt begabt sein, Alex. Ich ... Kommen Sie, wir stoßen an. Auf Ihre Kunstwerke ... und auf Sie.»

Claudia reicht ihm sein Glas.

«Halten Sie das Glas am Stiel, dann klingt es schöner.»

Es klingt nicht nur schön. Der Klang widerhallt tausendfach. Die von der Decke hängenden Ikonen geraten in Schwingung, pendeln, kreisen ... und tragen die Echos durch den ganzen Raum. Der Ikonenmaler hört Glocken unzähliger Kathedralen. Claudia kann sich auf dem Schemel kaum halten vor Begeisterung. Sie strahlt über das ganze Gesicht.

Irgendetwas gefällt Alex an der Frau. Vielleicht ist es ihre Begeisterungsfähigkeit. Ihre Direktheit. Oder ist es die Faszination, die ihren Augen entspringt?

Sie hat die Glocken gehört, ich bin ganz sicher. Wie ist es möglich, dass sie meine Welt teilt?

Meistens sehen die Leute in ihm einen Spinner, glaubt Alex. Aber Claudia ist anders. Sie kann ihn fühlen, sein Inneres wahrnehmen.

Wir sind Seelenverwandte.

«Ich habe Schizophrenie.»

Schweigen.

«Nicht jetzt, aber grundsätzlich.»

«Was heißt das? Haben Sie nun Schizophrenie oder nicht?»

«Im Allgemeinen schon. Aber ich habe gute Phasen, wie heute, und vielleicht morgen. Mein Psychiater sagt, ich könnte eines Tages geheilt sein.»

«Ich habe Ikonomanie. Mein Psychiater sagt, das sei unheilbar.»

Claudia berührt seine Hand. Es ist eine freundliche Geste, nichts Geschlechtliches. In die Bewunderung mischt sich Traurigkeit. Sie hat noch nie von Ikonomanie gehört. Nur von Manie. Und das klingt bedrohlich. Sie ist sich nicht sicher, ob Alex ihr die Wahrheit sagt oder sich ihr zuliebe eine Diagnose andichtet. Jetzt ergreift sie die Hände ihres Nachbarn vollumfänglich. Sie streichelt sie. Plötzlich zieht sie ihre Hände zurück.

«Entschuldigen Sie. Es bedeutet nichts. Die Wahrheit ist, dass ich Sie so besser spüre. Das ist ein Teil meiner Krankheit. Man sagt, schizophrene Menschen seien gläsern. Ihre Seelen lägen herum wie die Waren im Einkaufszentrum. Zudem scheuten sie sich nicht, in die Seele anderer hineinzuschauen. Ich weiß, das kann für Sie beängstigend sein. Wir sind einfach offen für alle und alles, vielleicht zu offen. Es hat etwas mit Toleranz zu tun. Manchmal sind wir überschwänglich, vor allem wenn wir glücklich sind. So wie ich heute.

Ich mag Sie, Alex. So wie Sie sind. Einfach so. Es kümmert mich nicht, ob Sie krank sind oder nicht. Und ich will Ihnen keine Angst machen. Nur ..., ab und zu eine kleine Berührung. So sind Sie mir nah. Mir ist es wichtig, die Menschen auf allen Ebenen wahrnehmen zu können.

Wie steht es mit Ihnen? Wie lebt man mit einer Ikonomanie?»

«Für mich ist es keine schwere Krankheit. Ich lebe ganz gut mit meiner Diagnose. Nur mein Psychiater findet, dass ich mich nicht ausschließlich mit Ikonen beschäftigen sollte. Er meint, die vielen Heiligenbilder verstopften die Adern meines Gehirns. Aber seit meine Frau mich verlassen hat, suche und finde ich Trost bei ihnen. Sie sind so etwas wie meine Familie. Ein Ort der Besinnung, der Begegnung, wenn Sie so wollen.»

«Ihre Frau hat Sie verlassen? Für einen Anderen?»

«Nein, nein, Sie haben mich falsch verstanden. Sie hat mich unwillentlich verlassen. Ich meine, Sie hat ihr Leben durch meine Schuld verloren, durch meine Hand sozusagen.»

«Sie haben Ihre Frau umgebracht?»

«Das ist die gängige Meinung. Der Therapeut spricht zwar von einem erzwungenen Suizid. Vielleicht wissen Sie, was das ist.»

«Ja, Sie haben Ihre Frau in den Freitod getrieben. Und ... stimmt es?»

«Es könnte sein. Aber da ist dieses Messer. Ich bin mir nicht sicher, wer es benutzt hat, sie oder ich.»

«Läuft keine polizeiliche Untersuchung?»

«Das Problem ist, dass man ihre Leiche noch nicht gefunden hat. Und wegen meines aktuellen geistigen Zustandes kann ich mich nicht erinnern, was wirklich geschehen ist. Auf jeden Fall ist sie nicht mehr hier und ich quäle mich mit Schuldgefühlen.»

«Wo ist das Messer, das Sie soeben erwähnt haben?»

«Es schwirrt in meinem Kopf herum. Was mich beunruhigt, ist das Blut auf seiner Klinge. Und was mich noch mehr beunruhigt ist, dass es noch ein zweites Messer gibt, das auch blutig war. Es lag neben mir, nachdem ich niedergeschlagen wurde. Entschuldigen Sie, ich habe vergessen zu erwähnen, dass in unmittelbarer Nähe des zweiten Messers eine Leiche lag. Deshalb glaube ich, dass ich ein Mörder bin.

Sie haben nichts zu befürchten. Obwohl es sich bei der Leiche um eine Frau handelt, scheint mir Ihr Leben nicht in Gefahr zu sein. Sie haben ja nichts mit Ikonen zu tun.»

Claudia scheint etwas ratlos zu sein. Sie wippt auf dem Schemel hin und her. Dann erhebt sie sich und stellt sich vor die Staffelei.

«Geht es um die Ikone, die sich wohl hinter diesem Tuch befindet?»

«Davon bin ich fest überzeugt. Sie ist sehr kostbar und ich werde sie so bearbeiten, dass sie noch kostbarer wird. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass andere an ihr interessiert sind.»

«Warum haben Sie sie zugedeckt?»

«Zu ihrem Schutz. Damit sie niemand sieht. Nicht zuletzt auch zu meinem Schutz.»

«Sie meinen, Sie könnten zum Mörder werden, sobald jemand die Finger nach ihr ausstreckt? Ist es das, was Sie sagen wollen?»

«Ich denke schon. Die Ikone wurde mir anvertraut und ich wurde gewarnt. Ich kann nicht zulassen, dass sie abhandenkommt.

Wenn Sie es genau wissen wollen: Ich bin wegen der Ikone bereits zum Mörder geworden. Dort unten am Fluss, bevor ich neben der Leiche lag.»

«Alex, irgendetwas stimmt hier nicht. Entweder ist Ihr Hirn wirklich krank – und das sagt Ihnen eine Schizophrene – oder Sie sind in die Hände von Kriminellen geraten.»

«Das sehe ich genauso. Beides scheint mir zuzutreffen. Nun, das Erstere etwas weniger.»

Alex prostet seiner Nachbarin zu und nimmt einen Großen Schluck Wein.

«Wir sind also zwei Kranke, die versuchen, die Welt so zu sehen wie sie ist und dabei vergessen, dass es nicht ihre Welt ist.»

«Wenn Sie mich fragen, Alex, interessiert mich die reale Welt sowieso nicht. Ich fühle mich wohl in meinem selbst gebastelten Universum.»

«Ich könnte Ihnen dasselbe erzählen. Nur, wenn man einen Schlag auf den Schädel bekommt und ohne Gedächtnis im Spital aufwacht, dann hat man gar nichts mehr. Weder die reale noch die andere Welt.»

Alex hat schon zweimal Wein nachgefüllt. Er fühlt sich erstmals seit seiner Bewusstlosigkeit richtig wohl in seiner Haut. Er ist Claudia dankbar, dass sie in sein Leben getreten ist und ihn versteht. Wenn er sie anschaut, glaubt er, in ihren leicht schiefstehenden Augen eine Tiefe zu erkennen, in die er leicht hineinstürzen könnte. Mit aller Kraft krallt er sich an den Stuhl. Dabei beginnt etwas in ihm zu gären. Er spürt eine Ahnung. Die Frage liegt ihm auf der Zunge.

«Claudia?»

«Alex?»

«Also, Claudia, etwas würde mich interessieren. Ich hoffe, nicht indiskret zu sein. Was spielt sich genau ab, wenn Sie in Ihrer, sagen wir mal, schizophrenen Phase sind? Sehen Sie Dinge?»

«Nun ja, ich sehe und höre, was andere nicht wahrnehmen können: Halluzinationen. Manchmal sind es Stimmen, bedrohliche, befehlerische, verletzende. Es kommt vor, dass hinter einer Stimme Tiere zum Vorschein kommen. Je nachdem, was die Stimme mir vorwirft, kann es ein Schwein sein, oder ein wolfsähnlicher Hund. Einmal kam ein Affe und kreischte mich an. Häufig präsentieren sich menschliche Gestalten, manchmal ein Lehrer mit einer Peitsche in der Hand. Am unheimlichsten finde ich den Geistlichen, so eine Art Messias mit Bart. Ich nenne ihn Barty. Er wirft mir vor, ich sei eine Hure.

Stellen Sie sich vor, kürzlich habe ich seine Stimme vernommen. Sie war tiefer als sonst, aber er war es. Ich habe die Stimme ganz klar erkannt. Es fällt mir erst jetzt auf, nachdem wir über Ikonen gesprochen haben. Er sagte wortwörtlich: GEH UND ÜBERGIB DAS BILD. Ich hatte keine Ahnung, was er damit meinte. Was für ein Bild sollte ich übergeben? Das Hurenbild, das er sich von mir macht? Das gibt es nicht. Ein Selfie von mir? Ich habe hunderte. Und wem sollte ich überhaupt ein Bild übergeben?»

Die Gesichtsfarbe des Ikonenmalers weicht einer zunehmenden Blässe. Sein Schädel brummt und Alex versucht krampfhaft, sich zu erinnern, was am Tag des Mordes geschehen ist, als er noch auf der Bank sass. Tanja hatte ihm, als sie wieder lebte, gesagt, sie habe ihm eine Ikone übergeben.

«Claudia, was haben Sie nach dieser Halluzination gemacht? Sind Sie dem Befehl in irgendeiner Art und Weise nachgekommen?»

«Ich war verzweifelt. Es war vor dem Umzug. Ich war dabei, meine Sachen zu packen und suchte krampfhaft nach einem Bild, ohne zu wissen, was ich eigentlich suchte. Da kam mir die Ikone in den Sinn, die ich während einer Russlandreise erworben hatte. Nichts Besonderes. Billiges Touristenzeug. Immerhin war das Bild auf eine Holzplatte aufgezogen. Wahrscheinlich eine Fälschung oder ein fotografischer Abzug. Ich verstehe ja wirklich nichts davon und habe sie gekauft, weil mir die Gesichtszüge der Gottesmutter gefielen. Ich stellte mir vor, wie schön es wäre, eine solch reine Frau zu sein. Vielleicht habe ich sie zu meinem Vorbild gemacht. Glauben Sie, Barty meinte dieses Bild?»

«Haben Sie die Ikone jemandem übergeben? Um Gottes Willen, Claudia, sagen Sie mir, wohin Sie die Ikone gebracht haben. Gehen Sie manchmal am Fluss spazieren?»

«Ich verstehe Ihre Aufregung nicht. Eine solche Ikone kann Sie doch nicht interessieren. Ich kann mich übrigens nicht erinnern, was aus der Ikone geworden ist. Denn noch während des Packens bin ich aus Übermüdung eingeschlafen. Als ich dann weitere Kisten füllte, ist mir die Ikone wieder in den Sinn gekommen. Aber ich habe sie nicht gefunden. Sie ist weg.»

«Oder, Sie haben ...»

«Nein, nein, ich kann mich nicht erinnern, dass ich sie irgendwem übergeben habe. Das meinen Sie doch, oder?»

«Es tut mir leid. Sie haben Recht. In meiner Verzweiflung, die Ereignisse in klärendes Licht zu rücken, reime ich mir die unmöglichsten Dinge zusammen.»

«Sie stehen unter Druck, Alex. Ich werde den Verdacht nicht los, dass alles mit Ihren Schuldgefühlen gegenüber Ihrer Frau zusammenhängt. Sie müssen mir gelegentlich mehr über Ihre Ehe erzählen. Auch wenn ich nie verheiratet war – wer will schon eine Schizophrene ehelichen? –, bin ich doch eine Frau. Meine übergrosse Empathie macht mich zu einer guten Beraterin. Wer ist eigentlich Ihr Psychiater?»

«Professor Eugen Wiesel, ein guter Freund von mir.»

Bevor Claudia antwortet, nimmt sie einen kräftigen Schluck Wein. Sie verschluckt sich und beginnt zu husten. Es kann kein Zufall sein, denkt sie. Eher ein Fingerzeig des Schicksals. Ein Zeichen der Verbundenheit mit der kranken Welt des Ikonenmanns.

«Toll, wir haben denselben Psychiater. Prost, Alex.»

Die seltsamen Morde des Ikonenmalers

Подняться наверх